Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Wir verbrennen immer noch überwiegend Öl und Gas, um unser Energiesystem zu betreiben, insbesondere für die Bereiche Mobilität und Wärme. Im Strombereich sind wir in Deutschland schon relativ regenerativ aufgestellt, aber in den anderen Sektoren tun wir uns mit dem Übergang aus verschiedenen Gründen schwer.
Die Wasserstofftechnologie existiert in Grundzügen schon relativ lange. Sie basiert auf der Idee, elektrischen Strom zu nutzen, um Wasserstoff als Energieträger aus Wasser zu gewinnen. Der Energieträger Wasserstoff kann wiederum genutzt werden, um daraus bei Bedarf elektrischen Strom zu erzeugen. Durch die wissenschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte haben sich daraus die Elektrolyse- und die Brennstoffzellentechnologie entwickelt. Aber es fehlte bisher ein effizienter Weg, Wasserstoff bei gesellschaftlich akzeptablen Bedingungen (Druck, Temperatur) mit hoher Energiedichte zu speichern. Deswegen ist Wasserstoff als alternativer Energieträger der Öffentlichkeit kaum bewusst.
Wir haben uns die Frage gestellt, wie man die Nutzung von Wasserstoff so ermöglichen kann, dass dieser ohne Spezialistenwissen und ohne hochkomplizierte Infrastruktur genutzt werden kann. Die von uns maßgeblich entwickelte Technologie erlaubt es, Wasserstoff in chemisch-gebundener Form als kraftstoffähnliche Flüssigkeit zu transportieren und zu lagern. Unsere Idee ist es, die existierende Infrastruktur der alten CO2 emittierenden Benzin- und Dieseltechnologie für eine neue, emissionsfreie und CO2-neutrale Technologie zu nutzen. So soll der Übergang zu nachhaltigen Energietechnologien möglichst schnell, kostengünstig und effizient gelingen.
Die Menschen, die die neue Technologie nutzen, müssten sich also nicht umstellen? Es bliebe bei den vertrauten Abläufen?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Genau. Wir fahren an die Tankstelle und füllen eine Flüssigkeit in unser Fahrzeug, und es hat auch niemand ein Problem damit, dass einmal im Jahr ein Laster kommt und den Heizöltank im Haus auffüllt. Der Umgang mit flüssigen Energieträgern, die ja eine hohe Energiedichte haben, ist uns bestens vertraut.
Dagegen ist uns der Umgang mit sehr hohem Druck oder mit sehr niedriger Temperatur wenig vertraut. Die bisherigen Technologien zur Wasserstoffspeicherung arbeiten aber bei sehr hohen Drücken oder sehr niedrigen Temperaturen, um die Energiedichte des Wasserstoffs zu erhöhen. Diese bisher eingesetzten Technologien funktionieren zwar prinzipiell, sie erfordern aber neue Infrastrukturen, die sich nur sehr reiche und hochindustrialisierte Länder leisten können und die auch dort nur langsam und zu hohen Kosten etabliert werden können. Es galt deshalb, einen neuen Ansatz zu finden und technisch zu realisieren, um Wasserstoff sehr ähnlich den vertrauten Kraftstoffen, handhaben und nutzen zu können.
Kommen wir zur Entwicklung Ihrer Innovation, der „Vision einer Wasserstoffgesellschaft“. Was sind die grundsätzlichen Vorteile von Wasserstoff, und was haben Sie entwickelt?
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Schauen Sie sich an, wie Wasserstoff bisher konventionell transportiert und gespeichert wurde. Wasserstoff ist ein Gas von sehr geringer Dichte, deshalb füllt man es für Kinder in Luftballons. Dementsprechend muss man reinen Wasserstoff sehr stark abkühlen oder sehr stark komprimieren, um eine gute Energiedichte zu erhalten. Es ergeben sich entweder Temperaturen von – 253 °C oder Drücke bis 700 bar, was beispielsweise im Vergleich zum Druck eines Autoreifens extrem hoch ist. Das macht die gesamte Infrastruktur aufwendig und teuer und bringt auch einige Anforderungen an die Sicherheit mit sich, denn Wasserstoff kann in Mischungen mit Luft explosiv sein.
Unsere Innovation geht nun dahin, dass man Wasserstoff nicht als Gas handhabt, sondern ihn chemisch an eine Flüssigkeit bindet. Das resultierende, wasserstoffbeladene Öl kann man in Tanks speichern und in Tanklastwagen oder Öltankern transportieren. Wir speichern den Wasserstoff in dieser Flüssigkeit reversibel, das heißt, man kann den Wasserstoff einspeichern, dann das Öl transportieren und bei Bedarf den Wasserstoff wieder freisetzen. Die Flüssigkeit selbst geht nicht verloren. Man kann sich die Funktion der Flüssigkeit wie eine „Pfandflasche“ vorstellen, die immer wieder befüllt und geleert wird, ohne ihre Funktion zu verlieren.
Diese beiden Prozesse – die Einspeicherung und die Ausspeicherung von Wasserstoff – machen unser Know-how aus. Anlagen, die diese Funktion besonders gut erfüllen, stellen unsere Produkte dar.
Nehmen wir zunächst die StorageBOX, wo Wasserstoff in die Flüssigkeit eingespeichert wird. Die Anlage steht üblicherweise an einer Wasserstoffquelle, etwa an einem Elektrolyseur in einem Windpark oder in einer großen Fotovoltaikanlage, Unsere StorageBOX macht den Wasserstoff transportabel, sodass man dann die bestehende Logistikinfrastruktur für Flüssigkraftstoff mit Tanklastwagen verwenden kann. Wenn man zum Beispiel für die künftige Mobilität auf Wasser setzt, wird an einer Wasserstofftankstelle über unsere zweite Anlage – die ReleaseBOX – der Wasserstoff aus dem Öl wieder freigesetzt und kann in die Fahrzeuge, Busse, Lkws, Züge oder Schiffe vertankt werden. Das Trägeröl wird dabei nicht verbraucht, sondern wieder aufgenommen, zurückgeführt und anschließend neu beladen.
Die neue Technologie erlaubt eine zeitliche und räumliche Speicherung und den Transport. Man kann auf der einen Seite Vorräte anlegen, denn der Wasserstoff geht nicht verloren, sondern bleibt beliebig lange in dem Öl gebunden. Auf der anderen Seite kann man sehr effizient und kostengünstig auch große Transportentfernungen überbrücken.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Wir haben eine chemische Reaktion des gasförmigen Wasserstoffs mit unserer bereits erwähnten „flüssigen Pfandflasche“ entwickelt. Es entsteht ein neuer Stoff, der sehr viel wasserstoffreicher ist und in dieser Form den Wasserstoff chemisch gebunden speichert. Das von uns entwickelten Speichersystem hat sehr günstige toxikologische und ökotoxikologische Eigenschaften, was wiederum für die Akzeptanz einer solchen Technologie ein sehr wichtiger Aspekt ist. Der Wasserstoff kann in dieser chemisch gebundenen Form mit der heute vorhandenen Infrastruktur für die Verteilung von Kraftstoffen genutzt werden, also in Tankschiffen, Tankzügen und Tanklagern transportiert und gelagert werden – das eröffnet völlig neue Möglichkeiten, Wasserstoff auch global zu verteilen. Denn die Wandlung von Sonnen- und Windenergie sowie Wasserkraft in Wasserstoff kann an anderen Orten der Welt deutlich effektiver betrieben werden als in Deutschland. Damit gewönne Deutschland neue, andere Lieferanten von Energie und würde von den bestehenden Lieferanten unabhängiger.
Wenn wir in Deutschland die CO2-Emissionen auch im Verkehrssektor drastisch reduzieren wollen, müssen wir regenerative Energieäquivalente von außen zuführen, das kann man sehr leicht ausrechnen. Allein mit deutschen Windrädern wird die Energiewende im deutschen Verkehrssektor nicht gelingen! Wir brauchen daher eine Logistik für erneuerbare Energieäquivalente, die möglichst auf vorhandene Infrastruktur zurückgreift. Nehmen Sie zum Beispiel Tankschiffe: Die fahren heute von Saudi-Arabien nach Rotterdam; warum sollen sie nicht in Zukunft aus Kanada Wasserstoff nach Rotterdam oder nach Hamburg bringen, mit Weitertransport zu den Tankstellen? Das System, das wir vorschlagen, ermöglicht sehr günstige Transportpfade für die „grüne“ Energieform Wasserstoff.
Dazu eine kleine Ergänzung: Chemische Transformationen, die Wasserstoffgas an Flüssigkeiten chemisch binden, sind in der Petrochemie lange bekannt und werden jedes Jahr im Millionen-Tonnen-Maßstab industriell realisiert. Auch Transformationen, die Wasserstoff von organischen Verbindungen wieder abspalten, sind bekannt und werden industriell in großem Maßstab genutzt. Unsere Innovation besteht darin, dass eine als Wärmeträgeröl bewährte Flüssigkeit genutzt wird, um durch reversible Beladungs- und Entladungszyklen Wasserstoff zu speichern und in der heute vorhandenen Infrastruktur für Kraftstoffe zu transportieren. Dieser spezielle Stoff bringt alle Eigenschaften mit, um die perfekte „flüssige Pfandflasche“ für Wasserstoff zu sein. Vergessen wir nicht, es werden hohe Anforderungen an die „flüssige Pfandflasche“ gestellt: Sie soll eine möglichst unendliche Wiederholung des Speichervorgangs erlauben, ungiftig sein, im gesamten Anwendungsbereich flüssig vorliegen, keine Korrosionsprobleme verursachen, technisch verfügbar und günstig sein – um nur einige wichtige Auswahlkriterien zu nennen.
Weil die identifizierte Flüssigkeit vielen Anwendern als Wärmeträgeröl sehr gut vertraut ist und der Stoff in vielen Tausend Tonnen jedes Jahr produziert wird, war der Übergang in die technische Realisierung unserer Technologie vergleichsweise einfach. Für viele andere Stoffe – und wir haben über viele nachgedacht und auch einige ausgetestet – hätte man langwierige Forschungen anstellen und Daten sammeln müssen, um sicher sagen zu können, ob dies ein technisch geeigneter Wasserstoffträger ist oder nicht. Das hätte sehr, sehr lange gedauert und im großen Umfang Forschungsmittel gekostet.
Unsere Innovation knüpft also eine erfolgreiche Verbindung zwischen einem Stoff, der Ingenieuren und Anwendern aus einem ganz anderen Zusammenhang bestens vertraut ist, und der Anwendung der Wasserstoffspeicherung. Dies baut Akzeptanzbarrieren ab und schafft Vertrauen in die neue Technologie. Unser Ziel ist es ja sowieso, eine neue Form der Wasserstofftechnologie zu etablieren, die dem Anwender möglichst vertraut vorkommt. Daher auch das Ziel, einen Wasserstoffträger zu etablieren, der den heutigen Kraftstoffen möglichst ähnlich ist, allerdings nicht verbrannt, sondern nur entladen wird.
Die Entwicklung des Liquid-Organic-Hydrogen-Carriers (LOHC)-Prozesses war der erste Teil der Innovation. Musste dafür die technische Umgebung geschaffen werden?
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Wenn wir die Verknüpfung zwischen der Entwicklung in der Universität und der Firma ansehen, galt es, die Flüssigkeit zu identifizieren, die Reaktionen zu verstehen und dann die Katalysatoren, die Thermodynamik und die Apparate zu entwickeln. Mit der Firma zielen wir auf die Kommerzialisierung der Technologie ab, wollen also die Innovation aus dem Labormaßstab in den kommerziellen industriellen Maßstab überführen. Dies schließt die Übertragung in wesentlich größere Leistungsklassen ein. Darüber hinaus spielen Verfügbarkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit der Nutzung unserer Technologie eine große Rolle, denn auch ein Anwender, der kein Ingenieur oder Chemiker ist, muss das System einfach bedienen können. All diese Fragen entscheiden letztlich darüber, ob ein Produkt kommerziell erfolgreich ist. So kann man auch den Prozess bei uns sehen: In den ersten Jahren gab es ausschließlich universitäre Forschung; mittlerweile läuft diese hochklassige Forschung parallel zur Umsetzung der Technologie in kommerzielle Produkte innerhalb unserer Firma.
Wie lange haben diese Schritte gedauert?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
In der Universität haben wir 2009 mit der Erforschung der LOHC-Technologie angefangen. Es hat bis 2013 gedauert, bis wir selbst genug Vertrauen in die Grundidee hatten. Die Energiewende wurde 2011 zum großen Thema, und es war keineswegs so, dass wir ausschließlich auf diese eine Idee gesetzt haben. Denn als Hochschullehrer haben wir uns pflichtgemäß alle Optionen in großer Breite angeschaut. Man kann Wasserstoff ja auch chemisch zum Beispiel an CO2 binden, um Methanol, Methan oder synthetische Kraftstoffe zu erhalten.
Anfang 2013 waren wir dann so weit, in unserem Ansatz das Potenzial für eine kommerzielle Weiterentwicklung zu sehen. Im Januar erfolgte die Firmengründung. Seit dieser Zeit sind wir überzeugt, auf einem richtigen Weg zu sein. Wir sehen, dass sich durch solche Wasserstoffträger sehr viel mehr Potenziale erschließen lassen, als wir am Anfang glaubten.
Das Ganze entwickelt sich wirklich sehr positiv. Die kommerziellen Erfolge der Apparate, die von Hydrogenious gebaut und verkauft werden, bestärken uns zusätzlich: Es gibt Menschen, die ohne EEG-Förderung und ganz ohne den politischen Kontext einer Energiewendegesellschaft in Ländern wie Amerika oder China unsere LOHC-Anlagen kaufen!
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir für eine erfolgreiche Energiewende globale Ansätze brauchen. Sinnvolle Technologien müssen exportfähig sein, sie müssen auch in Marokko oder Südafrika funktionieren, denn die Bewältigung des globalen CO2-Problems ist nichts, was sich allein in Deutschland entscheidet.
Die universitäre Entwicklung Ihres Projektes fand an unterschiedlichen Lehrstühlen statt. Wo waren die Schnittstellen, und wie sahen die aus?
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Es gibt zwischen den beteiligten Lehrstühlen große Überlappungen bei den wissenschaftlichen Interessen, wir verstehen aber einander auch persönlich sehr gut. Das war sicherlich ein Erfolgsgarant. Die Aufgabenteilung hat sich relativ schnell ergeben, da die beteiligten Lehrstühle wissenschaftliche Schwerpunkte, wie etwa die Reaktionstechnik, die Katalyse, die Trenntechnik, die Thermodynamik oder die Apparatetechnik, haben, die sie komplementär in die Entwicklung einbringen konnten.
Für die Randbedingungen erfolgreicher Forschung habe ich einmal den Begriff „Humus“ geprägt. Als Wissenschaftsminister würde ich nicht versuchen, die Wissenschaft zu lenken, sondern diesen Humus bereiten. Dann muss man die richtigen Menschen suchen, die auf dieser fruchtbaren Grundlage etwas entwickeln. Den guten Humus kann man in der Metropolregion Nürnberg an den vielen neuen Forschungsinstituten erkennen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Wir haben von vielen Menschen in diesen Forschungsstätten profitiert und davon, dass der Freistaat Bayern uns eine substanzielle Förderung für die Entwicklung dieser Technologie bereitgestellt hat. Ohne das bayerische Geld wäre die Sache in dieser Form nicht zustande gekommen.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Sicher nicht in der Geschwindigkeit.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Die Finanzierung durch den Freistaat haben wir deswegen erhalten, weil es im Ministerium Beamte gab, die an unsere Idee geglaubt haben – wir konnten sie überzeugen. Am Anfang waren sie noch skeptisch, heute haben wir eine starke Unterstützung, auf die wir hoffentlich auch in Zukunft zählen können.
Ist das die Kraft der Bannerträger, die jede Idee benötigt?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Ja, auch eine gute Ausstattung mit Forschungsmitteln gehört dazu. Wir sind als Hochschullehrer und ebenso als Firma aufgefordert, Ideen, an die wir glauben, zur Diskussion zu stellen. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in diesem Feld überlegen wir dann, ob die Entwicklung einer bestimmten neuen Technologie Sinn ergibt.
Als plakatives Beispiel für diesen Prozess kann man sich den Übergang vom Pferd aufs Auto anschauen. Natürlich hieß es am Anfang, dass es wahnsinnig gefährlich sei, in einem offenen explosiven Irgendetwas zu sitzen und von A nach B schneller als mit 20 Stundenkilometern gelangen zu wollen. Doch Stück für Stück stellte man dann fest, dass es sinnvoll ist, sich diese neuen Anwendungen zu erschließen.
Das wird bei der Nutzung von chemisch gebundenem Wasserstoff in der Energielogistik und für die Mobilität auch nicht anders sein: Es wird einen Markt dafür geben. Wie weit diese Technologie unser gesamtes Energiesystem durchdringen wird, kann man heute schwer vorhersagen. Wir versuchen zumindest, das Potenzial der Innovation voll und ganz auszuschöpfen. Letztlich ist es das, was uns als Wissenschaftler antreibt. Ich finde diese Idee faszinierend und möchte in den nächsten 10, 20 Jahren wissen, wie weit sie einen Beitrag für eine CO2-freie Energiewirtschaft leisten kann.
Sie sprechen vom Produkt. Was genau ist Ihr Angebot an den Markt?
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Wir bieten eine Infrastrukturlösung – das heißt, man braucht immer diese beiden Arten der Systeme: eine zur Beladung des Trägeröls mit Wasserstoff, eher in großem Maßstab, und dann eine Vielzahl von Einheiten zur Freisetzung von Wasserstoff, beispielsweise an Tankstellen. Damit sind insbesondere solche Firmen unsere Kunden, die Infrastruktur betreiben, Gase oder Kraftstoffe transportieren, Tankstellen beliefern oder Industriebetriebe mit Wasserstoff versorgen. Das ist sozusagen unser erster Kundenkreis.
Wenn man unsere Technologie weiter in Richtung einer CO2-freien Energieversorgung entwickelt, erweitert sich das Spektrum erheblich. Die großen Fotovoltaik- und Windparks haben überschüssige Energie, die sie nicht in die Netze einspeisen können, aber die könnten sie gezielt vor Ort in beladene Trägerflüssigkeit wandeln. Diese könnte dann in die Mobilität, für den industriellen Verbrauch, vielleicht auch irgendwann im Wärmesektor genutzt werden. Wir glauben daran, dass Wasserstoff als Flüssigkeit, gespeichert in unserer Technologie, ein Energieträger der Zukunft sein wird und die universelle Rolle, die heute das Erdöl hat, zumindest zum Teil übernehmen könnte.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Ich möchte das einmal näher beleuchten: Es gibt heute eine Erzeugerstruktur für Elektrizität und Forderungen aus der Politik und Gesellschaft: Bis 2022 sollen alle Kernkraftwerke abgeschaltet sein. Ich glaube nicht, dass das so einfach gelingen wird. Der Zuwachs der Fotovoltaik ist durch die Gesetzgebung eingebrochen, die regenerativen Energieträger, wie Wind und Sonne, sind unstet. Ab einem bestimmten Anteil einer regenerativen-unsteten Energie im Netz brauchen wir Speicher, es muss Energie zwischengepuffert werden. Das hieß früher Grundlast und wurde durch Kernkraftwerke erledigt. Der Fotovoltaikanteil der regenerativen Energie ist Schwankungen unterworfen. Das erste politische Ziel heißt, Kernkraftwerke zu schließen, und jetzt kommt die Anforderung hinzu, die Kohle- und Braunkohlekraftwerke zu ersetzen. Es wird bis 2022 kaum klappen, die Energie der Kernkraft und dann aus dem Nichts auch noch die Kohle zu ersetzen. Das geht nicht auf, nicht in dem Zeitraum, der angedacht ist. In dieser Mangelsituation wird die Elektromobilität forciert. Ein Elektroauto, das heute mit 40 Prozent Kohlestrom fährt, ist meiner Meinung nach nicht regenerativ. Wir bräuchten auch noch regenerative Energie für das Elektroauto. Das ist ein Dilemma – die Politik sollte eine Prioritätenliste haben, die das in ein richtiges Verhältnis setzt.
Was ist jetzt die Rolle unserer LOHC-Technologie? Die Möglichkeit, elektrische Energie aus dem Ausland zu nutzen, ist begrenzt durch die Anzahl der Leitungen. Mit der LOHC-Technologie können wir dagegen – Herr Wasserscheid hat das schon angeschnitten – aus vielen Ländern der Welt regenerativen Strom nach Deutschland und Europa bringen, mit Tankern, per Bahn oder mittels Pipeline. Diese nationale Aufgabe könnte das LOHC-System erfüllen. Am Sankt-Lorenz-Strom gibt es Flusswasserkraftwerke. In Nordafrika wird Sonne genutzt, um Strom zu generieren. Die einzige Frage seit mittlerweile zehn Jahren ist, wie wir den Strom zu uns bringen. Mit Stromleitungen eher nicht, aber diese Länder haben Häfen. Man kann die Flüssigkeit in ein Schiff laden, in Deutschland das Schiff mit dem wasserstoffreichen Träger entladen und den wasserstoffarmen Träger einlagern, und dann fährt das Schiff wieder zurück.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Es ist die Idee einer globalen Wasserstofflogistik, die uns antreibt. Dies bietet die Chance, mit Sonnenenergie aus Marokko, Windenergie aus Patagonien oder Wasserkraft aus Island in Deutschland Auto zu fahren.
Wie sieht die Entwicklung der Firma Hydrogenious aus? Es sind derzeit acht Anlagen gebaut. Folgt jetzt der Schritt zur industriellen Fertigung?
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Die Stärke unserer Firma liegt insbesondere in der Technologie- und Produktentwicklung. Derzeit sind wir noch in der Phase, wo das sehr stark Hand in Hand geht, dass wir auch Anlagen möglichst selbst aufbauen und selbst betreiben. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Perspektivisch werden wir die Produkte, die Technologie, weiterentwickeln und optimieren, sind aber nicht unbedingt diejenigen, die große Stückzahlen bauen werden. Man könnte sich auch entscheiden, sehr umfangreiche Fertigungsstätten selber aufzubauen. Vermutlich werden wir mit Spezialisten in diesem Bereich in verschiedenen Regionen der Welt zusammenarbeiten. Im Anlagenbau, gerade in Deutschland, gibt es viele gute Firmen, unser Kern-Know-how ist definitiv die Technologieentwicklung.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Die Großserienfertigung ist nicht trivial, da sind wir vielleicht auch die falschen Ansprechpartner. Das Ganze muss durch die Großanfertigung auch erheblich günstiger werden. Der Preis ist eine bestimmende Größe für die Verbreitung einer Technologie.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Ein erheblicher Teil der Wertschöpfung wird hier generiert; unser Ziel ist es, Exportgüter mit einer großen Zukunft in Deutschland zu entwickeln und weltweit zu vertreiben. Wir können künftig eine effiziente Technologie für den Umgang mit regenerativem Wasserstoff anbieten. Dafür gibt es weltweite Märkte. Flächenländer erfordern zum Beispiel große Transportentfernungen, die dem LOHC-Konzept einen noch klareren Vorteil gegenüber den konventionellen Wasserstofftransporttechnologien geben. Es gibt außerdem ein großes Potenzial für künftige Entwicklungen, die LOHC-Technologie auch an Bord von Fahrzeugen zum Einsatz zu bringen. Das wird noch viel Entwicklungsarbeit brauchen, aber die Wertschöpfung wird dadurch noch einmal deutlich größer.
Wie viele Mitarbeiter waren am Anfang dabei, und wie viele sind es jetzt? Sie sagten, dass Ihr Teams unentwegt wächst.
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Das Gründerteam bestand aus vier Leuten, davon war einer, nämlich ich selbst, operativ tätig. Nach der Finanzierungsrunde 2014 hat sich das Team kontinuierlich von fünf auf zehn, dann auf 20, auf 30 und mittlerweile auf 65 Leute entwickelt. Das Spannende daran ist, zu sehen, wie sich die organisatorischen Herausforderungen, aber auch die Firmenkultur, die Mentalität immer wieder grundlegend ändern. Ein Fünf-Personen-Start-up ist nicht vergleichbar mit einer 30-Personen-Firma und die wiederum nicht mit einer 65-Personen-Firma. Man muss beständig die Organisation anpassen und Informationswege definieren; alles, was am Anfang so selbstverständlich ist, muss gezielt entwickelt und bespielt werden. Das ist eine spannende Erfahrung, und es wird auch so weitergehen, wenn man mal 100 oder 200 Mitarbeiter hat. Wir haben sehr hautnah mitbekommen, was das an Herausforderungen mit sich bringt.
Haben Sie irgendwann mal in der Zeit der Entwicklung daran gezweifelt, dass das alles klappt? Technologisch waren Sie sich ja vermutlich irgendwann sehr sicher, oder?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Ein Grundzweifel an allem ist für einen Wissenschaftler sehr wichtig. Er ist die Quelle der Neugierde, die uns antreibt, um die Dinge von Grund auf zu verstehen. Als Unternehmer sind wir uns bereits jetzt sehr sicher, dass die LOHC-Technologie Märkte findet und in bestimmten Bereichen anderen Technologien überlegen ist. Spannend ist die Frage, wo es in fünf, in zehn Jahren hingeht, ob zum Beispiel Privatleute ein LOHC-Auto fahren werden. Daran kann man zweifeln, man kann aber auch davon überzeugt sein. In jedem Fall konnten wir bereits zeigen, dass man die LOHC-Technologie in attraktive Produkte packen und zu einem Preis anbieten kann, der für Anwender interessant ist.
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Man muss eine gewisse Flexibilität bewahren, die Richtung zu ändern oder zu erweitern. Kein Zweifel, als Unternehmer glaube ich an die Technologie und daran, dass sie eine wichtige Rolle spielen wird. Die Richtung kann sich immer wieder ändern, weil sich die Welt, die Schwerpunkte ändern, auch unsere Erkenntnisse und der Wissensstand. Eine Firma zu gründen exakt nach dem Muster, das der erste Business-Plan vorsieht, wird nicht funktionieren. Aber an der Technologie und der Vision haben wir nie gezweifelt.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Und es gibt externe Faktoren, die entscheidend sind. Zum Beispiel der Ölpreis. Oder die Frage, wie viel Überschussstrom – das Wort ist ja extrem missverständlich – es in Deutschland im Jahr 2025 geben wird. Solche Faktoren entscheiden mit, in welche Richtung sich die LOHC-Technologie entwickeln wird. Ist es dann stärker die globale Logistik, die Anwendung auf mobilen Plattformen oder, bei einem sehr hohen Ölpreis, einfach die stationäre Speicherung von Solarstrom? Inwieweit sich welche Anwendungsoption wirtschaftlich rechnet, hängt auch von Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen können.
Nochmals zu den Weiterentwicklungen: Ressourcenschonende Mobilität bekommt mittlerweile in der Gesellschaft einen immer höheren Stellenwert. Was kann hier von Ihrer Seite mit Wasserstofftechnologie beigetragen werden?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Die LOHC-Technologie kann in zweifacher Weise zu einer nachhaltigen Mobilität beitragen: Der eine Punkt ist, Wasserstoff an eine Wasserstofftankstelle zu bringen, die gasförmigen Wasserstoff verkauft. Wenn man Wasserstoff günstig über größere Entfernungen transportieren und einfach lagern kann, ergeben sich entscheidende Kostenvorteile, und die Installation einer flächendeckenden Infrastruktur für Wasserstoff wird sehr viel einfacher.
Der zweite Punkt – und da reden wir jetzt über die Zukunft auf einer Zeitachse von fünf Jahren plus – ist die Nutzung von LOHC-gebundenem Wasserstoff an Bord von Fahrzeugen. Das ist vor allem an unserem Helmholtz-Institut ein sehr intensiv bearbeitetes Thema. Technisch fällt die Umsetzung einer solchen Technologie umso leichter, je größer das Fahrzeug ist oder, besser gesagt, je geringer die Leistung des Fahrzeugs im Verhältnis zu seiner Größe ist. Ein Schiff hat viel Platz und braucht nicht so viel Leistung, bei einem Motorrad ist die Leitung groß und der Platz gering. Wir haben für kleine Fahrzeugen mit der Batterietechnologie eine sehr sinnvolle Technologie, für die größeren Fahrzeuge könnte das LOHC-System als „Range-Extender“ wirken. Uns schwebt vor, Batteriefahrzeuge mithilfe der LOHC-Technologie während der Fahrt aufzuladen und dadurch die Reichweiten drastisch zu erhöhen und die Ladezeiten auf wenige Minuten zu reduzieren. Mit einer solchen Technologie kann man dann auch in einer realistischen Betrachtung Züge auf nicht-elektrifizierten Bahnstrecken, Lkws, Baumaschinen und auch große Pkws für die Langstrecke mittelfristig emissionsfrei machen.
Eine generelle Anmerkung zur Ressourceneffizienz und Mobilitätstechnologie: Ein Fahrzeug, das Stunden steht, um geladen zu werden, widerspricht eigentlich dem Gedanken der optimalen Ressourceneffizienz. In Zukunft könnte man sich vorstellen, dass autonome Fahrzeuge auf unseren Straßen 24 Stunden bewegt werden, weil zum Beispiel 20 Leute sich ein Auto teilen. Je weniger ein Auto steht – was für die Ressourceneffizienz super ist –, desto wichtiger ist es, dass es während der Fahrt aufgeladen wird. Dazu brauchen wir Technologien, die eine schnelle Energiebeladung erlauben.
Der Einsatz der LOHC-Technologie an Bord von Fahrzeugen wird in einem Forschungsprojekt des Freistaates Bayern geprüft. Beispielhaft soll ein Nahverkehrszug mit LOHC-gebundenem Wasserstoff betrieben werden. Der Bahnbereich auf nicht-elektrifizierten Strecken ist ein äußerst spannendes Anwendungsgebiet für neue Mobilitätstechnologien. Er ist getaktet, und man weiß immer genau, an welcher Stelle wie viel gebundene Energie bereitgestellt werden muss. Außerdem sollte der öffentliche Nahverkehr immer ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein. Wenn wir einen Zug mit LOHC-Technologie betreiben können, ist auch eine Weiterentwicklung für Schiffe, Lkws, Bau- oder Forstmaschinen möglich. Der Zug ist also eine tolle Entwicklungsplattform.
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Zum ersten Thema Mobilität und Wasserstofftankstellen ist zu ergänzen, dass Deutschland neben Japan und Kalifornien eine der führenden Nationen ist, die weltweit Wasserstofftankstellen aufbauen. Bis Ende 2018 sollen 100 Tankstellen in Betrieb sein, es ist ein wirklich relevantes Thema. Es gibt bereits eine Tankstelle hier im Umfeld, wir bauen eine Anlage in Finnland auf, eine in China. Wir können international unsere Technologie zur Anlieferung und Bereitstellung von Wasserstoff zeigen. Die Mobilität ist natürlich ein hochrelevantes Feld, das sich weltweit sehr dynamisch entwickelt und in dem wir mit der Firma kommerziell sehr aktiv sind.
Apropos Entwicklungen im Ausland: Sie haben sich zwei große ausländische Firmen als Investoren in Ihre Firma geholt. Sind Sie denn noch Herr Ihrer Entscheidungen?
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Das sind wir. Die Mehrheit der Anteile liegt nach wie vor bei den Gründern; außerdem sind wir mit unseren Investoren sehr zufrieden. Es sind keine reinen Finanzinvestoren, sondern sie investieren sehr strategisch in unsere Technologie. Sie teilen unsere Vision und glauben, dass Wasserstoff in Zukunft ein wichtiger Energieträger sein wird. Wir wollen das Gleiche und haben neben dem Kapital als Unterstützung ein sehr wichtiges Netzwerk bekommen. Besonders der Konzern Anglo American ist weltweit ein starker Treiber für Wasserstoff. Und bei den chinesischen Investoren spielt eine Rolle, dass China die höchste Dynamik in Richtung emissionsfreier Antriebe zeigt.
Wir sehen uns definitiv als deutsches Unternehmen, beschäftigen derzeit alle Mitarbeiter hier, und die wichtigen Partner sind deutsche oder europäische Firmen. Das ist zum Beispiel bei der Katalysatorentwicklung so, und die Flüssigkeiten, die wir benutzen, werden in Deutschland hergestellt. Trotzdem zeigt sich über die Investoren, die Kunden, die Regionen, in denen unsere Projekte stattfinden, auch die internationale Bedeutung des Themas. Insbesondere Länder wie China oder die USA, wo Ressourcenschonung nicht EEG-getrieben ist, haben einen massiven Bedarf und eine völlig andere Dynamik. Es ist eine gesunde Balance, dass wir hier heimisch sind und die zentrale Wertschöpfung hier schaffen, aber gleichzeitig von Anfang an international in starken Märkten wie den USA und Asien unterwegs waren.
Sie haben mit Ihrer Innovation den erfolgreichen Schritt aus der Wissenschaft in die Wirtschaft getan. Gab es Hürden? Und was müssen Politik und Gesellschaft in Deutschland tun, um solche Ausgründungen zu unterstützen?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Wolfgang Arlt und ich selbst haben Akzeptanzhürden innerhalb des Systems für diesen Schritt erfahren, der ja eigentlich von allen als gesellschaftlich notwendig anerkannt ist. Ein Beispiel ist die Produkthaftung. An der Universität kann man forschen und entwickeln, aber in dem Moment, in dem man ein Produkt verkaufen möchte, will der Kunde völlig zu Recht dafür eine Produkthaftung haben. An diesem Punkt muss man dann eine Firma gründen, weil der Staat aus nachvollziehbaren Gründen keine Produkthaftung für die Idee eines Professors übernehmen kann.
Dann taucht die Frage auf, wie sehr ein Professor, der diese Technologie maßgeblich mit kreiert hat, operativ tätig werden darf. Da gibt es sicher einen Interessenkonflikt: Professor als Gründer und Anteilseigner versus Professor als Beamter, und wie verhalten sich diese beiden Pflichten zueinander? Ist eine Universität bereit, bestimmte Erfindungsrechte exklusiv an das eigene Start-up zu übertragen? Wir haben zum Beispiel unsere eigenen Patente als Hochschullehrer für eine erhebliche Summe wieder zurückgekauft. Es war irgendwie witzig, an beiden Seiten des Verhandlungstisches zu sitzen, einmal als Gesellschafter und einmal als Erfinder, der einen Anteil der Erlöse bekommt. Das System hat keine klaren Wege definiert, wie es funktionieren soll, wenn ein Hochschullehrer eine Firma gründet – obwohl alle Ausgründungen für richtig und sehr wichtig halten.
Bei Hydrogenious gibt es den Geschäftsführer, der damit seine Zukunft verbindet. Er ist der größte Anteileigner, der Hochschullehrer ist Gründungsmitglied und nicht operativ tätig. So haben wir versucht, es richtig zu machen.
Eine Firma kann nur dann schnell wachsen, wenn sie einen Wert hat. Wir haben zum Glück nach langer Diskussion mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der FAU, einen Weg gefunden, vorhandenes, auch patentiertes Wissen für Hydrogenious exklusiv nutzbar zu machen.
Das ist für viele Spin-offs aus Universitäten eine entscheidende Phase. Hier müsste man – meiner Meinung nach – noch besser definieren, nach welchen Spielregeln sich Universitäten zum Beispiel an ihren eigenen Start-ups beteiligen können und dann auch Rechte exklusiv einbringen dürfen. Hier darf man es nicht dem Zufall überlassen, ob ein bestimmter Leiter einer Verwaltungsabteilung der Universität gerade etwas von Firmengründungen versteht oder nicht. An der FAU hat der Prozess – trotz einiger Irrungen und Wirrungen – zuletzt sehr gut funktioniert. Nicht umsonst gilt die FAU als eine der innovativsten Universitäten Deutschlands!
Wissenschaftler und Unternehmer – Sie saßen an der einen und an der anderen Seite des Tisches. An welcher Seite schlägt denn Ihr Herz jetzt?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Für mich – und ich glaube, für Wolfgang Arlt auch – ist das einfach: Wollten wir Unternehmer sein, wären wir Unternehmer. Die Entscheidung, an der Uni zu arbeiten – trotz einiger Dinge, die auch an jeder anderen Universität optimierbar wären –, gründet auf der Liebe zur akademischen Freiheit und auf der Freude am Arbeiten mit jungen Menschen, die kommen und gehen und etwas Positives mitnehmen. Wenn uns das nicht so wichtig wäre, hätten wir an vielen Stellen unserer Karriere mehr verdienen, ein größeres Budget verwalten oder noch wichtigere Funktionen bekleiden können. Das ändert sich auch nicht durch eine Firmengründung. Trotzdem ist unsere Firmengründung Hydrogenious glücklicherweise sehr erfolgreich, was uns täglich freut. Außerdem hat Hydrogenious mit Daniel Teichmann einen Geschäftsführer, wie man sich keinen Besseren wünschen kann.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Ich war zwölf Jahre lang bei der Bayer AG in Leverkusen mit besten Karriereaussichten tätig und habe mich bewusst für die Academia entschieden. Ich kann jetzt nicht beide Leben durchspielen, aber ich kann sagen, dass ich mit diesem zufrieden bin. Und zurückkehren in die Großindustrie? Da würde ich glatt Nein sagen, das ist bei mir aber auch schon eine Altersfrage. Zudem würde eine Tätigkeit in der Industrie auch das dämpfen, was wir Enthusiasmus nennen. Ich habe unsere Idee einem Politiker vorgetragen, der mir dann sagte: „Ja, ich glaube an Ihre Idee!“ Auf meine Frage, ob er das technische Konzept verstanden habe, kam die Antwort, er habe es nicht verstanden, er sei Jurist. Er habe aber bemerkt, mit welchem Herzblut und welchem inneren Enthusiasmus wir an die Sache rangehen.
Was ich mir von der Politik wünschen würde? Dass sie uns Leitplanken gibt, dass sie sagt, was wir als Erstes und als Zweites tun sollten. Das kann sich durchaus ändern, denn nichts ist absolut konstant, aber es täte manchmal gut, wenn man auch in die Politik einen wissenschaftlichen Verstand einbringen würde. Der Atomausstieg 2022 beispielsweise ist kein Produkt einer wissenschaftlichen Beratung, sondern die Deutsche Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“, in der extrem wenige Akademiker aus dem Bereich Naturwissenschaft und Technik saßen, hat das empfohlen. Das will ich damit nicht kritisieren. Mein Wunsch wäre nur, dass sich die Politik stärker durch die Naturwissenschaft, durch Ingenieure beraten lässt. Politik ist zwar das Verkaufen von Visionen, aber die Bevölkerung bemerkt doch, dass das nicht vernünftig läuft und man die Klimaziele schon jetzt revidiert hat.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Das Unternehmertum in unserem Team vertritt Daniel Teichmann. Er war im zweiten Semester als Wirtschaftsingenieur in Erlangen und hat mich damals angesprochen, ob ich für ihn ein Gutachten verfassen kann. Schon damals hatte er eine Firma gegründet und wieder verkauft. Ich finde es großartig, wenn jemand mit 20 Jahren aus sich heraus motiviert ist und unternehmerisch tätig wird – das gefällt mir richtig gut! Und tatsächlich habe ich damals ein enthusiastisches Gutachten geschrieben. Ich habe nach der Papierform und dem exzellenten Gesprächseindruck geurteilt.
Später war Daniel bei BMW und suchte Kollegen, die das Thema „Wasserstoff“ mit verfolgen, und so wurde der Kontakt wiederhergestellt. Ich wusste sofort, dass ich mit jemandem spreche, der dieses unternehmerische Gen hat. Als es die Chance gab, die Technologie als eigene Gründung außerhalb von BMW zu verfolgen, war sofort Vertrauen in seinen unternehmerischen Spirit da.
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Ich hatte die akademische Laufbahn hinter mir und eine Entscheidung in Richtung Unternehmen getroffen. Es war bei mir das Thema Großkonzern versus junge Firma. Die Zeit bei BMW möchte ich nicht missen, aber ich habe erkannt, dass der Großkonzern mich auf Dauer nicht glücklich macht. Man ist im Entscheidungsspielraum und Verantwortungsumfang eingeschränkt, und deshalb war für mich klar, dass ich eher nicht den klassischen Karriereweg bei einem Großkonzern machen würde. Stattdessen wollte ich in einer Rückbesinnung auf meine studentischen Unternehmertätigkeiten eine eigene Firma aufbauen, mich ein bisschen ins kalte Wasser werfen lassen – das schien der richtige Weg zu sein. Für mich war klar, dass ich etwas Unternehmerisches machen wollte. Von Peter Wasserscheid und Wolfgang Arlt kam dann auch die klare Entscheidung, das zu unterstützen, und so haben sich die Puzzleteile zusammengefügt, ohne dass wir als Gründerteam hart darum ringen oder jemanden hätten überzeugen müssen.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Wir haben die Firma 2013 gemeinsam mit unserem Kollegen Prof. Eberhard Schlücker gegründet, und es hat bis zum Sommer 2014 gedauert, bis die Absprachen mit der Universität über die eigenen Patente so weit gediehen waren, dass man einem Investor das Projekt vortragen konnte. Für diesen Prozess sollte es eine Blaupause geben. Es sitzen sich heute auf beiden Seiten oft Leute gegenüber, für die dieser Fall neu ist. Wenn wir diese eineinhalb Jahre als Firma hätten effizient nutzen können, wären wir jetzt Jahre weiter.
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Um die Frage nach Hindernissen nochmals aus Sicht der Firma aufzugreifen: Hindernisse gibt es beim Thema Finanzierung, die bei einer kapitalintensiven Hardwareentwicklung wie der unseren leider sehr schwierig ist. Andere Unternehmen auf ähnlichem Gebiet werden in den USA oder in China mit Geld überschüttet, obwohl sie viel höhere Risiken haben, denn dort gibt es die Bereitschaft, so etwas intensiv zu fördern. Deutschland hat zwar große Firmen, auch Mittelständler, die sehr gut miteinander kooperieren, aber anders als beispielsweise im Silicon Valley gibt es hierzulande eine gewisse Skepsis vor jungen, kleinen Firmen. Das hängt mit Dingen wie Kapitalausstattung und Garantien für eine Bank zusammen. In Deutschland ist es eine Mentalitätsfrage: Kapitalgeber loben die Stärke vieler großer Unternehmen mit hohem Potenzial, tun sich aber schwer damit, mit kleinen Firmen zusammenzuarbeiten, die sich quasi noch im Embryonalzustand befinden.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Das gilt auch für die Förderung, denn einige staatliche Förderinstitutionen unterstützen keine Firma, die keinen Gewinn ausweist. Welches Start-up mit einem Venture-Capital-Case, der Wachstum, Marktanteil und Technologieposition im Sinn hat, kann dann gefördert werden? Wenn man an seine Idee glaubt, wird man jeglichen Gewinn sofort reinvestieren. Wenn eine kleine Firma anfängt, Gewinn zu erzeugen und wie ein Bäckerladen zu agieren, dann verspielt sie Potenzial. Wenn die Technologie und das Management etwas taugt, muss die Firma im Rahmen dessen, was sinnvoll handhabbar ist, wachsen.
Nochmals zum Stichwort Enthusiasmus oder Bannerträger: Wer war für Sie der Impulsgeber, dass Sie in die Richtung gegangen sind, die heute Ihr Thema ist?
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Wenn man zurückschaut, gibt es viele Anknüpfungspunkte in der wissenschaftlichen Tätigkeit, die sich über viele Jahre entwickelt haben. Wissenschaft lebt von der Erfahrung des Wissenschaftlers, der dann unter bestimmten Umständen – das kann ein Vortrag des Kollegen, ein politischer Impuls oder auch ein Vorkommnis im Labor sein – sagt: „Das hätte ich ja nie gedacht, dass das geht!“ Und dann wird das Gefundene, das Entdeckte weiterentwickelt. Fairerweise muss man sagen, dass Herr Teichmann die LOHC-Idee zu uns gebracht hat. Ich hatte davon gehört, aber nicht bewusst das Potenzial durchdacht. Er rief mich an und wollte mit Kollegen von BMW vorbeikommen: Es gebe eine neue Idee, wie man Wasserstoff speichern könne. Sie wollten diskutieren, ob wir bestimmte Teile in der Entwicklung übernehmen könnten. Ich bin ohne jede Erwartung in diesen Termin gegangen, und im Gespräch wurde mir klar – und das gilt auch für Wolfgang Arlt –, dass dieses Thema für uns wissenschaftliche Fragestellungen beinhaltet, die interessant sind, nämlich die Hydrier- und Dehydrier-Katalyse. Damit hatte ich mich schon zehn Jahre zuvor beschäftigt und fand es spannend. Wäre das Thema hier nicht auf intrinsisches wissenschaftliches Interesse gestoßen, hätten wir es wahrscheinlich nicht aufgegriffen.
Insbesondere habe ich damals nicht gedacht, dass die Hydrier- und Dehydrierkatalyse zehnmal hintereinander funktionieren, ohne dass die erwähnte „Pfandflasche“ dabei kaputtgeht. Fakt ist aber, dass die Zersetzungsraten sehr, sehr klein sein können, und man kann sie mit einem passenden Katalysator weiter absenken.
Das war der Moment, an dem wir angefangen haben, über das eigentliche Projekt mit BMW hinauszudenken und das gesamte technologische Potenzial des Ansatzes zu entwickeln. Dann kam Fukushima: In der Folge konnten wir Fördermittel des Freistaats Bayern im Bayrischen Wasserstoffzentrum für unsere Technologieentwicklungen gewinnen, und dadurch hat sich das Projekt mit großer Dynamik weiterentwickeln können.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Die Anwendung der LOHC-Technologie auf erneuerbare Energien stammt von uns. Ich hatte mich ja damals mit der Gründung des Energiecampus Nürnberg beschäftigt, dessen Thema auch Technologieentwicklungen rund um die erneuerbaren Energien waren. Wir haben das LOHC-Prinzip nicht erfunden, das gab es bereits, aber wir haben die Anwendung der LOHC-Technologie für ein Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien definiert und die dafür notwendigen Technologiebausteine entwickelt. Das war das Thema unserer ersten Patente auf dem Gebiet, und diese Patente haben wir dann aufgrund unseres Arbeitsverhältnisses der FAU anboten.
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Es war die Konzeption und Bewertung eines nachhaltigen Energiesystems auf Basis flüssiger Wasserstoffträger.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Das, und auch die Trägerstoffe zu finden, deren Randbedingungen zu erkunden, war unsere Leistung. BMW wollte damals wahrscheinlich einfach nur wissen, ob man Wasserstoff in chemisch gebundener Form von A nach B bringen kann.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Nicht einmal das! BMW wollte damals einen Wasserstoffmotor antreiben, und sie haben uns die Forschungen freigegeben, als klar war, dass BMW doch keinen Wasserstoffmotor bauen wollte. Daniel Teichmann durfte, als er von dort wegging, Nutzungsrechte an Patenten von BMW mitnehmen – die von BMW zu kriegen war interessanterweise viel einfacher als von der Uni.
Bevor wir noch über andere Dinge in Ihrem Leben sprechen, fassen Sie doch bitte noch einmal kurz zusammen, was das Innovative an Ihrem Projekt ist, das mit der Nominierung zum Deutschen Zukunftspreis, dem Kreis der Besten, bereits gewürdigt wurde.
Unsere Innovation erlaubt es, nachhaltig erzeugten Wasserstoff in chemisch gebundener Form kostengünstiger zu beschaffen, sicherer zu speichern und effizienter zu transportieren. Bei der maßgeblich von uns geprägten LOHC-Technologie nutzen wir ein bekanntes Wärmeträgeröl als neuartiges, flüssiges Speichermedium für Wasserstoff. Der entwickelte flüssige Wasserstoffträger wird in einer katalytischen Reaktion mit Wasserstoff beladen. Der Wasserstoff kann bei Bedarf wieder freigesetzt und energetisch genutzt werden. Das ganze System erlaubt eine CO2-freie Energieversorgung im Gewand heutiger Kraftstoffe. Der Trägerstoff dient dabei als eine Art „flüssige Pfandflasche“ für Wasserstoff, er wird immer wieder aufs Neue beladen und entladen. Anwendungen unserer Technologie für stationäre Anlagen sind bereits kommerzielle Produkte. Die Technologie wird gerade auf Mobilitätsanwendungen erweitert. Unser Ziel ist es, fossile Kraftstoffe möglichst weitgehend durch chemisch gebundenen Wasserstoff als Energieträger abzulösen.
Stichwort Life-Work-Balance: Was gibt es noch in Ihrem Leben außer Firmengründung und Wasserstoff?
Dr.-Ing. Daniel Teichmann
Zuvor haben wir über eine Wochenarbeitszeit von 70 Stunden plus gesprochen. Aber es gibt selbstverständlich etwas außerhalb der Arbeit: Familie, Freunde, Freundin! Aber ich bin immer schon recht umtriebig gewesen, ohne einen gesunden Ausgleich, diese Balance zwischen Privat- und Berufsleben, wird es bei mir nicht funktionieren. Es gibt einige Hobbys, viel Sport, Basketball, Segeln, Letzteres habe ich mit Wolfgang Arlt gemeinsam. Und es gibt auch eine etwas intellektuellere Beschäftigung, an der ich großes Interesse habe: Astronomie und Astrofotografie. Eigentlich sind meine Interessen breit gefächert, derzeit leidet die Intensität ein wenig unter der Auslastung im Unternehmen, aber als Ausgleich ist mir das Zusammensein mit Freunden und Familie sehr wichtig.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Ich bin in der Großfamilie sozialisiert und habe drei Töchter. Neben meinem Job und meiner Familie kommt Schlafen als Nächstes. Dann schaue ich gerne Fußballspiele an. Fußballfan zu sein ist so herrlich unlogisch und irrational, besonders, wenn man Fan von Borussia Dortmund ist. Dabei erhole ich mich, es ist aber, in Stunden pro Jahr ausgedrückt, eher eine Randerscheinung. Ich bin mit meinem Leben zwischen Familie und meinem sehr vielfältigen Job mit den unternehmerischen Aspekten bis hin zur Förderung junger Menschen gut ausgelastet. Es macht Freude zu sehen, wenn jemand nach drei Jahren persönlicher Betreuung auf diesem Weg und in der Forschung das Haus verlässt, als reiferer, anders denkender und mit anderen Erfahrungen ausgestatteter Mensch. Das zu begleiten macht viel Spaß. Es ist nicht immer erfolgreich, bei manchen habe ich mehr Potenzial gesehen. Aber wenn man das, was man im Bewerbungsgespräch gesehen hat, herauskitzeln konnte und der Betreffende dann erfolgreich ist und gut ankommt, macht es einen stolz. Es ist so ähnlich wie bei den Kindern, nur wie eine Art Durchlauferhitzer: Man startet auf einem gewissen Niveau, das man selber nicht beeinflusst hat. Dadurch, dass dieser Beruf so viele Komponenten bedient, ist es kein großer Verlust, wenn es außerhalb davon eigentlich „nur“ noch die Familie und enge Freundschaften gibt.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Viele „Doktor-Kinder“ halten Kontakt, aber es ist oft so wie bei den eigenen Kindern: Sie melden sich, wenn sie ein Problem haben, und sonst zu Weihnachten und zum Geburtstag. Damit muss man mit zunehmendem Alter einfach leben.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Familie heißt für mich natürlich Familie und Freunde. Wenn man sechs Geschwister hat, ist immer viel los, und es gibt auch einen großen Freundeskreis, der zählt für mich im weitesten Sinn zur Familie. Das sind die Menschen, die man lange kennt, die einem vertraut sind und die man gerne trifft. Das können Nachbarn oder Wegbegleiter sein. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich, wenn ich nach Hause komme, nicht den Drang, ständig ins Theater oder in die Oper zu gehen. Es gibt auch viele Tage, an denen ich sage: „So, das Tagwerk ist vollbracht. Es reicht!“
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Mein Ausgleich ist das Segeln. Ich hatte mir mal vorgenommen, nach Amerika und zurück zu segeln. Dazu ist es dann nicht gekommen. Es blieb bei der Strecke Palma de Mallorca nach Lissabon und zurück, was zwar auch schon schön weit, aber keinesfalls die USA-Route ist. Am Segeln mag ich vieles, insbesondere die Tatsache, dass man sich nicht verstecken kann. Wenn auf hoher See ein Gewitter kommt, kann man nicht in den Keller gehen, sondern muss sich des Problems offensiv annehmen, das Boot, die Mannschaft vorbereiten. Außerdem ist ein Boot ein Spielzeugladen, da gibt es Elektrik, Elektronik, einen Motor, die Segel, da geht vieles kaputt, und ich – als Bastler und Tüftler – versuche das zu richten. Da sind schon die tollsten Sachen vorgekommen. Ich besitze kein eigenes Boot – aus vielerlei Gründen –, sondern leihe mir eines aus, und so ein Leihboot hat Tücken, die lernt man erst nach einer Woche kennen. Auf hoher See fällt ein Fenster raus, weil einer vergessen hat, die Schrauben reinzudrehen. Oder es fehlt ein Lager wie kürzlich in Griechenland. Aber nichtsdestotrotz ließen die mich lossegeln. Das ist, wie wenn man mit dem Auto losfährt und plötzlich den Ganghebel in der Hand hat. Man lernt außerdem viel über das Wetter und muss mit der Stille zurechtzukommen und auch mit der Anwesenheit von anderen: Drei bis acht Personen auf zehn Metern Länge, das ist nicht trivial. Wenn man sich vorher nicht kannte, ist man am Schluss entweder ein dicker Freund der anderen, oder man hat Feinde! Es gibt viele Facetten, die mich am Segeln faszinieren. Ich selber fahre am liebsten in der Nacht unter dem Sternenhimmel des Mittelmeeres, man sieht die Milchstraße und dann vielleicht Ende August auch die Kometen. Das macht mich süchtig, weil es eine so fantastische Erfahrung ist. Ich lasse mich nicht ablösen, sondern steuere die ganze Nacht durch, es ist wirklich wie ein Rausch.
Ja, und es gibt natürlich auch noch die Familie, die gepflegt werden will. Wenn wir von einer Arbeitszeit von 60 Stunden plus reden, verschwimmen für mich oft Arbeit und Freizeit. Das ist nicht wie beim Busfahrer, der ins Depot fährt.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Das ist eine andere Attitüde, man hat eine Doktorarbeit liegen, die einen interessiert, und dann greift man danach und liest sie.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Ja, man setzt sich auf die Terrasse und liest sie. Ein Bauer unterscheidet ja auch nicht zwischen Arbeit und Freizeit, er muss abends und morgens seine Kühe melken.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Aber dieses Verschwimmen von Arbeit und Freizeit kann ein Doktorand, der sich für oder gegen eine solche Karriere entscheidet, noch nicht sehen. Das klingt jetzt seltsam, aber man kann sich auch beim Lesen einer gut geschriebenen Doktorarbeit wirklich erholen.
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Es gibt auch schlimme Erfahrungen: Wir haben Dissertationen vorgesetzt bekommen, da fragt man sich, ob man wirklich an einer Universität arbeitet. Zum Glück gibt es aber auch extrem gute Arbeiten, zum Beispiel die Arbeit von Herrn Teichmann.
Prof. Dr. rer. nat. Peter Wasserscheid
Daniel Teichmann ist der einzige wirklich operative Gesellschafter. Diese Konstellation setzt ein starkes Vertrauen in die handelnde Person voraus. Wir sprechen uns regelmäßig, treffen uns als Altgesellschafter häufiger als im großen Gesellschafterkreis und haben als Professoren eine beratende, keine operative Funktion. Als Gesellschafter müssen wir bestimmte Dinge abnicken, alles andere wird durch Daniel Teichmann entschieden. Und toi, toi, toi – seit 2013 gibt es nichts, bei dem wir nur annähernd das Gefühl hatten, dass es in die falsche Richtung geht. Das ist seiner Person zu verdanken. Daniel Teichmann ist smart, durchsetzungsstark, visionär, technisch begabt, aber auch in BWL mit allen Wassern gewaschen.
Wie viele Start-ups aus der Universität entstehen, ist nicht eine Frage der Ideen und der Konzepte, es ist einzig und allein die Frage, ob und wie viele technisch versierte Unternehmerpersönlichkeiten wir unter unseren Studierenden identifizieren und auszubilden können.
In der Startphase eines Technologieunternehmens, in der man der Universität die Patente abringen muss, ganz wenig vorzuzeigen hat und trotzdem eine Bewertung braucht, um eine auskömmliche Finanzierung zu bekommen, muss der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin als Person überzeugen. In dieser kritischen Phase wird auch wesentlich in Personen investiert: Der oder die Betreffende darf keinen Unsinn erzählen, wenn es um eine technische Diskussion geht, und muss dem BWLer des Investors einen perfekten Business-Plan hinlegen. Diese Kombination ist sehr schwierig zu finden, es gibt keinen Ausbildungsgang, der das hervorbringt, solche Talente muss man identifizieren.
Ich sehe es als problematisch an, wenn sich Gründerteams zusammenfinden, der eine ist ein BWLer, der andere ist ein Technologe, und der dritte kommt vom Marketing. Gerade in der Anfangsphase stehen Entscheidungen an, die kontrovers sein können, aber jede Entscheidung ist besser als keine. Wenn das in einer Hand liegt, so wie bei uns, trifft diese Person eine Entscheidung, und die Firma geht entweder nach rechts oder nach links. Deswegen ist diese Konstellation für uns ein großer Glücksfall!
Prof. i. R. Dr.-Ing. Wolfgang Arlt
Wir sind jetzt in der Endphase eines Start-ups und stehen am Beginn eines professionellen Unternehmens – wir sind also im Übergangszustand, und es gibt immer noch diese Harmonie. Genau das ist unsere Stärke und zeichnet diese Firma aus.