Print-Logo Deutscher Zukunftspreis

Winner 2002

Sanfte Chemie

Sanfte Chemie mit biologischen Katalysatoren

Prof. Dr. rer. nat. Maria-Regina Kula (Spokesperson)
Prof. Dr. rer. nat. Martina Pohl
Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Forschungszentrum Jülich

(f.l.t.r.) Prof. Dr. rer. nat. Martina Pohl, Prof. Dr. rer. nat. Maria-Regina Kula

Mithilfe von biologischen Molekülen lassen sich Grundstoffe für Medikamente umweltschonend herstellen. Doch wie schafft man es, diese Enzyme effizient und kostengünstig einzusetzen?

Maria-Regina Kula und Martina Pohl legten dafür die Basis. Maria-Regina Kula war bis vor Kurzem Professorin und Direktorin des Instituts für Enzymtechnologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Martina Pohl arbeitete dort bis zum Jahr 2000 als Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Enzymtechnologie, wo sie die Arbeitsgruppe „Proteindesign“ leitete.

Moleküle als flinke Helferchen

Katalysatoren erleichtern und beschleunigen chemische Reaktionen. So werden Katalysatoren aus Edelmetall zur Verbrennung von Kraftstoffresten im Abgas von Autos eingesetzt. In Organismen sorgen Biokatalysatoren, die Enzyme, dafür, dass die lebenswichtigen Reaktionen ablaufen können.

Enzyme arbeiten schneller, effizienter und spezifischer als Edelmetallkatalysatoren. Daher sind sie heute unverzichtbare Hilfsmittel in der Medizin und Industrie. Vor allem zur Erzeugung von Chemikalien, die für die Arzneimittelherstellung wichtig sind, nutzt man immer häufiger die einzigartigen Eigenschaften von Enzymen. Denn sie ermöglichen eine sanfte Chemie: Gegenüber konventionellen Verfahren kommt man oft schneller, energiesparender und umweltfreundlicher ans Ziel.

Besonders interessant sind Enzyme, die Redoxreaktionen katalysieren können. Dazu benötigen sie aber die Hilfe kleinerer Moleküle, der Kofaktoren. Doch die werden bei der Reaktion verbraucht und müssen laufend nachgeliefert werden. Das macht die Nutzung von Redox-Enzymen unwirtschaftlich.

Das Wundermolekül aus der Hefe

Die nominierten Forscherinnen lösten dieses Problem. Sie isolierten aus einer Hefe ein Enzym, die Formiatdehydrogenase (FDH), das die Kofaktoren fortlaufend regeneriert. Auch ein weiteres Hemmnis für den Einsatz von Biokatalysatoren konnten Kula und Pohl beseitigen: Während der Reaktion verlieren die Enzyme, etwa durch Einwirkung von Sauerstoff, ihre nützlichen Eigenschaften und müssen ersetzt werden. Das verteuert den chemischen Prozess. Unter anderem durch gezielte gentechnische Veränderung der Erbinformation gelang es den Forscherinnen, die Stabilität der FDH deutlich zu erhöhen – und ihren Einsatz damit ökonomisch rentabel zu machen.

Verfahren, die die FDH nutzen, sind mittlerweile weit verbreitet. So werden sie von der Degussa AG zur Produktion von Aminosäuren verwendet, die dazu dienen, Medikamente gegen AIDS herzustellen. Die weltweite biotechnische Jahresproduktion von Aminosäuren hat bereits die Millionen-Tonnen-Grenze überschritten. 2010 werden voraussichtlich rund 20 Prozent der gesamten Chemieindustrie auf der Nutzung biotechnologischer Prozesse basieren.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt „Sanfte Chemie mit biologischen Katalysatoren“ wurde von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V. vorgeschlagen.

Weitere Details

Lebensläufe

Dr. rer. nat. Maria-Regina Kula

16.3.1937
geboren in Berlin
1955
Abitur
1956 – 1960
Studium der Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität, München
1962
Promotion
1962 – 1964
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Anorganische Chemie der Ludwig-Maximilians-Universität, München
1964 – 1967
DFG Ausbildungsstipendium an der Johns Hopkins University, School of Medicine, Baltimore, USA
1968 – 1969
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, Göttingen
1969 – 1985
Abteilungsleiterin bei der Gesellschaft für Molekularbiologische Forschung mbH (GMBF), später Gesellschaft für Biotechnologische Forschung mbH (GBF), Braunschweig
1975 – 1979
Wissenschaftliche Direktorin der GMBF/GBF
1979
Habilitation im Fach Biochemie
1986 – 2002
Universitätsprofessorin und Direktorin des Instituts für Enzymtechnologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
1995
Sherman Fairchild Distinguished Scholar am California Institute of Technology, Pasadena, USA
seit 1995
Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
2002
Emeritierung
seit 2002
Foreign Associate Member, US National Academy of Engineering

Ehrungen:

1979
Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz
1983
Technologie-Transfer-Preis des Bundesministers für Forschung und Technologie
1995
Enzyme Engineering Award
1997
Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse

Dr. rer. nat. Martina Pohl

26.10.1961
geboren in Aachen
1981
Abitur
1981 – 1987
Studium der Chemie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
1988 – 1991
Stipendiatin der Graduiertenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen
1991
Promotion
1991 – 1992
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Wollforschungsinstitut an der RWTH Aachen
1992 – 1994
Wissenschaftliche Angestellte am Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
1994 – 2000
Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leiterin der Arbeitsgruppe „Proteindesign“
2000
Habilitation und Erteilung der venia legendi für das Fach Technische Biochemie
2000 – 2002
Forschungsleiterin im Bereich Pflanzenbiotechnologie bei der MPB Cologne GmbH, Köln

Ehrungen:

1991
Borchers-Plakette für eine ausgezeichnete Promotionsleistung

Kontakt

Projektsprecherin

Prof. Dr. rer. nat. Maria-Regina Kula
Emeritierte Direktorin
Institut für Enzymtechnologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
im Forschungszentrum Jülich
52426 Jülich
Tel.: +49 (0) 89 / 74 94 59 22
E-Mail: MRK3372002@yahoo.de

Pressekontakt

Prof. Dr. rer. nat. Martina Pohl
Tel.: +49 (0) 241 / 44 50 960
E-Mail: ropo2de@yahoo.de

Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten

Einleitung
Katalysatoren bewirken, dass chemische Reaktionen mit geringerer „Anschubenergie“ (Aktivierungsenergie) ablaufen können. Dadurch werden Reaktionsabläufe bei niedrigeren Temperaturen möglich und beschleunigt. Allgemein bekannt sind Katalysatoren aus der Verbrennung von Kraftstoffresten im Abgas von Autos. Dort werden Edelmetallkatalysatoren eingesetzt.

Auch in lebenden Organismen laufen unentwegt chemische Reaktionen ab. Dass dies bei Temperaturen von 25-40°C möglich ist, verdanken wir den Biokatalysatoren oder Enzymen. Enzyme gehören zu den Eiweißen. Es sind Makromoleküle, die aus gefalteten Ketten von Aminosäuren aufgebaut sind. Sie arbeiten schneller, effizienter und viel spezifischer als Edelmetallkatalysatoren. Der Mensch nutzt die Fähigkeit von Enzymen bereits seit vielen tausend Jahren. Zunächst waren sie die entscheidenden Bestandteile lebender Organismen, die bei der Herstellung von Käse, Brot, Bier und Wein unbewusst eingesetzt wurden. Später lernte man, Enzyme aus Zellen zu isolieren und ihre ganz spezifischen Fähigkeiten gezielt zu nutzen. Heute sind Enzyme unverzichtbare Hilfsmittel in der Medizin und in der verarbeitenden Industrie, wie in der Lebensmittel-, Papier- und Textilindustrie. Die meisten technisch eingesetzten Enzyme werden aus Mikroorganismen (Bakterien, Hefen, Pilzen) isoliert.

Herstellung hochwertiger Chemikalien mit Enzymen
Besonders zur Erzeugung hochwertiger Chemikalien, die für die Herstellung von Medikamenten wichtig sind, werden die einzigartigen Eigenschaften von Enzymen zunehmend genutzt, denn mit den Biokatalysatoren ist sanfte Chemie möglich. Während mit konventionellen chemischen Verfahren zumeist in Umwelt belastenden, organischen Lösungsmitteln gearbeitet wird und wegen der geringeren Selektivität und der erforderlichen höheren Temperaturen auch mehr Abfallstoffe entstehen, kommt man mit dem passenden Enzym oft viel schneller, energiesparender und umweltfreundlicher zum Ziel. Enzyme machen Chemie mit Wasser als Lösungsmittel und unter milden Reaktionsbedingungen möglich.

Redoxenzyme sind besonders interessante Enzyme
Besonders soll hier auf Enzyme eingegangen werden, die Reduktionen und Oxidationen, so genannte Redoxreaktionen katalysieren können. Redoxreaktionen nennt man die Übertragung von Redoxäquivalenten, zum Beispiel Elektronen. Hierzu benötigen die Enzyme die Hilfe kleiner chemischer Moleküle, so genannter Kofaktoren, die an einer definierten Stelle der gefalteten Eiweißkette gebunden sind.

Die Kofaktoren werden in einer Redoxreaktion verbraucht und zwar im Verhältnis 1:1. Solange ein Enzym in seiner natürlichen Umgebung im Organismus arbeitet, ist dies kein Problem, da andere Enzyme im Organismus dafür sorgen, dass verbrauchte Kofaktormoleküle regeneriert werden und erneut zur Verfügung stehen. Isoliert man jedoch ein Redoxenzym aus seinem Organismus, weil man es für spezielle technische Anwendungen nutzen will, dann wird dieser Kofaktorverbrauch zum Problem, da diese Moleküle teuer in der Herstellung sind. Dies limitierte lange Zeit die Nutzung von Redoxenzymen für technische Zwecke, da wegen der gigantischen Kosten für die Kofaktoren derartige Reaktionen nicht wirtschaftlich durchführbar waren.

Kofaktorgenerierung für technische Zwecke
Abhilfe für dieses Problem konnte durch die frühen Arbeiten von Frau Professor Kula geschaffen werden. Die Idee war genau so simpel wie genial: Es galt ein Enzym zu finden, mit dem die teuren Redox-Kofaktoren während der Reaktion regeneriert werden konnten, genau so, wie es im Organismus geschieht. Dieses Enzym musste einfach isolierbar und robust genug sein. Frau Professor Kula isolierte ein Enzym, die so genannte Formiatdehydrogenase (FDH) aus der Hefe Candida boidinii, untersuchte dessen Eigenschaften und fand heraus, dass sich die FDH als Hilfsenzym für beliebige Redoxenzyme, die den Kofaktor NADH benötigen (und das sind die meisten), eignet. Das Enzym benötigt hierzu lediglich Ameisensäure als Ausgangsstoff und erzeugt daraus Wasser und Kohlendioxid. Die freiwerdenden Reduktionsäquivalente werden auf den verbrauchten Kofaktor übertragen, wodurch dieser regeneriert wird. Besonders wichtig war hierbei auch, dass gleichzeitig die Verfügbarkeit des Enzyms gewährleistet wurde. Deshalb wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem nach der Vermehrung der Hefe die FDH kostengünstig daraus isoliert werden konnte.
Die FDH wird mittlerweile nicht nur in zahlreichen enzymatisch arbeitenden Labors, sondern auch für technische Zwecke eingesetzt. Das wohl bekannteste Verfahren ist das zur Herstellung einer speziellen Aminosäure bei der Degussa AG.

Enzyme können an spezielle Bedürfnisse angepasst werden
Modellhaft kann man sich Enzyme als eine Kette einzelner Aminosäuren, den Grundbausteinen von Eiweißmolekülen, vorstellen. Diese Ketten falten sich in einer sehr speziellen Art zusammen und erst so entsteht ein funktionales Enzym. Wir wissen, dass Hühnereiweiß sich verändert, wenn es erhitzt wird, oder wenn man Säure hinzufügt. Einen solchen Vorgang bezeichnet man als Denaturierung. Das Eiweißmolekül kann seine natürliche Funktion durch derartige Einflüsse verlieren. Was beim Eierkochen erwünscht ist, ist bei der Verwendung von Enzymen in technischen Prozessen äußerst problematisch, denn die Denaturierung von Enzymmolekülen bedeutet, dass diese Moleküle nicht mehr für die Katalyse zur Verfügung stehen und durch neue ersetzt werden müssen. Geschieht dies in größerem Umfang, können Denaturierungsprozesse enzymatische Verfahren empfindlich verteuern. In technischen Prozessen ist die Umgebung eines Enzyms grundverschieden von der innerhalb einer Zelle. Zum Beispiel werden die Enzyme dort gerührt, geraten in Kontakt mit verschiedenen Materialen des Reaktionsgefäßes und mit Luftsauerstoff. Auch die FDH erwies sich in dieser Beziehung nicht als unbegrenzt stabil. Daher wurde in enger Zusammenarbeit mit der Degussa AG den Gründen für die beobachtete Enzyminaktivierung nachgegangen. Im Falle der FDH erwies sich der Luftsauerstoff, der beim Rühren in die Reaktionslösung gelangt, sowie Spuren von Schwermetall-Ionen als hauptsächliches Problem.

Darüber hinaus war es wünschenswert, die Geschwindigkeit, mit der das Enzym arbeitet, zu erhöhen. Sowohl die Erhöhung der Stabilität als auch die Katalysegeschwindigkeit wirken sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit des enzymatischen Verfahrens aus.

Enzyme können durch gentechnische Methoden verändert werden
Es gibt mittlerweile Möglichkeiten, Enzyme gegen schädigende Einflüsse zu stabilisieren und auch ihre Katalyseaktivität zu erhöhen. Dabei macht man sich die Tatsache zunutze, dass der Bauplan für jedes Eiweißmolekül eines Organismus in dessen Erbgut (DNS) aufgezeichnet ist. Durch Veränderung der DNS können Enzyme verändert werden. Dies kann auf verschiedenen Wegen geschehen: Zunächst ist es möglich, ganz gezielt Schwachstellen im Enzym zu eliminieren. Dazu macht man die dreidimensionale Anordnung eines Enzyms mittels spezieller spektroskopischer Methoden sichtbar. Mit computergrafischer Hilfe kann man auf dem Bildschirm die Lage jeder einzelnen Aminosäure erkennen. Unter den 20 verschiedenen Aminosäuren, die zum Aufbau von jedem Eiweiß genutzt werden, gibt es solche, die leichter als andere durch die oben erwähnten Denaturierungsprozesse beeinflusst werden. Es ist daher manchmal möglich, ein Enzym einzig durch den Ersatz dieser reaktionsfreudigen durch inerte Aminosäuren zu stabilisieren. Dieser Weg wurde durch die Arbeitsgruppe von Frau Dr. Pohl zur Stabilisierung der FDH beschritten. Hierzu wurde zunächst die Erbinformation (Gen) für das Enzym FDH aus der Hefe Candida boidinii isoliert und anschließend gezielt verändert. Dadurch wurde die FDH im technischen Prozess wesentlich stabiler.

Abgesehen von diesem gezielten Verfahren, bei dem Veränderungen des Enzyms mit Hilfe des Computers geplant werden, wurde auch ein Verfahren angewandt, das Teile der natürlichen Evolution zur Verbesserung der FDH nachahmt. Ziel dieses Optimierungsverfahrens war es, die Katalysegeschwindigkeit des Enzyms zu erhöhen. Bei der Nachahmung von Schritten der natürlichen Evolution macht man sich zunutze, dass Verbesserungen durch zufällige Änderungen des Erbguts (Mutation) entstanden sind. Im Labor wurde das Gen für die FDH an verschiedenen Stellen zufällig verändert. Es resultierte eine riesige Zahl (400.000) verschiedener Varianten des FDH-Gens. Diese verschiedenen Genvarianten werden von Bakterienzellen in entsprechende Enzymvarianten übersetzt. Anschließend wurde diese riesige „Enzymbibliothek“ mit speziellen Testverfahren nach solchen Enzymvarianten durchsucht, die verbesserte Katalyseaktivität zeigen. Auch dieses Verfahren war bei der FDH äußerst erfolgreich.

Zum technischen Nutzen
Verfahren, die die FDH zur Regenerierung von Redoxkofaktoren nutzen, sind mittlerweile in Labors, die Enzyme zur Herstellung chemischer Verbindungen nutzen, weit verbreitet. Technisch wird das Verfahren der enzymatischen Kofaktorregenerierung explizit von der Degussa AG zur Herstellung von Aminosäuren genutzt, mit der im engen Kontakt das Enzym an die Bedürfnisse eines technischen Verfahrens angepasst wurde.

Informationen und Kontakt zum Deutschen Zukunftspreis unter:

E-Mail: info@deutscher-zukunftspreis.de
Internet: www.deutscher-zukunftspreis.de

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt „Sanfte Chemie mit biologischen Katalysatoren“ wurde von der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren vorgeschlagen.

Nominiert 2002 · TEAM 2