
Winner 2002
Sanfte Chemie

Maria-Regina Kula und Martina Pohl legten dafür die Basis. Maria-Regina Kula war bis vor Kurzem Professorin und Direktorin des Instituts für Enzymtechnologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Martina Pohl arbeitete dort bis zum Jahr 2000 als Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Enzymtechnologie, wo sie die Arbeitsgruppe „Proteindesign“ leitete.

Moleküle als flinke Helferchen
Katalysatoren erleichtern und beschleunigen chemische Reaktionen. So werden Katalysatoren aus Edelmetall zur Verbrennung von Kraftstoffresten im Abgas von Autos eingesetzt. In Organismen sorgen Biokatalysatoren, die Enzyme, dafür, dass die lebenswichtigen Reaktionen ablaufen können.
Weitere Details
Lebensläufe
Dr. rer. nat. Maria-Regina Kula
- 16.3.1937
- geboren in Berlin
- 1955
- Abitur
- 1956 – 1960
- Studium der Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität, München
- 1962
- Promotion
- 1962 – 1964
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Anorganische Chemie der Ludwig-Maximilians-Universität, München
- 1964 – 1967
- DFG Ausbildungsstipendium an der Johns Hopkins University, School of Medicine, Baltimore, USA
- 1968 – 1969
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, Göttingen
- 1969 – 1985
- Abteilungsleiterin bei der Gesellschaft für Molekularbiologische Forschung mbH (GMBF), später Gesellschaft für Biotechnologische Forschung mbH (GBF), Braunschweig
- 1975 – 1979
- Wissenschaftliche Direktorin der GMBF/GBF
- 1979
- Habilitation im Fach Biochemie
- 1986 – 2002
- Universitätsprofessorin und Direktorin des Instituts für Enzymtechnologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- 1995
- Sherman Fairchild Distinguished Scholar am California Institute of Technology, Pasadena, USA
- seit 1995
- Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
- 2002
- Emeritierung
- seit 2002
- Foreign Associate Member, US National Academy of Engineering
Ehrungen:
- 1979
- Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz
- 1983
- Technologie-Transfer-Preis des Bundesministers für Forschung und Technologie
- 1995
- Enzyme Engineering Award
- 1997
- Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse
Dr. rer. nat. Martina Pohl
- 26.10.1961
- geboren in Aachen
- 1981
- Abitur
- 1981 – 1987
- Studium der Chemie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
- 1988 – 1991
- Stipendiatin der Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen
- 1991
- Promotion
- 1991 – 1992
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Wollforschungsinstitut an der RWTH Aachen
- 1992 – 1994
- Wissenschaftliche Angestellte am Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- 1994 – 2000
- Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leiterin der Arbeitsgruppe „Proteindesign“
- 2000
- Habilitation und Erteilung der venia legendi für das Fach Technische Biochemie
- 2000 – 2002
- Forschungsleiterin im Bereich Pflanzenbiotechnologie bei der MPB Cologne GmbH, Köln
Ehrungen:
- 1991
- Borchers-Plakette für eine ausgezeichnete Promotionsleistung
Kontakt
Projektsprecherin
Prof. Dr. rer. nat. Maria-Regina Kula
Emeritierte Direktorin
Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
im Forschungszentrum Jülich
52426 Jülich
Tel.: +49 (0) 89 / 74 94 59 22
E-Mail: MRK3372002@yahoo.de
Pressekontakt
Prof. Dr. rer. nat. Martina Pohl
Tel.: +49 (0) 241 / 44 50 960
E-Mail: ropo2de@yahoo.de
Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten
Einleitung
Katalysatoren bewirken, dass chemische Reaktionen mit geringerer „Anschubenergie“ (Aktivierungsenergie) ablaufen können. Dadurch werden Reaktionsabläufe bei niedrigeren Temperaturen möglich und beschleunigt. Allgemein bekannt sind Katalysatoren aus der Verbrennung von Kraftstoffresten im Abgas von Autos. Dort werden Edelmetallkatalysatoren eingesetzt.
Auch in lebenden Organismen laufen unentwegt chemische Reaktionen ab. Dass dies bei Temperaturen von 25-40°C möglich ist, verdanken wir den Biokatalysatoren oder Enzymen. Enzyme gehören zu den Eiweißen. Es sind Makromoleküle, die aus gefalteten Ketten von Aminosäuren aufgebaut sind. Sie arbeiten schneller, effizienter und viel spezifischer als Edelmetallkatalysatoren. Der Mensch nutzt die Fähigkeit von Enzymen bereits seit vielen tausend Jahren. Zunächst waren sie die entscheidenden Bestandteile lebender Organismen, die bei der Herstellung von Käse, Brot, Bier und Wein unbewusst eingesetzt wurden. Später lernte man, Enzyme aus Zellen zu isolieren und ihre ganz spezifischen Fähigkeiten gezielt zu nutzen. Heute sind Enzyme unverzichtbare Hilfsmittel in der Medizin und in der verarbeitenden Industrie, wie in der Lebensmittel-, Papier- und Textilindustrie. Die meisten technisch eingesetzten Enzyme werden aus Mikroorganismen (Bakterien, Hefen, Pilzen) isoliert.
Herstellung hochwertiger Chemikalien mit Enzymen
Besonders zur Erzeugung hochwertiger Chemikalien, die für die Herstellung von Medikamenten wichtig sind, werden die einzigartigen Eigenschaften von Enzymen zunehmend genutzt, denn mit den Biokatalysatoren ist sanfte Chemie möglich. Während mit konventionellen chemischen Verfahren zumeist in Umwelt belastenden, organischen Lösungsmitteln gearbeitet wird und wegen der geringeren Selektivität und der erforderlichen höheren Temperaturen auch mehr Abfallstoffe entstehen, kommt man mit dem passenden Enzym oft viel schneller, energiesparender und umweltfreundlicher zum Ziel. Enzyme machen Chemie mit Wasser als Lösungsmittel und unter milden Reaktionsbedingungen möglich.
Redoxenzyme sind besonders interessante Enzyme
Besonders soll hier auf Enzyme eingegangen werden, die Reduktionen und Oxidationen, so genannte Redoxreaktionen katalysieren können. Redoxreaktionen nennt man die Übertragung von Redoxäquivalenten, zum Beispiel Elektronen. Hierzu benötigen die Enzyme die Hilfe kleiner chemischer Moleküle, so genannter Kofaktoren, die an einer definierten Stelle der gefalteten Eiweißkette gebunden sind.
Die Kofaktoren werden in einer Redoxreaktion verbraucht und zwar im Verhältnis 1:1. Solange ein Enzym in seiner natürlichen Umgebung im Organismus arbeitet, ist dies kein Problem, da andere Enzyme im Organismus dafür sorgen, dass verbrauchte Kofaktormoleküle regeneriert werden und erneut zur Verfügung stehen. Isoliert man jedoch ein Redoxenzym aus seinem Organismus, weil man es für spezielle technische Anwendungen nutzen will, dann wird dieser Kofaktorverbrauch zum Problem, da diese Moleküle teuer in der Herstellung sind. Dies limitierte lange Zeit die Nutzung von Redoxenzymen für technische Zwecke, da wegen der gigantischen Kosten für die Kofaktoren derartige Reaktionen nicht wirtschaftlich durchführbar waren.
Kofaktorgenerierung für technische Zwecke
Abhilfe für dieses Problem konnte durch die frühen Arbeiten von Frau Professor Kula geschaffen werden. Die Idee war genau so simpel wie genial: Es galt ein Enzym zu finden, mit dem die teuren Redox-Kofaktoren während der Reaktion regeneriert werden konnten, genau so, wie es im Organismus geschieht. Dieses Enzym musste einfach isolierbar und robust genug sein. Frau Professor Kula isolierte ein Enzym, die so genannte Formiatdehydrogenase (FDH) aus der Hefe Candida boidinii, untersuchte dessen Eigenschaften und fand heraus, dass sich die FDH als Hilfsenzym für beliebige Redoxenzyme, die den Kofaktor NADH benötigen (und das sind die meisten), eignet. Das Enzym benötigt hierzu lediglich Ameisensäure als Ausgangsstoff und erzeugt daraus Wasser und Kohlendioxid. Die freiwerdenden Reduktionsäquivalente werden auf den verbrauchten Kofaktor übertragen, wodurch dieser regeneriert wird. Besonders wichtig war hierbei auch, dass gleichzeitig die Verfügbarkeit des Enzyms gewährleistet wurde. Deshalb wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem nach der Vermehrung der Hefe die FDH kostengünstig daraus isoliert werden konnte.
Die FDH wird mittlerweile nicht nur in zahlreichen enzymatisch arbeitenden Labors, sondern auch für technische Zwecke eingesetzt. Das wohl bekannteste Verfahren ist das zur Herstellung einer speziellen Aminosäure bei der Degussa AG.
Enzyme können an spezielle Bedürfnisse angepasst werden
Modellhaft kann man sich Enzyme als eine Kette einzelner Aminosäuren, den Grundbausteinen von Eiweißmolekülen, vorstellen. Diese Ketten falten sich in einer sehr speziellen Art zusammen und erst so entsteht ein funktionales Enzym. Wir wissen, dass Hühnereiweiß sich verändert, wenn es erhitzt wird, oder wenn man Säure hinzufügt. Einen solchen Vorgang bezeichnet man als Denaturierung. Das Eiweißmolekül kann seine natürliche Funktion durch derartige Einflüsse verlieren. Was beim Eierkochen erwünscht ist, ist bei der Verwendung von Enzymen in technischen Prozessen äußerst problematisch, denn die Denaturierung von Enzymmolekülen bedeutet, dass diese Moleküle nicht mehr für die Katalyse zur Verfügung stehen und durch neue ersetzt werden müssen. Geschieht dies in größerem Umfang, können Denaturierungsprozesse enzymatische Verfahren empfindlich verteuern. In technischen Prozessen ist die Umgebung eines Enzyms grundverschieden von der innerhalb einer Zelle. Zum Beispiel werden die Enzyme dort gerührt, geraten in Kontakt mit verschiedenen Materialen des Reaktionsgefäßes und mit Luftsauerstoff. Auch die FDH erwies sich in dieser Beziehung nicht als unbegrenzt stabil. Daher wurde in enger Zusammenarbeit mit der Degussa AG den Gründen für die beobachtete Enzyminaktivierung nachgegangen. Im Falle der FDH erwies sich der Luftsauerstoff, der beim Rühren in die Reaktionslösung gelangt, sowie Spuren von Schwermetall-Ionen als hauptsächliches Problem.
Darüber hinaus war es wünschenswert, die Geschwindigkeit, mit der das Enzym arbeitet, zu erhöhen. Sowohl die Erhöhung der Stabilität als auch die Katalysegeschwindigkeit wirken sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit des enzymatischen Verfahrens aus.
Enzyme können durch gentechnische Methoden verändert werden
Es gibt mittlerweile Möglichkeiten, Enzyme gegen schädigende Einflüsse zu stabilisieren und auch ihre Katalyseaktivität zu erhöhen. Dabei macht man sich die Tatsache zunutze, dass der Bauplan für jedes Eiweißmolekül eines Organismus in dessen Erbgut (DNS) aufgezeichnet ist. Durch Veränderung der DNS können Enzyme verändert werden. Dies kann auf verschiedenen Wegen geschehen: Zunächst ist es möglich, ganz gezielt Schwachstellen im Enzym zu eliminieren. Dazu macht man die dreidimensionale Anordnung eines Enzyms mittels spezieller spektroskopischer Methoden sichtbar. Mit computergrafischer Hilfe kann man auf dem Bildschirm die Lage jeder einzelnen Aminosäure erkennen. Unter den 20 verschiedenen Aminosäuren, die zum Aufbau von jedem Eiweiß genutzt werden, gibt es solche, die leichter als andere durch die oben erwähnten Denaturierungsprozesse beeinflusst werden. Es ist daher manchmal möglich, ein Enzym einzig durch den Ersatz dieser reaktionsfreudigen durch inerte Aminosäuren zu stabilisieren. Dieser Weg wurde durch die Arbeitsgruppe von Frau Dr. Pohl zur Stabilisierung der FDH beschritten. Hierzu wurde zunächst die Erbinformation (Gen) für das Enzym FDH aus der Hefe Candida boidinii isoliert und anschließend gezielt verändert. Dadurch wurde die FDH im technischen Prozess wesentlich stabiler.
Abgesehen von diesem gezielten Verfahren, bei dem Veränderungen des Enzyms mit Hilfe des Computers geplant werden, wurde auch ein Verfahren angewandt, das Teile der natürlichen Evolution zur Verbesserung der FDH nachahmt. Ziel dieses Optimierungsverfahrens war es, die Katalysegeschwindigkeit des Enzyms zu erhöhen. Bei der Nachahmung von Schritten der natürlichen Evolution macht man sich zunutze, dass Verbesserungen durch zufällige Änderungen des Erbguts (Mutation) entstanden sind. Im Labor wurde das Gen für die FDH an verschiedenen Stellen zufällig verändert. Es resultierte eine riesige Zahl (400.000) verschiedener Varianten des FDH-Gens. Diese verschiedenen Genvarianten werden von Bakterienzellen in entsprechende Enzymvarianten übersetzt. Anschließend wurde diese riesige „Enzymbibliothek“ mit speziellen Testverfahren nach solchen Enzymvarianten durchsucht, die verbesserte Katalyseaktivität zeigen. Auch dieses Verfahren war bei der FDH äußerst erfolgreich.
Zum technischen Nutzen
Verfahren, die die FDH zur Regenerierung von Redoxkofaktoren nutzen, sind mittlerweile in Labors, die Enzyme zur Herstellung chemischer Verbindungen nutzen, weit verbreitet. Technisch wird das Verfahren der enzymatischen Kofaktorregenerierung explizit von der Degussa AG zur Herstellung von Aminosäuren genutzt, mit der im engen Kontakt das Enzym an die Bedürfnisse eines technischen Verfahrens angepasst wurde.
Informationen und Kontakt zum Deutschen Zukunftspreis unter:
Internet: www.deutscher-zukunftspreis.de
Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.
Das Projekt „Sanfte Chemie mit biologischen Katalysatoren“ wurde von der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren vorgeschlagen.
