Print-Logo Deutscher Zukunftspreis

Nominiert 2022

(Un)sichtbare Tumore in Bewegung

(Un)sichtbare Tumore in Bewegung – neue Perspektiven für die Strahlentherapie durch präzises Tumortracking

Stefan Vilsmeier (Sprecher)
Prof. Dr. med. Cordula Petersen*
Dipl.-Inf. Claus Promberger
Brainlab AG, München
*Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg

(v.l.n.r.) Prof. Dr. med. Cordula Petersen, Stefan Vilsmeier, Dipl.-Inf. Claus Promberger

Krebs ist weltweit eine der häufigsten schweren Erkrankungen – mit oft tödlichem Verlauf. Doch mit neuen Therapiemethoden lässt er sich immer besser behandeln und in vielen Fällen heilen. Ein Beispiel ist die Strahlentherapie, bei der Tumorgewebe durch energiereiche Strahlung gezielt zerstört wird. Entscheidend dabei ist, dass der Tumor exakt erfasst und die Behandlung nicht durch Bewegungen des Patienten oder der Patientin beeinträchtigt wird. Bei der Therapie von Lungenkrebs kommt als zusätzliche Schwierigkeit die Bewegung des Tumors beim Atmen hinzu. Das reduziert die Erfolgsaussichten und birgt das Risiko schädlicher Nebenwirkungen. Wie lässt sich dieses Problem bewältigen?

Stefan Vilsmeier, Claus Promberger und Prof. Dr. Cordula Petersen arbeiten an einer Lösung. Sie basiert auf einer neuartigen Technologie, um die Patientenposition während der Strahlenbehandlung exakt zu erfassen – und Veränderungen durch ein Nachführen des Zielbereichs der Bestrahlung auszugleichen. Dadurch wird sichergestellt, dass treffsicher das tumoröse Gewebe attackiert wird und möglichst wenig gesundes Gewebe zu Schaden kommt. Das Resultat ist eine sehr effektive Behandlung, durch die der Tumor gegebenenfalls bereits in einer einzigen Therapiesitzung vollständig beseitigt wird.

Das von den Nominierten in Entwicklung befindliche Radiochirurgie-System zielt darauf ab, die Heilungschancen einer Krebserkrankung zu verbessern, insbesondere bei Menschen mit Lungenkrebs. Stefan Vilsmeier ist Gründer und Vorstandsvorsitzender von Brainlab, Claus Promberger leitet den Bereich Forschung und Entwicklung der Strahlentherapie. Cordula Petersen ist Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie.

Bislang erschwerte die unregelmäßige Bewegung von Lungentumoren durch die Atmung eine strahlentherapeutische Behandlung der Betroffenen. Um zu gewährleisten, dass das kranke Gewebe trotz seiner sich ständig ändernden Lage komplett vernichtet wird, definierten die Mediziner eine Sicherheitszone um den Tumor herum: den sogenannten Motion-Envelope-Bereich. Er umfasst den gesamten Raum, den der Tumor während der Atembewegung durchstreicht.

Damit wird bei der Behandlung neben tumorösem zwangsläufig auch gesundes Gewebe geschädigt – teils in einem Umfang, der ein Vielfaches der Größe des Tumors ausmacht. Um diese Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, ist die maximale Dosierung der Strahlung begrenzt, weshalb für die gesamte Therapie meist etliche Sitzungen erforderlich sind. Hinzu kommt, dass bei viele Tumoren wegen ihrer Lage oder geringen Größe eine Strahlentherapie bisher gar nicht möglich war.

Das neue System zur hochpräzisen Positionierung während der Behandlung schafft die Voraussetzung für eine wesentlich präzisere Zielführung des Strahls als das mit herkömmlichen Bestrahlungsgeräten möglich ist. Der Sicherheitsbereich um den Tumor fällt damit deutlich geringer aus. Zudem lassen sich mit der nächsten Version auch kleine Tumore, die auf normalen Röntgenbildern kaum zu sehen sind, erkennen und zerstören.

Die neueste Generation des von dem nominierten Team entwickelten Systems „ExacTrac Dynamic“ kombiniert mehrere Sensoren unterschiedlicher Funktion miteinander. Damit lassen sich sowohl die genaue Lage der Oberfläche des Patientenkörpers als auch seine innere Anatomie bestimmen. Die Messdaten werden kontinuierlich mit einem zuvor berechneten Modell, das die Patientenposition und deren Veränderung während der Behandlung beschreibt, verglichen und das Modell, wenn nötig, angepasst. Das sogenannte Korrelationsmodell nutzt das Oberflächentracking und orientiert sich an der Bewegung innerer Strukturen sowie künftig an markanten Bestandteilen des Körpergewebes in seiner direkten Umgebung.

Herzstück der Sensorik des Systems ist eine Kombination aus einer Trackingkamera, zwei Röntgensystemen und einem Steuercomputer samt Spezialsoftware. Die Trackingkamera wiederum vereint in sich eine Oberflächenkamera mit einem Wärmesensor. Damit lassen sich Bewegungen des Patienten oder der Patientin während der Strahlenbehandlung erfassen. Die zwei Röntgenröhren, die diagonal zueinander angeordnet sind, sowie die dazugehörigen Detektoren zum Messen des im Gewebe gebeugten Röntgenlichts blicken in den Körper hinein und können die Position des Tumors exakt feststellen. Sämtliche Informationen werden bei der Berechnung des zur Anpassung der Bestrahlung verwendeten Korrelationsmodells berücksichtigt. Dadurch lässt sich die Patientenposition so kontrollieren, dass der Tumor hochpräzise erfasst wird. 
Die gesamte Behandlung ist schmerzlos und zielt darauf ab, möglichst frei von Nebenwirkungen zu sein. Im Gegensatz zu bisher benutzten Techniken schädigt die Bestrahlung kaum gesundes Gewebe. Bei der Entwicklung des innovativen und patientenschonenden Systems arbeitet das Team bei Brainlab eng mit Ärzten und Medizintechnikern am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zusammen. Deren Expertise in der medizinischen Anwendung von Strahlentherapie und Radiochirurgie im klinischen Alltag fließt in Gestaltung und Funktionen des marktreifen Produkts mit ein.

Seit dem Sommer 2020 ist ExacTrac Dynamic in den USA und in Europa zugelassen. Künftig wird es die Einsatzmöglichkeiten der Strahlentherapie deutlich erweitern – und dem auf softwaregestützte Medizintechnologie spezialisierten Münchner Unternehmen voraussichtlich einen Umsatzsprung bescheren. Eine erste Generation des Systems wird bereits bei der Behandlung von Hirntumoren eingesetzt – und ist dazu in weltweit rund 1000 führenden Krebszentren installiert. Die nächste Generation des Positionierungssystem wird vor allem die Bestrahlung von Lungentumoren unterstützen. Später soll sich die Technologie unter anderem auch einsetzen lassen, um Lebertumore präzise zu erfassen – und das selbst dann, wenn sie bereits Metastasen gebildet haben. Von Nutzen ist das System aber nicht nur für an Krebs erkrankte Menschen, bei denen es lebensrettend sein kann. Bei seiner Entwicklung legte das nominierte Team auch Wert auf einen schonenden Umgang mit Umwelt und Ressourcen: Um die Technik verwenden zu können, müssen Kliniken ihre bestehenden Bestrahlungsanlagen nicht ersetzen. Stattdessen lässt sich ExacTrac Dynamic mit bereits vorhandenen Systemen kombinieren, um deren Anwendungsspektrum in der Krebstherapie zu erweitern.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.
Das Projekt "(Un)sichtbare Tumore in Bewegung – neue Perspektiven für die Strahlentherapie durch präzises Tumortracking" wurde vom Deutschen Patent und Markenamt eingereicht.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier überreicht am 26. Oktober 2022 den Deutschen Zukunftspreis an eines der drei nominierten Teams.

Der entscheidende Teil der Innovation ist, dass man den Tumor erkennt und verfolgen kann, ohne irgendwelche weiteren Markierungen. Der Tumor selbst wird zum Marker oder sein Surrogat und so kann ein frei atmender Patient mit der gleichen Präzision bestrahlt werden wie der, der aktuell die Luft kurz anhalten muss.

Dipl.-Inf. Claus Promberger

Fragen an die Nominierten

Strahlentherapie – schon das Wort ist bei vielen angstbesetzt... Was ist eine Strahlentherapie? Was ist es technisch? Welche Behandlungsformen gehören zu einer Strahlentherapie? Und welche spezifisch beim Krebs?

Prof. Dr. Cordula Petersen
In der heutigen Krebstherapie gibt es mehrere Säulen. Dazu gehören neben der Strahlentherapie die Chirurgie und die unterschiedlichen Möglichkeiten der Systemtherapie. Jeder zweite Krebspatient auf der Welt erfährt im Laufe seiner Krankheitsgeschichte eine Strahlentherapie; das zeigt die Bedeutung und die Wichtigkeit. In der Strahlentherapie kommen Röntgenstrahlen zur Anwendung. Daraus resultiert die Sorge, was sie bewirken. Physikalisch gesehen sind das die gleichen Röntgenstrahlen, die benutzt werden, wenn zum Beispiel eine Röntgenaufnahme der Lunge angefertigt wird. Aber sie werden in einem bestimmten Gerät, einem sog. Linearbeschleuniger auf ein höheres Energieniveau angehoben. Das kann man sich so ähnlich vorstellen wie bei einem Dimmer-Lichtschalter, wenn man am Dimmer dreht und weiches Licht zu einem hellen Strahl, also zu einer Art „Skalpell-Licht“ macht. Durch die Röntgenstrahlen wird die genetische Information im Zellkern zerstört und diese Defekte führen dazu, dass sich die Krebszelle nicht mehr teilen kann. Und das ist genau, was wir erzielen wollen. Denn Tumore wachsen, sie breiten sich im menschlichen Körper aus und das soll verhindert werden. So kann die Strahlentherapie Krebszellen zerstören.
Die Strahlentherapie kommt in der Krebsmedizin meist nicht ausschließlich zur Anwendung. Sie kann allein genutzt werden, wird es aber nicht nur. Es wird je nach Tumor häufig oder selten operiert. Manchmal ist eine Gewebeprobe erforderlich oder man kann den Tumor auch gut entfernen. Es gibt allerdings Bereiche im menschlichen Körper, wo eine Operation mehr Schaden als Nutzen anrichten würde. Dann kommt immer die Strahlentherapie ins Spiel, denn das Besondere an der Strahlentherapie ist: Man kann die Röntgenstrahlen überall in den menschlichen Körper schicken. Wichtig ist es dabei, die Wegstrecke, die der Röntgenstrahl durch den menschlichen Körper nimmt, so zu planen, dass der Strahl auf diesem Weg keinen Schaden anrichtet. Aber ich muss nicht wie ein Chirurg überlegen, der ein wichtiges Gefäß nicht durchschneiden sollte – das Problem hat der Strahlentherapeut nicht. Es gibt allerdings im menschlichen Körper Gewebe, die strahlenempfindlicher als andere sind. Das wird bei der Bestrahlungsplanung berücksichtigt. Das Gute ist: Krebszellen sind insgesamt strahlenempfindlicher als gesunde Körperzellen. Wenn es diesen biologischen Unterschied nicht gäbe, könnte man die Strahlentherapie kaum anwenden. Aber unsere normalen Körperzellen sind durch die Evolution, die zugrundeliegenden biologischen Prozesse sehr ausgereift und erholungsfähig und diesen biologischen Unterschied machen wir uns im Prinzip bei der Anwendung von Strahlung zunutze. Trotzdem ist die Strahlentherapie leider angstbesetzt. Das ist schade, denn eigentlich ist es heute eine sehr präzise, schonende Methode.

Und es ist eine nichtinvasive Therapie?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Auch diese Besonderheit ist wesentlich. Man lenkt den Strahl durch die Oberfläche dorthin, wo er treffen soll – in den Tumor. Und, um das noch zu ergänzen: Die Strahlentherapie ist mittlerweile bei mehr als der Hälfte der Krankheitssituationen an der Heilung beteiligt. Das ist eine wichtige Botschaft für die Betroffenen!

Diese Entwicklung gilt wesentlich dem Lungenkrebs. Wie viele Menschen sind davon betroffen? Was ist das Spezifische am Lungenkrebs?

Prof. Dr. Cordula Petersen
In Deutschland erkranken jährlich ungefähr 57.000 Menschen an Lungenkrebs. Da unsere Lunge mit den beiden Lungenflügeln relativ groß ist, hat der Tumor bereits eine gewisse Größe, bis der Mensch merkt, dass er vielleicht einen Tumor hat. Deswegen vergeht leider relativ viel Zeit bis zu seiner Erkennung und der Tumor ist oft bereits fortgeschritten. Denn was im Prinzip ab Tag eins der Entstehungsgeschichte eines Lungentumors passieren kann, ist, dass der Tumor streut. Etwa zwei Drittel der Patienten werden in einem solchen fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Das Fatale ist, dass die Überlebenschance zu diesem Zeitpunkt statistisch gesehen gering ist, und daher ist Lungenkrebs die häufigste Krebstodesursache in Deutschland. Im Durchschnitt sterben 4 von 100 Menschen in Deutschland daran. Es ist extrem wichtig, dass man so früh wie möglich versucht, kleine Tumore zu erkennen, so dass sie, statistisch gesehen, noch nicht in dem Zustand sind, sich im Körper zu verteilen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Überlebenschance dann auch weitaus größer.

Ihre Innovation erbringt einen wesentlichen Fortschritt bei der Feststellung von Lungentumoren und bietet damit auch die Chance, die Behandlung möglichst frühzeitig zu eröffnen.Was haben Sie entwickelt?

Claus Promberger
Unsere Innovation ExacTrac Dynamic ermöglicht die millimetergenaue Positionierung von Patienten für die Hochpräzisionsbestrahlung verschiedenster Tumorarten. Für die sogenannte Radiochirurgie ist hohe Präzision eine Grundvoraussetzung. Bei der Radiochirurgie wird, anders als bei der konventionellen Strahlenbehandlung, eine viel höhere Dosis eingesetzt, um Tumorgewebe zu zerstören. Gleichzeitig wird es durch die höhere Dosis aber auch viel wichtiger, gesundes umliegendes Gewebe zu schonen. Das ist in der Strahlentherapie das zentrale Thema: Der Linearbeschleuniger, der Strahlen abgibt, kann diese gut fokussieren, mit höchster Genauigkeit dosieren und trifft diesen einen Punkt – den Tumor. Aber Patienten sind nicht jeden Tag in der gleichen Verfassung. Sie bewegen sich beim Ein- und Ausatmen, entsprechend ist die Positionierung der entscheidende Punkt bei der Strahlentherapie. Genau dieses Problem wollten wir angehen und das Besondere ist, dass dieses Gerät wie seine Vorgänger von Anfang an auf die Lunge ausgelegt war und genau dafür optimiert ist.
Brainlab hat vor 25 Jahren begonnen, konventionelle Linearbeschleuniger so zu ertüchtigen, dass man damit hochpräzise Bestrahlungen durchführen kann. Das galt zunächst Zielen, die sich nicht bewegen, aber schon sehr lange auch den beweglichen Tumoren. Wir haben es mit einem Vorprodukt von ExacTrac Dynamic geschafft, dass mithilfe von implantierten Goldmarkern dieses Bewegungsmuster erfasst wird. Der Behandlungsstrahl wurde dann so ein- und ausgeschaltet, dass der Tumor behandelt wird, als wäre er eingefroren: Nur in den Momenten, in denen sich der Tumor direkt unter dem Behandlungsstrahl bewegt, wird der Strahl eingeschaltet, so dass die Dosis effektiv nur dem Tumor zugefügt wird. Schon damals haben wir das Problem, dass die Atmung ja nicht immer gleich ist, erkannt. Der Patient liegt entspanntt da und der Atem wird flacher. Ein Bewegungsmuster, was am Anfang regelmäßig ist, verändert sich mit der Zeit. Deshalb muss man kontinuierlich in der Lage sein, diese Markierungen zu finden. Und genau das haben wir vor circa 15 Jahren gemacht und damit Patienten behandelt. Damals allerdings unter der Voraussetzung, dass Marker implantiert sind. Aber der Rest hat wunderbar funktioniert.
In einem weiteren Vorgängerprodukt haben wir versucht, das Ganze anders anzugehen und auf Marker verzichtet. Damit entfällt die Notwendigkeit, ein Bewegungsmuster vorher aufzuzeichnen. Stattdessen musste mithilfe einer kontinuierlichen Röntgenkontrolle die Bewegung erfasst und dann der Strahl präzise gesteuert werden. Das funktionierte gut, solange man den Tumor tatsächlich auf dem Röntgenbild sehen konnte. Ein Tumor, der vier, fünf Zentimeter Durchmesser hat, lässt sich ganz gut erkennen und auch tracken. Damit hatten wir eine zweite Hürde genommen. Dann aber stellte sich die Frage, was zu tun ist, wenn der Tumor nur sieben, acht Millimeter groß ist. Denn dann ist er auf einem normalen Röntgenbild nicht mehr zu erkennen. Wir haben zunächst festgestellt, dass es Gewebe um den Tumor herum gibt, das sich synchron mit dem Tumor bewegt. Die Kunst besteht darin, zu identifizieren, welcher Teil des Lungengewebes, das sich synchron mit dem Tumor bewegt, zugleich auch röntgensichtbar ist. Mit dem Vorgängerprodukt „Vero“ haben wir es geschafft, auch dieses Surrogat zu tracken. Vero war ein sehr teures Gerät, das mehrere Millionen Dollar kostet. Das ließ sich kaum global ausweiten, weil es viel zu teuer war und die Planungszyklen zu kompliziert sind.
Unser Gedanke war dann, die Ergebnisse aus dem ersten und dem zweiten Produkt in einer Plattform zusammenzuführen. Diese haben wir schon gut tausendmal in Kliniken installiert, um die Therapie für alle zugänglich zu machen. Mit der aktuellen Produktgeneration haben wir die nächste Hürde genommen und ein Produkt herausgebracht, bei dem jedes Mal, wenn man einatmet und die Atmung anhält, kontrolliert werden kann, ob der Tumor genau unter dem Strahl liegt. Und das funktioniert auch mit dem Umgebungsgewebe des Lungentumors. Das ist das heutige Produkt – es kann technisch all das, was wir über diese lange Zeit entwickelt haben. In der Entwicklung, und das wird das nächste Produkt, geht es darum, das noch etwas einfacher zu machen und in der Anwendung zu verfeinern: Der entscheidende Teil der Innovation ist, dass man den Tumor erkennt und verfolgen kann, ohne irgendwelche weiteren Markierungen. Der Tumor selbst wird zum Marker oder sein Surrogat und so kann ein frei atmender Patient mit der gleichen Präzision bestrahlt werden wie der, der aktuell die Luft kurz anhalten muss.

Prof. Dr. Cordula Petersen
Rein medizinisch ist das ein Quantensprung. Noch vor wenigen Jahren konnten wir die Strahlentherapie der Lunge nur so vornehmen, dass wir immer die gesamte Atmungsstrecke, die sich der Tumor rauf- und runterbewegt, bestrahlten. Um nicht die gesamte gesunde Lungenwegstrecke mitzubestrahlen, brauchte man ein Gerät, das die Atmung des Patienten anhand der Brustkorbbewegung erfasst, egal ob er hustet oder tief oder flach einatmet. Dieses Gerät muss wissen, wann der Patient so atmet, dass man ein Bild machen kann, was zeigt, wo der Tumor sitzt, wo immer die Position des Tumors auf der Atemkurve ist. Denn erst wenn ich diese beiden Informationen in Echtzeit, während der Patient auf dem Tisch liegt, erhalte, kann ich mich trauen, dem Gerät vorzugeben, immer in dem bestimmten Zeitfenster zu strahlen. Mit dieser Genauigkeit kann man dann auch in wenigen Sitzungen mit höherer Dosis bestrahlen, was die Heilungschancen verbessert.
Dass man die Atembeweglichkeit und die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Tumors in Echtzeit, während der Patient auf dem Tisch liegt, zusammenführt, das ist schon wirklich der Flug zum Mond im Vergleich zur Strahlentherapie vor wenigen Jahren.

Das Gerät besteht jetzt aus welchen einzelnen Komponenten?

Claus Promberger
ExacTrac Dynamic basiert auf einer Reihe von Software- und Hardware-Innovationen, deren Besonderheit erst durch ihr Zusammenwirken deutlich wird. Die Hardware besteht aus einer Tracking-Kamera, zwei Röntgeneinheiten und einem Steuerungscomputer. Sie wird, wie eine Art Add-on zu bestehenden Linearbeschleunigern installiert. Die Software dient zur Steuerung, ist tief in den Linearbeschleuniger integriert und bringt alle Informationen zusammen.
Die Tracking-Kamera kombiniert eine Oberflächenkamera und eine Thermokamera, aus der die Software ein 4D-Modell des Patienten erstellt. Denn es ist so, dass der Patient auf der Oberfläche glatt ist, aber wenn er anders liegt oder sich untypisch bewegt hat, gibt es Uneindeutigkeiten. Aus diesem Grund haben wir in demselben Kamerasystem eine thermische Kamera integriert – das ist die vierte, zusätzliche Dimension. Damit kann man kleine Nuancen in der Temperatur, die durch Falten, Muttermale oder Körperöffnungen wie Mund und Nase entstehen, erkennen.. Bringt man diese äußerlichen Informationen mit den Röntgenbildern, also den inneren Aufnahmen des Patienten, auf denen ein Tumor sichtbar ist, zusammen, so kann man die Oberflächenbewegung und die Position des Tumors in Echtzeit miteinander korrelieren.
Diese zeitliche Komponente ist spannend und das Besondere ist, dass wir Innen und Außen zur gleichen Millisekunde aufnehmen und so eine hohe Präzision in der Korrelation erreichen. In einem Patientenmodell drei Sensoren zu verknüpfen, gibt uns sehr viele Informationen über die Bewegung und wie sich interne Informationen zu externen verhalten.

Macht diese neue Präzision in der Praxis einen großen Unterschied?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Früher haben wir über mehrere Wochen bestrahlt, weil wir nicht so genau bestrahlen konnten. Man hatte die Sorge, gesundes Lungengewebe in Mitleidenschaft zu ziehen. Mit dieser Technologie kann man, weil die biologische Reaktion der Zellen es zulässt, eine Bestrahlung auf wenige oder vielleicht sogar auf eine Sitzung reduzieren. Wenn die Echtzeit-Bildgebung so gut ist, kann ich mich auch trauen, die Dosis einmal so hochzuwählen, dass die Chance besteht, den Tumor zu zerstören. Diese Dosis ist dann so präzise geplant, dass ich kaum an Wirkung im Vergleich zur Aufteilung in viele Bestrahlungssitzungen verliere.

Stefan Vilsmeier
Im Gegensatz zu Karzinomen in der Lunge ist diese Einmalbestrahlung bei Hirntumoren oftmals schon Standard. Und mit dieser Methode wird zum Beispiel auch Brustkrebs behandelt. Da besteht das Problem sicherzustellen, dass man dem Herzen keine zu hohe Strahlendosis zuführt. Wenn die Patientin einatmet, muss man versuchen, mit dieser Einatmung immer wieder dieselbe Position zu erreichen. Das passiert im Zweifelsfall aber nicht – vielleicht hat die Patientin ein Hohlkreuz gemacht oder nicht tief genug eingeatmet. Mit ExacTrac kann man aber unmittelbar, bevor man die Strahlung aktiviert, nochmals mit einem Röntgenbild in exakt dieser Position sichtbar machen, dass das Herz nicht im Strahlengang ist. Und das ist heute bereits im klinischen Einsatz.
Dieselbe Methode des Einatmens, Luft anhalten und dann überprüfen, ob der Lungentumor unter dem Strahl ist, bevor man diesen einschaltet, das können wir heute auch schon verwenden. Der einzige Unterschied ist, dass dieses Einatmen immer ein wenig Zeit braucht, um es zu kontrollieren. Wenn ich den Patienten aber in Zukunft kontinuierlich atmen lassen kann, dauert die Behandlung vielleicht 10 statt 20 Minuten, in der Qualität der Bestrahlung besteht aber kein Unterschied.

Diesen entscheidenden Druck auf den Knopf, der die Strahlen auslöst, den muss der Behandelnde auslösen?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Ja, das macht der Mensch.

Wie lang hat dieser Entwicklungsprozess gedauert?

Stefan Vilsmeier
Der Entwicklungsprozess hat bereits in den 90er Jahren begonnen und war mit massivem Einsatz unserer Ressourcen verbunden. Das war von allen Produkten, die Brainlab über 30 Jahre entwickelt hat, die härteste Nuss und vielleicht ein Grund, warum sich in diesem Bereich auch nichts tut. Etliche Firmen, die daran gearbeitet haben, haben entweder aufgegeben oder verfolgen etwas, was unserer Erkenntnis nach nicht ganz richtig ist.
Es gibt verschiedene Methoden, sich dem Ganzen anzunähern: Das eine ist zum Beispiel diese Bewegungsbahn, also den ganzen Korridor zu bestrahlen. Das bedeutet aber, ein viel größeres Volumen zu bestrahlen und damit eine Schädigung von Normalgewebe zu tolerieren und dem Patienten mehr Sitzungen zuzumuten, um dann zwischen Toxizität der Bestrahlung und dem gewünschten klinischen Effekt auszubalancieren. Es gibt eine ganze Reihe an Methoden für ein Atmungs-Gating, die am Tag vorher die Atmungsbewegung aufzeichnet und dieselbe Bewegung für die eigentliche Therapie unterstellt. Das kann so aber nicht perfekt stimmen. Denn dabei übernimmt man gleichsam einen Sicherheitsabstand um den Tumor von ein, zwei Zentimetern, was das Ganze dann doch relativiert und in seiner Genauigkeit limitiert. Es gibt viele Versuche, dem Thema beizukommen, aber eine Millimetergenauigkeit bei entsprechender Sicherheit im Moment der Bestrahlung zu leisten, ist derzeit nicht auf dem Markt zu finden.

Welche positiven Ergebnisse hat diese neue Methode für den Patienten?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Es ist die Chance, dass die atemgetriggerte Bestrahlung möglich gemacht und verbessert werden kann. Wir können dadurch insgesamt mehr Patienten ermöglichen, mit diesen wenigen Fraktionen bestrahlt zu werden, was biologisch wirksamer ist, und diese Behandlungskonzepte außerdem auch öfter, breiter anwenden. Für den individuellen Patienten heißt es, dass man auch die Abwägung zwischen Tumorkontrolle und Normalgewebsschonung besser treffen kann.

Wie viele Patienten kann man mit der neuen Methode therapieren?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Im Moment gibt es nur Berechnungen, aber ich würde es bei 15 bis 20 Prozent sehen.
Es gibt Rechenmodelle aus der Teilchenbestrahlung, die hinterfragen, welchen Gewinn es bringen würde, den Tumor perfekt zu treffen. Es ist schon in Studien versucht worden, die Strahlendosis bei Lungentumoren zu erhöhen, aber viele Patienten, obwohl sie vom Tumor geheilt wurden, sind leider dann an den Normalgewebsschäden der Lunge gestorben. Das stammt aus der Zeit, wo es weder die Immuntherapie noch die Atemtriggerung gab. Da haben wir aktuell eine sehr interessante Entwicklung: Man hat gelernt, dass sich Immuntherapie und Strahlentherapie beim Lungenkrebs sehr gut vertragen. Der Tumor verbleibt im Patienten und die Strahlenschäden, die durch Röntgenstrahlen an Tumorzellen in der Lunge ausgelöst werden, aktivieren das Immunsystem bzw. machen den Lungenkrebs durch die besondere Form der Strahlenschäden für das Immunsystem sichtbar.
Seit der Erfindung der Immuntherapie gibt es großes Interesse, die Strahlentherapie auch zu verbessern. Denn um diesen Immuneffekt auszulösen, brauche ich eher wenige hohe Strahlendosen. Das sollte dann eine Strahlentherapie sein, die nicht wie früher sechs, sieben Wochen dauert, sondern es müssen wenige hochdosierte Fraktionen sein, denn nur dann wird vermutlich immunologisch der Effekt ausgelöst. Es ist eine extrem spannende Zeit, weil diese Immuntherapieentwicklung parallel passiert, sodass die Verantwortung der Strahlentherapie für diese neue Art der Technologie viel größer geworden ist.

Stefan Vilsmeier
Es gibt eine ganze Reihe von Impulsen für diese Veränderungen. Einer ist die Immuntherapie, ein anderer ist das Konzept, Screening einzusetzen und die Tumore zu diagnostizieren, wenn sie wesentlich kleiner sind. Die Attraktivität beruht darauf, diese sehr kleinen Tumoren mit einer hohen Dosis bestrahlen zu können. Denn in der Abwägung, mit welcher Therapiekombination ein Patient behandelt wird, stellt sich die Frage nach der Reihenfolge: Es gibt die Option der sofortigen Operation, oder der Strahlentherapeut braucht sechs Wochen und dann kann die Option nach der Bestrahlung durchgeführt werden. Eine lange Strahlentherapie mit vielen Nebenwirkungen schwächt die Patienten, sodass dann auch keine Chemotherapie folgen kann. Wenn ich allerdings den Patienten nur einmal bestrahle, könnte man den Tumor immer noch operieren. Aber mit der Bestrahlung ist die Fähigkeit des Tumors, sich zu teilen, zu streuen und Schaden anzurichten, fast schon erledigt.
Was sich komplett dreht, ist die Attraktivität, die Strahlentherapie als ersten therapeutischen Schritt zu verwenden. Ein operatives Vorgehen ist immer Schädigung im Gewebe oder entfernt zu viel Lungengewebe. Die Strahlentherapie erhält, wenn sie so präzise gemacht wird, viel Lungengewebe. Ein wichtiger neuer Aspekt ist jetzt auch, dass wir nicht wissen, wie viele Patienten mittel- und langfristig nach einer Covid-Erkrankung Einschränkungen ihrer Lungenfunktion haben. Es gilt eine Therapie hervorzuheben, die von Haus aus die Schädigung des Lungengewebes minimiert und dann auch solchen Betroffenen weitere Möglichkeiten einer Therapie eröffnet. Lungenkrebs ist die tödlichste Krebsart und dafür eine bessere Behandlung zu entwickeln, stellt eine sehr hohe Motivation dar, um uns genau auf diesen Weg zu konzentrieren.

Sie hatten von weiteren Anwendungen für diese Methode gesprochen, für welche Krebsarten ist das denkbar?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Für Anwendungen im Gehirn, dabei sind es nicht nur Krebserkrankungen, sondern auch gutartige Erkrankungen, die sonst wirklich neurochirurgisch mit zu vielen Nebenwirkungen einhergehen würden. Die weiteren Bereiche sind sicher Erkrankungen im Oberbauch, also an der Leber und der Bauchspeicheldrüse.

Medizintechnik muss geprüft und zugelassen werden. Das ist erfolgt und war problemlos?

Claus Promberger
Unsere Produkte sind sowohl CE-zertifiziert nach MDR und haben auch die FDA-Zulassung. Wesentlich geändert hat sich der Aufwand, so etwas zuzulassen, einfach weil die Auflagen generell viel strenger wurden, inklusive auch einer Beobachtung des Marktes. Also man muss nicht nur zulassen, sondern auch haarklein nachverfolgen, wie das Produkt im Markt funktioniert. Das ist nicht ohne Aufwand, aber bis jetzt sehr, sehr gut verlaufen. Das Ganze ist mit der MDR, der Medical Device Regulation, die jetzt in Europa in Kraft getreten ist, nochmal komplizierter geworden. Die Zeiten zwischen dem technischen Entwickeln und der Zulassung werden länger. Trotzdem ist bei Medizinprodukten alles, was der Sicherheit dient, ein wichtiger Punkt und damit eigentlich unser täglich Brot. Für uns ist es selbstverständlich, die Zulassungsfragen sehr genau abzudecken.

Gibt es Wettbewerb?

Stefan Vilsmeier
Es gibt Wettbewerb. Einerseits stehen wir im Wettbewerb um ein bestimmtes Budget innerhalb des Klinikums. Zum anderen gibt es Wettbewerb innerhalb einer Klinik für bestimmte Behandlungskonzepte. Die Strahlentherapie steht durchaus im Wettbewerb zur Chirurgie, zur klinischen Onkologie und so weiter. Das war früher eine Entweder-Oder-Entscheidung, heute ist es eine von vorneherein orchestrierte Kombination. Dabei nimmt die Strahlentherapie eine immer größere Rolle ein. Und dafür kämpfen wir aus vollster Überzeugung.
Mitbewerber gibt es in unserer Branche, also innerhalb der Strahlentherapie, eine ganze Reihe. Die Hersteller der Linearbeschleuniger versuchen auch, um ihre Linearbeschleuniger herum weitere Produkte zu bauen, um im besten Fall eine neue Generation oder Variante des Linearbeschleunigers zu verkaufen, die in bestimmten Bereichen ein genaueres Zielen ermöglicht. Aber es gibt einfach nichts, was während der Behandlung und zu jedem Zeitpunkt eben diese Bewegung der Lunge tracken kann. Es gibt zwei, drei Unternehmen, die eine Art Oberflächenkamera haben, also eine Oberfläche für die Vorpositionierung tracken. Darauf beschränkt sich das auch. Sie können vielleicht auch noch eine Bewegung der Oberfläche erfassen, diese aber dann nicht mit den internen Bewegungen korrelieren. Es gibt des Weiteren noch ein Produkt, das mit einer Art robotischem Linearbeschleuniger grundsätzlich Tumore verfolgen kann, allerdings ist es auf Tumore, die röntgensichtbar sind, ausgelegt. Das funktioniert also nur für Tumore, die eine bestimmte Größe haben.
Es gibt keinen Mitbewerber, der eine spezifische Lösung für Lungentumore anbietet und dieses Problem löst. Die Konkurrenten sind eher die, die sagen, so genau muss es nicht sein und dies oder jenes erfasst genauso gut. Aber wenn es um die Behandlung von Patienten mit Krebs geht, kann man nicht sagen, gut ist gut genug.

Wie sieht der Markt für Ihre Entwicklung aus?

Stefan Vilsmeier
Brainlab hat mit seinen Lösungen insgesamt knapp 400 Millionen Euro Umsatz und davon entfallen ungefähr 100 Millionen in der Strahlentherapie auf die Behandlung von Hirntumoren. Da sind wir Marktführer, die diese Technik eigentlich erst etabliert haben. Ich denke wirklich, dass mehr Patienten mit unserer Technologie, mit der Einzeldosis, behandelt werden sollten als mit allen anderen Methoden zusammengenommen, auch wenn es verschiedene andere Firmen gibt, die mit etwas anderen Techniken ein vergleichbares Ergebnis erzielen. Während Linearbeschleuniger in der Regel zwischen, zwei und vier Millionen Euro kosten, arbeiten wir mit einem Nachrüstsatz, der je nach Konfiguration zwischen 600.000 und 800.000 Euro kostet und ein bestehendes Gerät ertüchtigen kann. Und für viele der von uns bereits verkauften und installierten Systeme, die heute hauptsächlich Hirntumore behandeln, könnten wir mit einem Software-Upgrade von um die 150.000 Euro diese neue Therapie ermöglichen, damit mehr Patienten davon profitieren können.

Wenn wir das auf das wirtschaftliche Potential beziehen, ist für die Strahlentherapie insgesamt China der große Zukunftsmarkt. Dieser wird in der deutschen Industrie sehr kritisch diskutiert. Einerseits sieht man das große Potential, andererseits gibt es Angst, dass Know-how verlorengeht. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Arbeiten von einem chinesischen Mitbewerber, selbst wenn die Intention vorhanden ist, so schnell nicht nachgemacht werden könnten. Man kann davon ausgehen, dass die Hälfte aller Linearbeschleuniger, die in den nächsten zehn Jahren verkauft werden, nach China gehenen. China hat ein großes demografisches Problem durch die Altersstruktur der Bevölkerung. Es gibt zunehmend die Forderung nach einer adäquaten Gesundheitsversorgung und es gibt den großen Prozentsatz an Rauchern. Das macht Lungenkarzinome in China zu einem überproportionalen Problem. Wir glauben, dass wir mit unserer Technologie letztlich auch etwas anbieten, von dem auch die europäische Wirtschaft, hier mit den Linearbeschleunigern insgesamt, noch einen Sekundäreffekt hat.

Welchen Nutzen hat die Gesellschaft von Ihrer Innovation?

Stefan Vilsmeier
Die Gesundheitswirtschaft ist für einen größeren CO2-Footprint als der gesamte Flugverkehr und die Schifffahrt gemeinsam verantwortlich: Die traditionelle Medizintechnik basiert auf dem Konzept, alle zwei, drei oder fünf Jahre ein neues Gerät zu verkaufen und parallel das Altgerät zu entsorgen. Wir haben ein zeitgemäßes Konzept – auch im Sinne der Kreislaufwirtschaft –, um für bestehende Technologien eine erweiterte Nutzung zu ermöglichen. Und das in vielerlei Hinsicht. Einmal kann man eine neue Art der Therapie anbieten, aber gleichzeitig auch, indem man Patienten nicht 30-mal, sondern nur einmal, zweimal oder dreimal bestrahlt. Damit eröffnet sich auch die Möglichkeit, wesentlich mehr Patienten auf demselben Gerät zu bestrahlen. Das heißt, es ist eine Effizienzsteigerung, eine Kostenreduktion und eine sinnvolle Nutzung von bestehenden Ressourcen, die auch das globale Gesundheitsproblem und die Tatsache, dass Krebstherapien immer teurer werden und mit Ressourcenengpässen verbunden sein können, löst.
Für uns war von Anfang an der breite Zugang entscheidend und mich hat fasziniert, das mit Hilfe von Software zu machen. Mit Software verbindet sich der Gedanke, Dinge unendlich zu skalieren und frei zugänglich zu machen. Wir gehen fast jedes Problem, mit dem wir konfrontiert werden, aus seiner Softwareperspektive an und bauen die Hardware drum herum. In erster Linie geht es bei uns eben nicht um die Frage, wie kann ich da ein neues Gerät hinstellen? Stattdessen können wir Dinge breit zugänglich machen. Unsere Geräte sind aktuell in 6.200 Krankenhäusern und 116 Ländern im Einsatz. Und selbst in den Ländern, die sich das nicht leisten können, haben wir aus Spenden von Mitarbeitern, die ich persönlich immer gematcht habe, Gelder gesammelt, um Geräte zu den Einkaufskosten zur Verfügung zu stellen, wie zum Beispiel in Kambodscha oder in Honduras.

Ein Kennzeichen des Lungenkrebses ist, dass er sehr spät entdeckt wird. Was kann man hier ändern, wie kann man Prävention betreiben?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Insbesondere Risikopatienten, also Patienten, die aktiv rauchen oder über eine Zeitspanne geraucht haben, von der wir wissen, dass sie leider statistisch reicht, um später Lungenkrebs zu erzeugen, sollten regelmäßig eine Computertomografie-Untersuchung der Lunge erhalten. Man wird dabei kaum mit einer einzigen Aufnahme sicher sagen können, dass es ein Tumor ist. Wenn man aber diese Patienten durch regelmäßige Bilder screent und sieht, dass eine kleine Läsion auf zwei, drei folgenden Aufnahmen vergrößert ist, dann bleibt statistisch gesehen wenig übrig, was es außer Lungenkrebs sein kann. Das ist eine Entwicklung, die erst durch die bessere Bildgebung möglich gemacht wurde. Es gibt Studien, die dann abwägen, ob es gerechtfertigt ist, Patienten mehreren Computertomografien der Lunge zu unterziehen, denn eine Computertomografie ist Röntgenstrahlung. Aber der Nutzen, den Lungenkrebs früher zu entdecken, überwiegt. Dieser Nutzen überwiegt so unendlich die Sorge, dass durch diese Computertomografien vielleicht weltweit gesehen ein, zwei Tumoren erzeugt werden. Der Nutzen steht eindeutig im Vordergrund und ich denke, dass so ein Screening kommt.

Wie gehen Sie mit der Einstellung, „Ich will es gar nicht wissen!“ und der Angst vor Strahlenschäden um?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Die Strahlentherapie von heute ist durch den Quantensprung, den sie durch diese Präzision und Bildgebung gemacht hat, sehr sicher. Das muss man vermitteln und erklären, denn viele haben noch diese alten Kobaltbestrahlungsgeräte vor Augen und verstärkte Hautreaktionen ähnlich einer Verbrennung im Kopf. Das ist nicht fair, denn dank dieser sehr guten Technologie ist das heutzutage wirklich anders.

Stefan Vilsmeier
Es wird unterstellt, dass Strahlung irgendwie schädlich ist, vielleicht die Erbinformationen schädigt und so weiter. Die höhere Inzidenzrate von Krebs bei Patienten, die der Strahlung im Umkreis von Hiroshima ausgesetzt waren, wird auf die Strahlentherapie übertragen. Aber das ist eine physikalisch betrachtet völlig andere Form der Strahlung. Sie ist anders dosiert und verteilt und das lässt sich nicht vergleichen. Insofern kann man von einer Therapie, die sehr sicher und auch konsistent, da computerisiert und technisiert ist, die vor allem auch digital dokumentiert wird, sagen: Das Risiko, 20 oder 30 Jahre später relevante Spätfolgen zu entwickeln, ist zu vernachlässigen! Im Umkehrschluss sind in der Bewertung bei bestimmten chirurgischen Therapien Schäden oder Nachwehen durch Narben wiederum nicht zu vernachlässigen.
Ich glaube, dass man diese emotionale Situation objektivieren muss. Allein der Gedanke, dass diese Therapie völlig schmerzfrei ist, zwischen 10 und 30 Minuten je nach Technik dauert, dass es nur ein, drei, fünf Sitzungen sind, das ist die wirklich relevante Perspektive. Dass man sich nicht den Brustkorb auf und einen Teil der Lunge rausschneiden lassen muss, sondern mehr oder weniger schmerzfrei, ohne Narbe, ohne nennenswerte Nebenwirkungen bleibt und weiß, dass der Tumor so weit geschädigt ist, dass er sich nicht weiterentwickeln, nicht wachsen kann. Und dann wird das Tumorgewebe mit der Zeit vom Körper abgebaut. Das sind wirklich gute Aussichten. Es gibt ja schon Tumorarten, bei denen es fest etabliert ist, dass man regelmäßig zum Beispiel eine Darmspiegelung macht und genauso sollte das dann auch beim Lungenscreening sein. Ich denke, es gab noch nie einen Zeitpunkt, wo die Perspektive, bei einer Erkrankung etwas tun zu können, besser war als heute. Man muss keine Angst haben und es ist keine Situation, wo man sagen sollte, es ist besser, es nicht zu wissen.

Jetzt wollen wir noch ein wenig über Sie persönlich erfahren: Was hat Sie zur Medizin und zur Strahlentherapie gebracht?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Das war bei mir nicht vorgegeben – ich stamme nicht aus einer Medizinerfamilie, sondern bin die Erste in der Familie. Ich hatte schon immer, wenn ich das mal so einfach sagen darf, eine Faszination für den menschlichen Körper empfunden. Das hat sich dann mit dem Anspruch, etwas Gutes zu tun, verbunden. Insofern bin ich schnell in der Medizin gelandet. Aber es war mir auch rasch klar, dass ich keine Lust auf „Dienstleistungsmedizin“ hatte. Ich bin dankbar, dass es den Unfallchirurgen gibt, der mich, wenn ich mir ein Bein breche, zusammenschraubt und ich zwei Wochen später wieder heil aus dem Krankenhaus herausgehe. Aber mich haben viel mehr die Situationen fasziniert, wo noch nicht klar ist, was man tun muss, um sie zu verbessern. Situationen, die schwierig sind und die man erforschen muss. Deshalb hat mich die Onkologie interessiert, die zunächst mit Schrecken behaftet ist. Aber ich denke immer: Ja, das ist der Gegner, dann lass uns mal anfangen.
Wenn ich Röntgenbilder sehe, faszinieren mich diese Aufnahmen. Und wenn man Medizin am Menschen praktizieren will und Bilder liebt, liegt es nahe in die diagnostische Radiologie zu gehen. Da sieht man aber nur Bilder. Ich möchte die Patienten begleiten, aktiv therapieren, mit ihnen eine Schicksalsgemeinschaft bilden und nicht sie sehen und zwei Wochen später nie wieder von ihnen hören.
Und mit diesen Voraussetzungen kommt man zur Strahlentherapie. Es gibt wunderbare Bilder vom menschlichen Körper und diese mit der Präzision, über die wir hier reden. Gleichzeitig habe ich Patienten, die in einer enorm schwierigen persönlichen Situation sind, die auch jemand brauchen, der ihnen sagt: „Wir kümmern uns. Wir überlegen uns jetzt etwas. Wir haben einen Plan. Uns fällt immer etwas ein.“ Das ist diese Kombination: So habe ich gar nicht lange überlegt, eine Doktorarbeit in der Strahlentherapie angefangen und da bin ich auch geblieben.

Ihre wissenschaftliche Karriere war schnell, Ihre Arbeit ist sicherlich fordernd. Trotzdem haben Sie zusätzlich das Amt als Präsidentin der Gesellschaft für Radioonkologie übernommen. Was war Ihre Motivation?

Prof. Dr. Cordula Petersen
In der Medizin hängt viel vom Strukturen- und Infrastrukturenschaffen ab, auch den Nachwuchs ausbilden, im Grunde die Richtung mitbestimmen. Es ist auch schon angeklungen: Strahlentherapie ist nur eine Behandlungsmöglichkeit im Setting von vielen. Aber um das optimal auszuschöpfen, muss man darauf achten, welche Prozesse es dafür gibt bzw. noch braucht, welche Strukturen im Land geschaffen werden müssen? Hier wollte ich gestalten und dafür braucht man auch erst einmal eine gewisse Erfahrung. Als ich dann gefragt wurde, das Amt zu übernehmen, habe ich auch gedacht: Ja, jetzt oder nie. Eigentlich kann man so eine Anfrage mit dem verbundenen Vertrauen nicht ablehnen. Und ja, das ist viel und zusätzliche Arbeit, aber sie ermöglicht auch, das Fach weiterzuentwickeln, auch in anderen Aspekten als den streng wissenschaftlichen.

Deutschland war im Bereich der Medizin eigentlich immer sehr stark, auch in der Medizintechnik. Wie sieht das denn jetzt für Deutschland im internationalen Vergleich aus?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Studien zu machen, ist schon nicht einfach, weil alleine die Genehmigungsverfahren komplex sind, auch wenn sie etwas leichter und innerhalb Europas homogenisiert werden. Aber es ist immer noch eine Herausforderung, Studien an und mit Patienten durchzuführen, sie zu finanzieren und den langen Atem dafür zu haben. Der Datenschutz ist ein hohes Gut und da haben wir in Deutschland vielleicht manchmal einen zu hohen Sicherheitsanspruch und stellen das in den Vordergrund. Ob das nun digitale Erfassungen von Patientendaten sind oder auch Patienten in Formate wie Apps einzubeziehen. Das ist ein Bereich, hier könnte vieles noch besser und optimaler laufen. Durch die Pandemie würde ich vielleicht die Chance sehen, dass alle auch den Nutzen der Digitalisierung in diesem Bereich kennenlernen.

Trotzdem hat man das Gefühl, dass sich im Bereich der Medizin im Moment sehr viel tut, was sich auch durch die Verschränkung verschiedener Fachrichtungen, auch in Ihrem Bereich bestätigt. Ist das jetzt ein „Fortschrittsruck,“ der durch die Medizin gegangen ist, Strukturänderungen durch Technologie?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Die Onkologie oder die Krebsmedizin ist eigentlich ein gutes Beispiel dafür: Man muss schon von seinem Bereich enorm viel Ahnung haben – in meinem Fall nenne ich die Strahlentherapie. Aber man muss auch immer open minded sein, weil ich aktuell sehe, dass sich die Immuntherapie verändert. Es brauchte viel Zeit, das zu entwickeln, aber – zack – jetzt war der Moment da und die ersten Medikamente sind verfügbar. Man sieht, dass Hautkrebs und Lungenkrebs sensationelle Vorteile dadurch haben. Und das müssen die anderen Fachdisziplinen aufgreifen. Was bedeutet das jetzt für mein Fachgebiet? Also es braucht nicht mehr die Mediziner, die irgendwie denken: „Oh, ich habe was gefunden. Da halte ich jetzt dran fest, damit es mir keiner mehr wegnimmt.“ Sondern es braucht die Mediziner, die natürlich ihr Wissen haben, aber sagen: „Okay, Immuntherapie. So, ich soll meine Strahlentherapie jetzt nicht sieben Wochen machen, sondern sie muss in einer Woche fertig sein. Was brauche ich jetzt dafür als Technik, damit das geht?“ Man muss wirklich immer schauen: Was passiert rechts und links von mir? Und mit all dem nützt man am Ende wirklich dem Patienten, der Gesellschaft und nicht nur der eigenen Karriere.

Ist diese Einsicht schon in der Lehre bei den jungen Medizinern angekommen?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Das ist im Gang, nicht nur in Hamburg, sondern auch an anderen Universitäten ist der Medizinstudiengang gerade in einem Reformprozess. Wir versuchen, die jungen, angehenden Ärzte und Ärztinnen so auszubilden, dass sie Teamplayer sind. Sie sollen ihren Neigungen und Interessen folgen; man braucht eine Faszination für etwas, sonst hört man auf, Fragen zu stellen. Trotzdem muss das Team gleich am Anfang stehen. Und auch die Komplexität, die man für die Tätigkeit braucht, die muss man von Anfang an lernen, das Offen-Sein, nicht nur Bilder lernen, sondern auch die Biochemie beachten, alle Qualitäten auszubilden, die man braucht. Man kann dann später für das eine oder andere noch mehr Expertise aufbauen. Wir praktizieren zum Beispiel in der Strahlentherapie schon etwas vergleichsweise Besonderes, die Einbindung der Medizinphysik auf Augenhöhe. Das ist eine andere Ausbildung, eine andere Profession, aber ich könnte nicht Strahlentherapie ohne Medizinphysiker*in machen. Und wir brauchen auch IT-Ingenieure. Das Ziel ist nicht nur, so berufs- und professionsbezogen wie möglich in der Ausbildung zu sein, sondern da auch schon breite Bereiche anzubinden. Ich bin optimistisch, dass das schon in der nächsten Generation angekommen ist und nur so geht.

Letzte Frage
Was beschäftigt Sie noch außerhalb dieser Arbeitswelt? Bleibt überhaupt noch Zeit für irgendetwas anderes?

Prof. Dr. Cordula Petersen
Ich spiele in der Tat sogar mehrere Instrumente, aber das schaffe ich jetzt zeitlich nicht mehr. Und ich interessiere mich, das hängt, glaube ich, mit meiner Faszination für den menschlichen Körper und seine Bilder zusammen, ich interessiere mich für Kunst, für Gemälde, also das Visuelle. Ich bin ein visueller Mensch.

Herr Vilsmeier auch von Ihnen wollen wir wissen, wie sich der berufliche Weg entwickelt hat. Sie haben mehr oder weniger mit Studienbeginn die Firma Brainlab ins Leben gerufen. Was trieb Sie damals an?

Stefan Vilsmeier
Warum ich ausgerechnet in der Medizin gelandet bin, ist vielleicht auch die Faszination für Bilder, um dieses Stichwort von Frau Petersen aufzugreifen. Und ja, wie kommt man zu medizinischen Bildern? Das begann eigentlich alles mit meinem ersten Computer, dem Commodore 64, den ich mit 15 bekommen habe. Wenn man nicht mit sieben oder acht damit beginnt, hat man kaum eine Chance, im Bereich Software wirklich gut zu werden. Ich habe mich auch für Räumliches und Grafik interessiert, hatte in der Schule Vektorgeometrie und habe dann begonnen, 3D-Grafik und 3D-Software zu programmieren und zu schreiben. Mit 16 habe ich ein Buch über 3D-Software geschrieben; das verkaufte sich dann im ersten Jahr 50.000-mal. 1987, im Jahr meines Abiturs, bin ich aufgrund dieses Buches an die Universitätsklinik Wien eingeladen worden, um dort an einem speziellen Computerprojekt teilzunehmen und habe dort das erste Mal Computer- und Kernspintomografien gesehen. Und ich glaubte, dass diese Abbildungen des menschlichen Körpers, die hohe Präzision dieser Bilder, nicht wirklich für die Chirurgie genutzt wurden, sie eher in einem Lichtkasten in der Ecke des OPs landeten und Operateure quasi manuell operierten. Danach begann ich ein Informatikstudium an der TU München, was ich aber nach 20 Tagen an den Nagel gehängt habe. So blieb mir nichts anderes übrig, als mit dem, was ich begonnen hatte, erfolgreich zu sein. So musste das halt mit Brainlab klappen.

Was bedeutet dieser Name für Sie: Brainlab?

Stefan Vilsmeier
Man könnte denken, es geht um Neurochirurgie. Das war zufällig mal einer der ersten Bereiche, wo sich Software entfaltet hat. „Brainlab“ steht für mich als Symbol eines Unternehmens, in dem Software der kritische Faktor ist und den entsprechenden Mehrwert liefert. Um die technischen Möglichkeiten, die sich über die letzten Jahrzehnte erst nennenswert entwickelt haben, zu nutzen, braucht man Köpfchen. Und ich fühle mich geradezu privilegiert, dass ich in einer Zeit die Möglichkeit hatte, die Welt mit den Mitteln, die die Software bietet, neu zu entdecken, Dinge in einer Art und Weise zu skalieren, die vorher nie denkbar waren und damit auch als Unternehmer den großen Hebel hatte. Ich bin über mittlerweile 32 Jahre keiner Verlockung erlegen, außerhalb der Medizin was Neues anzufangen, weil ich dort am meisten bewegen kann. Ich glaube, das zeichnet auch alle meine Kollegen aus.

Brainlab hat wirklich sehr, sehr viele gute Produkte, auf die ich stolz bin. Aber am meisten gepackt hat mich alles um die Strahlentherapie. Weil das eine faszinierende Möglichkeit ist, die Präzision der Bilder für das millimetergenaue Zielen auf einen Tumor zu nutzen. Hier haben sich die Techniken stark weiterentwickelt und wir waren in bestimmten Bereichen ein wichtiger Teil dieser Entwicklung. Das ist auch der, bei dem ich mich immer wieder eingemischt habe, der mich stark beschäftigt hat. Hier waren wir der Impulsgeber. In der Navigation für die Neurochirurgie haben wir, glaube ich, wirklich sehr coole und gute Produkte; hätten wir da nichts entwickelt, hätten das vielleicht auch andere gemacht. Das trifft in der Strahlentherapie nicht zu. Das ist die tiefe Beschäftigung damit, die bis hin zu Albträumen geht, das ist das Brennen für die Frage, was sind die ungelösten Probleme in der Strahlentherapie aus einer ganz bestimmten Sicht? Wir haben nicht versucht, generische Dinge zu entwickeln, sondern durch intensive Dialoge mit unseren Kunden herauszufinden, wo die wirklich griffige Lösung noch fehlt? Was sind die ungelösten Probleme der Onkologie, wo wir am meisten bewegen können? Mit der Behandlung von Lungentumoren haben wir jetzt den Höhepunkt der 32-jährigen Brainlab Entwicklung gefunden.

Das wird wohl jeden, der gründen will, interessieren: Wie haben Sie sich am Anfang finanziert?

Stefan Vilsmeier
Ich habe anfangs das Kapital aus dem Buch genutzt, nachdem es sich 50.000-mal verkauft hat, habe ich daran sehr gut verdient. Das war das Startkapital von Brainlab. Das erste Büro war im Keller meiner Eltern, der erste Messestand wurde in der Garage zusammengebastelt. Dann stellte ich fest, dass ich vielleicht doch etwas mehr Geld brauche, habe berechnet, wie viele Systeme ich verkaufen musste, und ich bin dann mit dem unbeirrbaren Willen, diesem Kunden genau dieses Gerät zu verkaufen, angetreten und es gab für die meisten Kunden dann auch kein Entkommen. Das war das Kapital, den ersten, den zweiten, den fünften und so weiter Mitarbeiter einzustellen. Krankenhäuser zahlen oft sehr spät und als kleines Unternehmen hatten wir zehn Millionen D-Mark Umsatz, aber fünf Millionen D-Mark Außenstände. Dafür musste ich persönlich bürgen. Diese Bürgschaften wurden mit wachsendem Geschäft höher – zum Glück lief alles gut. Wenn man als Unternehmer an den Start geht, ist man auch unerschrocken, aber vielleicht manchmal töricht. Später haben wir in geringem Umfang externe Investoren ins Boot genommen. Mir gehört das Unternehmen noch zu gut 50 Prozent und insgesamt sind 90 Prozent – meine Anteile einbegriffen - in der Hand von deutschen Aktionären. Von den rund 600 Millionen Euro, die wir bisher für die Entwicklung unserer Produkte ausgegeben haben, waren nur 45 Millionen Euro fremdes Geld. Den Rest haben wir erwirtschaftet. Auch das geht und wir sind als Unternehmen so weit profitabel, dass wir den Freiraum haben, in langfristige Entwicklungen zu investieren, von denen wir glauben, es ist einfach eine gesellschaftliche Verpflichtung, daran zu arbeiten.
Dazu gehört zum Beispiel das Thema Daten-Ökosystem. Es ist noch völlig unklar, ob und wie man mit Daten Geld verdienen kann und darf, weil sich das Ganze noch in der internationalen Rechtsprechung, nach dem Europäischen Data Governance Act oder nach European Health Data Space verfestigen muss. Die Zukunft der Medizin und der Onkologie wird datengetrieben sein und damit wir unsere Daten nicht bei Google, Amazon oder einer chinesischen Plattform hochladen, muss es ein Framework geben, was unseren europäischen Werten entspricht. Hier müssen wir da einfach tätig werden, ich habe noch keine Ahnung, wie ich damit je Geld verdienen werde. Aber es ist relevant und den Luxus leisten wir uns.

Welche Visionen haben Sie noch für dieses Unternehmen?

Stefan Vilsmeier
Im Bereich der Medizin ist einfach noch viel zu tun. Vor 30 Jahren war es wirklich so ein ganz einfacher Computer, die Tatsache, dass gerade der Pentium-Chip auf den Markt kam und Windows 3.1. Das hat die Zeit Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre geprägt. Heute gibt es extrem spannende, technische Möglichkeiten durch Cloud Computing, Robotik, Künstliche Intelligenz, Augmented Reality und dergleichen. Das in der Medizin einzusetzen, ist wirklich faszinierend. Die Frage ist, ob jede Firma das Rad neu erfinden will oder kann man eine andere Form der Zusammenarbeit finden. Das gilt für Großunternehmen ebenso wie auch für Start-ups. Brainlab möchte so eine Art „Betriebssystem der Medizin“ entwickeln, damit einerseits Start-ups schneller vorankommen, zum anderen aber auch die Großkonzerne ihre verkrusteten Strukturen irgendwie aufbrechen. Von den meisten großen Medizintechnikunternehmen wird die Macht von Software missbraucht, indem sie versuchen, mit Software ihren wenig differenzierten Produkten ein zweites Leben zu geben. Sie bauen daraus in sich abgeschlossene Silo-Lösungen auf. Das könnte ein letztes Aufbäumen einer vielleicht in dieser Struktur dem Untergang geweihten Industrie sein. Möglicherweise kommen auf die großen MedTech-Unternehmen ähnlich harte Zeiten zu wie auf die traditionelle Automobilindustrie, wenn sie es nicht schaffen, sich digital zu erweitern; Tesla ist heute mehr wert als die anderen Automobilunternehmen zusammen. Diesen digitalen Wechsel, „Tesla der Medizin“, gibt es noch nicht. Es gibt noch keine Datenplattform in der Medizin. Und eine Art Betriebssystem zu schaffen, dieses Daten-Ökosystem zu schaffen, das sich an europäischen Werten orientiert, das ist etwas, was ich nach wie vor richtig spannend finde. Deutschland ist vielleicht das schwierigste Land, aber auch das mit dem größten Potential. Wenn man es schafft, so etwas in Deutschland zu etablieren, kann man daraus eine europäische Lösung und dann daraus eine globale Lösung bauen. Es ist jetzt einfach meine Motivation, das die nächsten Jahre zu stemmen. Das sind gute Nachrichten für einerseits Krebspatienten, aber es geht auch um die Skalierbarkeit von Technologie. Wir sind dabei, viele sehr teure Hardwarelösungen zu virtualisieren, indem sie kompakt werden, man eine Datenbrille aufsetzt, statt große Systeme in den OP zu rollen; dass man eine kleine Box am Monitor im OP einsteckt und Zugang zu den kompletten Welten der Daten hat; man Trainings für Ärzte in bestimmten Regionen Afrikas auf einem iPhone etabliert, aber mit dem Anspruch an ein Training, wie man es in Harvard oder Stanford bekommt. Das sind die interessanten Herausforderungen, den Zugang zu einer Gesundheitsversorgung für die Ärzte und deren Patienten zu demokratisieren. Und da gibt es noch viel zu tun.

Was gibt es außerhalb Ihres ausgefüllten Arbeitslebens? Wenn man sich in Ihrem Firmensitz umsieht, findet man sehr viel moderne Kunst.

Stefan Vilsmeier
Ich habe Software als Mittel der kreativen Entfaltung gesehen, habe eigentlich davor gemalt, gebastelt, mich mit vielen Dingen auch kreativ auseinandergesetzt. Und Software war nur ein kreatives Tool, das sich besser skalieren lässt. Aber man braucht auch irgendwie Inspiration – außerhalb des eigentlichen Problembereichs. Das heißt, nicht nur die linke, die rationale Seite des Gehirns stimulieren, sondern auch die rechte, emotionale Seite. Aus diesem Grund finde ich, dass die Beschäftigung mit Kunst, mit anderen Eindrücken und auch Diversität in jeder Form sehr wichtig ist. Das spiegelt sich auch in den Mitarbeitern, die hier arbeiten, die aus den unterschiedlichsten Kulturbereichen und Regionen kommen. Die Kultur definiert uns auch als Menschen. Das heißt, für jedes Problem, das ich hier hatte, koexistiert die Lösung. Man braucht eigentlich eine Horizonterweiterung, um die Lösung, die schon immer da war, zu entdecken. Wenn ich manchmal über einem Thema brüte, brauche ich Time-out und gehe in die Oper und irgendwie im zweiten Akt von Wagners Parsival kommt mir dann die zündende Idee. Musik in jeglicher Form von zeitgenössischer bis klassischer bis zu Pop, Rock oder auch die bildende Kunst, alles das interessiert mich sehr. Und sie ermöglicht einem auch immer wieder selbst neue Dinge zu entdecken. Ich habe selber auch ein Musikinstrument gespielt, im Orchester die dritte Klarinette.

Herr Promberger, Sie sind mit dem Diplom in der Tasche direkt bei Brainlab eingestiegen. Was hat Sie dazu bewogen?

Claus Promberger
Lustigerweise haben Stefan Vilsmeier und ich eine ähnliche Vergangenheit. Ich habe tatsächlich auch mit dem C64, aber wahrscheinlich zwei Jahre jünger, die gleiche Generation gekauft und damit angefangen. Dann kam der Amiga ab Mitte der 1980er. Ich war immer computerbegeistert, es war dieses logische Denken, das mir so natürlich vorkam. So war es für mich selbstverständlich, dass ich Informatik studiere. Das habe ich dann auch und ich war der Einzige in meiner Clique, der nicht Medizin als Nebenfach hatte. Irgendwie dachte ich mir, dass das eher langweilig ist – Anatomie lernen oder so ... Ich habe mich mit Luft- und Raumfahrt beschäftigt, da ging es schon damals mehr um Geometrien. Für das Diplom bin ich dann eher zufällig im Klinikum Rechts der Isar gelandet und habe dort in einem radiotherapeutischen Umfeld gemerkt, dass Raumfahrt dort eigentlich fast besser passte als das, was man in der theoretischen Medizin gelernt hat. Es war diese Welt der Planung, diese Welt der Bilder, wie man das verarbeitet, wie man Matrizen darauf appliziert etc. Und wieder zufällig gab es im Rechts der Isar einen Kongress für Radiotherapie, den mein Professor damals mitveranstaltet hat. Dort war Brainlab als ein kleiner Aussteller und so sind wir irgendwie zusammengekommen.

Sie haben ja jetzt sehr stark an der Entwicklung dieser Innovation mitgewirkt und das ist Teamleistung. Was macht ein gutes und kreatives Team aus?

Claus Promberger
Es ist wichtig, dass es in sich komplett ist, dass man alle Fähigkeiten wertschätzt. Ich habe 15 Jahre Software entwickelt, bei Brainlab alle möglichen Projekte … Und war mal mehr in dieser Innovation, mal in einer anderen involviert und bin zurückgekommen, aber in einer anderen Rolle. Und für mich ist das Wichtigste, dass man das Team motiviert, vor allem auch die, die zwar extrem wichtig für das Projekt sind, aber vielleicht nicht so im Vordergrund stehen. Ein gutes Entwicklungsteam macht aus, dass man Menschen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten, die eventuell auch nicht den eigenen Fähigkeiten entsprechen, zusammenführt. Dass man diese Eigenschaften aber dann auch entsprechend wertschätzt.

Kann die Entwicklung von Innovationen zur Routine werden oder hat man immer wieder diese Spannung, die Lust auf das Neue?

Claus Promberger
Ich habe immer noch die Lust auf was Neues. Tatsächlich ist das vielleicht die Hauptaufgabe, wenn man eine Entwicklung bewältigen will. Wenn jemand lange in der R&D arbeitet, wird er fast immer nur mit Problemen konfrontiert. Gerade bei der Arbeit mit Versionen, die eigentlich schon abgeschlossen sind, ist Positives wenig gegeben. „Oh, da funktioniert ein Teil nicht …!“ Das ist nicht für alle leicht. Der eine sieht die Vision am Ende des Tunnels oder die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, die sieht aber nicht jeder. Manche denken dann in der nächsten Stufe: Ich muss erst mal alles absichern, damit ja nichts passiert. Und diese Gedanken immer wieder zu hinterfragen und zu sagen, wir wollen ja Lösungen und nicht an den Problemen hängen, das ist sicher eine der wesentlichen Herausforderungen. Also ich will diese Vision, eine Endvision, in Teilschritte unterteilen und das mit den Mitarbeiter*innen umsetzen. Da gehört manchmal auch dazu, dass man wirklich ins Detail geht und denen, die nur die Probleme sehen, dann sagt: „Jetzt lass uns mal miteinander diesen Stein aus dem Weg räumen und kreativ sein.“

Was sagen Sie einem jungen Menschen, der jetzt zu Ihnen kommt und sagt, das interessiert mich, was ist das Besondere daran?

Claus Promberger
Das sind verschiedene Komponenten. Das eine ist, dass man wirklich etwas Komplettes schaffen kann, was extrem ungewöhnlich ist, dass man vom Anfang bis zum Ende einer Entwicklung dabei sein kann und diese auch gesamtheitlich ist. Im Unternehmen sind alle Bereiche für die Umsetzung eines neuen Produktes abgedeckt, wir haben alles dafür, nicht nur eine kleine Komponente. Oftmals, wenn man in der Entwicklung von Software arbeitet, macht man eine kleine Komponente als Zulieferer eines weiteren Zulieferers und dieser andere Zulieferer bringt das dann zum Beispiel im Automotive-Bereich unter. Da wird das dann irgendwo installiert. Hier ist man in den Entwicklungsschritten, hat Kontakt mit den Kunden, wenn man das will. Wir fordern auch fast, dass man zum Kunden geht, sein Feedback persönlich empfängt, um einfach einerseits Motivation zu schöpfen, andererseits das Ganzheitliche, das Gute, an diesem Produkt zu sehen. Das ist eher ungewöhnlich. Das andere ist, dass wir weltweit vertreten sind, was mir persönlich sehr viel Motivation gegeben hat. Es gibt viele Firmen, die zwar weltweit verkaufen, aber man selbst bekommt das alles nur lokal mit. Bei uns ist es so, wenn es in Argentinien beim Kunden brennt, fährt auch ein Entwickler hin, wenn das die beste Lösung ist, um schnellstmöglich zum Ziel zu kommen. Demnächst fliegt eine Entwicklerin nach Australien, weil wir dort etliche Installationen haben, um einfach das Feedback persönlich entgegenzunehmen. Es gibt nicht viele Firmen, die so agieren – und das alles sind Gründe für eine solche Tätigkeit.

Letzte Frage
Was gibt es bei Ihnen außerhalb des Arbeitslebens?

Claus Promberger
Tatsächlich habe ich eine lange persönliche Historie im Sport, Mannschaftssport: Fußball, Volleyball … bin also nicht der typische Softwareentwickler. Wahrscheinlich war ich fast der Einzige im Studium, der begeistert Mannschaftssportarten betrieben hat und dort gerade auch die zwischenmenschlichen Dynamiken spannend fand. Heute nutze ich hier im Haus regelmäßig das Fitnessstudio. Im Alter führt das eher dazu, dass man merkt, dass man eigentlich nur noch „Reha-Sport“ machen kann als Grundlage, um dann mal wieder richtig Spaß zu haben: Skifahren oder eben mit einem Ball im Zentrum ...

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Details

Lebensläufe

Stefan Vilsmeier

1967
Geboren in München
1986
Veröffentlichung des Buches „3D-Konstruktion mit GIGA-CAD Plus auf dem C64/C128” über 3D-Grafik
1987
Abitur am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben
1989
Einschreibung an der Technischen Universität München, Hauptfach Informatik mit Nebenfach Theoretische Medizin
1989
Gründung von Brainlab
1993
Eröffnung der ersten Brainlab Niederlassung in den USA
2009
Leitung der strategischen Geschäftsplanung für den Bereich Oncology
2013
Vorstand der Produktlinie Oncology
2018
Berufung in den Innovationsdialog der Bundeskanzlerin Angela Merkel

Patente

 
Bei 81 Patentfamilien als Erfinder genannt

Ehrungen und Auszeichnungen

2000
Verleihung des Bayerischen Verdienstordens, der höchsten Ehrung des Freistaates Bayern 2001 Auszeichnung als „Entrepreneur des Jahres 2001” durch Ernst & Young
2002
Auszeichnung als „World Entrepreneur of the Year 2002” durch Ernst & Young 2003 Ehrung des World Economic Forum (WEF) als „Global Leader for Tomorrow”
2014
Auszeichnung mit dem „International Steven Hoogendijk Award“ für das bisherige Lebenswerk als Pionier in der Medizintechnik

Publikationen

 
FAZ, „Deutschlands Daten-Paranoia“ SZ, „Spielend in den Körper“
Handelsblatt, Disrupt Podcast, „Der OP-Saal muss digitalisiert werden“

Vorträge

 
Digital Life Design (DLD), Bits and Pretzels, Digital Health 2020 – EU on the Move, SZ Wirtschaftsgipfel, Digitalgipfel der Bundesregierung, German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence (GIHF-AI), u.a.

Claus Promberger

1970
Geboren in Pfaffenhofen a. d. Ilm
1989
Abitur am Schyren-Gymnasium in Pfaffenhofen a. d. Ilm
1996
Abschluss Diplom Informatik an der Technischen Universität München mit Nebenfach Raumfahrttechnik
Einstieg bei Brainlab als Software-Entwickler im Bereich BrainSCAN Radiochirurgie Planungssoftware
1998
Hauptentwickler für den ersten Prototypen eines Positionierungssystems ExacTrac
2000
Hauptentwickler für die erste Realisierung von IMRT in BrainSCAN
2005
Projektmanager und Hauptentwickler für universelle Planungssoftware iPlan RT
2012
Hauptentwickler für die erste Realisierung von Planung für Tumortracking und 4Pi in iPlan RT am Vero
2015
Benennung zum Director Portfolio Management Onkologie
2018
Benennung zum Vice President R&D und damit Verantwortung für sämtliche Entwicklungen im Onkologie-Bereich

Patente

 
Bei fünf Patentfamilien im Bereich radiochirurgische Planung, Behandlung und Bewegungsmanagement genannt

Publikationen

 
Diverse fachbezogene Publikationen und Vorträge auf Fachkongressen und Symposien

Prof. Dr. med. Cordula Petersen

1968
Geboren in Hamburg
1987
Abitur am Gymnasium Hohenzollernring in Hamburg 1988 -1994 Medizinstudium an der Universität Hamburg
1995
Promotion zum Dr. med. (magna cum laude) , Universität Hamburg
1995 - 1996
Abteilung für Strahlentherapie Universitätsklinikum Hamburg – Epp
1996 - 2006
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden
1999
Forschungsaufenthalt am Dept. of Experimental Radiation Oncology, MD Anderson Cancer Center, Houston, Texas, U.S.A
2000
Anerkennung Fachärztin für Strahlentherapie
2002
Habilitation
2006 - 2009
Praxis für Radioonkologie, Radiologische Allianz Hamburg
2010
Berufung auf die W3-Professur Strahlentherapie und Radioonkologie
Ernennung zur Klinikdirektorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
2010 - laufend
Vorstandsmitglied des UCCH (Universitäres Cancer Center Hamburg) am UKE Gefördertes Spitzenzentrum der DKH (Deutschen Krebshilfe)
2017 - laufend
Fachkollegiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
Seit 06/2021
Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO)

Auszeichnungen

1998
Hanns-Langendorff-Posterpreis für Strahlenbiologie anlässlich des 4. Kongresses der DEGRO 2001 Verleihung des „Herrmann-Holthusen-Preises“ der DEGRO
2003
Verleihung des „ESTRO-Varian Research Award“ der ESTRO (European Society for Therapeutic Radiology and Oncology)

Publikationen

 
Diverse Publikationen, Forschungsförderungen, Studienaktivitäten und Mitgliedschaften in Fachgesellschaften

Kontakt

Koordination

Thomas Martin
Management Associate to the CTO
Brainlab AG
Olof-Palme-Str. 9
81829 München
Tel.: +49 (0) 89 / 99 15 68 21 68
E-Mail: thomas.martin@brainlab.com
Web: www.brainlab.com

Pressekontakt

Bernadette Erwig
Communication & PR Manager
Brainlab AG
Olof-Palme-Str. 9
81829 München
Tel.: +49 (0) 89 / 99 15 68 22 29
E-Mail: bernadette.erwig@brainlab.com
Web: www.brainlab.com

Team-Sprecher

Stefan Vilsmeier
Vorstandsvorsitzender und CEO der Brainlab AG
Brainlab AG
Olof-Palme-Str. 9
81829 München
Tel.: +49 (0) 89 / 99 15 680
E-Mail: stefan.vilsmeier@brainlab.com
Web: www.brainlab.com

Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten

(Un)sichtbare Tumore in Bewegung – neue Perspektiven für die Strahlentherapie durch präzises Tumortracking

Eine von zwei Personen erkrankt im Laufe ihres Lebens an Krebs. Bei der Behandlung von Krebserkrankungen spielt die Strahlentherapie bereits heute eine wichtige Rolle. Wird die Disziplin entsprechend weiterentwickelt, könnte sie bei bestimmten Tumorarten künftig zum Mittel der Wahl in der Krebstherapie werden und kurativ sowie singulär eingesetzt werden. Für den Erfolg der Strahlentherapie ist Präzision entscheidend, um die veränderten Zellen zielgerichtet zu zerstören, während gesundes Gewebe geschont wird. Aber genau das ist bei kleinen Tumoren und solchen, die sich beispielsweise durch die Atmung unregelmäßig bewegen, eine Herausforderung.

Das interdisziplinäre Team bestehend aus Stefan Vilsmeier, Gründer und Vorstandsvorsitzender bei Brainlab, Claus Promberger, Entwicklungsleiter für den Bereich Strahlentherapie bei Brainlab und Prof. Dr. med. Cordula Petersen, Direktorin der Klinik Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg sowie Präsidentin der DEGRO (Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e. V.), hat mit ExacTrac Dynamic® eine Lösung entwickelt, die Patient:innen bei der Behandlung verschiedenster Tumorvarianten millimetergenau für die Hochpräzisionsbestrahlung tracken und positionieren kann. Dank der präzisen Positionierung gelingt es, wirkungsvoll Tumorgewebe zu zerstören und gleichzeitig gesundes Gewebe zu schonen. Das Potenzial der Technologie ist enorm: Zahlreiche Krebspatient:innen können schnell mit wenig Nebenwirkungen behandelt werden – und profitieren von besserer Lebensqualität während und nach der Behandlung.

Die Herausforderungen präziser Strahlenbehandlung
Lungenkrebs ist weltweit die häufigste Krebstodesursache und fordert pro Jahr allein in Deutschland rund 45.000 Menschenleben. Die Erkrankung wird momentan meist erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt, da Symptome oftmals spät auftreten.

Während der Bestrahlung bewegen sich Patient:innen und auch der Tumor wird durch die Atmung unregelmäßig verschoben. Daher wird üblicherweise bislang ein rund um den Tumor festgelegter Sicherheitsbereich (sogenannter „Motion Envelope“) bestrahlt, der den gesamten Raum umfasst, in dem sich der Tumor aufgrund der Atmung bewegt. Das hat den Nachteil, dass die Behandlung auch gesundes Lungengewebe zerstört, was die Lungenfunktion beeinträchtigt.

Zusätzlich sind kleine (und in der Regel heilbare) Tumore auf einem 2D-Röntgenbild nur schwer bis gar nicht zu erkennen. Könnte man diese kleinen Tumore bereits im Frühstadium erfassen und behandeln, würden die Überlebenschancen der Patient:innen steigen.

ExacTrac Dynamic® – intelligente Kombination hochmoderner Tracking-Technologien
Mit der neuen Generation von ExacTrac Dynamic® entwickelte Brainlab im intensiven Austausch mit Frau Prof. Petersen und ihrem Team vom UKE ein Positionierungssystem, das ergänzend zu sogenannten Linearbeschleunigern – den eigentlichen Bestrahlungsgeräten – installiert werden kann. Es besteht aus einer Trackingkamera, zwei Röntgeneinheiten und einem Steuercomputer inklusive Software. Die Trackingkamera kombiniert eine Oberflächen- mit einer Thermokamera, um die Bewegungen der Patientenoberfläche während der Strahlentherapie fortlaufend zu erfassen. Das Röntgensystem wiederum visualisiert die innere Anatomie der Patient:innen. Die Software überprüft mit all diesen Daten in Echtzeit die Position des Tumors. Der Behandlungsstrahl kann so entsprechend der Tumorposition kontrolliert werden, eine Schädigung des umliegenden gesunden Gewebes wird verringert. In der Konsequenz können höhere Strahlendosen in einem einzigen oder wenigen Bestrahlungsterminen verwendet werden.

Aktuell wird dieses Konzept für die Behandlung vor allem von Tumoren im Gehirn, der Wirbelsäule, der Brust und der Prostata angewendet. Durch die Verwendung des Systems kann man Patient:innen nicht nur hochpräzise, sondern meist auch schnell für die Behandlung positionieren – gleichzeitig lässt sich die Position während der Behandlung jederzeit überprüfen und anpassen.

Derzeit in Entwicklung befindet sich die Integration der Atembewegung in das Korrelationsmodell. Dadurch ist es möglich, Patient:innen in einem gewissen Atemfenster zu behandeln, das während der Bestrahlung kontrolliert erreicht und gehalten werden muss. Dies stellt eine technische Herausforderung dar, denn das System muss Daten aus sämtlichen Quellen mit Zeitstempel versehen sowie korrelieren und so sensible Geschwindigkeitsanforderungen erfüllen. Das Ziel ist der Ausbau zu einem komplett dynamischen System. Das bedeutet, dass Patient:innen frei atmen können, während das System alle für die Behandlung relevanten Parameter in Echtzeit analysiert. Hierbei steht vor allem die interne Aufzeichnung durch das Röntgensystem im Fokus. Es ist nicht nur möglich mehrere Bilder in kurzer Abfolge aufzuzeichnen, sondern darüber hinaus diese Bilder nach einer Zielregion zu durchsuchen und anhand dieser die Positionierung vorzunehmen. Die Zielregion kann der Tumor selbst sein, aber auch im Röntgenbild sichtbare Bereiche, wie die Bronchien, die sich simultan zum Tumor bewegen.

Bei der Entwicklung von ExacTrac Dynamic® standen Stefan Vilsmeier und Claus Promberger stets im engen Austausch mit den Anwender:innen im Klinikalltag. Frau Prof. Petersen und ihr Team schaffen es mit ihrem regelmäßigen Feedback und durch ihre Erfahrungen in der stereotaktischen Radiochirurgie und Radiotherapie die praktische Umsetzung speziell im Bereich der neuartigen Behandlungskonzepte entscheidend voranzutreiben. Aus ihrer Tätigkeit für die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e. V. (DEGRO) konnte Prof. Petersen ebenfalls wertvolle Impulse mitnehmen, die in die Entwicklung der ExacTrac Dynamic® Technologie eingeflossen sind. Im Rahmen des Fortbildungsprogramms „Brainlab Academy“ schult Prof. Petersen als klinische Expertin Radioonkolog:innen und Medizinphysiker:innen im Bereich Strahlentherapie.

Vision einer langfristig stärkeren Rolle der nicht-invasiven Radiochirurgie
Stefan Vilsmeier und Claus Promberger prägten die Entwicklung im Bereich nicht-invasiver Positionierung für die Strahlentherapie bei Brainlab bereits seit Jahrzehnten maßgeblich – und tragen so dazu bei, dass sich deren Rolle wandelt. Während Mediziner:innen in der Vergangenheit Bestrahlungen in der Radioonkologie vor allem palliativ zur Symptomlinderung einsetzten, verändert sich durch die modernen hochpräzisen Bestrahlungstechniken – beispielsweise bei Hirntumoren – zunehmend die klinische Routine. Bereits heute ist die Radiochirurgie bei gutartigen Hirntumoren in mehr als 50 Prozent der Fälle „state of the art“. Und knapp 1.000 der weltweit führenden Krebszentren nutzen bereits ExacTrac Technologie für die Behandlung von Hirntumoren. Prof. Petersen setzt sich in ihrer klinischen Arbeit dafür ein, die Rolle der nicht-invasiven Radiochirurgie in der Praxis zu etablieren.

Weiteres Potenzial entfaltet das Konzept der nicht-invasiven Radiochirurgie auch im Bereich der Lungenscreenings für Raucher:innen: Bislang vermeiden viele dieser Risikopatient:innen eine Vorsorgeuntersuchung, weil sie die potenzielle langwierige Behandlung im Falle einer Krebserkrankung scheuen. ExacTrac Dynamic® könnte als zentraler Bestandteil einer völlig schmerzfreien nicht-invasiven Behandlung in nur einer oder wenigen Sitzungen die Bereitschaft erhöhen, sich einem Screening zu unterziehen. Die Bedeutung einer ausreichenden Lungenfunktion rückte durch die Corona-Pandemie und deren gesundheitliche Auswirkungen auf die Lunge ins breite öffentliche Interesse. COVID-19 vorerkrankte Patient:innen haben unter Umständen bereits eine eingeschränkte Lungenfunktion, alle anderen Patient:innen wollen ihre maximale Lungenkapazität erhalten.

Neben dem Nutzen für Patient:innen und Ärzt:innen selbst, ist es dem Team auch ein Anliegen, ein nachhaltiges Angebot im Sinne einer Kreislaufwirtschaft bereitzustellen. ExacTrac Dynamic® ist systemoffen, nachrüstbar und mit auf dem Markt üblichen Bestrahlungsgeräten kompatibel, dadurch fällt der kostenintensive Austausch kompletter Systeme weg. In einem Bereich wie der Medizin, der sehr CO2-intensiv ist, ein weiterer Aspekt, der neben der rein medizinischen Bedeutung von Behandlungsmethoden immer wichtiger für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung wird.

In alternden Gesellschaften werden Krebserkrankungen eine immer größere Rolle spielen. Mit der konsequenten Entwicklung der ExacTrac Dynamic® Technologie wird die Strahlentherapie langfristig auf ein neues Level gehoben, bei dem Patient:innen mit wenigen invasiven Eingriffen schonend, präzise und sicher behandelt werden können.

Über Brainlab
Brainlab entwickelt softwaregestützte Medizintechnologie zur Digitalisierung, Automatisierung und Optimierung klinischer Workflows. Das Unternehmen setzt neue Standards in der Medizintechnik, um Ärzt:innen, medizinisches Fachpersonal und deren Patient:innen in über 6.000 Krankenhäusern in 121 Ländern zu unterstützen und die Lebensqualität von Patient:innen weltweit zu verbessern. Es beschäftigt über 2.000 Mitarbeiter:innen an 25 Standorten weltweit. 

Weitere Informationen über Brainlab finden Sie unter www.brainlab.com.

Über das UKE
In einer der modernsten Kliniken Europas arbeiten Spezialist:innen verschiedenster Fachrichtungen unter einem Dach zusammen. Neueste Medizintechnik, eine innovative Informationstechnologie und eine am Versorgungsprozess orientierte Architektur unterstützen Ärzt:innen, Krankenpflegekräfte und Therapeut:innen. Damit sind ideale Bedingungen für eine enge Vernetzung von Spitzenmedizin, Forschung und Lehre geschaffen. Rund 14.400 Mitarbeitende setzen sich rund um die Uhr für die Gesundheit ein – zum Wohle der Patient:innen.

Weitere Informationen über das UKE finden Sie unter www.uke.de.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.
Das Projekt "(Un)sichtbare Tumore in Bewegung – neue Perspektiven für die Strahlentherapie durch präzises Tumortracking" wurde vom Deutschen Patent und Markenamt eingereicht.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier überreicht am 26. Oktober 2022 den Deutschen Zukunftspreis an eines der drei nominierten Teams.

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