Nominee 2003
Elektomagnetische Feldfallen
Günter R. Fuhr, Rolf Hagedorn und Thomas Schnelle schufen eine pfiffige Möglichkeit dafür: Sie fangen Zellen in einer Falle aus elektromagnetischen Feldern ein. Günter R. Fuhr ist Direktor des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert, Berlin und Potsdam-Rehbrücke, Rolf Hagedorn wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für experimentelle Biophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin, Thomas Schnelle arbeitet als Senior Scientist im Bereich Cell Handling and Analysis beim Hamburger Unternehmen Evotec Technologies GmbH.
Kontakt mit Oberflächen muss man vermeiden
Die molekulare und zelluläre Biotechnologie gilt weltweit als ein wesentliches Zukunftsfeld der Industrie. Sie macht sich die Eigenschaften von Zellen zueigen.
Weitere Details
Lebensläufe
Prof. Dr. rer. nat. Günter R. Fuhr
- 29.7.1953
- geboren in Radebeul
- 1971
- Abitur
- 1971 – 1975
- Studium der Elektronik und Halbleitertechnologien an der Technischen Universität Dresden
- 1975 – 1978
- Technologischer Leiter der elektronische Kameraproduktion bei der Firma Pentacon, Dresden
- 1978 – 1981
- Aufbaustudium der Biophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1981
- Promotion
- 1984
- Forschungsaufenthalt am Frumkin-Institut für Elektrochemie der Akademie der Wissenschaften in Moskau, UdSSR
- 1985
- Habilitation im Fach Biophysik
- 1992
- C4-Ruf an das Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1994 – 1996
- Prodekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät I an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1994 – 2002
- Planung, Durchführung und Leitung von 7 Polarexpeditionen (Forschungsziel: Sammlung und Charakterisierung extremophi-ler Algen)
- 1995
- Gastprofessur an der Nagoya Universität, Nagoya, Japan
- 2000
- Gründung des Zentrums für Biophysik und Bioinformatik an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 2000
- Erster Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Biophysik und Bioinformatik an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 2001
- C4-Ruf an die Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes auf den Lehrstuhl für Biotechnologie und Medizintechnik
- seit 2001
- Direktor des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik in St. Ingbert, Berlin und Potsdam-Rehbrücke
Ehrungen:
- 1991
- Innovationspreis des Landes Berlin
- 2002
- Philip-Morris-Preis
Dr. rer. nat. Rolf Hagedorn
- 23.10.1949
- geboren in Aue
- 1968
- Abitur
- 1971 – 1975
- Studium der Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1975 – 1979
- Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Phytopathologie in Aschersleben
- 1979 – 1981
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1981 – 1992
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenphysiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1983
- Promotion
- 1992 – 2001
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Membranphysiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin; Leiter der Arbeitsgruppe Oberflächengestützte Kryokonservierung von Zellen
- seit 2001
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für experimentelle Biophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin
Ehrungen:
- 1991
- Innovationspreis des Landes Berlin
- 2002
- Philip-Morris-Preis
Dr. rer. nat. Thomas Schnelle
- 30.4.1964
- geboren in Berlin
- 1982
- Abitur
- 1984 – 1991
- Studium der Physik an der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1988
- Forschungsaufenthalt am Institut für Tieftemperaturphysik der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau, UdSSR
- 1992
- Promotion
- 1991 – 1999
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin
- 1999 – 2001
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Gradient Field Microsystems bei der Evotec OAI AG, Hamburg
- seit 2002
- Senior Scientist im Bereich Cell Handling and Analysis bei der Evotec Technologies GmbH, Hamburg
Ehrungen:
- 2002
- Philip-Morris-Preis
Kontakt
Projektsprecher
Prof. Dr. rer. nat. Günter R. Fuhr
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT)
Ensheimer Str. 48
66386 St. Ingbert
Tel.: +49 (0) 6894 / 98 01 00
Fax: +49 (0) 6894 / 98 01 10
E-Mail: guenter.fuhr@ibmt.fraunhofer.de
Pressekontakt
Dipl.-Phys. Annette Maurer
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT)
Ensheimer Str. 48
66386 St. Ingbert
Tel.: +49 (0) 6894 / 98 01 02
Fax: +49 (0) 6894 / 98 01 10
E-Mail: annette.maurer@ibmt.fraunhofer.de
Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten
Ableitung der Aufgabenstellung und Beschreibung der Anwendungsfelder
Die molekulare und zelluläre Biotechnologie wird weltweit als das Zukunftsfeld der Industrie und als Garant für eine Fortführung unseres industriell begründeten Wohlstandes betrachtet. Die kleinste, in sich autarke und, wie es scheint, die vollständige Information des jeweiligen Organismus enthaltende Einheit ist die Zelle. Die Individualität und der Grad der Differenzierung machen lebende Zellen zu den wichtigsten Objekten für eine Vielzahl biotechnologischer und medizinischer Anwendungen. Beispielhaft seien hier nur drei Gebiete genannt: Das Klonen von Zellen mit dem Ziel, spezielle Eigenschaften undifferenzierter, aber auch differenzierter Zellen zu nutzen; das Tissue Engineering zum künstlichen Aufbau von Geweben bis hin zur Realisierung des medizinischen Traumes, Organe im Labor für die Transplantationsmedizin zu produzieren und das wohl erfolgversprechendste Gebiet: adulte (ausgereifte) Stammzellen für die zukünftige autologe Zelltherapie zur Bekämpfung von Tumoren oder Gewebeschäden zu nutzen.
All diese Basistechnologien gehen von einzelnen Zellen aus, die belastungsarm manipuliert werden müssen. Sie verlangen nach sanften und parallelen Handhabungssystemen für Zellen mit universellen Funktionen (bewegen, drehen, vermessen, zu Gruppen formieren, fusionieren, permeieren der Membran für den Gentransfer, sortieren und ablegen). Die zur Verfügung stehenden Techniken erfüllen diese Anforderungen bisher nur bedingt. Mit einer Vielzahl präziser und teurer Mikroinstrumente werden trickreich Zellen angesaugt, gehalten, vermessen und manipuliert. Doch dabei geraten sie in direkten Oberflächenkontakt mit künstlichen Substraten wie Glas oder Plastik. Das Problem besteht darin, dass Zellen als programmierbare Biocomputer aufzufassen sind, deren Programmierung neben dem internen Genom über die Oberfläche (makromolekulare Bindungen und eine Vielzahl paralleler Signalketten) erfolgt. Jede Berührung mit einer festen Oberfläche ist daher ein Signal und problematisch. Zur Lösung dieser Aufgabe stand das Wissenschaftlerteam vor einem scheinbar unlösbaren Problem: etwas extrem Kleines und Fragiles wie die nur wenige tausendstel Millimeter großen Zellen submikrometergenau festzuhalten, zu drehen und zu bewegen, ohne diese zu berühren!
Prinzip der Feldfallen
Das Prinzip elektromagnetischer Feldfallen besteht darin, dass ein geschlossenes Kraftfeld zwischen Elektroden erzeugt wird, in dessen Minimum die Zellen aufgrund sehr kurzzeitiger Oberflächenpolarisationen gedrückt und gefangen werden. Die Zellen werden sehr sanft von den Elektroden abgestoßen und in Bereiche der geringsten Feldstärke - und damit der niedrigsten Belastung - verschoben. Dort schweben sie, gefangen in einem Kraftfeld und lassen sich durch Anlegen rotierender Felder um beliebige Achsen drehen und bewegen. Um nicht die Signalrezeptoren der Zellen anzusprechen, werden sehr hohe Frequenzen (1 MHz bis zu 1 GHz), d.h. Radiowellen verwendet, wie sie u. a. auch in Rundfunkempfängern und Funktelefonen benutzt werden. Ein völlig neuer Typus berührungsloser Zellmanipulatoren war geboren.
Beispiel eines fruchtbaren Wechselspiels zwischen Theorie, Experiment und Technologie
Derart komplizierte Anordnungen und die gruppenweise Ansteuerung von Elektroden kann nicht durch Probieren oder per Hand erfolgen. Hierzu bedurfte es eines soliden theoretischen Fundaments, vielfältiger Testexperimente mit technischen Körpern, die den Zellen ähneln, deren Eigenschaften aber bekannt waren, elektronischer Schaltungsentwicklungen, des Einsatzes der Hochtechnologien der Chipherstellung und natürlich einer Computersteuerung, optischen Anpassungen an beliebige Mikroskope und umfangreicher Softwareentwicklungen. Dies alles konnte nur über eine multidisziplinäre Arbeit und Zusammensetzung einer Arbeitsgruppe erreicht werden, für die repräsentativ die Einrichtungen der drei Nominierten (Humboldt-Universität zu Berlin, Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert/Berlin und EVOTEC Hamburg) stehen. Im Verbund zwischen der Grundlagenforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, mit der technologischen Machbarkeit und Herstellung von Prototypen in der Fraunhofer Gesellschaft bis zur industriellen Umsetzung durch die Firma EVOTEC und die Chipherstellung durch die Firma GeSiM fanden sich in idealer Weise Verbundpartner, die eine derart komplexe Aufgabe zu lösen im Stande waren.
Doch was entwickelt wurde, war nicht nur eine Feldfalle für Zellen, es erwies sich als ein universell anwendbares Prinzip zur Erzeugung von bisher nicht gekannten, sanften Manipulationsmöglichkeiten für suspendierte Zellen. Das unsichtbare und saubere An- und Abschalten von Radiowellenfeldern in labyrinthartigen Mikrokanalsystemen, in denen in Flüssigkeitsströmungen wie im Blutkreislauf Zellen dahinschweben, erlaubt die Lösung vielfältiger biotechnologischer und medizinischer Aufgaben wie das Beladen von Zellen mit Pharmaka und anderen Substanzen, das Aufreihen von Zellen, ihre exakte Positionierung für Detektoren bis hin zum Sortieren von Zellen in verschiedene Nährlösungen und der Ablage in vorgebbaren Depots.
Ein neuer Typ von Biochips, ein aus Grundeinheiten für die jeweilige Anwendung kombinierbares „Mikrolabor on Chip“, war entstanden. Der besondere Vorteil dieser komplexen Mikrokanallabyrinthe ist, dass durch die nur 100 nm flachen Elektroden am Boden und der Decke der Kanäle die Kraftfelder im Raum gesteuert werden können. Hinzu kommt, dass sehr breite Kanäle möglich werden, da die Kraftfelder die Zellen auf feste Bahnen lenken, z.B. dahin, wo sich ein Sensor oder eine andere Zelle befindet. Man muss die Zelle nicht suchen, sie kommt exakt an den vorher bestimmten Ort.
Industrielle Umsetzung
Erinnert man sich an die eingangs erläuterten autologen Zelltherapien, bei denen einzelne, sehr seltene Zellen des Patienten für die Therapie vorbereitet, gezielt aktiviert, vermehrt und später für den gleichen Patienten genutzt werden sollen, so wird deutlich, dass man komplexe, geschlossene (sterile) Mikrosysteme mit einer programmierbaren und benutzerfreundlichen Peripherie benötigt. An diesem Punkt des Projektes mussten und wollten die Wissenschaftler die Industrie einbinden. Zwei Firmen sind besonders hervorzuheben: EVOTEC OAI und seine Tochter EVOTEC Technologies (Hamburg), die das Gesamtsystem im Zusammenspiel mit allen Partnern entwickelt haben und den Messplatzaufbau in Form mehrerer Gerätevarianten nunmehr weltweit anbieten und die Firma GeSiM (Großerkmannsdorf), eine Ausgründung im Gebiet der Chip- und Laborgeräteherstellung. Doch involviert waren und sind weit mehr Partner: aus der Fraunhofer-Gesellschaft in der Initialphase das Fraunhofer-Institut für Silizium Technologie in Berlin (jetzt Itzehoe), gegenwärtig das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut (NMI) an der Universität Tübingen in Reutlingen zur weiteren Miniaturisierung des Feldfallenprinzips mit dem Ziel der Manipulation und Charakterisierung von Submikrometerteilchen bis hin zu Viren.
Ein faszinierendes Gerätesystem entstand. Charakteristisch für und Kernelement der Produktidee ist, dass die Peripherie für alle Biochips die gleiche ist. Sie besteht aus einem handelsüblichen Mikroskop, einem Signalgenerator, Fluidiksystemen und einem Steuercomputer. Der Nutzer erwirbt dazu entweder bereits realisierte, universell gestaltete Biochips für die Handhabung einer Vielzahl von Zelltypen oder für die jeweilige Aufgabe optimierte Chips. Er kann sogar innerhalb von nur acht Wochen sein eigenes „Biolab on Chip“ konzipieren lassen und prozessiert bekommen.
Ausblick und schon vorhersehbare Anwendungen von Bedeutung
Wie am Anfang bereits erläutert, sind Zellen multisensorisch programmierbare, hochempfindliche Biocomputer. Eine wesentliche Aufgabe der Biotechnologie ist es, undifferenzierte oder redifferenzierte Zellen mit anderen Zellen oder künstlichen Nanosystemen in definierten Oberflächenkontakt zu bringen. Die Verständigung erfolgt dann über die biologischen „makromolekularen Nanolandschaften“. Über derartige Zell-Zell-Verbünde, in die auch künstliche Teilchen und Oberflächen eingebunden werden können, erfolgt das Komponieren von Geweben, ein neuer Ansatzpunkt für das Tissue Engineering. Genau dafür scheint das Feldfallenprinzip geradezu prädestiniert zu sein. Die entwickelten Biochips schlagen die Brücke von der Nano- über die Mikro- in die makroskopische Welt. Sie bilden die für diese Anwendungen unverzichtbare Mikrosystemebene.
Informationen und Kontakt zum Deutschen Zukunftspreis unter:
Internet: www.deutscher-zukunftspreis.de
Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.
Das Projekt „Halten ohne zu berühren: Lebende Zellen in elektromagnetischen Feldfallen“ wurde vom Philip-Morris-Forschungspreis vorgeschlagen.