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Nominee 1998

Unverschmutzbare Werkstoffe

Vorbild Natur: Unverschmutzbare neue Werkstoffe

Prof. Dr. Wilhelm Barthlott (Spokesperson)
Dr. Christoph Neinhuis
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Botanisches Institut, Bonn

(f.l.t.r.) Prof. Dr. Wilhelm Barthlott, Dr. Christoph Neinhuis

Das Reinigen von Autos, Dächern oder Fassaden ist lästig und oft auch aufwendig und teuer. Gibt es Materialen, die sich von alleine sauber halten?

Solche Werkstoffe existieren. Sie zeichnen sich durch eine Oberflächenstruktur aus, die Schmutz nicht haften lässt. Wilhelm Barthlott und Christoph Neinhuis haben diese Materialien technisch nutzbar gemacht. Wilhelm Barthlott ist Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Direktor am Botanischen Institut und des Botanischen Gartens, Christoph Neinhuis sein Mitarbeiter im Institut.

Der Lotus lässt dem Schmutz keine Chance

Die Forscher kreierten die Schmutz abweisenden Werkstoffe nach dem Vorbild der Natur. Die Oberfläche der Materialien hat vollkommen ultraphobe Eigenschaften: Wasser perlt von ihr ab, Öl rollt auf ihr davon, und jede Verschmutzung - selbst Dieselruß - kann durch Regen oder Besprühen mit Wasser abgewaschen werden. Dieses Prinzip entdeckten die nominierten Forscher bei Kohlblättern, Kapuzinerkresse und der Lotusblume, die sich damit selbst reinigen.

Hinter dem trickreichen Effekt verbirgt sich ein physikalischer Effekt: Die Oberfläche der Materialien ist im mikroskopischen Maßstab so stark aufgeraut, dass sie nur eine sehr kleine Kontaktfläche mit den Schmutzpartikeln besitzen. Das bewirkt, dass sich zum Beispiel Staubteilchen sehr leicht durch Wassertropfen fortspülen lassen. Selbst Haushaltskleber rollt von solchen Oberflächen ab, ohne daran zu haften.

Von der Lotusblume zum Autolack

Die Bonner Forscher enthüllten die komplexe, aber regelmäßig strukturierte Gestalt der wundersamen Materialien. Und sie entwickelten ein Verfahren, um Schmutz abweisende Oberflächen industriell herzustellen und für Technik und Alltag nutzbar zu machen - auf ähnliche Weise, wie die Natur sie formt: Sorgt man für bestimmte Bedingungen, fügen sich die atomaren Bestandteile an der Oberfläche selbst zu der gewünschten Struktur zusammen. Damit läst sich eine Vielzahl von Anwendungen realisieren: Autowaschen wird überflüssig - schon ein kräftiger Regenguss lässt den Wagen wieder erstrahlen. Gebäudefassaden bleiben strahlend sauber - dafür sorgen Regen und Tau. Gebäudeverglasungen, Dächer, Sonnenreflektoren und selbst die oft schmuddelig aussehenden Gartenmöbel bedürfen keiner besonderen Pflege mehr.

Die Bonner Forscher ließen sich die technische Anwendung des „Lotus-Effekts“ patentieren. 1995 wurden erste Kooperationen mit Industriepartnern vereinbart. Unternehmen für die Fertigung von Speziallacken, Kunststoffen, Gebäudefassaden und Dachziegeln setzen das Verfahren in marktfähige Produkte um. Die innovativen Werkstoffe besitzen eine enorme wirtschaftliche Relevanz.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt "Vorbild Natur: Unverschmutzbare neue Werkstoffe" wurde von der Karl Heinz Beckurts-Stiftung und der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren vorgeschlagen.

Weitere Details

Lebensläufe

Prof. Dr. Wilhelm Barthlott

22.06.1946
geboren in Forst, Baden-Württemberg
1953 – 1968
Schule, Abitur in Bruchsal
1968 – 1973
Studium der Biologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
1972
Diplom
1973
Promotion
1974 – 1980
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Systematische Botanik und Pflanzengeographie der Universität Heidelberg
1981
Habilitation an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
1982 – 1985
Professur an der Freien Universität Berlin
seit 1985
Professur an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Direktor am Botanischen Institut und des Botanischen Gartens
seit 1991
Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaft und Literatur zu Mainz
seit 1997
Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
seit 1997
Gründungssekretär eines nationalen Sekretariats der UNESCO-Kommision
seit 1998
Mitglied des Nationalkomitees „Mensch und Biosphäre“

Ehrungen:

1997
Karl Heinz Beckurts-Preis für wirtschaftlich innovative Grundlagenforschung

Kontakt

Projektsprecher:

Prof. Dr. Wilhelm Barthlott
Botanisches Institut und Botanischer Garten Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Meckenheimer Allee 170
53115 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 / 73 25 26
Fax: +49 (0) 228 / 73 31 20
Web: www.botanik.uni-bonn.de

Pressekontakt:

CREAVIS
Dr. Bernhard Schleich
Gesellschaft für Technologie und Innovation mbH
Paul-Baumannstraße 1
54764 Marl
Tel.: +49 (0) 2365 / 49 94 83
Fax: +49 (0) 2365 / 49 71 10
E-Mail: b.schleich@creavis.de
Web: www.creavis.de

Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten

Nie mehr Autowaschen - ein kräftiger Regenguß läßt das Gefährt wieder richtig erstrahlen. Gebäudefassaden, die Regen und Tau, irgendwelchen aggressiven Niederschlägen ausgesetzt sind, bleiben strahlend sauber, Verglasungen, Dächer, Sonnenreflektoren, selbst Gartenmöbel - das alles bedarf keiner besonderen Pflege mehr. Illusion, nicht mehr als eine - zwar faszinierende - Vorstellung? Keinesfalls, das alles wird in kurzer Zeit äußerst praktische Realität sein.

Nach dem Vorbild der in mindestens 50 Millionen Jahren durch Versuch und Irrtum der Evolution entstandenen Lotus-Oberflächen, können wir heute erste sogenannte „biomimetische“, also die Natur nachahmende und sich selbstorganisierende Werkstoffe produzieren. Einige von ihnen übertreffen das natürliche Muster - sie haben vollkommen ultraphobe Eigenschaften. Das heißt: nicht nur Wasser, sondern auch Öl rollt von der Oberfläche ab, jede Verschmutzung - selbst Dieselruß - kann durch Regen oder einfaches Besprühen mit Wasser abgewaschen werden.

Dieses Prinzip, ursprünglich der Selbstreinigungsmechanismus vieler Pflanzen und Tiere, wurde von uns nach seiner Entdeckung „Lotus-Effekt“ genannt. Bereits in den siebziger Jahren war uns aufgefallen, daß bestimmte Pflanzenoberflächen (z.B. Kohlblätter, Kapuzinerkresse, oder optimal bei der Indischen Lotusblume) nicht nur extrem unbenetzbar mit Wasser, sondern auch vollkommen schmutzabweisend sind. Für die Botanik war dies neu - aber erst durch die intensive Beschäftigung mit der Funktion biologischer Grenzflächen zeichnete es sich seit 1990 ab, daß sich dahinter überraschenderweise ein bislang unbekannter physikalischer Effekt verbarg: Durch ihre „Mikrorauhigkeit“ in elektronenmikroskopischer Dimension ist die Kontaktfläche mit den Schmutzpartikeln so gering, daß selbst an sich vollkommen wasserabweisende Substanzen durch Wassertropfen abgewaschen werden können. Als Beispiel: Tropfen von Alleskleber (z.B. UHU) rollen von solchen Oberflächen ab.

Das Phänomen schien jeder Erfahrung der physikalischen Chemie und allen Lehrbuchauffassungen zu widersprechen; entsprechend schwierig gestaltete sich die Publikation unserer Forschungsergebnisse.

Zentrale Vorgänge in der Natur und Technik spielen sich an Grenzflächen ab; in ihrer Komplexität sind sie oft nicht berechenbar und auch nicht nachformbar. Eine solche biologische Grenzfläche ist die cuticulare Oberfläche von Pflanzenblättern, jene dünne Grenzschicht, über die beinahe jede Interaktion zwischen dem lebenden Organismus und seiner Umwelt abläuft. Pflanzenoberflächen erweisen sich strukturell als außerordentlich kompliziert und - vergleichbar molekularen Daten - hervorragend geeignet, Verwandtschaftsbeziehungen zu rekonstruieren. Biodiversität, Systematik und Evolution der Blütenpflanzen waren deswegen zunächst Schwerpunkte unseres seit 1973 laufenden Projektes botanischer Grundlagenforschung. Methodisch wurden vorwiegend hochauflösende Raster-Elektronenmikroskope und neuerdings die Atomic Force Microscopy eingesetzt.

Dabei haben wir dann gelernt und zeigen können, daß diese unglaublich komplizierten regelmäßigen Mikrostrukturen banale, durch Selbstorganisation entstehende Kristallmuster oder selbstorganisierende Strukturen sind. Das war die erste Erkenntnis und es stellte sich die Frage, ob sich das Ganze nicht auch selbstorganisierend industriell herstellen und damit für den Alltag nutzen läßt. Es erwies sich als technisch prinzipiell möglich: Lotusblumen und Autolacke - diese interdisziplinäre Vision rückte in greifbare Nähe.

Nach der Einleitung eines Patentierungsverfahrens wurden 1995 die ersten Industriekooperationen vereinbart; Kooperationspartner in den Anwendungsbereichen Speziallacke, feste Polymere, Gebäudefassaden und Dachziegel arbeiten inzwischen mit hohen Personal- und Sachmittelkapazitäten an der Umsetzung.

Einer der Partner ist die CREAVIS Gesellschaft für Technologie und Innovation mbH. In diesem Unternehmen ist die Oberflächentechnologie eines der strategischen Forschungsprojekte. Bei CREAVIS rechnet man fest mit der kurzfristigen Markteinführung von Produkten mit selbstreinigenden Oberflächen. Bereits jetzt läßt sich erkennen, daß die innovativen Werkstoffe mit vollkommen neuartigen Eigenschaften unzweifelhaft erhebliche wirtschaftliche Relevanz besitzen.

Informationen und Kontakt zum Deutschen Zukunftspreis unter:

E-Mail: info@deutscher-zukunftspreis.de
Internet: www.deutscher-zukunftspreis.de

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Preisträger 1998 · TEAM 2