Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Die Erdbeobachtung aus dem All nahm ihren Anfang in den 70er-Jahren mit optischen Kameras. Heute gibt es eine Vielzahl weiterer Sensoren. Die Motivation war und ist, Geoinformationen global und über lange Zeit zu erfassen. So können heute Satelliten zum Beispiel die Ausdehnung der arktischen Eiskappe sehr genau vermessen. Radarsysteme im Weltall gibt es seit 1978, und diese haben ein Alleinstellungsmerkmal, weil nur sie Bilder von der Erdoberfläche – unabhängig von Tag und Nacht, unabhängig von Bewölkung und Regen – mit sehr hoher Bildauflösung aufnehmen können.
Das Radar selbst funktioniert nach dem Fledermausprinzip: Die Fledermaus sendet ein akustisches Signal in regelmäßigen Abständen, empfängt nacheinander die Echos und erhält dadurch ein Bild von ihrer Umgebung. Genauso machen wir es mit Radar: Wir senden elektromagnetische Impulse, wie man sie auch von der mobilen Kommunikation her kennt. Diese Impulse werden von der Erdoberfläche reflektiert, vom Radarsystem empfangen und dann zu einem zweidimensionalen Bild verarbeitet. Dabei wird ein Streifen der Erdoberfläche entsprechend der Flugrichtung des Satelliten abgebildet. Diese Technik wurde immer weiterentwickelt, in den 80er- und 90er-Jahren noch mit einer Auflösung um die zehn Meter. Im Jahr 2000 wurde dann zum ersten Mal das Prinzip des Stereoradars auf einem Space Shuttle der NASA implementiert.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Aus den Radarmissionen auf dem Spaceshuttle entstand dann vor gut zehn Jahren die Idee für das hochauflösende Radarsystem TerraSAR-X. TerraSAR-X ist der erste deutsche Radarsatellit und liefert seit 2007 hochgenaue Radarbilder mit einer Auflösung von einem Meter für wissenschaftliche Nutzer und für einen kommerziellen Markt, der mittlerweile etabliert ist. Die Daten werden zudem für hoheitliche Aufgaben wie Umweltüberwachung, Regionalplanung, Katastrophenschutz und Sicherheit genutzt.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Hier muss man hinzufügen: Deutschland ist seit 35 Jahren an dieser Radarentwicklung beteiligt; dabei gab es eine Entscheidung im Raumfahrtprogramm Deutschlands, den Schwerpunkt auf Radarsysteme zu legen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) war seitdem an allen europäischen und internationalen Radarmissionen beteiligt, an den programmatischen Entwicklungen und an Vorschlägen für neue Radarsatelliten. Wir haben diese Entwicklungen von Beginn an begleitet, nicht zuletzt mit Flugzeugsystemen als Vorreiter für die künftigen Satelliten, die gewöhnlich erst fünf oder zehn Jahre später kommen.
Sie testen erst mit und in einem Flugzeug, was Sie an Modulen brauchen für dieses Konzept bevor etwas ins Weltall geht?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Ganz genau. Das betrifft nicht nur die Technologie, sondern auch die Verfahren bis hin zu den neuen Anwendungen. Ein Beispiel ist hier die Radartomografie, die man von der Computertomografie in der Medizin her kennt. Mit unserem Flugzeugsystem konnten wir die ersten Nachweise zur Radartomografie erbringen, mit der zum Beispiel ein vertikales Profil von Wäldern ermittelt werden kann. Wie gesagt, das sind Techniken, die erst in fünf oder zehn Jahren auf Satelliten eingesetzt werden.
Man hatte die erste Stufe der Entwicklung erreicht, und dann gab es die Idee, die Abbildung der Erde mit zwei Antennen zu probieren. Zwei Antennen an einem Satelliten? Mit welchem Effekt?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Bei der Shuttle Radar Topography Mission (SRTM) im Jahr 2000 war die zweite Antenne an einem ausfahrbaren 60 Meter langen Masten montiert. Damit konnten wir schon ein Höhenmodell der Erdoberfläche mit guter Genauigkeit erzeugen – leider nicht global, das Space Shuttle kann nicht über die Polregionen fliegen. Höhendaten sind eine Grundlage für eine Vielzahl von Anwendungen, deshalb sind die SRTM-Daten derzeit der am häufigsten verwendete Fernerkundungsdatensatz.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Die Höhenmessung basiert hierbei darauf, dass beide Antennen die Erde aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln beobachten. Ähnlich wie beim räumlichen Sehen mit zwei Augen kann man so Informationen über die dritte Dimension gewinnen. Aber anders als beim menschlichen Sehen nutzt das Radar die unterschiedlichen Laufzeiten der Radarpulse. Die Genauigkeit der Höhenmessung hängt dabei stark vom Abstand der beiden Antennen ab. Bei der Shuttle-Mission war dieser Abstand auf 60 Meter beschränkt. Das ist eigentlich noch zu kurz für eine optimale Messung, dennoch war der verwendete Mast damals die größte je im Weltraum geflogene Struktur.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Man muss sich vorstellen, dass bis zum Jahr 2000 die Oberfläche der Venus topografisch besser kartiert war als manche Gebiete der Erde. Und global gab es nur ein Geländemodell, also dieses dreidimensionale Abbild der Erde, mit Genauigkeiten von 100 Metern. Erst im Jahr 2000 konnte mit der Shuttle-Mission diese Genauigkeit auf zehn Meter verbessert werden, damit hatten wir das erste Abbild der Erde in einer guten Höhengenauigkeit. Nicht ganz global, wie Manfred Zink sagte, denn die Umlaufbahn des Space Shuttle erreicht maximal den 60sten Breitengrad, es fliegt also nicht über die Pole. Trotzdem wird dieser Datensatz bis heute umfassend genutzt. Entsprechend gibt es aber einen sehr großen Bedarf an topografischen Karten mit noch höherer Genauigkeit. Und da bewegen wir uns allmählich in die Richtung unserer Innovation.
Kommen wir zu Ihrer Innovation: Wie ist diese in einzelnen Schritten vonstatten gegangen?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Schon 1999/2000 wurden wir vom Vorstand des DLR um eine Studie zur nächsten Generation von Radarsatelliten gebeten. Wir haben damals diesen großen Bedarf an einer wesentlich genaueren Topografie der Erde gesehen, als sie von der Space-Shuttle-Mission geliefert werden konnte. Radar ist bei dieser Aufgabe unschlagbar: zum einen durch die Tatsache der Wetterunabhängigkeit, zum anderen, weil das Messverfahren des Radars, das Stereoprinzip mit den zwei Antennen, extrem genau ist. Man nutzt hierzu das Prinzip der Interferometrie – jetzt wird’s kompliziert, man kennt das von der Physik. In der Interferometrie messen wir Phasen. Der Mensch kann nur Amplituden wahrnehmen, also die Stärke von Licht oder die Stärke der Stimme. Mit Radarwellen können wir aber auch eine Phasenüberlagerung aus zwei Signalen durchführen: Es entstehen konstruktive und destruktive Interferenzen, mit denen wir kleinste Entfernungsunterschiede millimetergenau messen können. Das ist viel genauer als das, was man sonst mit Kameras messen kann. Durch dieses Messprinzip stellen wir die Topografie viel präziser dar als sonst. Das waren die ersten Überlegungen, wie so ein System aussehen könnte, doch es war noch nicht unsere Erfindung. Die Schwierigkeit bestand darin, einen ausreichend großen Abstand zwischen den Antennen für eine hochgenaue Messung zu bekommen.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger Daraus ist der Gedanke entstanden, zwei Satelliten parallel fliegen zu lassen, sozusagen das Radarsystem auf zwei Satelliten zu verteilen. Damit ist man flexibel, kann die Satelliten in einem beliebigen Abstand zueinander fliegen lassen und letztendlich die Genauigkeit ‑ je nach Satellitenabstand ‑ um ein bis zwei Größenordnungen steigern. Dieser Ansatz war jedoch mit sehr, sehr vielen Herausforderungen verbunden. Ich nenne nur einige: Zwei Satelliten, die in enger Formation miteinander fliegen. Das ist nicht wie bei Flugzeugen, die auf beliebigen Bahnen fliegen können, sondern man muss den natürlichen Umlaufbahnen folgen, wie sie von den Keplerschen Gesetzen vorgegeben werden. Hierzu mussten wir geeignete Satellitenbahnen finden, die es uns einerseits ermöglichen, den Abstand für die interferometrische Aufnahme optimal einzustellen, und es andererseits vermeiden, dass die Satelliten miteinander kollidieren. Für die Entwicklung dieses Formationsfluges haben wir ein Patent erhalten.
Eine andere große Herausforderung: Ein herkömmliches Radar sendet elektromagnetische Wellen aus und empfängt sie wieder. Beim Formationsflug befinden sich Sender und Empfänger jedoch auf unterschiedlichen Satelliten. Die beiden Systeme müssen daher sehr genau synchronisiert werden, man muss also eine sehr genaue Phasen- und Zeitbeziehung zwischen den beiden Satelliten herstellen. Eine Zahl dazu: Wir reden von einer Genauigkeit von einer Billionstelsekunde, das ist die Zeit, die das Licht braucht, um nur einen Millimeter zurückzulegen, also eine extrem kurze Zeitspanne. Auch für die Synchronisierung der Radarsysteme haben wir ein Verfahren entwickelt, bei dem die Satelliten wechselseitig Signale austauschen. Mithilfe einer aufwendigen Signalverarbeitung können wir dann beide Systeme in der erforderlichen Genauigkeit synchronisieren.
Einen Satelliten zu entwickeln, zu bauen, ist ja nicht in ein paar Wochen passiert, sondern da sind ja auch Investitionen, technische Herausforderungen. Wie muss man sich das vom Zeitablauf vorstellen? Wie lange braucht man, um einen Satelliten zu entwickeln?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Im Prinzip beginnt die Geschichte mit der Mission TerraSAR-X, die als Nachfolgrin der Space-Shuttle-Missionen geboren wurde; die Entscheidung zu TerraSAR-X fiel 2002 für einen Start 2007. Man muss mit fünf bis sechs Jahren Entwicklungszeit rechnen. Interessant ist, wie wir nun zum zweiten Satelliten kamen, wir brauchen ja zwei Satelliten für die Mission TanDEM-X (TanDEM-X steht für TerraSAR-X add-on for Digital Elevation Measurement). Die Idee, aus TerraSAR-X ein Satellitentandem zu machen, wurde geboren, nachdem der erste Satellit bereits auf dem Weg war. Erst 2003 gab es den konkreten Vorschlag für den zweiten Satelliten, und die große Herausforderung für uns war, diese zwei Satelliten mit ausreichend zeitlicher Überlappung im Orbit zu haben. Dadurch war der Zeitdruck bei der Entwicklung des zweiten Satelliten von Anfang an enorm, wir mussten wirklich schnell sein.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Diesen Punkt muss man hervorheben: Im Jahr 2003 gab es eine Ausschreibung in Deutschland für eine Erdbeobachtungsmission. Da war der erste Satellit, der TerraSAR-X, schon im Bau. Wir haben dann alle Erfindungen, alle Innovationen, in den Missionsvorschlag TanDEM-X gepackt. Herr Zink ist Projektleiter und somit verantwortlich für die Umsetzung der Mission hier im DLR Oberpfaffenhofen. Herr Krieger ist verantwortlich für das Missionskonzept und somit eine Art Architekt für TanDEM-X. Ich war Initiator und von Anfang an der wissenschaftliche Sprecher für TanDEM-X. Und als Team waren bis zu 100 Mitarbeiter beteiligt. Es gab ein Auswahlverfahren mit insgesamt 13 Missionsvorschlägen. Und erst 2006 fiel die Entscheidung, dass die Mission TanDEM-X, und damit der zweite Satellit, realisiert werden darf. Was Manfred Zink gerade gesagt hat: Als der erste Satellit beschlossen war und gebaut wurde, hat man nicht daran gedacht, einen zweiten zu bauen und beide in enger Formation zusammen fliegen zu lassen. Es war eine Herausforderung, noch die letzten Modifikationen anzubringen und alle Punkte zu lösen, damit dieser Formationsflug reibungslos funktioniert. Uns lief bis 2006 die Zeit davon. Dann musste der zweite Satellit gebaut und so früh wie möglich gestartet werden. 2010 wurde er, ziemlich genau drei Jahre nach TerraSAR-X, gestartet, und seit Ende 2010 fliegen beide in enger Formation zusammen. Das sind die ersten Radarsatelliten im Weltall im Formationsflug, und zusammen erstellen sie diese neue topografische Karte unserer Erde.
Sind das jetzt Zwillingsbrüder, die beiden Satelliten?
Dr.-Ing. Manfred Zink Sie sind fast baugleich, der zweite Satellit hat jedoch bestimmte Modifikationen, zum Beispiel brauchen wir ein zusätzliches Antriebssystem, um den Formationsflug bewerkstelligen zu können. Das ist nicht so stark wie der Grundantrieb, damit werden ganz kleine Schübe erzeugt. Und der zweite kann auch noch Informationen – die Satelliten senden laufend ihren Status, ihre Position, Daten zur Telemetrie – vom ersten empfangen. Das sind die wesentlichen Modifikationen; zusätzlich hat er noch mehr Speicher, aber grundsätzlich ist es der gleiche Satellit.
Reagieren diese beiden Satelliten aufeinander, oder werden sie von unten gelenkt?
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Sie werden von unten gelenkt, das war eine weitere Herausforderung. Wenn man von vornherein ein System aufbauen würde, bei dem zwei Satelliten in enger Formation fliegen, würde man anders an die Sache herangehen. Dann könnte man beide Satelliten auch autonom fliegen lassen und hierdurch stets einen Sicherheitsabstand wahren. Aber der erste Satellit war schon auf dem Weg, die Baupläne waren, erstellt, das ganze Design war fertig, und wir konnten nur minimale Modifikationen vornehmen. Wir mussten also durch eine trickreiche Wahl der Orbits dafür sorgen, dass die Satelliten trotz des geringen Abstands von teilweise nur 150 Metern ohne autonome Kontrolle sicher fliegen. Und so reicht es heute, dass unsere Kollegen vom Raumfahrtkontrollzentrum in Oberpfaffenhofen lediglich alle sechs Stunden einen Kontakt zu einer Bodenstation haben, um, falls notwendig, noch in die Satellitenbahn eingreifen zu können.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Damit man eine Vorstellung davon hat, wie genau diese zwei Satelliten im Betrieb sind: Dadurch, dass die zwei Satelliten miteinander kommunizieren und zusammen fliegen, sieht es im Weltall so aus, als ob beide beinahe stehen, sich nicht bewegen würden, weil sie fast parallel zueinander fliegen. Aber wenn man die Erde als Bezugspunkt nimmt, fliegen die Satelliten 7600 m/s schnell. Das sind etwa 27.000 km/h. Und dadurch entstehen Zeitunterschiede in den Referenzsystemen. Wenn wir das nicht korrigieren, entspricht das einem Höhenfehler von mehreren Metern. Wenn wir das korrigieren, nutzen wir die Relativitätstheorie, um diese unterschiedlichen Bezugssysteme zu berücksichtigen. Im Prinzip bestätigen wir also nebenbei, dass die Relativitätstheorie stimmt …
Jetzt fliegen zwei Satelliten. Was ist mit den Antennen? Wie fangen sie die Bilder ein?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Das funktioniert so, dass der eine Satellit periodisch Impulse aussendet und empfängt. Er nimmt seine Bilder wie gehabt auf, und der zweite Satellit ist lediglich Empfänger, er empfängt also nur das reflektierte Signal. Da zum Senden sehr viel mehr Energie benötigt wird als zum Empfangen, vertauschen wir regelmäßig die Rolle von Sender und Empfänger, sodass wir größere Gebiete aufnehmen können. Der TerraSAR-X-Satellit war ja ursprünglich nicht dafür konzipiert, systematisch die gesamte Erde abzubilden.
Die zwei gleichzeitig aufgenommenen Bilder können wir dann am Boden miteinander kombinieren, indem wir dieses hochgenaue Interferometrieprinzip anwenden. Wir messen die Entfernungsdifferenz aus diesen zwei Positionen zu jedem Punkt auf der Erdoberfläche mit einer Genauigkeit von weniger als einem Millimeter und können dann daraus auf die Höhe dieses Punktes schließen. Dazu brauchen wir eine aufwendige Datenverarbeitung und Kalibrierung, bei der viele Zusatzinformationen berücksichtigt werden müssen, etwa die genaue Kenntnis der Satellitenbahn und der Abstand zwischen den beiden Satelliten.
Zusätzlich wurde eine neue Aufnahmetechnik, ein neues Aufnahmeprinzip, entwickelt …
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Das zielt mehr auf die Zukunft ab. Wir haben bei TanDEM-X – neben aller Innovation – auch eine prinzipielle Begrenzung. So benötigen wir ein ganzes Jahr, um die Erde einmal komplett abzubilden. Das ist sicherlich ausreichend, um ein globales Höhenmodell der Erde zu erstellen. Wenn jedoch dynamische Vorgänge auf der Erde wie Verkehr, Meeresströmungen oder die Abholzung von Regenwäldern beobachtet werden sollen, braucht man eine deutlich höhere Aufnahmekapazität.
Und genau da greift die zweite von uns entwickelte Schlüsseltechnologie ein, und zwar ist das die sogenannte digitale Radarantenne. Der Trick besteht darin, eine große Antenne in viele kleine Antennen zu unterteilen. Jede dieser Antennen hat einen eigenen Empfänger, der die ankommenden Signale verstärkt und digitalisiert. Hierdurch ist es möglich, in einem nachgeschalteten Computer die Signale beliebig miteinander zu kombinieren, um beispielsweise mehrere „Antennenkeulen“ gleichzeitig zu erzeugen. Damit wird das Blickfeld des Satelliten deutlich erweitert. Das ist vergleichbar mit einer futuristischen optischen Kamera, die gleichzeitig mit mehreren Teleobjektiven Bilder aus unterschiedlichen Richtungen aufnimmt.
Auf der Basis dieser hochinnovativen Technologie haben wir gerade einen neuen Missionsvorschlag entwickelt: Tandem-L. Das ist praktisch der Nachfolger von TanDEM-X: Durch die Innovation mit der digitalen Radarantenne ist es möglich, zweimal in der Woche die gesamte Landmasse der Erde abzubilden; man bekommt ganz neue, aktuelle Informationen für Klimaforschung, Umwelt oder Verkehr.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Verglichen mit der TanDEM-X-Mission ist das eine Steigerung in der Leistungsfähigkeit um zwei Größenordnungen, also den Faktor 100. Darin sehen wir eine große Zukunft: Betrachtet man das Alleinstellungsmerkmal von Radar, die Erde unabhängig von Tag und Nacht oder von Regen abzubilden, und hat man dann diese Leistungsfähigkeit, kann man diese Vision auch weiterentwickeln. Wir haben eine Konstellation von Satelliten und können im Stunden-, sogar im Minutentakt, egal wo auf der Erde, aktuelle, hochaufgelöste Bilder liefern. Es entstehen Bilder im Minutentakt, und wir wissen, wie und wo eine Überschwemmung, ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch passiert, und sogar, ob ein einzelner Baum abgeholzt wird.
Heute stehen für unsere moderne Gesellschaft solche Geoinformationen noch nicht zur Verfügung. Es gibt Katastrophen, und es dauert in manchen Fällen einen halben Tag, bis man weiß, was geschehen ist. Und noch weniger weiß man, wie die Rettungsmaßnahmen beginnen können, denn die Kommunikation ist dann oft schon zusammengebrochen.
Wir sind überzeugt von dieser Vision. Die Steigerung der Aufnahmefähigkeit um zwei Größenordnungen ist ein Meilenstein zur Erfüllung dieser Vision. Es ist aber noch ein weiter Weg dorthin – derzeit läuft die TanDEM-X-Mission. Sie ist seit Dezember 2010 im operationalen Betrieb ‑ und das sehr erfolgreich.
Sie mussten ja vermutlich nicht nur das, was Sie ins All schicken, organisieren, sondern auch die entsprechende Infrastruktur am Boden aufbauen …
Dr.-Ing. Manfred Zink
In diesen Jahren – und schon beginnend mit der Mission TerraSAR-X – sind hier ein großes und tolles Team im DLR Oberpfaffenhofen und eine sehr gute Kooperation mit dem Industriepartner Astrium in Friedrichshafen entstanden. Um die TanDEM-X-Satelliten zu steuern und die Radardaten zu empfangen, wurde die notwendige Infrastruktur am Boden, das sogenannte Bodensegment, von vier DLR-Instituten in Oberpfaffenhofen aufgebaut. Es steuert die Satelliten und deren Instrumente, verarbeitet die Radardaten, archiviert diese und leitet sie an die Nutzer weiter. Die gute Zusammenarbeit ist ein Schlüsselfaktor zum Erfolg der beiden Missionen. Wir hatten viele Herausforderungen zu meistern, und immer wieder war der Teamgeist entscheidend.
Der Start von TanDEM-X war vor zwei Jahren, im Sommer 2010. In der ersten Phase galt es, das ganze System in Betrieb zu nehmen. Das war mehr als spannend, als wir die zwei Satelliten zum ersten Mal auf wenige hundert Meter zusammenführten. In dieser Formation, in einem sehr stabilen Szenario, fliegen wir jetzt seit eineinhalb Jahren. Für Insider, die wissen, was da alles abläuft, was in jedem Umlauf passieren muss, welche Mechanismen auf den Punkt genau greifen müssen, ist es immer noch erstaunlich, wie gut die Mission funktioniert.
Wir haben jetzt die Erde einmal komplett kartiert und sind dabei, eine zweite Aufnahme zu machen. Um diesen Genauigkeitssprung zu erreichen, müssen wir uns nämlich in Schritten vortasten. In den Analysen der ersten Aufnahme sehen wir eine Datenqualität, die besser ist als erwartet. Das ganze Team hat hervorragende Arbeit geleistet, um dieses System auch hochgenau zu kalibrieren: Wir werden das Ziel, diese zwei Meter Höhengenauigkeit, erreichen und ein Höhenmodell mit einer Rasterung von zwölf mal zwölf Metern liefern, das heißt, man erhält für jeden Fleck von zwölf mal zwölf Metern auf der Erdoberfläche den Höhenwert in dieser Genauigkeit.
Was kostet ein solcher Satellit?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Der erste Satellit kostet 130 Millionen Euro, der zweite 85 Millionen Euro.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Lassen Sie mich zu den Kosten noch etwas sagen, man muss das relativieren: 130 Millionen Euro – das klingt erst einmal nach viel Geld. Wenn wir jedoch umrechnen, was es kostet, für jeden Quadratkilometer der Erde dieses Höhenmodell zu erstellen, so sind das etwa ein Euro pro Quadratkilometer. Wenn Sie das mit herkömmlichen Methoden machen, also mit Flugzeugen, so kostet es 100 Euro pro Quadratkilometer.
Man merkt, dass die Aufnahme mit Satelliten trotz des hohen Aufwands viel kostengünstiger ist, weil man immer die gesamte Erde im Blick hat. Wir profitieren hier davon, dass man den Markt in der gesamten Welt bedienen kann.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Die Industrie hat substantiell dazu beigetragen, beide Satelliten waren Projekte in Private Public Partnership. Die Industrie – die Firma Astrium GmbH – hat die Satelliten gebaut, und die Firma Astrium GEO-Information Services hat die exklusiven Rechte für die Vermarktung der Daten, während das DLR in Oberpfaffenhofen die Satelliten steuert, Daten empfängt, sie speichert, prozessiert und die Datenlieferung an die Wissenschaftler koordiniert. Weltweit nutzen bereits mehr als 200 Wissenschaftler diese Daten für ihre Forschung.
In zwei Jahren haben wir dann diese neue, topografische Karte der Erde. Wir sind überzeugt: Das wird einer der Datensätze in der Fernerkundung, der am meisten Verwendung findet, da er viel genauer sein wird als bisher verfügbare.
Sie arbeiteten lange Zeit an diesem Projekt. War das immer ein kontinuierliches Fortschreiten, oder gab es auch mal Phasen, bei denen Sie nicht sicher waren, dass es funktioniert?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Neben den vielen Herausforderungen, die wir ja bereits besprochen haben, waren für mich zwei Dinge die schwierigsten: Einmal die Genehmigung zur Realisierung der Satelliten. 2005 haben wir die Machbarkeitsstudie zu TanDEM-X erfolgreich abgeschlossen und hätten mit der Realisierung anfangen können, mussten jedoch noch ein Jahr warten, bis die Entscheidung zur Realisierung der Satelliten fiel. Darüber waren wir dann natürlich sehr glücklich. Der zweite Punkt war der Start. Jeder Start eines Satelliten ist mit einem sehr großen Risiko verbunden. Heute haben die besten Raketen für den Start von Satelliten eine Erfolgswahrscheinlichkeit von etwa 97 Prozent, und man muss hoffen, dass man nicht in die drei Prozent fällt.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Für mich war der enge Zeitplan die größte Herausforderung: 2006 kam das Go, klar war, dass wir 2009, spätestens 2010, starten müssen. Der Druck war enorm, der Satellit ist eine Kopie vom ersten Satelliten, aber am Boden mussten doch sehr viele neue Systeme entwickelt und aufgebaut werden.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Aus technischer Sicht ist das generell eine Herausforderung bei Raumfahrtsystemen: Man kann einen Satelliten nicht einfach starten und dann zuschauen, ob alles funktioniert. Eine Nachbesserung ist hier ja leider nicht mehr möglich, da der Satellit schon im Orbit ist. Darüber hinaus hatten wir mit TanDEM-X eine Mission vorgeschlagen, die außerordentlich komplex war und in vielen Bereichen komplettes Neuland betreten hat. Nichts durfte bei der Planung übersehen werden. Richtig sicher, dass alles wie geplant funktioniert, waren wir uns daher eigentlich erst nach der erfolgreichen Aufnahme und Auswertung der ersten Höhenmodelle.
Man könnte ja jetzt ganz ketzerisch sagen: Wunderbar, zwei Satelliten, die liefern schöne Bildchen. Wie wird denn ein Produkt daraus? Es gibt eine wissenschaftliche und eine kommerzielle Auswertung?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Ein genaues Höhenmodell produziert die Mission TanDEM-X ja bereits. Global steht es ab Mitte 2014 den Wissenschaftlern und den kommerziellen Partnern zur Verfügung. Das Spektrum der Anwendungen ist sehr breit. Die Erstellung genauer Karten sowie viele geowissenschaftliche Forschungsgebiete wie die Hydrologie, Glaziologie und Geologie benötigen präzise und aktuelle Informationen über die Erdoberfläche und ihre Topografie. Katastrophenmanagement ist ohne präzise Geländemodelle undenkbar. Bei großen Überschwemmungen oder bei Erdbeben vermitteln Satellitenbilder zusammen mit der dreidimensionalen Geländebeschreibung den Hilfskräften ein genaues Bild der Lage vor Ort.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Ein wichtiger kommerzieller Bereich in der Nutzung der 3-D-Daten sind Planungsmaßnahmen. Zum Beispiel ist das Höhenmodell, das wir mit TanDEM-X erstellen, ganz essentiell für die Planung von Telekommunikationsanlagen, um optimale Standorte für Sendemasten zu finden.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Zudem können Wissenschaftler die Mission TanDEM-X dazu nutzen, neue Techniken und Verfahren zu testen und somit neue Forschungsgebiete zu erschließen. Da können wir dann beispielhaft Meeresströmungen oder Gletscherbewegungen messen. Wir haben auch eine ganz neue Technik, die in Richtung Biomassebestimmung geht oder die Höhe von landwirtschaftlichem Bewuchs vermisst. Solche neue Techniken zu demonstrieren, die für künftige Systeme sehr wichtig sind, ist ein weiterer Aspekt der Mission.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Künftig werden wir für eine ganze Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen – man denke an Klimawandel und Umweltschutz – einzigartige Produkte liefern können. Ein Beispiel ist, dass wir noch große Lücken im Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs haben, das hat mit der Freisetzung und Wiederaufnahme von Treibhausgasen durch die Wälder zu tun. Mit unseren neuen Techniken können künftige Radarsatelliten die Biomasse sehr genau messen und damit auch den in den Wäldern gebundenen Kohlenstoff. Das ist ein wichtiger Schritt im Hinblick auf eine bessere Klimamodellierung, denn die terrestrisch gebundene Biomasse ist bis heute eine große Unbekannte im Kohlenstoffkreislauf.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira Auch dynamische Prozesse auf der Erdoberfläche lassen sich mit hoher Auflösung beobachten, zum Beispiel Entwaldung, Veränderungen in Permafrostböden oder das Abschmelzen von Gletschern. Durch Langzeitbeobachtungen können wir sehen, wie schnell und in welcher Menge die Schmelzprozesse in den Polargebieten ablaufen. Wir können Bodenfeuchte als wichtige Komponente im Wasserkreislauf messen, da sehen wir kleinste Unterschiede. Die Überwachung der Ölverschmutzung mit Radarsatelliten ist ein Beispiel dafür, was bereits heute möglich ist und seit mehreren Jahren für alle europäischen Meere operational genutzt wird. Denn Ölverschmutzung auf der Meeresoberfläche hat eine etwas stärkere Viskosität, sie dämpft die kleinen Wellen, das Radar sieht diese Unterschiede genau. Auch die Kontrolle des Fischfangs lässt sich mit Radarsatelliten durchführen.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Ein weiterer wichtiger Bereich betrifft die einzigartige Möglichkeit von Radar, kleinste Entfernungsänderungen mit höchster Präzision zu erfassen. Hierdurch können wir zum Beispiel minimale Hebungen und Senkungen oder Verschiebungen der Erdkruste vermessen. Ein längerfristiges Ziel ist es, kontinuierlich seismische Bewegungen mit Zentimeter- und sogar Millimetergenauigkeit zu erfassen und damit das Verständnis sowie die Modellierung dieser Prozesse bei Vulkanismus oder Erdbebenforschung voranzubringen.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Was viele nicht wissen: Wenn Grundwasser entnommen wird, dann senkt sich die Erdoberfläche um Millimeter, sogar um Zentimeter. Wir haben Beispiele in Großstädten wie Mexiko-Stadt oder Las Vegas, da sind es mehrere Zentimeter pro Jahr. Und das kann per Radar festgestellt werden.
Dr.-Ing. Manfred Zink
In Bergbaugebieten ist die Absenkung ebenfalls ein sehr wichtiges Thema, etwa wenn es um die Ursache von Gebäudeschäden geht.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Es gibt noch viele andere Beispiele und Anwendungsbereiche, Klima und Umweltschutz bis hin zur effizienten Nutzung natürlicher Ressourcen wie Energie. Bei der Planung von Offshore-Windparkanlagen lassen sich Windstärke und Wellengang aus Radardaten vermessen und der richtige Standort bestimmen. Das sehr breite Spektrum ist nicht ausgeschöpft, und wir sind überzeugt, mit diesen Anwendungen, die mehr und mehr im Entstehen sind, einen wichtigen Beitrag zur Lösung einer Vielzahl von gesellschaftlichen Herausforderungen zu leisten.
Kann man sich eine Art militärische Nutzung vorstellen?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Heute sprechen wir von Sicherheitsanwendungen, Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wir wollen alle sicher leben. Die Radarsysteme können dazu beitragen, Grenzbereiche und Konfliktbereiche zu beobachten und wichtige Informationen zu liefern. Wir sehen die Welt und die Umwelt von oben. Ich hoffe, der Mensch wird klüger und vernünftiger, sodass wir in Zukunft nicht mehr über Militär reden – es geht um Sicherheit und Konfliktlösung.
Welche wirtschaftliche Relevanz hat das Projekt?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Wenn vom Geoinformationswesen die Rede ist, sprechen wir – allein für den Datenverkauf – von derzeit weltweit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz pro Jahr. Es sind einige Satelliten im Weltall, die meisten Umsätze werden heute noch mit den optischen Satelliten erzielt. Die Radarsatelliten sind neu und beteiligen sich erst seit wenigen Jahren am kommerziellen Markt; sie haben daher einen bisher kleinen Anteil von etwa 17 Prozent an diesem Markt. Die Nachfrage ist aber enorm, zurzeit wächst der Geoinformationsmarkt um 15 Prozent per annum, sodass wir in zehn Jahren eine Vervierfachung des Umsatzes haben werden. Radar wird zunehmend eine größere Rolle spielen, der Marktanteil wird überproportional wachsen, denn Radardaten haben dieses Alleinstellungsmerkmal der hohen Auflösung bei jedem Wetter und jeder Tageszeit. Derzeit haben wir sozusagen den Blick auf die Erde und erstellen hochaufgelöste Radarbilder, aber die Geoinformationen aus Radardaten zu extrahieren ist derzeit keine einfache Aufgabe. Mit unseren Entwicklungen tragen wir entscheidend dazu bei, dass diese Informationsextraktion wesentlich einfacher wird. Der Geoinformationsmarkt wird kommen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre explodiert dieser Markt, ähnlich wie es in den 80er-Jahren bei der Satellitenkommunikation passiert ist. Deutschland hat heute die Poleposition in der Radartechnologie, mit den modernsten Satelliten weltweit. Wir haben einen hervorragenden Stand und sind prädestiniert, in Zukunft eine wesentliche Rolle am Markt einzunehmen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Nicht zuletzt spielt Deutschland eine wichtige Rolle in der Welt, wenn es beispielsweise um Klima oder Nachhaltigkeit geht, das zeigen die Klimakonferenzen. Da ist Deutschland Vorreiter. Und mit diesen Radarsatelliten tragen wir entscheidend dazu bei, unsere Rolle zu stärken und in den kommenden Jahren noch intensiver wahrnehmen zu können.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Mit der Technologie, die wir bereitstellen, sind wir ganz am Anfang einer immensen Wertschöpfungskette. Der eigentliche Markt besteht darin, neue Dienstleistungen und Produkte für die vielen Anwendungen, wie wir sie vorher angedeutet haben, zu schaffen und zu vertreiben. Damit stoßen wir einen wichtigen Innovations- und Wertschöpfungsprozess an.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Astrium GEO-Information Services macht aktuell einen Euro-Umsatz im zweistelligen Millionenbereich pro Jahr ‑ allein mit den Daten eines Satelliten. Der Geschäftsplan für TanDEM-X sieht einen Umsatz im dreistelligen Millionenbereich aus der Verwertung topografischer Karten vor, es gibt sechs oder mehr Länder mit klarer Zusage für den Kauf von Geländemodellen. Die Nachbearbeitung – diese Geländemodelle werden in Karten umgewandelt und verbessert ‑ ergibt ein veredeltes Informationsprodukt. Die Veredelung dieser Daten, der Umsatz, der damit verbunden ist, liegt im Milliarden-Euro-Bereich.
Die Frage nach dem Wettbewerb kann man sich sparen, Ihre Innovation ist konkurrenzlos, oder?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Bis eine weitere Nation in der Lage ist, solch ein Satellitensystem ins All zu bringen, vergehen mindestens fünf Jahre, dann braucht man nochmals zwei Jahre, um bei der Aufnahme und Prozessierung der Radardaten einen ähnlichen Stand zu erreichen, den wir heute schon nachweisen können.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Wir sehen derzeit auch, dass mehr und mehr Länder an der Technik interessiert sind, und das ist wiederum eine Möglichkeit für die Satellitenbauer hier in Deutschland. Und es gibt mehrere Ansätze, derartige Satelliten zu exportieren – weltweit.
Fassen wir zusammen: Was ist das wirklich Innovative an Ihrem Projekt, das jetzt mit der Nominierung zum Deutschen Zukunftspreis gewürdigt wird?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Wir haben eine neuartige Satellitenmission vorgeschlagen, konzipiert und deren Entwicklungsarbeiten im DLR Oberpfaffenhofen geleitet. TanDEM-X ist die erste Radarsatellitenmission in engem Formationsflug. Mit dieser Innovation generieren wir eine neue, dreidimensionale Karte der Erdoberfläche in einer Genauigkeit und Auflösung, die bisher noch nicht vorhanden ist. Das ist ein Genauigkeitssprung von Faktor 30, verglichen mit dem, was heute weltweit verfügbar ist. Das wird die neue topografische Referenz für unsere Erde! Unsere zweite Innovation ist die digitale Radarantenne. Mit dieser verbessern wir die Leistungsfähigkeit derzeitiger Radarsysteme um zwei Größenordnungen. Damit können wir die Erdoberfläche hundertmal schneller global erfassen, als dies heute möglich ist. Dies ist ein Meilenstein in Richtung eines Systems, das in der Lage ist, die Erde im Stunden- oder Minutentakt umfassend abzubilden. Damit eröffnen wir das Tor für ein Radarobservatorium im Weltall, das die Erd- und die Umweltdynamik flächendeckend mit hoher Auflösung und in Echtzeit erfassen kann.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Mit unseren Innovationen haben wir die satellitengestützte Erdbeobachtung um zwei Dimensionen erweitert. Zu den bereits vorhandenen zwei Bilddimensionen kommt mithilfe des Formationsflugs die dritte Dimension hinzu. Bei TanDEM-X ist das die Höhenmessung, bei künftigen Missionen auch die Tomografie, mit der wir beispielsweise in Wälder hineinblicken können. Mit der digitalen Radarantenne öffnen wir schließlich die Tür für die vierte Dimension, die Zeit, indem wir künftig die Erde fast kontinuierlich abbilden. Durch die raumzeitliche Erfassung werden wir das System Erde und seine Umwelt mit ganz anderen Augen sehen und für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts neue Lösungsvorschläge anbieten können. Beispiele sind das Bedürfnis nach Sicherheit, der effiziente Umgang mit natürlichen Ressourcen, die Nachhaltigkeit sowie der Umwelt- und Klimaschutz. Mobilität ist ein wichtiges Thema, das viele Menschen in unserem Land betrifft.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Bemerkenswert ist, dass mit der TanDEM-X-Mission die Innovation für heute ‑ die kooperierenden Radarsysteme im Formationsflug – bereits umgesetzt sind und der tagtägliche Betrieb fast zur Routine geworden ist. Die ersten Daten lassen eine hervorragende Qualität für unser 3-D-Modell der Erde erwarten. Mit TanDEM-X wurden auch schon kritische Techniken für die Innovation von morgen erfolgreich getestet, und damit wurde die Machbarkeit von Systemen zur raumzeitlichen Beobachtung der Erde demonstriert.
Nun wollen wir noch wissen, wie Sie zu diesem spannenden Arbeitsbereich gekommen sind. Sie haben Elektrotechnik und technische Physik studiert. Ab wann wussten Sie, dass das Ihre Welt ist? Oder wollten Sie eigentlich irgendwas ganz anderes machen?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Ich war immer schon technikinteressiert, und das erste Ereignis, das ich im Fernsehen bewusst verfolgt habe, war die Mondlandung. Das war sicherlich prägend. Ich habe mich entschlossen, Physik zu studieren, und bin für die Diplomarbeit an das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gekommen. Und hier habe ich spannende Missionen gesehen, auch noch mit der NASA, und das war mein Einstieg. Ich hatte das Glück, an diesen tollen Missionen mitarbeiten zu dürfen, war dann mehrere Jahre bei der ESA, dort am Satellitenprojekt ENVISAT, und bin dann ins DLR zurückgekommen, um bei diesem spannenden TanDEM-X-Projekt die Projektleitung zu übernehmen. Ja, das war schon eine tolle Zeit. Wenn man sich zurücklehnt und darüber nachdenkt, waren das tolle Erlebnisse.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Meine Mutter ist Pianistin, mein Vater Architekt – Elektrotechnik war nicht wirklich ein Thema bei uns zu Hause. Ich habe als Kind sehr viel Klavier gespielt, aber mit acht Jahren schenkte mein Vater mir einen Elektronikbaukasten und an diesem Tag, glaube ich, war für mich die Sache entschieden. Ich habe einen älteren Bruder – er war damals zehn Jahre alt –, und seit dem Tag haben wir uns nur mit Elektrotechnik beschäftigt. Wir haben mit zwölf, 13 Jahren schon angefangen, Audioverstärker zu verkaufen. Damals war die Zeit des Wechsels von Röhren zu Transistoren, und Verstärker waren relativ teuer. Daraus konnten wir sogar ein kleines Geschäft machen. Das ging bis zu der Zeit vor meiner Uni weiter, wir haben Prototypen für Firmen zum Beispiel zu digitalen Anzeigetafeln, zur elektronischen Messung von Blutdruck oder zu digitalen Telefonzentralen entwickelt. Zu jener Zeit gab es noch kaum elektronische Geräte für diese Anwendungen.
Als ich die Uni abgeschlossen hatte, wollte ich forschen, neue Entwicklungen in der Elektronik erleben. Mein Professor, den ich fragte, sagte: „Wenn Sie richtige Forschung auf höherem Niveau machen wollen, gehen Sie nach Deutschland oder in die USA.“ Das war seine Empfehlung. Ich habe mich für ein DAAD-Stipendium beworben, es auch erhalten und kam als Doktorand hier nach Deutschland, schon zum DLR, und so hat dann meine Zeit hier angefangen.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
In der Kindheit hatte ich viele Berufswünsche: Architekt, Fußballer, sicherlich auch mal Hubschrauberpilot. Astronaut war nicht dabei, interessanterweise bin ich jetzt in der Raumfahrt gelandet. Mit meinen Eltern war ich häufig im Deutschen Museum, das ist in München ein Glücksfall. Da habe ich mich für vieles begeistern können. Meine Eltern ‑ beide sind Biologen – haben mir auch viel in der Natur draußen erklärt. Es hat sich dann in der Jugendzeit immer stärker herauskristallisiert, dass ich einen technisch-naturwissenschaftlichen Werdegang einschlagen wollte, zwischen Physik und Elektrotechnik habe ich am Ende der Schulzeit geschwankt. In der Elektrotechnik gibt es sehr viele verschiedene Richtungen, und damals war als spezielle Fachrichtung „Kybernetik“ en vogue, also Technik mit Biologie zu verbinden, Bionik ist hier ein bekanntes Stichwort … Diesen Weg habe ich dann auch nach dem Studium weiterverfolgt, es ging dabei um die Informationsverarbeitung im visuellen System: Was geschieht in unserem Gehirn, wenn wir etwas sehen? Wie nehmen wir Informationen wahr? Nach meiner Promotion auf diesem Gebiet bin ich dann durch Zufall an meine jetzige Position im DLR gekommen, denn ich hatte mich ursprünglich beim Nachbarinstitut, dem Institut für Robotik, beworben. Zeitgleich gab es eine Stellenausschreibung von Prof. Moreira, und der war mit seiner Zusage schneller – so bin ich an das Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme gekommen und habe es bis heute nicht bereut.
Gab es denn irgendwelche Vorbilder oder besondere Ereignisse in Ihrer Ausbildung, die Sie geprägt haben?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Meine Heimat Brasilien war zu meiner Studienzeit ein Entwicklungsland. Das Vorbild waren Länder wie USA und Deutschland und Europa. In meinem Bereich waren es vor allem die USA, aber auch Deutschland, weniger Asien, das in der Elektronik damals noch nicht so weit entwickelt war. Als ich nach Deutschland kam, war das fast wie ein Traum. Man kommt in ein Land, von dem man immer geträumt hat, mit Wohlstand, High-Tech-Entwicklungen, großen Maschinen, einer Automobilindustrie mit Spitzentechnik – all das ist „Made in Germany“! Heute erleben wir, dass Deutschland nach wie vor Richtschnur ist, sogar für Länder wie Südkorea. Diese Rolle als Vorbild ist heute – im Vergleich zu meiner Zeit in Brasilien vor 25 Jahren – in keiner Weise weniger wert.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Ein großes persönliches Vorbild hatte ich eigentlich nicht. Es gab immer wieder Phasen, in denen ich von den Gedanken einzelner Personen fasziniert war. Am Ende meiner Schulzeit war es Einstein. Ich fand es faszinierend, wie man mit einfachen Gedankenexperimenten und Annahmen ein jahrhundertealtes Physikweltbild komplett zum Einsturz bringen kann. Eine neue Vorstellung von Raum und Zeit zu geben – das fand ich beeindruckend. Diese Art und Weise, an Probleme heranzugehen, Dinge kritisch zu hinterfragen, die eigentlich tradiert waren – das hat mich geprägt.
Dr.-Ing. Manfred Zink
Ich hatte zwei Lehrer, die meinen Werdegang geprägt haben. Dass ich mich zum Physikstudium entschlossen habe, hat sicher einer davon stark mit beeinflusst. Dafür bin ich ihm heute noch sehr dankbar. Und im Studium hatte ich einen Professor, der den Link hier zum DLR hergestellt hat; den beiden verdanke ich, dass ich jetzt hier sitze.
Was macht Ihren Beruf spannend, und warum sollte man sich für ein solches Aufgabenfeld entscheiden?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Dieser Bereich – Weltraummissionen –, das ist Technologie an der Spitze, das sind Herausforderungen, nicht nur technologisch, auch organisatorisch, die einem sehr, sehr viel abverlangen. Es ist mehr als interessant, auch global mitzumischen – man muss mittlerweile sagen, dass die Welt auf uns schaut. Als Beispiel: Die NASA-Kollegen haben, als wir schon daran waren, nicht geglaubt, dass TanDEM-X wirklich realisiert wird; diese Mission hätte die NASA nie gemacht, das Risiko wären die nicht eingegangen. An so etwas zu arbeiten und zum Erfolg zu bringen, das ist eine große Motivation.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Von Kindesbeinen an hat es mich gereizt, immer etwas Neues zu machen, und wenn man das mit der Luft- und Raumfahrt kombiniert, ist das einfach traumhaft! Für die Luftfahrt kam meine Begeisterung während des Studiums: Ich war ein aktiver und leidenschaftlicher Segelflieger. Die Begeisterung für Raumfahrt kam erst in Deutschland beim DLR. In der Raumfahrt lässt sich sehr viel Neues entdecken, die Forschung ist faszinierend. Deutschland ist das Land der Innovationen, und dieses Umfeld, das uns hier zur Verfügung steht, um Forschung zu betreiben, ist wirklich optimal gestaltet. Die Kollegen der NASA, das hat Manfred Zink ja schon erwähnt, sind immer ein wenig neidisch, wie Deutschland dieses Konstrukt Wissenschaft/Raumfahrt gestalten kann: sehr effektiv, sehr produktiv und doch sehr innovativ.
Das ist ein technologischer Prozess. Braucht man dazu Kreativität?
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Ich denke, das ganz Wesentliche ist die Kreativität; sie ist es auch, was mich an diesem Beruf besonders reizt. Wir werden laufend mit neuen Herausforderungen konfrontiert, dafür heißt es, im Rahmen unserer Möglichkeiten kreative Lösungen zu finden. Auch bei der Entwicklung neuer Missionsvorschläge ist sehr viel Kreativität gefragt. Was für mich in diesem Zusammenhang besonders wichtig ist, ist die Interdisziplinarität. Früher war es die enge Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern, Biologen und Psychologen, heute sind es Geografen, Umwelt- und Klimaforscher, die uns Techniker und Physiker lehren, auch mal mit anderen Augen auf die Welt zu schauen. Aus der fächerübergreifenden Arbeit kann viel Neues entstehen, und ich profitiere beispielsweise noch heute sehr von meinen früheren Arbeiten zur Informationsverarbeitung in biologischen Sensorsystemen.
Mut oder Disziplin – was treibt denn eine gute Idee so voran?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Zuerst viel Mut und dann viel Disziplin. Während der Entstehung einer guten Idee steht eine Vision im Vordergrund, von der man sehr überzeugt ist. Um die Idee erfolgreich umzusetzen, braucht man Mut. Bei der Durchführung eines großen Raumfahrtprojekts braucht man aber noch dazu viel Disziplin. Als Initiator der TanDEM-X-Mission benötigte ich einerseits viel, viel Mut. Bei der Durchführung eines großen Raumfahrtprojekts wie TanDEM-X ist andererseits viel Disziplin gefragt. Dabei sorge ich stets dafür, dass die Balance zwischen Mut und Disziplin stimmt.
Dr.-Ing. Manfred Zink
In meinem Fall sehe ich zuerst die Disziplin. Als Projektleiter gilt es, das Team zu organisieren und die technische Entwicklung zu leiten und dabei Zeitplan und Kosten im Auge zu behalten. Wir arbeiten hier nach Prozessen, die auch allen Mitarbeitern sehr viel Disziplin abverlangen. Man braucht aber auch Mut, Entscheidungen zu treffen.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Für mich ist es ganz klar Mut, dass man visionäre Ideen hat und diese auch weiterverfolgt und analysiert. Es ist sehr wichtig, über Dinge nachzudenken, die derzeit als zu schwierig – wenn nicht gar unmöglich zu realisieren – angesehen werden. Häufig kommt die Lösung für Probleme aus ganz unvermuteten Ecken. Beispielsweise gab es vor TanDEM-X von uns den Vorschlag für einen kleinen Begleitsatelliten als Ergänzung zu TerraSAR-X. Eine Analyse hat jedoch gezeigt, dass es kostengünstiger ist, einfach einen TerraSAR-X-Satelliten mit den entsprechenden Anpassungen für den Formationsflug nachzubauen. So haben wir heute die weltweit modernste Erdbeobachtungsmission. Und mit TanDEM-X sind wir auch vielen weiteren Ideen und Konzepten für die Fernerkundung der nächsten 20 Jahre einen großen Schritt nähergekommen.
Sie haben ja auch schon Auszeichnungen bekommen für Ihre Arbeit. Sind diese hilfreich?
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Ja, man erfährt im wissenschaftlichen Bereich eine internationale hohe Anerkennung, auch innerhalb des DLR. Zum Beispiel bekamen wir auf der größten Fernerkundungskonferenz weltweit – das ist die IGARSS, die Ende Juli in München mit mehr als 2.700 Teilnehmern aus 68 Ländern stattgefunden hat – eine Auszeichnung vom größten internationalen Verband für Elektrotechnik. Wir – auch die beiden Kollegen sind Empfänger – erhielten die Auszeichnung für die Mission TanDEM-X.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Das gibt auch eine bestimmte Art von Selbstbewusstsein, eben genau solche visionären Konzepte noch offener zu vertreten. Das ist schon sehr, sehr hilfreich.
Was gibt es noch in Ihrem Leben? Was tun Sie gegen Stress, womit entspannen Sie sich?
Dr.-Ing. Manfred Zink
Ich brauche Bewegung, mache gerne etwas im Freien, raus in die Natur. Ich jogge am Abend mindestens eine Runde mit dem Hund und gehe mittlerweile regelmäßig zum Klettern; hier im Institut gibt es eine kleine Clique von Kollegen, die dann dabei sind. Im Winter bin ich begeisterter Skifahrer.
Prof. Dr.-Ing. habil. Alberto Moreira
Klassische Musik ist meine erste Entspannung. Als ich Kind war, gab es fast jeden Tag abends ein klassisches Konzert. Meine Mutter war, wie schon erwähnt, Pianistin, mein Vater hat neben seinem Beruf als Architekt Geige gespielt. Ich höre sehr, sehr viel Musik, das ist ein Genuss. Sportlich – ich laufe sehr viel. Beim Laufen und beim Sport kommen gute Ideen, und danach ist man fit für den nächsten Tag.
Dr.-Ing. Gerhard Krieger
Bei mir ist es ebenfalls Sport und Natur. Volleyball, auch mal Fußball. Am Wochenende ziehen mich die Berge an, im Sommer Bergsteigen oder auch mal Mountainbiken. Im Winter sind es dann Skifahren, Skitouren und Schneeschuhtouren. Ich spiele auch ein bisschen Gitarre in einer Amateurband. Wenn ich Zeit habe zu lesen, geht das in Richtung Philosophie, Erkenntnistheorie ist ein Hobby.