Thomas Speidel
Konzentrieren wir uns auf die reinen E-Fahrzeuge. Wir haben heute eine Ladeinfrastruktur, die sich in Varianten teilt. Es gibt das langsame Laden, man spricht vom „Level 2-Laden“, das geht in etwa bis zu einer Leistung von 20 kW. Und es gibt schnelles oder ultraschnelles Laden mit Ladeleistungen von über 300 kW. Um den Unterschied zwischen Energie und Leistung zu verstehen, ist ein Ausflug in die Physik hilfreich: In kW (Kilowatt) misst man die elektrische Leistung. Addiert man die Leistung über die Zeit, erhält man die Energie, bemessen in kWh (Kilowattstunden). Eine einfache Analogie mit Wasser und einer Badewanne zeigt das Prinzip: Füllt man eine Badewanne mit einem Aquariumsschlauch (entspricht der kleinen Leistung), dauert es sehr lange, diese zu füllen. Nimmt man dagegen einen dicken Feuerwehrschlauch (große Leistung), dauert das Einfüllen der gleichen Wassermenge nur einen Bruchteil der Zeit.
Wenn wir rein batteriebetriebene E-Fahrzeuge betrachten, wird die Ladeproblematik deutlich, denn sie haben im Vergleich zu hybriden Fahrzeugen eine deutlich größere Batteriekapazität und da passt mehr hinein. Die Nutzer wollen die Batterie möglichst schnell füllen und haben gerade unterwegs keine Lust, Stunden zu warten. Um eine Größenordnung zu geben: Mit einem Hausladegerät braucht man zwischen fünf und gegebenenfalls auch 15 Stunden, um eine durchschnittlich große Fahrzeugbatterie aufzuladen. Das mag über Nacht gehen oder den Tag über am Büro, nicht jedoch auf Reisen oder wenn aktueller Mobilitätsbedarf besteht. Und hier ist genau der Punkt. Elektromobilität wird dann akzeptiert, wenn man überall und immer dann, wenn es notwendig ist, schnell laden kann. Elektrizität ist überall vorhanden, also geht das theoretisch, aber es bleibt die Frage „ist der Schlauch immer dick genug“ bzw. steht überall genug elektrische Leistung zur Verfügung, um ein E-Auto schnell aufzuladen?
Die Antwort ist: nein. Selbst in Ländern mit sehr stabilen Stromnetzen sind diese nicht flächendeckend so ausgelegt, dass überall Ladeleistungen in der für das Superladen erforderlichen Größenordnung vorhanden wären. Um ein Beispiel zu geben: Die durchschnittliche Leistung, die ein Einfamilienhaus in Deutschland aus dem Netz bezieht, liegt unter einem kW. Aktuell vorhandene E-Fahrzeuge können dagegen Schnellladeleistungen von bis zu 300 kW unterstützen. Damit lassen sich Autos in Minuten statt in Stunden aufladen.
Die Herausforderung „Schnellladen überall und in wenigen Minuten“ haben wir uns zur Aufgabe gemacht. Wie kann man moderne E-Fahrzeuge mit sehr hohen Ladeleistungen in Minuten aufladen, auch wenn das Stromnetz an diesen Orten nur einen Bruchteil der geforderten Leistung zur Verfügung stellt?
Die Antwort scheint einfach, ist aber am Ende in der Umsetzung sehr komplex. Kerngedanke ist, dass man die Ladestation mit einem Speicher bzw. Puffer in Form einer eingebauten Batterie versieht. Dieser Speicher kann über das vorhandene Stromnetz mit der verfügbaren Leistung langsam aufgeladen werden. Kommt nun ein E-Fahrzeug und möchte schnell laden, wird die vom Netz verfügbare geringe Leistung mit Hilfe der zwischengespeicherten Energie in der Batterie so „geboostet“, dass dem Fahrzeug die Leistung angeboten werden kann, die es abfordert. Im Prinzip geschieht eine zeitliche Entkopplung mit Hilfe der Zwischenspeicherung. Um nochmals die Wasseranalogie zu verwenden: Ein WC-Spülkasten läuft langsam voll und kann im Bedarfsfall in wenigen Sekunden entleert werden.
Wir sind davon überzeugt, dass Lademöglichkeiten künftig ein fester Bestandteil unserer Infrastruktur sein werden. Langsames Laden zu Hause, am Arbeitsplatz oder wo immer es zeitlich entspannt geht. Schnellladen jedoch auch immer dort, wo akuter Bedarf herrscht und Umwege oder Wartezeiten unkomfortabel sind. Wir wollen nicht mehr unnötige Wege zu Tankstellen fahren, sondern vorhandene Elektrizität nutzen, wo sie bereits ist. Ladesysteme werden normaler Teil unserer Infrastruktur werden, so wie es heute beispielsweise bereits Aufzüge oder Klimaanlagen sind.
Mit unseren batteriegepufferten Systemlösungen sollen Superschnelllader überall möglich werden, auch wenn das Stromnetz an diesen Orten nicht die geforderte hohe Leistung bereitstellt. Es geht um bequemes Laden in wenigen Minuten statt in Stunden, mit bis zu 320 kW, auch wenn das Stromnetz nur einen Bruchteil davon bereitstellt. So können hunderttausende von Büros, Gemeinden, abgelegenen Standorten, Fahrzeugflotten, Mietwagenstandorten oder Innenstädten flächendeckend mit Superschnellladern ausgerüstet werden, ohne dass hierzu die Netze erweitert werden müssen.
Ihre Ladetechnologie ist – wie soeben erläutert – eine batteriegestützte Lösung, die letztlich einen ggf. erforderlichen Netzausbau vermeidet?
Dr. Thorsten Ochs
Das ist korrekt. Unsere Schnellladelösung kann mit geringen vorhandenen Leistungen im Stromnetz zurechtkommen und die Leistung bei Bedarf auf die vom Fahrzeug geforderte Höhe anpassen. Dazu ist der Charger mit 1,30 m x 1,30 m für die eigentliche Box und 40 x 40 cm für die eigentlichen Ladestationen, die zudem auch noch abgesetzt positioniert werden können, wirklich sehr kompakt. Mehrere Vorteile auf einmal.
Was bedeutet das für den Nutzer und die Allgemeinheit?
Thomas Speidel
Wenn hohen Netzleistungen am Aufstellungsort nicht verfügbar sind, muss normalerweise das Netz auf den hohen Leistungsbedarf ausgebaut werden, auch wenn diese Leistungsspitze nur für eine kurze Zeit innerhalb eines Ladevorgangs genutzt wird. Wir wollen es ermöglichen, dass überall, wo Bedarf besteht, superschnell geladen werden kann. Dafür gibt es unsere Technologie: äußerst kompakt, schnell installierbar und überall anschließbar, auch an bereits existierenden Netzanschlüssen, die wenig Leistung bieten.
Wie ist Ihre Innovation zustande gekommen und wer war daran beteiligt?
Thomas Speidel
Ca. im Jahr 2010 haben wir begonnen, den Geschäftsbereich „Energy“ aufzubauen. Uns wurde klar, dass die Erneuerbaren Energien und die Elektrizität eine Transformation des gesamten Energiesystems bewirken werden. Elektrizität wird primär von den Erneuerbaren erzeugt werden und die einfache und effiziente Wandlung wird die Sektorenkopplung von Strom, Wärme und Mobilität ermöglichen. Dies wird dezentral und intelligent vernetzt stattfinden. Die volatile Erzeugung an verteilten Orten sowie der zeitversetzte Verbrauch werden neue Formen der Flexibilität und Speicherung erfordern. So ist die Vision entstanden, batteriegepufferte, dezentrale und intelligente Plattformen zu entwickeln. Das haben wir in vielfacher Weise umgesetzt und erprobt.
2017 kam dann ein Kontakt mit Porsche zustande, denn Porsche war im Begriff, für den Taycan Schnelllader zu entwickeln, die eben vor allem an leistungsbegrenzten Netzen benötigt werden. Wir haben uns gefunden und ergänzt. Porsche hatte den Bezug zum batteriegepufferten Laden nicht, wir haben dieses Know-how mitgebracht und somit entstand ein gemeinsames Projekt. Das war mit sehr großen Herausforderungen verbunden, einmal um ein technologisch in vielerlei Hinsicht führendes Auto bedienen zu können, aber auch, um die Baugröße, die Lautstärke – also die Faktoren, die für die Akzeptanz wichtig sind – hinzubekommen. Gemeinsam hatten wir dann die neueste und beste Technologie gewählt und somit den Komplexitätsgrad extrem hochgesetzt. Im Laufe dieser Entwicklungen gab es auch Probleme, die uns wirklich an die existentiellen Grenzen gebracht haben, kräftemäßig und auch finanziell, was wir ohne die Rückendeckung der Gesellschafter und Geschäftspartner nicht geschafft hätten. Um die geforderten Ziele zu erreichen, waren sehr viele Elemente und Technologien neu und keinesfalls etabliert. Man wird mehrfach selbst- und fremdverschuldet zurückgeworfen und muss es nochmals machen. Zudem der immense Zeitdruck bei gleichzeitig außergewöhnlicher Innovationshöhe. Ein weiteres Beispiel sind Richtlinien und Normen, die weiterwachsen und an die wir unsere Arbeit immer wieder anpassen müssen. Aber Herr Reichert kann sicher erläutern, warum die Innovation gerade auch für den Bereich der Leistungselektronik so besonders war.
Stefan Reichert
Die Leistungselektronik ist im Prinzip ein wesentliches Kernstück der ADS-TEC ChargeBox. Da wird Wechselspannung von der Netzseite gleichgerichtet und in verschiedenen Stufen gewandelt, um dann auf Gleichspannungsbasis sowohl die interne Speicherbatterie als auch die externe Fahrzeugbatterie versorgen zu können. Es gibt dabei auf engstem Raum verbaut verschiedene Wandlerstufen. Eine, die die netzseitige Wechselspannung in Gleichspannung umsetzt, dann die hocheffiziente galvanische Gleichspannungstrennung sowie zwei weitere Gleichspannungswandler, je einen für die interne Speicherbatterie und einen zum Fahrzeug hin.
Eine Herausforderung war insbesondere auch, dass das Platzangebot für die Leistungselektronik äußerst begrenzt ist. Sie musste in doppelter Ausführung in diesen kleinen Würfel mit Kantenlänge 1,3 Meter passen. Das geht nur, indem sie sehr kompakt aufgebaut wird. Die Kompaktheit haben wir durch neue Silizium-Karbid-Halbleitermaterialien erreicht. Diese Halbleiter lassen sich sehr schnell schalten. Während jedes Schaltvorgangs entstehen Verluste und je schneller man schalten kann, umso kleiner werden diese. Damit entstand die Möglichkeit, das Ganze in Richtung Effizienz und in Richtung Leistungsdichte zu trimmen. Die Leistungsdichte zu erhöhen, geht unter anderem dadurch, dass die Taktfrequenz erhöht wird. Höhere Taktfrequenzen bedeuten, dass die induktiven Elemente wie Transformatoren oder Drosseln kleiner werden können. So kann man eine hohe Leistungsdichte bei hoher Effizienz erreichen. Diese verwendeten Silizium-Karbid -Halbleiter waren aber noch relativ neu und es gab in der Entwicklung verschiedenste Probleme mit der Halbleitertechnik, den Halbleitermodulen, Probleme bis hin auf Chip-Level, also dem Kern des leistungselektronischen Schalters. Schwierig war auch die Aufteilung der Temperatur, einzelne Chips haben sich nicht homogen verhalten, es gab Hotspots und Ausfälle. Das war nicht einfach und Herr Speidel hat sich hier intensiv eingebracht, sich technische Details bis ins Kleinste angeschaut und es wurden sogar die einzelnen Chips thermisch vermessen.
Thomas Speidel
Die große Herausforderung war auch die sehr kurze Zeitschiene. Normalerweise wird eine Innovation im Labor entwickelt, erprobt, validiert, dann optimiert und in ein System integriert. Das dauert normalerweise Jahre und wir mussten das auf wenige Monate verdichten, was eigentlich kaum möglich ist. Aber wir haben es letztendlich – auch mit sehr viel Hilfe – durchgestanden und am Ende gemeinsam geschafft. Die Leistung, die hier eine interne und externe Mannschaft gemeinsam im internationalen Wettbewerb erbracht hat, ist enorm. Wir befinden uns in der Transformation des Energiesystems und wenn sich der Sektor Mobilität – seit 100 Jahren einer unserer größten Wirtschaftszweige – weltweit im Kern neu aufstellt, ist es die Frage der Geschwindigkeit: Wer, welches Land, welche Firmen schaffen diesen Wandel? Analog dem vom Pferd auf die Kutsche und von der Kutsche aufs Auto? Das ist es, was uns antreibt – nicht nur das Etablierte zu bedienen, wo wir gutes Geld verdient haben, wo wir zufrieden waren – sondern es geht um eine gesellschaftliche Herausforderung für die Zukunft und da hat die Mannschaft Unglaubliches geleistet.
Die Möglichkeiten der ADS-TEC als innovative mittelständische Einheit sowie die Expertise in angewandter Forschung seitens des Fraunhofer ISE waren vorhanden, sind aber für eine industrialisierte Serienfertigung nicht ausreichend. Durch unseren Kunden Porsche und Mitgesellschafter Bosch kam Konzernexpertise mit führendem Automotive-Know-how in diese Struktur und es entstand eine unglaubliche Dynamik. Ist das Neue, was im Labor funktioniert, auch in Menge serientauglich? Ist es stabil über die Zeit, funktioniert es bei den verschiedenen Randbedingungen, bekommt man die notwendigen Zertifizierungen und welche sind dies überhaupt? Dazu benötigt man Kapital und die Menschen mit der entsprechenden Erfahrung – also auch die Expertise aus etablierten Konzernstrukturen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt für unser Land: Wir brauchen die Zusammenarbeit von Hochschulen, mittelständischer Dynamik und etabliertem Konzernumfeld. Das gehört zusammen. Jetzt fehlt noch der Punkt des Kapitals. Da sind wir in Deutschland im Moment nicht diejenigen, die neue Ideen in die Umlaufbahn schießen, wo Unternehmen wie Apple, Google oder Tesla stehen.
Was verstehen Sie in der Zusammenarbeit mit einem Konzern als wesentlich im Sinne einer Innovationskultur?
Dr. Thorsten Ochs
Hierzu würde ich gerne den Punkt von Herrn Reichert aufgreifen: Silizium-Karbid beispielsweise als neue Technologie. Wir haben weiterführende Validierungen gemacht, um sicherzustellen, dass nicht nur ein Prototyp entwickelt wird, der irgendwie funktioniert, sondern dass man damit auch in Serie gehen kann mit hunderten oder tausenden von diesen Anlagen. Dabei gab es Themen, bei denen weder die Universitäten und Forschungsinstitute noch die Zulieferer Antworten hatten und wir dann gemeinsam diese Fragen vorantreiben mussten. Dies hat dann wiederum zu Innovationen auch bei den Zulieferern geführt. Das ist Technologieentwicklung an sich, denn auch im universitären Umfeld gibt es Themenblöcke, die nicht so tief verstanden sind, bei denen wir als Anwender Fragen aufwerfen und man dann gemeinsam feststellt: Ja, das ist eigentlich ein sehr gutes Thema, um weiteres Wissen aufzubauen. Wir sehen, dass sich das jetzt schneller entwickelt und dass diese neuen Themen auch an Forschungseinrichtungen weiter vorangetrieben werden, um diesen Wissensvorsprung einer Technologie auch halten zu können.
Unter klassischen Rahmenbedingungen braucht man Jahre, um alle notwendigen Qualifikationen eines solchen Prozesses zu erzielen. Wir haben vieles mit Unterstützung der verschiedenen Parteien parallelisiert. Und das sagte Herr Speidel bereits: man muss auch investieren. Wir haben zertifizierte Labore mit ins Boot geholt, die Messungen übernommen haben, was zu Kosten führt. Das ist teurer, hatte aber den Vorteil, dass jemand nicht mit dem „liebevollen Auge des Entwicklers“ darauf schaut, sondern Normen abstrakt durchgetestet werden und dass man dann das Feedback bekommt: passt oder passt nicht!
Thomas Speidel
Lassen Sie mich nochmals zum Ausgangspunkt zurückgehen und den Ansatz unserer Firma im größeren Zusammenhang sehen: Als ich 2010 das Thema Energy für das Unternehmen aufgegriffen hatte, war der Kerngedanke, dass die Energiewirtschaft dezentral und elektrisch werden wird. Statt weniger zentraler Kraftwerke, die bislang insbesondere atomar, mit Gas oder Kohle betrieben wurden, kommen zunehmend dezentrale erneuerbare Erzeugungsanlagen wie beispielsweise Photovoltaikanlagen oder Windparks ins Spiel. Diese haben jedoch die Eigenschaft, dass Sonne und Wind nicht stetig vorhanden sind und dass auch die Örtlichkeiten weit verteilt sind. Erzeugung und Verbrauch müssen demnach räumlich und zeitlich zueinanderfinden. Hierzu sind Speicher ein entscheidendes Mittel, denn damit können die Volatilitäten intelligent ausgeglichen werden. Wir sehen, dass künftig immer mehr Verbraucher elektrisch werden, um die gefährlichen CO2-Verbräuche zu reduzieren. Beispiele sind die Elektromobilität, die den Verbrenner ablöst, elektrische Wärmepumpen statt Öl und Gasbrennern, aber auch die synthetische Gaserzeugung (Wasserstoff), die per Elektrolyse erfolgen kann. Es wird also eine stark „elektrische Welt“ werden, in der die Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und sogar die Gaserzeugung dynamisch miteinander verbunden sind. Um dies bewerkstelligen zu können, braucht es geeignete Systeme, die man dezentral in großen Stückzahlen aufbauen und managen kann. Also intelligente Systeme, die einen Speicher enthalten, um Flexibilität anzubieten und in das elektrische System eingebunden sind.
Genau auf diese intelligenten Energieplattformen hat sich unser Unternehmen spezialisiert. Denn neben dem Speicher, der Leistungselektronik und der Steuerung gehören auch Security, IT-Anbindung und vieles mehr dazu. Genau dieses Gesamtpaket ist unser Leistungsumfang. Da wir alles im Haus entwickeln und beherrschen, können wir auch sehr langfristige Serviceverträge anbieten.
Unsere Kunden sind die Energieversorger von morgen. Das sind die Unternehmen, die auf unseren Plattformen die künftigen Geschäftsmodelle modellieren und implementieren. Mit eigener Software und eigenen Geschäftsmodellen, die je nach Region, Regulatorik und Anwendung optimiert werden.
Das Laden von Elektroautos ist dabei nur eine Anwendung. Da die Plattformen intelligent sind und vernetzt werden können, kann man damit auch virtuelle Kraftwerke bauen. Tausende von kleinen Anlagen ergeben am Ende auch die Größe eines heutigen Kraftwerkes. Dann aber mit den Möglichkeiten, den lokalen Anforderungen optimal zu folgen. Also Sonne zu nutzen, wann diese scheint, Autos zu laden, wenn diese es erfordern, ins Netz zu speisen, wenn es benötigt wird und aus dem Netz zu beziehen, wenn es sinnvoll und erforderlich ist. Das alles muss realisiert und individuell gemanagt werden.
Über ca. sieben Jahre hinweg haben wir zunächst alleine die Grundlagen, Patente und Technologien entwickelt, die wir hier als relevant gesehen haben. Von Anfang an war der Plan, einen großen Partner einzubinden, denn man muss wachsen können, auch industrialisieren etc.
Die großen gewonnenen Projekte hatten dann sicher mit all den Innovationsthemen und dem Zeitdruck ein überdimensionales Gewicht bekommen. Unser Kunde und unser Mitgesellschafter haben dann erheblich mitgewirkt, um die Aufgabe letztendlich gemeinsam zu lösen.
Am Ende stand die Frage, wie wir das nun skalieren können. Nach verschiedenen Überlegungen kam dann unerwartet der Börsengang im letzten Jahr, um diese Technologie und Plattformstrategie mit Hilfe des Kapitalmarktes in die Fläche zu bringen. Eine solch grundlegende Transformation gibt es vielleicht alle 100 Jahre und da müssen dann auch größere Strukturen und breitere Schultern genutzt werden. Das zur Geschichte in Kurzform.
Ein wichtiges Thema ist Sicherheit. Der „normale“ Konsument hört immer wieder von brennenden E-Autos durch die Batterien. Kann so etwas bei Ihrem Gerät auch passieren?
Dr. Thorsten Ochs
Es gibt dafür sehr klare Normen, an die wir uns halten, und zudem haben wir auch externe Labore und Spezialisten involviert. Unser Sicherheitskonzept fängt schon bei der Batteriezelle an, bei den Modulen messen wir sehr viele Größen direkt, so dass schon in der kleineren Einheit etwaige Unregelmäßigkeiten auffallen würden und nicht erst im Gesamtverbund und wir die Anlage sofort stilllegen können. Es gibt noch ein übergeordnetes Konzept, das das System kontinuierlich auf Unregelmäßigkeiten überwacht, so dass man gegebenenfalls auch dort sofort eingreifen kann. Die Frage war grundlegend und konzeptionell, ob wir uns dabei alleinig auf die Software verlassen oder ob wir das zusätzlich in Hardware machen? Wir haben dann entschieden, zwei Sicherheits-Layer einzuschieben, einen Bereich, den wir per Software überwachen, der aber nicht kritisch ist und nur signalisiert, dass das System ein Problem hat und man sich kümmern muss. Jetzt angenommen, das würde keiner tun, sind dennoch alle Abschaltmechanismen zusätzlich in Hardware ausgeführt.
Thomas Speidel
Man kann das Risiko eines hochenergetischen Objekts nie ganz auf Null setzen, das gilt auch für Gas- oder Benzintanks. Es brennen täglich mehr Fahrzeuge mit Benzintanks als Elektroautos. Es gibt kein Nullrisiko. Die Frage ist, wie man das verbleibende Risiko minimieren kann. Das fängt bei der Batteriezelle an. Welche Qualität, Chemie, Sicherheitsmaßnahmen hat die Zelle bereits? Dann geht es um die Überwachungsmaßnahmen in Software und Hardware bis hin zum Aufbau und der Installationsanleitung, wo Abstände zum Beispiel zu brennbaren Materialien einzuhalten sind. So kann man weiter einem verbleibenden Restrisiko begegnen, indem man durch Aufstellung, Abstände und Schutz Folgeschäden noch weiter minimieren, beziehungsweise Personenschäden ausschließen kann. Diese komplette Kaskade muss man bedenken. Wenn jemand sagt, es gibt kein Risiko, ist die Aussage falsch. Die Frage ist, wie hat man die Risiken minimiert und wie geht man damit um? Sicherheit hat für uns immer den höchsten Stellenwert und steht vor der Kostenoptimierung. Bisher ist auch nichts passiert.
Ein Beispiel dazu, wie man auch in kritischen Bereichen Sicherheit erhöhen bzw. Restgefahren minimieren kann: Unsere ChargeBox zeichnet beispielsweise aus, dass wir die Box von den Ladesäulen bis zu 100 Metern trennen und absetzen können. An einer Tankstelle beispielsweise lässt sich somit die Box mit Batterien und Leistungselektronik hinter das Haus stellen und an der Tankstelle selbst ist nur noch der Kabelauslass an der Ladesäule. Oder auch in einer Tiefgarage, wenn die Box eben außerhalb des Gebäudes bleiben kann.
Die ChargeBox ist seit 2018 am Markt. Wer sind die Abnehmer? Wie sieht Ihr Kundenpotential aus? Das sind im öffentlichen Bereich Investitionen, wer entscheidet darüber?
Thomas Speidel
Jetzt muss ich ein wenig ausholen und unsere Vision, unseren Antrieb, nochmals darstellen. Was bietet unsere Firma an? Es sind Energieplattformen, intelligente, dezentrale Systeme, die Speicher beinhalten und die für unterschiedliche Anforderungen eingesetzt werden können. Und wir sehen uns als ein Plattformprovider für Firmen, die darauf die Energiewende orchestrieren. Auch dazu gibt es Analogien: SAP ist eine Plattform mit vielen Modulen, aber die Firmen lassen darauf ihr eigenes Businessmodell laufen. Apple stellt mit seinem iPhone die Plattform mit dem Betriebssystem, der Security und den Grund-Apps. Aber die eigentlichen Apps schreiben andere, sie nutzen die Plattform.
Ähnlich sehen wir uns – als Bereitsteller von Plattformen. Dadurch, dass die zentralen Kraftwerke mit der Energiewende zunehmend dezentral werden, muss auch der optimale Betrieb der verteilten Plattformen gemanagt und optimiert werden. Heute gibt es vielleicht 100 Kraftwerke in Deutschland. Wenn das irgendwann hunderttausende an dezentralen Einheiten werden, die in Häusern oder in der Industrie verteilt sind, muss man sie managen und intelligent betreiben.
Unsere Vision ist, dass diese „Kleinkraftwerke“ als Plattformen mit Software, Security, Batterie, Leistungselektronik und mit den zugehörigen Services über viele Jahre – nicht nur drei Jahre, sondern Jahrzehnte – versorgt und betrieben werden können. Unsere Aufgabe ist, die Energieversorger der Zukunft mit solchen Plattformen zu versorgen, denn das sind ja keine Entwickler und Systemhersteller. Sie können auf diesen Plattformen ihre Geschäftsmodelle betreiben und einzelne Funktionen verbinden, sei es das Autoladen, die Integration von Photovoltaik oder Netzdienstleistungen. Wir wollen nicht der bessere Stromversorger werden, wir sind keine Energiefirma. Wir sind ein „Enabler“ in der Energiewende. Wenn Energie dezentral wird, braucht man Einheiten, Plattformen, die es bisher nicht gab, um die Geschäftsmodelle der Zukunft zu optimieren. Diese Plattformen entwickeln und produzieren wir. Dabei sind wir kein Wettbewerber, der Strom oder Netzdienstleistungen anbietet, sondern Lieferant für die Technologie und die Services, um das zu ermöglichen. Unsere Kunden nennen wir die „Future Power Companies“. Wer ist das? Das sind zunächst die bereits Etablierten, die auf dem Weg der Veränderung von fossiler zu mehr und mehr regenerativer Energie sind. Denen bieten wir das an, denn sie verstehen die Geschäftsmodelle und auch die Regulatorik. Die ist wiederum sehr individuell in jedem Bundesland, in Europa, in Großbritannien, in Spanien – überall unterschiedlich. In Amerika gibt es zahllose Unternehmen, die auf dem Weg in eine neue Energiewelt sind. Sie können ihr Business auf unserer Plattform adaptieren. Inzwischen haben auch die Öl- und Gasfirmen verstanden, dass die Konsumenten nicht mehr so viel Benzin und Diesel tanken werden, sondern Strom. Auch diese Firmen wollen ihr Geschäft damit machen. Sie verstehen, dass in unserem Keller Wärme nicht mehr nur durch Öl und Gas entsteht, sondern auch über Elektrik. Weiter folgen die Firmen aus den Elektrolyse- und Wasserstoffbereichen, die ebenso auf dem Weg in diese Veränderung sind. Auch das sind unsere Kunden. Dazu kommt die Autoindustrie, die sich aktuell neu aufstellen muss. Sie brauchen Schnelllader bei Händlern, am Bürogebäude für Fuhrparks, Mietwägen, an Flughäfen etc.
Und der vierte Kundenbereich ist: Wir wollen stark mit Start-ups wachsen. Neben den Etablierten, den Elektrizitätsfirmen oder Energieversorgern von Öl und Gas, Auto und Büromanagement, gibt es intelligente Start-ups, die vielfach aus diesen Welten kommend neue Firmen gegründet und dabei verstanden haben, dass das Ganze digital wird. Sie fangen an, Software zu entwickeln, wie man die verschiedenen Sektoren ideal für das bestmögliche Geschäftsmodell miteinander verbinden kann. Dafür eignen sich unsere Plattformen wie die ChargeBox hervorragend, denn sie bekommen etwas wie das iPhone mit allen Software-Interfaces. Und jetzt können die Betreiber ihre eigene Software darauf schreiben, dann 100 oder 1.000 Systeme vernetzen, und haben ein virtuelles Kraftwerk, mit dem sie ihre neuen Services am Markt anbieten können.
Das sind unsere vier Zugänge und Kundenprofile. Unser Ziel ist jetzt, nach dem ersten großen Projekt mit Porsche als Referenz mit der Kapitalisierung durch die Börse und mit dem internationalen Zugang, diese vier Kundengruppen zu bearbeiten und mit ihnen gemeinsam in die Märkte hineinzuwachsen.
Und wir ermöglichen den Kunden, ihre eigene Marke zu etablieren. Wir sind so eine Art „Intel inside“ bzw. „ADS-TEC inside“. Wir stehen in der zweiten Reihe, um unseren Kunden zu helfen, die „Total Cost of Ownership“ zu minimieren, den Rücken frei zu halten und sie darin zu unterstützen, damit sie ihr energiewirtschaftliches Geschäftsmodell erfolgreich umsetzen können.
Wir sind nicht nur ein Stück Komponente, die einmal entwickelt wird und dann kommt sie 30 Prozent billiger aus Asien. Das kann es nicht sein. Die Plattform ist viel mehr und das Entscheidende ist, sie wächst mit den Geschäftsmodellen und der Software anderer zusammen, das ist ein „melting pot“, der auch Deutschland wieder ermöglicht, eine eigene Energieversorgung, eine kritische Infrastruktur, neu aufzubauen und zu strukturieren.
Wir müssen das miteinander verbinden, sie gemeinsam universitär, mit Großfirmen, Kleinfirmen, mit Energieversorgern und dem Kapitalmarkt angehen. Das halte ich für so essenziell, dass ich es gar nicht oft genug sagen kann: Das ist die Chance und auch Aufgabe für uns als Gesellschaft und als Land, um nicht wesentliche Handlungsfähigkeit unserer Infrastruktur aus der Hand zu geben.
Von der Zukunft in die Gegenwart: Welches Potential hat die ChargeBox in Deutschland? Wie sieht die Entwicklung aus?
Thomas Speidel
Da darf ich jetzt ein wenig jammern: Wir könnten in Deutschland sehr, sehr viel mehr an batteriegepufferten Ladesystemen unterbringen. Aber im ersten Schritt hat die bestehende Energiewelt regulationsbedingt das Interesse, die Netze weiter auszubauen, denn das regelt der Markt, es gibt Geld dafür und möglicherweise auch noch EU-Förderung. Es war uns klar, dass das zunächst so passieren wird, aber auch, dass der Punkt erreicht werden wird, wo das eben nicht mehr für den massiv ansteigenden Bedarf ausreicht.
Es tut weh, dass sehr viel Zeit verschenkt wurde, die Politik aus meiner Sicht oftmals nur eine Überschrift formuliert hat, aber kein fokussiertes und zielgerichtetes Handeln folgte. Es sind viele Jahre vergangen, in denen zu wenig strukturiert wurde und man versäumt hat, Klarheit zu schaffen. Wir müssten ein klares, prozessorientiertes Vorgehen auch im politischen Umfeld einführen, wie es in der Industrie gang und gäbe ist, beispielweise einen Verantwortlichen mit der präzisen Vorgabe beauftragen: In drei Jahren gibt es den ersten Roll-out und dafür bist du dann verantwortlich! Hier, und das ist die Klage, schreiben wir zwar die richtigen Wünsche und Überschriften an die Wand, lassen dann aber viele Beteiligte, die bestehenden Behörden, untergeordnete Bundes- und Eichämter und viele mehr loslaufen. Die Lobbyisten sind ebenfalls dabei, keine Frage. Sowie diejenigen, die den aktuellen Bestand verteidigen, aber auch ideologisch motivierte Weltenretter laufen los. Mit Förderprojekten werden bei Fraunhofer und anderen Forschungseinrichtungen dankenswerterweise hervorragende Dinge entwickelt, die dann aber in der Fläche aus dem Ausland und insbesondere aus China bezogen werden.
Da könnten wir schneller sein und mehr lokale Wertschöpfung sichern. Das wäre nachhaltig im eigentlichen Sinne. Wir vergeuden viel Geld und Zeit und verschenken am Ende auch internationale Marktmacht und Unabhängigkeit.
Ein Beispiel: Das Fraunhofer ISE hat erneut die effizienteste Solarzelle der Welt entwickelt, aber 80 Prozent aller Solarmodule werden in China produziert. Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir für die Batteriezellentwicklung und weitere Komponenten mehr Mut, mehr Kraft. Wenn man schaut, was wir in der Pandemie an Milliarden mobilisieren konnten, dann ist es geradezu lächerlich, deutlich kleinere Summen nicht in diese Zukunft zu investieren.
Wir haben in Deutschland sehr viel Basistechnologie entwickelt und tun dies noch immer. Ich setze unsere Situation als kleines Unternehmen ohne Systemrelevanz immer wieder in den Vergleich mit der Erdanziehungskraft. Alles, was wir machen, fällt wieder zurück auf die Ebenen der lokalen Antragstellung, der Bürokratie, der Sparkassenwelt und den damit verbundenen Finanzierungsabsicherungen usw. Die Kraft reicht nicht, um die Themen aus dieser Anziehungskraft herauszukatapultieren. Und die Politik hat nicht den Mut oder die Kraft der Positionierung, sich für einzelne Themen wirklich zu entscheiden und diese dann gezielt so zu finanzieren und rechtlich auszustatten, dass ein Austritt aus dieser Anziehungskraft in die Systemrelevanz möglich wird.
Die Frage ist, wie kann man Themen aus der Schwerkraft in die Umlaufbahn bringen?
Wann wird erkannt, dass wir in diesem Land unglaublich viele motivierte, intelligente, leistungsbereite Menschen, Institutionen, Forschungseinrichtungen und Firmen haben, die das Potential erarbeitet haben, genau dies zu leisten?
Wann ermöglichen wir es als Gesellschaft – und das ist insbesondere eine politische Aufgabe –, dass die richtigen und entschiedenen Ansätze der offensichtlich drängenden Probleme wie Digitalisierung, Security, Batterietechnik, Energiewandel, Pharmazie und so weiter anders positioniert und entschiedener angegangen werden? Wie viele Delegationsreisen brauchen wir noch, um in anderen Ländern zu beobachten, wie man das anders machen kann?
Wir limitieren uns in so vielen Dingen selbst. Eine überragende und galoppierende Bürokratie beispielsweise. Oder auch der Umgang mit europarechtlicher Beihilfe. Um im Bild zu bleiben: Solange wir uns im Bereich der Anziehungskraft und Schwerkraft bewegen, finden wir Förderungen, Reallabore und verschiedene Arten unterstützter Kooperationen. In dem Moment, in dem es darum geht, mit großer Wucht die Anziehungskraft zu verlassen und das Thema in die Umlaufbahn zu schießen, bremsen Lobbyisten, Parteien und in vielen Fällen die Hüter des Bestands, an dem man gut verdient. So passiert es immer wieder, dass man aus dem Ausland mit Argusaugen auf unsere führenden Entwicklungen schaut und dann andere mit diesen Errungenschaften den Schuss ins Weltall und damit in die Skalierung machen. Wie die aktuelle Weltlage zeigt, werden wir als Politik und Gesellschaft künftig nicht umhinkommen, hier wieder mehr Verantwortung zu übernehmen, soll die totale Abhängigkeit verhindert werden.
Als Person habe ich mich nach dem Start des Energy-Bereiches früh in Verbänden engagiert, weil mir bewusst war, dass solch elementare Themen wie die Energiewende in einer Demokratie nur über eine breite Multiplikation und das Schaffen von Mehrheiten gehen. Für den Verband BVES (Bundesverband für Energiespeichersysteme), in dem ich seit vielen Jahren als Präsident tätig sein darf, steht der Dialog mit der Politik im Vordergrund. Dabei ist uns wichtig, nicht als Interessensvertreter einer einzigen Technologie gesehen zu werden, die primär nach Fördermitteln ansucht. Wir verfolgen den systemischen Ansatz der erforderlichen Flexibilitäten im künftigen Energiesystem. In unserem Industrieverband finden sich die führenden Industrieunternehmen, aber ebenso hoch spezialisierte Mittelstandsunternehmen, Start-ups, Fachanwälte, Versicherungskonzerne, Berater, Dienstleister, große Energieversorger sowie renommierte Vertreter aus Wissenschaft und Forschung. Mit dieser geballten Expertise sind sachliche Diskussionen im Gesamtblick möglich und in diesem Rahmen können wir zu unseren Themen eine 360°-Expertise anbieten.
Man muss mit der Politik und ihren Vertretern sprechen. Das kostet viel Zeit und fordert, sich aufeinander einzulassen. Das ist eben anders, als sich hinzustellen und rein nur Förderungen zu verlangen. Diese reine Klientel-Politik lehne ich ab. Wir müssen da hinkommen, dass systematisch verstanden wird, was die richtigen Entwicklungen sind, wie man diese gezielt und mit Wucht angehen kann. Übrigens sehnt sich auch der Kapitalmarkt nach solch klaren und fokussierten Vorhaben mit einer langen und verlässlichen Perspektive.
Dr. Thorsten Ochs
Dazu die Ergänzung, dass wir beim Thema Elektromobilität und Energiewende wirklich sehr schnell eine Lösung finden müssen, denn wir sehen, wie gezielt sich einige Staaten, gerade die in Asien, aufstellen. Dort werden entschiedene Themen sehr viel konsequenter von der Innovation bis zur Umsetzung verfolgt: Das ist hochgefährlich, das sieht man bei der Batteriezelle an sich: Wie viele ernsthafte Gigawattstunden-Zellhersteller gibt es außerhalb von Asien? Die eigentliche Technologie wurde nicht in Asien erfunden. So könnten wir etliche Beispiele aufzählen. Wir sollten lernen, das ist meine persönliche Meinung, auch bei Förderprogrammen den Gesamtblick zu behalten. Es wird immer wieder bei Batteriethemen betont, wie stolz wir sein können, wenn in Deutschland eine innovative Lösung gefunden wird. Auch andere Länder finden solche, setzen sie aber viel konsequenter in ein Produkt und skalierbare Industrialisierung um. Am Ende des Tages zählt nur noch das, was man wirklich am Markt positioniert hat, nicht das Lob für eine Innovation, die es aber leider nicht geschafft hat.
Das Fraunhofer ISE war in die ursprüngliche Entwicklung der ChargeBox eingebunden, gilt das auch für die Fortführung?
Stefan Reichert
Ja, wir sind weiterhin eingebunden und kooperieren eng mit ADS-TEC. So gibt es stetige Verbesserungen bei der ChargeBox und es gibt weitere Produktentwicklungen wie den ChargePost etc. – auch da sind wir eingebunden. Neue Themen, beispielsweise wie man die ChargeBox so einsetzen kann, dass sie das Stromnetz stützt, dass Energie wieder ans Netz abgegeben werden kann etc. - beschäftigen uns und sind natürlich in beiderseitigem Interesse.
Dr. Thorsten Ochs
Lassen Sie mich das ergänzen, denn „eingebunden“ ist sehr bescheiden. Das Fraunhofer ISE, Stefan Reichert und seine Kollegen liefern sehr wichtige Impulse bei diesen Innovationsthemen. Das ist wirklich zentral.
Die ChargeBox wurde ja dann 2020 in die Serienproduktion übergeführt und Sie sind mit der Produktion nach Dresden gegangen. Gab es dafür einen besonderen Grund?
Thomas Speidel
: Das resultiert aus einem persönlichen Bezug. Als Familie haben wir mit Freunden in Dresden 2001 an der Gründung der gemeinnützigen Stiftung „Leben und Arbeit“ mitwirken dürfen. Aus der anfänglichen Unterstützung und Begleitung arbeitsloser Jugendlicher und anderer Menschen in nicht einfachen persönlichen Situationen ist ein sehr schönes Projekt entstanden und viele Menschen konnten begleitet werden. Einige davon arbeiten bis heute mit uns in der ADS-TEC Gruppe. So sind wir damals in Dresden gelandet und haben dort 2006 eine eigene Fabrik gebaut. Als dann 2010 unsere Energy-Thematik begann, war es logisch, die Fertigungskapazitäten und die Möglichkeiten dort zu nutzen. Nachdem der Bereich dann groß wurde und der Platz nicht mehr ausreichte, haben wir für Energy schließlich einen eigenen Standort im benachbarten Klipphausen aufgebaut. Die Anfänge in Dresden liegen jedoch wie gesagt länger zurück und kommen aus dem privaten Anlass heraus.
Gibt es Wettbewerb für Ihre Produkte?
Thomas Speidel
In unserem Segment der batteriegepufferten Superschnelllader gibt es bis dato sehr wenige Anbieter. Aus dem, was wir bisher an Ankündigungen gesehen haben, kennen wir nichts, was bei Packungsdichte, Leistung und Effizienz in Summe auf Augenhöhe spielt. Wenn man die Parameter aus den verfügbaren Datenblättern vergleicht, sind wir aus unserer Sicht derzeit einzigartig. Auch mit dem Aufwand, den wir in die Entwicklung und Sicherheit gesteckt haben, sehen wir uns vorausschauend positioniert.
Dass China massiv mit deutschen Konzernen arbeitet und dies dann bei uns als „Made in Germany“ positioniert wird, hätte man anders machen können. Gerade jetzt im Systemwandel und bei wichtigen Themen der kritischen Infrastruktur wäre es wichtig gewesen, hier eine sehr leistungsstarke lokale Partnerschaft für und aus Europa zu schaffen. Die steuerfinanzierte Unterstützung der Kurzarbeit ist willkommen, sollte aber keine Einbahnstraße sein. Wie immer hat auch hier die Medaille zwei Seiten. Ein Beispiel für den vorhin erwähnten politischen Handlungsrahmen: Dass ein Konzern das Beste aus allem nimmt, ist diesem nicht anzukreiden. Also den großen Markt und die niedrigen Kosten aus China einerseits sowie die systemrelevante Position mit Kurzarbeitergeld und allen anderen Segnungen der Förderung aus Europa andererseits. Die Konzerne optimieren, was der Gesetzgeber zulässt. Ich kann Ihnen aus der Erfahrung aus dem Ausland sagen, dass andere Länder und Regionen hier sehr genau dann auch ein Auge darauf werfen, woher die neuen Lösungen kommen, die man fördert und von wem man sich abhängig macht.
Ausland ist das Stichwort: Sie haben einige unternehmerische Aktivitäten in USA und stehen auch im Kontakt mit einer skandinavischen Firma?
Thomas Speidel
Wir können uns nicht allein auf Deutschland verlassen. Über die Aspekte der beschriebenen „Erdanziehungssystematik“, ganz besonders in Deutschland, hatte ich gesprochen. So haben wir beispielsweise in Skandinavien ein Joint Venture mit Kollegen und Investoren aus den nordischen Ländern an den Start gebracht. Dort geht es nicht nur um Charging, sondern auch darum, den Plattformgedanken in größeren Projekten zu verfolgen. In Asien sind wir nicht tätig und fokussieren uns derzeit auf Europa inkl. Großbritannien sowie die USA. Anfragen kommen jedoch auch aus anderen Teilen der Welt und wir prüfen, wo wir mit welchen Partnern auch dort tätig werden können.
Lassen Sie mich noch etwas zu unserem Fokus USA sagen. Nach unserem Börsengang Ende 2021 am NASDAQ haben wir unmittelbar damit begonnen, in den USA eigene Strukturen aufzubauen. Über unseren Schlüsselkunden haben wir ja bereits batteriegepufferte Schnelllader in die USA geliefert. Mit einem eigenen Vertrieb, Servicekräften und bald auch einem eigenen Standort nimmt das Thema Fahrt auf. Wie Sie den Pressemitteilungen entnehmen können, hat unser USA-Vertrieb bereits nach wenigen Wochen 200 Systeme verkauft. Hier sehen wir weitere sehr attraktive Wachstumsmöglichkeiten. Die USA sind sehr weitläufig und das Netz kann nicht überall so ausgebaut werden, dass die Menschen schnell laden können. Genau das werden sie aber wollen, denn gerade in Amerika, im Land der Serviceerwartung, wird die Akzeptanz der Elektromobilität davon abhängen, wie bequem und hürdenfrei das alles funktionieren wird.
Ein Amerikaner fährt nicht 20 Meilen Umweg zu einem Ladepark. Der muss bestenfalls direkt um die Ecke sein oder er gibt das Auto zurück. Aktuell ist Amerika von Tesla dominiert und die verfügen über ein eigenes Ladenetz. Das sind sicher die „Early Adapters“, aber wenn jetzt die Masse der E-Autos kommt, zum Beispiel Ford mit dem Pickup 150 Lightning, dann kommen auch die Rednecks, die damit jeden Tag arbeiten wollen und keine Geduld haben. Dort zählen Geschwindigkeit und dezentrale Verfügbarkeit und somit ist das ein guter Markt für uns.
Welche Weiterentwicklungen gibt es für das System in technologischer Hinsicht?
Thomas Speidel
Das ist der ChargePost, ein Derivat der ChargeBox. Unsere Systematik kann man sich so vorstellen, dass wir Legosteine entwickelt haben, aus denen verschiedene Anwendungsformate gebaut werden können. Eines ist die ChargeBox, bei der Batterie und Elektronik von den Ladesäulen (Dispensern) abgesetzt installiert werden. Der ChargePost fasst alles in einer Einheit zusammen, ergänzt durch einen weiteren Umsatzbringer für unsere Kunden, einer digital bespielten großen Fläche für Werbung, die sich auf zwei Seiten über die gesamte Höhe und Breite des Schnellladers erstreckt. Das ist vor allem für Städte wie London, Paris, Manhattan interessant, die angekündigt haben, bis 2028 keine Verbrenner mehr zuzulassen. Da muss überall zugänglich Ladeinfrastruktur aufgebaut werden, die wenig Platz braucht und der Kunde kann das nützlich mit Billboards als Erweiterung für weitere Einnahme verbinden. Vor allem aber kann man an diesen Stellen nicht überall einfach das Netz erweitern. Und damit kommen wir zurück auf den intelligenten Plattformgedanken: Wenn wir das jetzt alles kombinieren können, nämlich dass verschiedene Funktionalitäten verbindbar sind, sind wir bei multiplen Funktionsumfängen und Umsatzbringern für die neue Energiewelt: Eben nicht nur ein Ladegerät für Autos, das Energie aus dem Netz in ein Auto transportiert, sondern wir können auch Energie aus dem Netz in die interne Batterie einbringen und aus der internen Batterie wieder zurück ins Netz. Die Technologie kann, wenn das Netz zappelt, die Frequenz regeln oder wenn eine Leistungsspitze kommt, diese abregeln. Wir können lokale Photovoltaik integrieren oder auch die Werbefläche anbieten.
Damit entstehen mehrere Umsatzströme für den Kunden, die auf dieses Investment einbezahlen. Ein normaler Charger kann nur die Energie zu dem Preis, wie er momentan vorliegt, anbieten. Das heißt, der Preis wird bezahlt und das Netz belastet, wenn der Strom kommt. Das ist genau der Punkt, denn mit der Plattform kann man die Energie und somit auch den Preis vom Netz entkoppeln und ausbalancieren. Und wir geben die Plattform mit all ihren Möglichkeiten an die Betreiber. Nehmen wir Florida, ein riesiges Gebiet, da gibt es eine Firma, die das dann alles betreibt, denn Florida hat eine eigene Regulatorik, eigene Anforderungen. Das machen nicht wir. Die dort können alle Features eingeben. Das ist deren Geschäftsmodell und deshalb auch deren Entwicklung in die Zukunft. Wir sehen uns in der zweiten Reihe als Partner, der diese neuen komplexen Systeme inkl. den Diensten über lange Zeiträume verfügbar macht.
Zukünftige Entwicklungen – das war die Eingangsfrage und die Antwort lautet ganz klar: Aus den Basiseinheiten bauen wir ein immer umfangreicheres digitales Plattformsystem, das miteinander vernetzt werden kann. Das tun wir gemeinsam und für die künftigen Energieversorger und Firmen, die das nachher operativ betreiben. Bestenfalls dann mit neuen Geschäftsmodellen und mit PV-Integration, Wärmepumpe, Autoladen, Netzdienstleistungen usw. Wir arbeiten bereits mit Firmen, die diese neuen Geschäftsmodelle vorantreiben. Wir sind sehr stolz, dass wir in diesem Jahr 2022 unseren bereits sehr hohen Auftragsbestand von mehr als 60 Millionen EUR aus dem Frühjahr mittlerweile im August auf über 175 Millionen steigern konnten. Ein großer Teil davon stammt übrigens aus genau diesen angesprochen Kundenbereichen und multiplen Geschäftsmodellen.
Sie führen ein innovatives Familienunternehmen. Haben solche inhabergeführten Unternehmen eine besondere Unternehmenskultur, die solche innovativen Entwicklungen befördert?
Thomas Speidel
Generell oder pauschal kann ich das nicht beantworten. Aber ich glaube, was den Unternehmer auszeichnet, ist, dass er eine klare Vorstellung von etwas hat und dieses Ziel konzentriert verfolgt. Zudem ist entscheidend, dass er dabei direkt a) in der Verantwortung für seine Mitarbeiter und sein Unternehmen steht und b) in der Sicht auf das, was auf ihn zukommt, immer neu entscheiden muss: Bin ich noch auf dem richtigen Weg oder muss ich korrigieren? Neben dem Fokus auf die direkte Arbeit, die heute ansteht, ist man immer und stetig gefordert zu schauen, was die Zukunft bringt und wie man sich dahingehend positionieren muss.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich die Bedingungen, wie diese sich zunehmend und insbesondere für das produzierende Unternehmertum in Deutschland entwickeln, sehr kritisch sehe. Das wäre aber sicher ein eigenes Thema und dazu gäbe es viel zu sagen. In jedem Fall werden wir uns auf einige Verwerfungen einstellen müssen und diese sind nicht den gerissenen Logistikketten, Corona oder dem Krieg geschuldet, wie vielfach behauptet und angeführt wird. Das ist über 20 Jahre hausgemacht und politisches Erbe einer verfehlten Wirtschafts- und EURO-Politik sowie einer zunehmenden Staatswirtschaft.
Ich selbst habe Elektrotechnik in Stuttgart studiert und während des Studiums hatte ich schon viel im elterlichen Betrieb mitgearbeitet. Nach dem Studium 1995 bin ich, entgegen dem eigentlichen Plan, sofort im Unternehmen des Vaters gelandet, der wenige Jahre später in den Ruhestand ging. In kleinen inhabergeführten Familienbetrieben ist das Thema Nachfolge nicht so einfach.
Nach meinem Einstieg habe ich 12 Jahre mehrheitlich klassisches Automobilgeschäft gemacht. Im Anlagengeschäft für die Zylinderkopffertigung, im Bereich der KFZ-Diagnose und darüber hinaus in der Automatisierungstechnik.
Um das Jahr 2010 war aus verschiedenen Gründen absehbar, dass es so für uns nicht weitergeht. Denn für mich war klar: Entweder starten wir nochmal komplett neu oder das, was wir hier tun, wird auslaufen. Es wird so nicht funktionieren. Die Welt wird sich verändern. In der Wahrnehmung, was da kommen wird, war ich unter anderem fasziniert von Tesla und der E-Mobilität. Auch das Thema solare Erzeugung war schon richtig gestartet und man konnte sich ausrechnen, dass damit wirklich ein signifikanter Beitrag zur CO2-Reduktion in der Energiegewinnung geleistet werden kann. Als Elektrotechniker kann man sich die Effizienz einer „Electric World“ leicht durchrechnen und man merkt, dass beispielsweise beim Bremsen enorme Energierückführung möglich ist, sodass die gesamten Verluste von der eigentlichen Stromerzeugung bis ans Antriebsrad minimiert werden können. Im Kopf schwirren dann viele Ideen herum. Die Digitalisierung hat mich sowieso bereits von Anfang an und bereits im Studium begeistert. Der Gedanke eines „Internet of Things“ und damit auch eines „Internet of Energy“ hat mich nicht mehr losgelassen.
Wir wussten aber auch, was das bedeutet: Wir werden durch die neue Ausrichtung zunächst erhebliche Umsätze verlieren und damit steht die Existenz auf dem Spiel. Oder kommt es auch so dazu, weil die Änderungen einfach nicht aufzuhalten sind? Dann eben nur später? Wann kann man noch aktiv entscheiden und wann ist es anderweitig entschieden worden?
Das sind glaube ich eher die Entscheidungen, worüber man als Unternehmer und auch als Politiker nachdenken muss: Es reicht eben nicht zu erkennen, was nicht mehr funktioniert und was wir gerne hätten, sondern es gehört dann auch dazu, mutig zu planen und es mit allen Risiken auch zu tun bzw. es zu versuchen: Und eines ist dabei sicher: Das bedeutet eine große Anstrengung und ohne Schmerzen wird es nicht gehen. Eine Garantie, dass es funktioniert, gibt es nicht und das ist dann eben Unternehmertum.
Wenn die Balance aus unternehmerischer Gestaltungsfreiheit und dem zu übernehmenden Risiko nicht mehr passt, wird es keine Unternehmer mehr geben. Es bleiben dann Kombinate und bestenfalls diejenigen Unternehmen, die es aus der Erdanziehungskraft in die internationale Systemrelevanz geschafft haben. Immer weniger davon kommen übrigens aus Deutschland. Und das mit den Kombinaten geht auf Dauer auch nicht gut aus – wie wir aus der Geschichte wissen.
Was muss getan werden, um diesen Standort Deutschland in einer Form, wie Sie es beschrieben haben, weiterzubringen, bestehende Fähigkeiten zu erhalten und trotzdem Neues zu wagen? Was sind die dringenden Aufgaben für die Politik, was muss die Gesellschaft tun?
Dr. Thorsten Ochs
Zunächst muss es an den Hochschulen anfangen. Wir sehen auch dort eine Transformation dahingehend, dass Studiengänge sich ändern müssen: Klassische Studiengänge werden in Zukunft weniger benötigt, dafür sind andere kaum bekannt, vor allem den Heranwachsenden ist nicht klar, welche Möglichkeiten sie damit haben. Hier ist einiges an Aufklärung und Förderung notwendig, um zunächst die Weichen dafür zu stellen, zu Innovativem zu kommen. Ohne intellektuelle Leistung, ohne die Köpfe, passiert nichts, da kann man noch so viel Geld in die Hand nehmen. Da steht die Politik in der Pflicht, aber auch die Firmen, die transparenter machen müssen, welche Qualifikationen benötigt werden, was man damit anfangen kann. Die meisten, die in Firmen wie unserer arbeiten, kommen nicht nur zur Arbeit, um am Ende des Monats einen Gehaltsscheck zu erhalten. Was viel wichtiger für sie ist, ist wirklich neue und innovative Produkte zu entwickeln und einen Beitrag zu den wichtigsten Fragen, die es im Moment gibt, zu leisten: Wie schaffen wir die Energiewende noch, bevor es doch aus verschiedensten Gründen zu spät ist?
Der zweite wichtige Punkt ist, wie viel wird reguliert? Wie viel Gestaltungsraum gibt es, wie viel Verantwortung muss durch Normen, Gesetzgebung zentral organisiert werden? Oder lässt man ein Normen-Grundgerüst zu, aber die Entscheidung wird lokal anhand der dort vorhandenen Gegebenheiten getroffen. Bei so dynamisch wachsenden Technologiebereichen besteht die Tendenz, dass sich Normierungsthemen verselbständigen. Mittlerweile ist es ein Berufsbild geworden, einfach nur ein Teilnehmer in Normungsgremien zu sein und dort Interessen zu vertreten, die eigenen oder die von Firmen. Es ist für Mittelständler und kleine Firmen deutlich schwerer in allen Gremien mitzuwirken, da fehlen Personal und Zeit. Sorgen, wie das ausgeht, haben größere Firmen auch. Es ist ein offenes Geheimnis: Gerade internationale Normen werden im Moment von asiatischen Firmen massiv dahin gestaltet, dass sie dort auch einen Wettbewerbsvorteil haben.
Stefan Reichert
Die Politik ist in der Pflicht, die Energiewende voranzutreiben. Da ist in den letzten Jahren viel zu wenig passiert, wir sehen, dass wir zehn Jahre nicht ausreichend fokussiert und unsere Chancen des Vorausdenkens genutzt haben. Und jetzt muss es schnell gehen, sonst kann man diese Energiewende nicht mehr schaffen. Konkret sollten Fehler wie zum Beispiel bei der Photovoltaik nicht mehr passieren, deren Produktion wir komplett ans Ausland verloren haben, 80 Prozent der Solarzellen kommen aktuell aus China. Wir müssen auch wieder in Deutschland produzieren. Und auch jetzt ganz konkret bei der Leistungselektronik, da sehen wir ebenfalls schon ein Abdriften nach Asien. Es wird immer mehr davon in China produziert.
Dr. Thorsten Ochs
Was ich mir von der Politik wünschen würde, ist eine einfache Sache, die ich früh in meinem Berufsleben gelernt habe und was hier noch viel öfters umgesetzt werden sollte: „Walk the Talk“. Das Prinzip sollte sein, was versprochen wird, zeitlich so zu setzen, dass die Ziele und Meilensteine daraus in der jeweiligen Legislaturperiode, in der man in der Verantwortung ist, nachvollziehbar und messbar sind und man dann auch die Konsequenzen aus den Ergebnissen trägt. Programme mit ausschließlichen Zielen weit nach der eigenen Legislaturperiode sind nicht ausreichend. Ich habe das in meiner Berufszeit beherzigt, und es sind konkrete Ergebnisse dabei entstanden.
Thomas Speidel
Kerninteresse eines Politikers ist es ja zweifellos, dass die, die im Amt sind, dort auch bleiben wollen. Das ist normal und erstmal nichts Falsches. Das wirkt sich aber auf den Antrieb zur Veränderung aus. Das öffentliche und politische Geschehen in seiner heutigen Form ist – im Willen alles regeln zu wollen – sehr kleinteilig, mittlerweile planwirtschaftlich und bürokratisch überladen. Wer will oder kann dem noch folgen bzw. welche Freiheitsgrade verbleiben?
Nach dem Zweiten Weltkrieg war unser Landtag vergleichsweise minimalistisch aufgestellt, hatte aber ein Vielfaches an Entscheidungskompetenz. Heute sind Gemeinden, Regionen, Landkreise, 16 Bundesländer, die Bundesregierung und letztendlich dann Europa in Entscheidungen involviert. Die Entscheidungskompetenzen sind umgekehrt proportional zum Wachstum von Bürokratie und Verwaltung. Ich denke, das wird sich so weiterentwickeln, bis es aus welchem Anlass auch immer Korrekturbrüche gibt.
Aus Erkenntnis wird es hier leider keine signifikante Veränderung der Strukturen geben, das ist beliebig bewiesen. Eine Not wird Anlass zur Korrektur und nicht die Einsicht. Hier gilt der alte Satz: „Diskutiere mit den Fröschen, dass man den Sumpf trockenlegen muss“.
Nach dieser sicherlich sorgenvollen Bestandsaufnahme kommt nun das große ABER oder DENNOCH: Es gibt überall und in allen gesellschaftlichen Gruppen Menschen, die Verantwortung übernehmen, über Bildung und Erfahrung verfügen, mutig gestalten wollen und sich aktiv einbringen. Das ist der wesentliche gesellschaftliche Motor. Das gilt über die Grenzen unserer demokratischen Parteien hinweg, und in einer Demokratie ist nichts essenzieller als die Meinungsbildung zu tragfähigen Mehrheiten.
Das ist anstrengend, aber der einzige dauerhafte Weg in Freiheit zu leben. Sorge muss uns machen, wenn dann aus der entstandenen Not heraus Rufe nach starker Führung und einfachen Konzepten kommen. Das geht dann nicht gut aus. Ich hoffe, dass uns dieser Weg erspart bleibt und mündige Bürger in Freiheit unsere Zukunft und den Staat gestalten.
Jetzt wollen wir noch etwas zu Ihrem persönlichen Werdegang wissen, Herr Speidel hat uns schon einige Einblicke gegeben. Was hat Sie, Herr Dr. Ochs, in Ihren Beruf oder zunächst in diese Ausbildung gebracht? Gab es da einen besonderen Anstoß?
Dr. Thorsten Ochs
Ich habe Physik studiert und mich schon in der Schule sehr dafür interessiert. Damals war es das Thema Astrophysik, auch Kernphysik fand ich sehr interessant. Während des Studiums habe ich dann festgestellt: Ja, es gibt eigentlich noch spannendere Themen und so habe ich meine Begeisterung für die Festkörperphysik entdeckt. Für mich ist es dabei bis heute wichtig, die Themen im Detail zu verstehen, egal in welchem Bereich. Während meiner Diplomarbeit kam gerade in der theoretischen Physik das Thema mit quantenmechanischen Simulationen für unterschiedliche Anwendungen auf. Ich war mit einer der Ersten bei uns an der Uni, der das Thema aufgegriffen und für das Verständnis der Funktionsweise von Gassensoren genutzt hat. Für meine Promotion bin ich an das Max-Planck-Institut Stuttgart gegangen, weil es dort eine ausgesprochene Expertise auf dem Gebiet der quantenmechanischen Simulationsmethoden gab. Letztlich deshalb, weil ich es auch wieder richtig verstehen wollte. Nach meiner Promotion habe ich beim Unternehmen Bosch angefangen und bekam im Bereich Abgasnachbehandlung früh die Möglichkeit, ein Thema verantworten zu dürfen, was dazu beigetragen hat, Abgasnormen zu überwachen. Dieser Umweltgedanke war für jemand, der jung ist, wesentlich – ein neues, innovatives Produkt zu entwickeln, das zu etwas Positivem führt, dazu beiträgt, dass Grenzwerte für Rußpartikel überwacht werden können. 2011 bin ich in den Bereich der Batterie gewechselt und habe bei Bosch einiges aufbauen dürfen, um
stellungen im Zusammenhang mit der Transformation auf dem Energiesektor und der Transformation beim Automotive-Sektor hin zur Elektromobilität beantworten zu können. Auch hier war es unter anderem das Ziel, ein tiefgehendes Verständnis der Physik und Chemie bis herunter in die Batteriezelle beziehungsweise deren Komponenten zu erreichen.
Später durfte ich eine Firma in den USA leiten, die polymere Festkörperbatterien erforscht und entwickelt hat. Es war eine superspannende Aufgabe, einerseits konnte ich der Batterie an sich treu bleiben, denn ich glaube, dass diese ein extrem wichtiges Produkt ist, um überhaupt neue Mobilität und eine Energiewende und damit auch einen wichtigen Beitrag zu den Klimazielen zu erreichen. Zum anderen ist es ein sehr junges Produkt, da ist technisch sehr viel Luft nach oben, sowohl bei der Zelle an sich, aber auch bei den Anwendungen. 2019 ergab sich die Chance bei ADS-TEC, im Bereich der stationären Batteriesystemlösungen und den Plattformen, über die wir hier reden, bei energie- oder batteriegestützten Schnellladesystemen, mitzuwirken, dort auch Verantwortung zu übernehmen und diese wichtige Transformation mit voranzubringen.
Herr Reichert, würden Sie aus der Wissenschaft ins Unternehmertum überwechseln? Sie kennen ja nun beide Seiten und wie sind Sie zu dem, was Sie tun, gekommen?
Stefan Reichert
Ja, also zu meiner Geschichte: Ich habe Elektrotechnik in Karlsruhe studiert und mich da schon relativ früh auf den Schwerpunkt Leistungselektronik, damals Leistungselektronik und elektrische Maschinen, festgelegt. Daran hat mich vor allem die Kombination vieler elektrotechnischer Themen fasziniert. Ob jetzt wirkliche Leistung, also elektrische Energie zu wandeln, sei es die Halbleitertechnologie oder analoge, digitale Signalverarbeitung bis hin zur Regelungstechnik. Das alles steckt mit in der Leistungselektronik und deckt ein großes Spektrum an elektrotechnischen Themen ab.
Anlass, in den Bereich Erneuerbare Energien einzusteigen, war eine Vorlesung in Karlsruhe von Prof. Dr. Burger, der bereits am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE gearbeitet hat. Dabei habe ich gesehen, dass hierbei die Leistungselektronik wesentlich ist, sei es bei der Wandlung des Stroms aus PV-Generatoren zur Einspeisung ins Netz, das ist ein klassisches PV-Wechselrichter-Thema, sei es bei den Batterien, die brauchen Ladegeräte und auch Entladegeräte. Oder auch bei der Elektrolyse, was in Zukunft mit dem Thema Wasserstoff kommen wird, denn auch Elektrolyseure brauchen leistungselektronische Wandler. . Das hat mich nach der Uni direkt zum Fraunhofer ISE gebracht und so habe ich mich dort am Anfang mit den Themen Leistungselektronik für Erneuerbare Energien, speziell PV-Wechselrichter beschäftigt, war erst in der Hardware- danach in der Software-Entwicklung tätig. So um 2010, als ich nach neuen Themen suchte, kam die Elektromobilität auf. Es gab auch verschiedene Förderprojekte, die auf dieses Thema abzielten. Seitdem habe ich mich vor allem mit Ladeinfrastrukturen und Ladegeräten für die Erneuerbaren Energien und für die Elektromobilität beschäftigt, dort verschiedene Projekte geleitet: AC-Onboard-Ladegeräte, DC-Ladegeräte , aber auch Projekte im Bereich induktives Laden.
Und 2017 kam die Firma ADS-TEC auf uns zu, die sich auch mit dem Thema Ladeinfrastruktur beschäftigte und da haben wir natürlich sehr gute Synergien gesehen.
Ihre Frage jetzt bezüglich Wechsel auf die Unternehmerseite kann ich so beantworten: Ich fühle mich wirklich wohl beim Fraunhofer ISE und finde auch die Nähe zur Universität sehr gut. Seit 2017 halte ich selbst eine Vorlesung an der Uni Freiburg zum Thema Leistungselektronik und Elektromobilität. Da kam schon mal die Frage, ob ich auch ins industrielle Umfeld wechseln würde, aber das hat sich bisher noch nicht für mich entschieden.
Letzte Frage
Was beschäftigt Sie denn auch noch außerhalb Ihrer Arbeitswelt?
Dr. Thorsten Ochs
Ich habe früher viel Tennis und Badminton gespielt; das bleibt jetzt in den letzten Jahren, muss ich gestehen, eher liegen. Aber die Freiheit, Tauchen zu gehen, also Freiwassertauchen, die nehme ich mir immer noch mal im Urlaub. Zum Glück bleibt auch immer wieder mal Zeit, zusammen mit meiner Frau am Wochenende wandern zu gehen.
Herr Speidel, haben Sie überhaupt noch Zeit für etwas, was außerhalb dieser Plattform passiert?
Thomas Speidel
Die letzten Jahre waren schon zeitlich eng und man schaltet sehr selten voll ab. Was für mich das Entscheidende ist, sind meine Frau und unsere Kinder, denn ohne deren Rückendeckung ist das alles nicht möglich. Als Familie verbindet uns zudem ein großartiges gemeinsames Hobby und das ist das Segeln. Das ist hin und wieder ein sehr schöner Ausgleich und der Kopf wird frei.
Stefan Reichert
Die Familie ist bei uns oder bei mir ein wichtiges Thema, und diesen Ausgleich suche ich auch in den Ferien. Wir gehen im Urlaub oft in die Berge, mittlerweile auch häufiger ans Meer. Ansonsten wandern, gerne Mountainbike fahren, da bietet sich die Umgebung von Freiburg auch ganz gut an. Und das ist mein Ausgleich.
Vielen Dank für das Gespräch.