Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Der Körper hat zwei Hauptkreisläufe, die in ihrem Umfang eigentlich gleich groß sind. Fälschlicherweise wird der innere Kreislauf, der Lungenkreislauf, häufig als der „kleine Kreislauf“ bezeichnet. Diese beiden Kreisläufe unterscheiden sich durch die Blutdrucke, die man misst. Der Körperblutdruck ist jedem bekannt, man misst dann Druckwerte so um die 130:80 mm. Der Lungendruck ist normalerweise sehr niedrig; man spricht vom Niedrigdruck-Niederwiderstands-Kreislauf. Und dafür ist auch die rechte Herzhauptkammer gemacht, nämlich um sauerstoffarmes Blut aus dem Körper zu sammeln, es dann durch das Niederdrucksystem des Lungenkreislaufs hindurchzupumpen zu dem Zweck, dass das Blut dort Sauerstoff aufnimmt und Kohlendioxid in der Lunge abgeben kann, um dann auf der linken Herzseite aufgenommen zu werden und mit höherem Druck in den Körper hineingepumpt zu werden.
Bei Patienten mit Lungenhochdruck verengen sich die Lungengefäße. Es kommt zu Umbauvorgängen, die denen, die man aus dem Körperkreislauf kennt, ähnlich sein können: Die sogenannte Arteriosklerose kann dort auftreten, es kann auch zu Verkrampfungen der Lungenarterien kommen oder letztendlich zu einer Art von strukturellem Umbau der Lungenarterie. Das Resultat aus alledem ist, dass sich der Gesamtquerschnitt dieser Rohre, durch die vorher das Blut ungehindert hindurchfloss, immer mehr verengt, sodass die gleiche Menge Blut von der rechten Herzkammer durch die Lunge hindurchgepumpt werden muss bei immer kleinerem Widerstand. Dementsprechend steigen der Druck und auch die Belastung für die rechte Herzkammer. Die Patienten merken als Symptom einfach Luftnot. Wobei die Luftnot hier nicht damit zusammenhängt, dass weniger Luft in die Lunge hinein- oder hinausgeht, sondern dass weniger Blut durch die Lunge transportiert wird, das dann der Luft Sauerstoff entziehen könnte. Wenn Patienten nicht ausreichend therapiert werden, sterben sie letztendlich zu einem sehr großen Anteil nach relativ kurzer Krankheitsdauer am sogenannten Rechtsherzversagen.
Wie misst man den Druck in der Lunge?
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Man kann an die Lungenarterie selbstverständlich nicht eine der üblichen Blutdruckmanschetten anlegen. Die klassische Methode besteht darin, dass man einen Katheder, einen dünnen Schlauch, über eine Körpervene über die rechte Herzkammer in die Lungenarterie einbringt und dort den Druck direkt misst. Das ist die sogenannte Rechtsherzkathederuntersuchung. Es gibt mittlerweile alternative Möglichkeiten, zum Beispiel mit der Herzultraschalluntersuchung diesen Druck indirekt abzuschätzen. Das ist keine so präzise Messung, aber diese Methode umgeht die Notwendigkeit der Kathederuntersuchung. Damit kann man mit relativ großer Genauigkeit über den Druck in den Lungenarterien, aber auch über die Funktion der rechten Herzkammer Aussagen machen
Gibt es besonders gefährdete Menschen, bestimmte Altersstrukturen oder andere Auffälligkeiten, bei denen man diese Krankheit absehen kann?
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Im Prinzip kann diese Erkrankung sehr viele Menschen betreffen, weil jede chronische zugrunde liegende Lungenerkrankung, aber auch die Linksherzerkrankungen, ganz allgemein gesprochen mit einem Lungenhochdruck einhergehen können. Wenn wir über chronische Lungenerkrankungen wie zum Beispiel die chronische Raucherlunge oder Lungenfibrose reden und auch über Linksherzerkrankungen, dann sind das Erkrankungen, die Millionen Menschen, auch in Deutschland, betreffen. Diese können sekundär mit einer Beeinträchtigung des Lungenkreislaufs einhergehen. Deswegen hat man die früher auch sekundäre pulmonale Hypertonie genannt.
Es gibt aber auch schwere Formen, die ausschließlich die Lungengefäße betreffen. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Für alles, wofür die Medizin keine Erklärung hat, wird der Begriff „idiopathisch“ verwendet, das heißt: Die Ärzte wissen nicht, wo es herkommt. Und diese idiopathische Form des Lungenhochdrucks, die sogenannte pulmonalarterielle Hypertonie, ist eine isolierte Form, die nur die Lungengefäße betrifft. Man hat keine anderen auslösenden Ursachen gefunden, die Krankheit kommt extrem selten vor, sie ist so eine Art Modellerkrankung.
Und dann gibt es noch Erkrankungen, die durch das Einschwemmen von Blutgerinnseln in die Lungenzirkulation entstehen und nicht selten vorkommen, aber auch nicht zu oft. Dabei gerinnt irgendwo in den Körpervenen das Blut, ein Gerinnsel verfängt sich plötzlich in dem Lungengefäß, und der Verschluss, der dort auftritt, kann nicht mehr vom Körper aufgelöst werden. Teile der Lungengefäße vernarben und stehen dem Blutfluss nicht mehr zur Verfügung – das sind Patienten mit chronisch thromboembolischer pulmonaler Hypertonie.
Ihr Team hat zunächst einen neuen Wirkstoff gefunden. Was ist das Neue daran?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Eines der faszinierendsten Moleküle im menschlichen Körper ist Stickstoffmonoxid. Stickstoffmonoxid ist eher bekannt als Umweltgift, als Toxin, auch als Substanz, die aus dem Auspuff von Autos herauskommt. Dieses Stickstoffmonoxid, kurz NO, spielt eine entscheidende Rolle im menschlichen Körper. Es ist – davon geht man heute aus – eines der wichtigsten Regulatoren im Herz-Kreislauf-System. Zu den faszinierendsten Kapiteln in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte gehört die Entdeckung, dass der menschliche Körper NO produziert, diesen wichtigen Regulator im Herz-Kreislauf-System, und über einen Partner, ein Zielmolekül namens lösliche Guanylatzyklase, seine Wirkung vermittelt.
1994 haben wir bei Bayer angefangen, nach Substanzen zu suchen, die die Verfügbarkeit von Stickstoffmonoxid – zum Beispiel durch eine Steigerung der NO-Synthese – im menschlichen Körper erhöhen. Wir haben auch Substanzen gefunden, aber keine, die die NO-Synthese gesteigert haben, sondern überraschenderweise direkte Stimulatoren der löslichen Guanylatzyklase (sGC), die über eine andere Bindungsstelle als Stickstoffmonoxid an diesem Enzym angreifen. Diese Substanzen sind darüber in der Lage, über einen ganz neuartigen Weg die Blutgefäße zu erweitern. Das war der Startpunkt für ein groß angelegtes chemisches und pharmakologisches Programm bei Bayer, in dessen Verlauf wir mehr als 4.000 Verbindungen synthetisiert und untersucht haben.
1997 haben wir die ersten Vertreter dieses neuen Prinzips gefunden und in die präklinische Entwicklung gebracht; der Durchbruch gelang im Jahr 2000, als wir das Molekül Riociguat identifizierten. Riociguat hat einen komplett neuen pharmakologischen Mechanismus: Es stimuliert das Enzym direkt und bringt darüber hinaus die lösliche Guanylatzyklase in einen anderen Zustand, bei dem das noch vorhandene körpereigene NO stärker wirken kann. Das ist wichtig, weil sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat, dass Patienten mit pulmonaler Hypertonie nicht genügend NO produzieren können und somit zu wenig NO für die Erweiterung der Gefäße im Lungenkreislauf zur Verfügung steht. Mit Riociguat haben wir die Möglichkeit, diesen natürlichen Signalweg zu reaktivieren beziehungsweise zu revitalisieren. Inzwischen hat sich wissenschaftlich auch herausgestellt, dass nicht nur bei der pulmonalen Hypertonie, sondern auch bei verschiedenen anderen kardiovaskulären Erkrankungen dieses Wundermolekül NO in zu geringer Konzentration vorhanden und damit an den Erkrankungen ursächlich beteiligt ist. Genau da setzen wir an.
Sie haben also etwas entdeckt, was letztlich einen Verstärkungseffekt bei einem vorhandenen Molekül im menschlichen Körper generiert. Kann man das so sagen?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Ein natürlicher Signalweg ist bei verschiedenen pulmonalen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen herunterreguliert, und genau da greifen wir an. Wir stimulieren die lösliche Guanylatcyclase direkt, und darüber hinaus bringen wir das Enzym in einen Zustand, bei dem die Restmenge des körpereigenen NO wieder voll zum Tragen kommt. Das ist ein komplett neuer Mechanismus in der Pharmakologie, den wir zuerst in voller Breite gemeinsam mit vielen externen wissenschaftlichen Kooperationspartnern evaluieren und etablieren mussten. Das war auch der Grund, warum es eine Zeit gedauert hat, bis wir dieses neue Prinzip präklinisch verstehen und das ganze Potenzial erschließen konnten.
Einen neuen Wirkstoff detektieren – das ist kein plötzlicher Einfall, sondern ein regulierter Prozess. Wie geht dieser Prozess vonstatten?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
In den 1970er- bis in die 1990er-Jahre gab es einen Hype in der Wissenschaft rund um das Molekül Stickstoffmonoxid. NO wird ja seit mehr als 130 Jahren in Form von Nitroglycerin und auch in organischen Nitraten zur Therapie von Angina Pectoris und von Herzinsuffizienz eingesetzt, trotz einer Reihe von Nachteilen. Es hat über 100 Jahre gedauert, bis man den zugrunde liegenden Wirkmechanismus aufgeklärt hat. Aufgrund der vielfältigen positiven Wirkungen von körpereigenem NO oder NO, das dem Körper in Form von Nitroglycerin beziehungsweise organischen Nitraten zugeführt wird, waren wir der Überzeugung, dass es sinnvoll wäre, nach Pharmaka zu suchen, die die Synthese von körpereigenem NO stimulieren, um dessen Konzentration im Körper zu steigern. Dafür haben wir Zellen aus Blutgefäßen, die wir vom Schlachthof erhalten haben, isoliert und kultiviert. Anschließend haben wir Testsubstanzen dazugegeben und untersucht, ob die NO-Synthese in diesen Zellen gesteigert wird. Solche Substanzen wurden dabei nicht gefunden – allerdings überraschenderweise die direkten Stimulatoren der löslichen Guanylatzkyklase. Das war, wenn man so will, eine Überraschungsentdeckung – aus heutiger Sicht mit deutlich mehr therapeutischem Potenzial als die NO-Synthese-Stimulatoren, nach denen wir gesucht hatten.
Wie lange hat dieser Prozess insgesamt gedauert? Wie viele Mitarbeiter waren beteiligt, und ist das eine Entwicklung, die ausschließlich in Ihrem Haus passiert ist?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Das war ein langer Weg von der Entdeckung dieses Prinzips 1994 bis hin zu den ersten präklinischen Kandidaten, zu den ersten klinischen Kandidaten und letztendlich zu Riociguat: Im Jahre 2000 hatten wir erstmals das Molekül gefunden. Die Zulassung für die beiden Formen der pulmonalen Hypertonie erfolgte im Jahre 2013.
Und es war ein langer Forschungs- und Entwicklungsprozess, weil wir in diesem Fall ein neues, bisher unbekanntes pharmakologisches Prinzip mit einer Vielzahl von Möglichkeiten gefunden hatten. Dieses Potenzial haben wir nach der Entdeckung intern und auch extern erforscht, indem wir schnell unsere Ergebnisse der wissenschaftlichen Fachwelt durch Veröffentlichungen in den angesehensten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt zugänglich gemacht und Kooperationen mit verschiedensten Forschungsinstituten weltweit gestartet haben, um das Potenzial dieses neuen Prinzips in voller Breite herauszuarbeiten. Das war auch genau der Punkt, an dem wir mit dem Lungenzentrum Gießen in Kontakt kamen; denn aufgrund dieses einzigartigen Wirkmechanismus der sGC-Stimulatoren erschienen diese Moleküle insbesondere für die Behandlung der pulmonalen Hypertonie äußerst interessant.
Zu jener Zeit – das ist jetzt schon mehr als zehn Jahre her – war die pulmonale Hypertonie noch keine Indikation, die bei Bayer ernst genommen wurde. Die Erkrankung war damals unterdiagnostiziert, und es gab zu diesem Zeitpunkt für die Behandlung nahezu keine Therapie. Gemeinsam mit den externen Kollegen haben wir präklinische Experimente geplant und dann mit den vielversprechenden Untersuchungsergebnissen die Aufmerksamkeit bei Bayer für diese Indikation geweckt. Mit der pulmonalen Hypertonie wurde dann auch genau die richtige Indikation gefunden, um dieses neue Prinzip zu etablieren.
Wie war die Aufgabenverteilung zwischen Prof. Stasch und Herrn Dr. Frey?
Dr. med. Reiner Frey
Wenn von der Forschung eine Substanz gefunden und für die klinische Entwicklung ausgewählt worden ist, folgt eine Phase der präklinischen Entwicklung. In dieser Phase werden die vorbereitenden präklinischen Untersuchungen für die Erstanwendung am Menschen durchgeführt. Für Riociguat haben diese präklinischen Untersuchungen Anfang 2003 begonnen. Im August 2004 haben wir dann die erste Anwendung am Menschen mit der sogenannten First-In-Men-Studie gestartet. Gesunde Probanden werden schrittweise zuerst mit einer unwirksamen und dann mit immer höheren Dosen einer neuen Substanz behandelt. Wir beobachten dann, was die Substanz im Körper macht, welche Effekte sie hat, und gleichzeitig wird geschaut, welche Auswirkungen der Körperstoffwechsel auf die Substanz, auf die Verteilung, auf die Ausscheidung hat. Bei der Entwicklung von Riociguat war das Besondere, dass wir im September 2005 gleich mit einer sogenannten Proof-of-Concept-Studie begonnen haben, die auf den Daten der First-In-Men-Studie basierte. Diese Studie wurde in Gießen an Patienten durchgeführt, die an einer pulmonalen arteriellen Hypertonie (PAH) oder an einer chronischen thrombembolischen Hypertonie (CTEPH) erkrankt waren.
Test an gesunden Probanden –ist das nicht gefährlich?
Dr. med. Reiner Frey
Die Studie ist so gestaltet, dass die Probanden nicht gefährdet werden. Das macht ja das Wissen und unsere Kunst hier in der klinischen Pharmakologie aus: Neue Medikamente – mit Ausnahme der Krebsmedikamente – werden generell zuerst an gesunden Probanden geprüft.
Die klinische Erprobung passierte dann im Lungenzentrum Gießen …
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Ja, ich muss allerdings Johannes-Peter Stasch ein wenig widersprechen, was die Dauer der Entwicklung betrifft. Die ist tatsächlich sehr lang bezogen auf den Zeitraum von der Entdeckung des Moleküls bis zur Entwicklungsreife, um als Kandidat überhaupt in die erste klinische Untersuchung zu gehen. Das ist ein Vorlauf, den die Wissenschaftler in den großen pharmazeutischen Unternehmen vollbringen können; in der akademischen Forschung ist uns das komplett verwehrt. Wir können keine Moleküle machen! Den Mechanismus beschreiben, das Molekül optimieren, seine Verträglichkeit abklären, entscheiden, ob das wieder als Tablette aufgenommen werden kann – all diese Dinge liegen nicht in unserer Hand. Wir haben dann dieses Molekül als Tablette beziehungsweise seinerzeit auch als Flüssigkeit formuliert, quasi servierfertig für die Anwendung an unseren Patienten dargereicht bekommen.
Von da ab war es dann geradezu eine Zeitrafferentwicklung, wenn man sich vor Augen hält, dass dieses Molekül von der Anwendungsreife am Menschen zur Zulassung deutlich weniger als zehn Jahre gebraucht hat! Das ist wirklich eines der wenigen Beispiele, wie man so etwas optimieren kann, um es relativ schnell bei Patienten anzuwenden, die unter einer potenziell tödlichen Erkrankung leiden. Aus der Sicht des Wissenschaftlers, der das Molekül quasi ersinnt, bis es dann zur Anwendungsreife kommt – das ist natürlich der Startschuss der Entwicklung. Aber von der ersten Anwendbarkeit am Menschen bis zur Zulassung war das wirklich eine Zeitrafferentwicklung.
Dr. med. Reiner Frey
Ich möchte ein paar Daten hinzufügen: Erstanwendung am Menschen am 16. August 2004, Proof-of-Concept-Studie hier in Gießen im September 2005 und Beginn einer Phase-II-Studie mit einer dreimonatigen Behandlung im Februar 2007. Das ist schon eine sehr anspruchsvolle und auch sehr schnelle Entwicklung.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Man könnte auch sagen: weltrekordverdächtig …
Gießen als Lungenforschungszentrum beschäftigt sich ja schon sehr lange mit chronischen Lungenerkrankungen und mit Lungengefäßerkrankungen, der Interaktion von Herz und Lunge und dem Gesamtkreislauf. Über diese Forschungsaktivitäten sind wir seit Anfang der 1990er-Jahre mehr und mehr in das Thema des Lungenhochdrucks hineingewachsen. Wir haben auch Patienten behandelt, allerdings zu Zeiten, als wenig Medikamente zur Verfügung standen oder die, die zur Verfügung standen, nebenwirkungsträchtig oder sehr kompliziert zu verabreichen waren, zum Beispiel nur über dauerhafte Infusionen. Aber so bekommt man Erfahrungen mit einer bis dahin als selten empfundenen Erkrankung. Man kann seine Expertise im Bereich einer sehr schwerwiegenden Erkrankung anreichern, deren Behandlung sehr kompliziert ist. Und weil es zu dem Zeitpunkt wenige gab, die sich weltweit, aber insbesondere auch in Deutschland, damit beschäftigt haben, führte das zu einer Konzentration von Patienten an wenigen Expertenzentren.
Wir hatten mit Bayer vorhergehende Forschungsprojekte in anderen Bereichen, die sich auch mit Molekülen beschäftigten. Wir hatten auch gemeinsame Freunde, die so eine Art „Schnittfläche“ dargestellt haben, sodass wir dieses neue Molekül, bevor die First-In-Men-Studien durchgeführt wurden, parallel und begleitend zu Untersuchungen, die bei Bayer in den Laboren liefen, in sogenannten klinikrelevanten oder erkrankungsrelevanten Experimentell-Modellen untersuchen konnten – ähnlich wie andere Forscher, zum Beispiel in Boston, mit den die Bayer-Forscher zu der Zeit zusammengearbeitet haben. Das hat natürlich auch Einfluss darauf, wie hoch wir das Potenzial eines neuen Medikamentes einschätzen und ob wir, basierend auf den Erfahrungen, denken, dass es sich lohnt, mit diesem Medikament in die Endstrecke der klinischen Entwicklung hineinzugehen, weil man auch priorisieren muss.
Das Potenzial, das wir bei Riociguat zusammen mit Johannes-Peter Stasch und seinem Team entdeckt haben, war so außerordentlich, dass uns klar war: Wir müssen es schnell entwickeln.
Anders ausgedrückt: Patienten ein Medikament mit einem solchen Potenzial vorzuenthalten bedeutet, ihnen Lebensjahre zu nehmen. Das bringt einen besonderen Enthusiasmus, aber auch einen besonderen Drive in eine solche Entwicklung hinein, und das haben wir gespürt und gelebt.
Die Untersuchungen von Reiner Frey, die erst mal gezeigt haben, dass Menschen das sicher einnehmen können, sind im Prinzip die Basis dafür, dass man damit bei Patienten beginnen kann, die keine intakten Kreislaufverhältnisse mehr haben. Und erst dann traut man sich – und das waren die besagten Proof-of-Concept-Studien –, bei Patienten, die in einem intensivstationsmäßigen Setting gut aufgehoben, perfekt beobachtet, mit Katheder in der pulmonalen Zirkulation ausgestattet sind, mit allen Möglichkeiten, auch medikamentös einzugreifen, falls zum Beispiel Blutdruckprobleme oder Rhythmusprobleme auftreten sollten, langsam mit einer niedrigen Dosierung zu beginnen, zu sehen, ob es den gewünschten Effekt unter Beibehaltung der geforderten Sicherheit hat. Auch das ist sehr schnell gemacht worden. Wir haben sehr zügig die notwendige Anzahl an Patienten in die Studien einschließen können.
Hier nochmals ein großes Lob an die Lungenhochdruckpatienten in Deutschland, die zur Vertretung ihrer Interessen im Selbsthilfeverein PH e.V. organisiert sind. Die deutschen Patienten haben, zusammen mit den deutschen PH-Zentren, auch dieses Land zu einem der Motoren der Entwicklung neuer Therapien im Bereich Lungenhochdruck gemacht. In der Tat ist es so, dass einige der neuesten Therapien ihren Ursprung hier genommen haben oder deren wissenschaftliche Leitung während der Entwicklung der Medikamente in Deutschland stattfand – in Zusammenarbeit mit internationalen Firmen, aber auch in Kooperation mit deutschen Unternehmen wie Bayer.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Dass wir zusammengearbeitet haben, war optimal. Wir haben ein grundsätzlich neues Prinzip gefunden, das das Potenzial hat, über die PH hinaus auch für eine Vielzahl von weiteren Indikationen in Zukunft eingesetzt zu werden. Es war ideal, mit den Wissenschaftlern aus Gießen zusammenzuarbeiten, die das Potenzial gerade für erste Indikation, diese lebensbedrohliche, atemberaubende Indikation Lungenhochdruck erkannt hatten, sodass das Medikament sehr schnell den Patienten, zur Verfügung gestellt werden konnte. In dieser Zusammenarbeit hat sich zudem gezeigt, dass der Wirkstoff auch Potential für andere Indikationen hat. So entstanden weitere Ideen für klinische Studien, insbesondere für Erkrankungen, für die es bisher kaum eine medikamentöse Option gibt, wie PH mit assoziierter Lungenfibrose, systemische Sklerose oder zystische Fibrose. Eine neuere Substanz wird gerade in weltweiten klinischen Studien für die Therapie der Herzinsuffizienz untersucht, und eine weitere Substanz befindet sich in der Entwicklung für den therapieresistenten Bluthochdruck. Darüber hinaus könnten noch zahlreiche weitere Indikationen mit dem neuen Therapieprinzip adressiert werden.
Die Entwicklungsgeschichte Ihrer Innovation ist lang. Waren Sie immer zuversichtlich, dass Sie auf dem richtigen Weg sind? Oder hatten Sie auch Zweifel?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sich die Wirkung von Riociguat bestätigt, wie wir sie präklinisch gesehen haben – gerade weil wir sehr viel Erfahrung mit verschiedensten experimentellen Herzkreislauf- und Lungenhochdruck-Modellen hatten und positive Ergebnisse mit Riociguat nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb von Bayer mit unseren Kooperationspartnern erhielten. Für mich persönlich ist die Arzneimittelforschung und -entwicklung einerseits eine äußerst spannende und faszinierende Welt. Andererseits ist es ein so komplexer und schwieriger Prozess, ein neues Medikament, mit einem neuen Mechanismus für eine neue Indikation zu entwickeln, das es für mich wie ein Wunder erscheint, wenn es gelingt. Vor diesem Hintergrund sind wir glücklich, dass Riociguat am Patienten so gut gewirkt hat und auch so sicher ist.
Dr. med. Reiner Frey
In der klinischen Entwicklung kommt es darauf an, auch die richtige Dosis, das richtige Dosierungsintervall, zu finden, und darauf, für den Effekt zwischen Wirkung und Nebenwirkung die richtige Balance zu finden. Weiterhin wird geprüft was das Molekül sonst noch im Körper bewirkt und ob das mit dieser Krankheit verträglich ist. Zuversichtlich waren wir, aber auch Risiken haben wir zwischendurch gesehen und dann die Entwicklung entsprechend angepasst.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Man hatte aus kleineren Studien, die im Vorfeld durchgeführt wurden, Hinweise auf die Wirksamkeit, und es gibt auch Vergleichsgrößen. Es war ja nicht so, dass zu dem Zeitpunkt keine einzige Therapie existiert hätte, aber es waren solche, die ihre Limitation haben. Keine der bisher vorhandenen Therapien konnte die Erkrankungen heilen, Riociguat kann es auch nicht. Aber man kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, dem Patienten Luft zurückzugeben: die Luft zum Atmen, um wieder normale, alltägliche körperliche Tätigkeiten ausführen zu können und die Funktion der Herzkammer zu unterstützen, sodass sie ausreichend Blut durch die Lunge pumpen kann. Die Lebensversicherung dieser Patienten ist die Erhaltung der Funktion der rechten Herzkammer. Da ist Riociguat insbesondere sehr stark und sehr aktiv.
Trotz allem gibt es eine ganze Menge von Unwägbarkeiten. Und dazu gehört zum einen das Vertrauen in die Effektivität und zum anderen die Unkenntnis darüber, was passiert, wenn man dieses Medikament über längere Zeit Patienten verabreicht. Man hat ja keine Vergleichs- und Erfahrungswerte, es ist die Frage nach der Langzeitsicherheit. Wir waren sehr froh, dass wir diese sogenannte Phase-II-Studie – also die Studie, die zwischen der ersten Kurzanwendung und den letztendlich zulassungsrelevanten Phase-III-Studien lief – hier durchgeführt haben. Sie hat uns schon während der Entwicklung sehr viele wichtige Informationen über die langfristige Verträglichkeit und damit über die Sicherheit gebracht.
Es gibt natürlich auch Unwägbarkeiten und Hürden, die man nicht beeinflussen kann und die einem den Adrenalinspiegel in die Höhe treiben können. Es gab unter anderem während des Zulassungsverfahrens mit der amerikanischen Zulassungsbehörde, der FDA, die weltweit als die wichtigste Zulassungsstelle angesehen wird, den Wunsch, ein sogenanntes Advisory-Komitee einzuberufen. Die FDA lässt sich durch Experten in Anwesenheit des klinischen Entwicklungsteams, das sich aus Krankenhausvertretern, den Studienleitern und den Wissenschaftlern der Herstellerfirma zusammensetzt, beraten. Dabei ist zu beweisen, dass das Medikament tatsächlich einen Mehrwert und keine zusätzliche Unsicherheit oder Schädigung für die Patienten bringt. Wir sind in dieses Meeting hineingegangen, und es war völlig unklar, wie es ausgeht, obwohl die Wirksamkeitsdaten der beiden Studien eindeutig waren. So eindeutig, dass das wichtigste medizinische Wissenschaftsjournal, das „New England Journal of Medicine“, sich bereits zu dem Zeitpunkt entschieden hatte, beide Studien in einer Ausgabe ihrer Zeitschrift nebeneinander zu publizieren. Das hat es bislang ganz selten gegeben. Trotzdem war die Behörde nicht skeptisch, aber sie hatte Aufklärungsbedarf. Wir sind in ein offenes Rennen gegangen und haben elf externen Beratern – Ärzten, Patienteninteressenvertretern, Wissenschaftlern aus der Epidemiologie und der Biostatistik und eben auch Beteiligten, die komplett fachfremd waren – beide Studien vorgestellt. Und für beide Studien erhielten wir, bei elf Experten, die um den Tisch saßen, jeweils eine 11:0-Entscheidung! Sie haben das durchgewunken mit der Empfehlung zur Zulassung. So viel zu der Frage, ob wir Hürden hatten und ob wir uns zwischendurch auch unsicher gefühlt haben, bis es – man kann es sagen – mit einem Slam Dunk, mit einem Double Slam Dunk, durchgekommen ist.
Dr. med. Reiner Frey
Eine Besonderheit bei dieser klinischen Entwicklung in der Phase III war, dass wir eine Studie mit Patienten mit PAH hatten und eine Studie mit Patienten mit CTEPH, die sich gegenseitig gestützt haben. Das ist eine Besonderheit in unserer klinischen Entwicklung und ein gewisses Risiko. Normalerweise fordert die amerikanische Zulassungsbehörde FDA zwei Phase-III-Studien für eine Indikation. Für die Indikation CTEPH ist Riociguat das erste Medikament, das eine Zulassung bekommen hat. Das heißt, unseres war das erste Medikament, das in CTEPH erfolgreich geprüft wurde, und es wurde durch die andere Studie in PAH gestützt und umgekehrt. Das war etwas Besonderes.
Die Innovation ist sicher geschützt durch Patente. Gibt es Wettbewerb?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Ja, das kann man durchaus sagen. Es ist ja die schönste Anerkennung, die man bekommen kann, wenn andere große Pharmafirmen ebenfalls in dieses Gebiet einsteigen. „Konkurrenz belebt das Geschäft“ – wie man so schön sagt –, und das gilt natürlich auch für uns. Wir haben eine Vielzahl von Patenten und Patentanmeldungen, und es besteht immer die Möglichkeit, neue Patente mit weiteren Innovationen auf diesem Gebiet anzumelden. Wir sind sicherlich sehr weit voraus, weil wir das breite Potenzial unserer Erfindungen sehr früh erkannt haben, das vielleicht von vielen anderen Firmen in der Anfangszeit unterschätzt worden ist. Inzwischen ist klar, dass sehr viele große Pharmaunternehmen auch auf diesem Gebiet aktiv sind und zumindest frühe Entwicklungsprodukte haben. Doch auch wir sind in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen, sondern haben eine ganze Reihe von neuen Substanzen gezielt für verschiedene unterschiedliche Indikationen in die frühe Entwicklung gebracht und durch Patentanmeldungen beziehungsweise Patente geschützt. Das gilt insbesondere auch für Erkrankungen, für die es nahezu keine medizinische Therapie gibt.
Von welchen wirtschaftlichen Kennzahlen kann man ausgehen?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Riociguat hat inzwischen in mehr als 50 Ländern rund um den Globus die Marktautorisierung. Und um das ganze Potential zu sehen: Es geht ja jetzt nicht nur um die pulmonalarterielle, chronisch-thromboembolische Hypertonie, sondern auch um eine ganze Reihe weiterer Erkrankungen.
Sie haben im Wettbewerb für diese Indikationen die Nase vorn. Wie ist denn die Pharmaforschung und Entwicklung in Deutschland insgesamt im internationalen Vergleich zu werten?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Allgemein zu antworten ist immer schwierig. In der Pharmaforschung bei Bayer sind zurzeit, das kann man sicherlich sagen, in einer sehr exzellenten Phase. Es gibt sehr viele Entwicklungsprodukte in unserer Pipeline, mit denen wir zahlreiche Ansätze insbesondere im kardiologischen und onkologischen Bereich verfolgen; das ist in den Geschäftsberichten nachzulesen. Leider gibt es nicht mehr sehr viele forschende Pharmafirmen in Deutschland. Als ich in der Pharmaindustrie begonnen habe, galt Deutschland noch als die „Apotheke der Welt“. Das hat sich dramatisch geändert. Insofern freue ich mich, dass zumindest bei Bayer ein deutlich anderer Trend besteht.
Ist es richtig, dass wichtige Entwicklungen immer noch in Deutschland ihren Ausgang nehmen, oder ist das eine falsche Einschätzung?
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Ich kann diese Frage nicht allgemein beantworten, aber für den Bereich, den wir überblicken, trifft das zu. Im Bereich der Humanmedizin, haben wir deutlich mehr Kooperationspartner aus dem internationalen Ausland als aus Deutschland, was dadurch bedingt ist, dass es weniger deutsche Pharmafirmen gibt, und die, die es gibt, sind immer stärker international ausgerichtet. Bayer ist eine der wenigen Firmen – vielleicht noch Boehringer Ingelheim –, die in Deutschland entwickeln, forschen und letztendlich auch Medikamente bis zur Marktreife bringen. Für unseren Bereich haben wir immer versucht, mit deutschen Firmen zu kooperieren. Mit der Firma, die letztendlich von Bayer auch gekauft wurde, mit Schering, gab es eine Kooperation für eine Entwicklung eines Medikamentes zur Behandlung des Lungenhochdrucks Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre. Insofern hatte Bayer nach dem Erwerb von Schering bereits Kompetenz im Bereich pulmonaler Hypertonie. Es war unser langjähriger Wunsch, mit deutschen Partnern eine solche Entwicklung zu generieren. Der Vorteil ist natürlich – neben der Tatsache, dass man die gleiche Sprache spricht –, dass man für die Regularien und die administrativen Notwendigkeiten im gleichen Land sehr viel kürzere Entscheidungswege hat und entsprechend Studien für hiesige Verhältnisse sehr gut miteinander abstimmen kann. Der zweite Vorteil besteht darin, dass es insbesondere im Bereich einer solchen Spezialimplikation wie Lungenhochdruck in Deutschland bereits ein sehr gut etabliertes Netzwerk gab. Diesen Standortfaktor gemeinsam mit einem deutschen Partner aus der Industrie optimal auszunutzen war auch ein Grund, warum wir diese Entwicklung so schnell vorantreiben konnten. Aus den Publikationen, die aus den Projekten entstanden sind, ist nachvollziehbar, dass der Motor der Entwicklung hier in Deutschland war. Viele andere internationale Zentren sind dann eingestiegen, als die Studie global ausgedehnt werden musste, damit eine weltweite Zulassung erfolgen konnte. Man muss die Zulassungsbehörden weltweit davon überzeugen, dass es nicht ein Medikament ist, das nur in Deutschland funktioniert, sondern auch in den USA, in Kanada, Lateinamerika, China, Japan und Australien. Dafür braucht man auch die Teilnahme solcher internationalen Zentren. Aber der Ursprung, die Motivation und auch der „Treibstoff“ für diese Entwicklung kamen definitiv aus Deutschland.
Es gibt den Vorwurf, dass Pharmaunternehmen in der Zeit, in der Patente für ein Medikament gelten, den Preis extrem hoch ansetzen. Wie hat man das einzuordnen? Der Preis für das Medikament ist ja nicht unerheblich.
Dr. med. Reiner Frey
Der Preis für dieses Medikament liegt in der Größenordnung von anderen Medikamenten, die für die pulmonale Hypertonie zugelassen sind. Mit Riociguat haben wir eine teure und aufwendige Entwicklung durchgeführt und die Zulassung erhalten, für die insgesamt nur eine begrenzte Anzahl von Patienten zur Verfügung steht. Die Kosten für diese Entwicklung wurden aus dem Gewinn bereits zugelassener Medikamente bezahlt. Mit dem heutigen Gewinn vom Verkauf von Riociguat wird die Forschung und Entwicklung von künftigen Medikamenten bezahlt.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Es war ein langer Prozess in der Forschung. Als dann mit Riociguat die Substanz existierte, war die klinische Entwicklung ein sehr schneller Prozess. Von der ersten Idee und von dem Zeitpunkt, als wir Riociguat erstmals in der Hand hatten, vergingen bis zur Erstzulassung rund 20 beziehungsweise 13 Jahre, ohne dass es sicher war, dass wir jemals einen Return of Investment für diese Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bekommen würden. Ich habe ja auch angemerkt, dass es in Deutschland nur noch wenige große forschende Pharmafirmen gibt, obwohl wir vor 30 Jahren noch die „Apotheke der Welt“ waren. Das sind dann oft die wirtschaftlichen Konsequenzen, wenn das Geld, das man investiert, nicht mehr zurückkommt, um neue Forschung für bisher schwer therapierbare Erkrankungen in der Zukunft zu finanzieren.
Das Medikament, das jetzt zur Verfügung steht, ist für eine kleinere Zahl von Erkrankten gedacht. Doch Sie sagen auch, dass es bei den Herzerkrankungen sehr viele Patienten gibt, für die das Mittel eine Erleichterung sein könnte …
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Wir müssen unterscheiden: Die Indikation, für die das Medikament derzeit zugelassen ist, was dann zu einer konkreten Anzahl von behandelten Patienten führt, muss man abgrenzen von dem Potenzial, das es hat. Unter der Voraussetzung, dass das Medikament oder entsprechende Schwestermedikamente, die aktuell in der Entwicklung für die. größeren, allgemeinmedizinisch relevanten Indikationen sind, den Beweis der Wirksamkeit und Sicherheit erbringen, ergibt sich hier ein weiteres Potenzial.
Für die Kernindikation reden wir in Deutschland bei PAH von 5.000 bis 10.000 Patienten, die mit dieser Erkrankung leben, und bei CTEPH ist es vielleicht die gleiche Zahl, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liegen wird. Allein die betreuten Patienten in den Zentren ergeben eine Größenordnung von einigen Tausend, die an der Erkrankung leiden oder zumindest wissentlich leiden. Die Dunkelziffer mag da höher liegen. Bei diesen Patienten kommt es zunehmend zur Verordnung von Riociguat. Bei der CTEPH-Form ist es die einzige zugelassene Medikation. Insofern hat dort die Verschreibungsquote sehr schnell an Fahrt aufgenommen, weil es einen medizinischen Behandlungsbedarf gibt, den man bisher nicht erfüllen konnte. Wir reden von einigen Tausend Patienten, die derzeit in Deutschland in die sogenannte Indikation hineinfallen, für die das Medikament auch gemacht wurde. Weltweit kann man das dann extrapolieren: Das gilt für die Länder, die Erfahrungen mit Lungenhochdruck haben, und das ist bevorzugt in Ländern mit westlichem Medizinstandard der Fall.
Dr. med. Reiner Frey
Sowohl PAH als auch CTEPH gehören zu den sogenannten „Orphan Drug Diseases“, das sind Erkrankungen, die sehr selten sind. Für diese seltenen Erkrankungen gibt es bei den Gesundheitsbehörden der Länder auch das beschleunigte Zulassungsverfahren. Ein solches wurde für Riociguat beispielsweise in Kanada, USA, der Schweiz und Japan gewährt.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Darüber hinaus ist natürlich das Potenzial gegeben: Auch wenn der Auslöser von diesen mindestens zwei Handvoll – wenn nicht sogar mehr – gut charakterisierten Formen des Lungenhochdrucks, die wir kennen, unterschiedlich sein kann: Die Endstrecke der Erkrankung, die Verengung der Lungengefäße, ist bei all diesen unterschiedlichen Auslösern die gleiche. Die Belastung der rechten Herzkammer ist die gleiche. Insofern gilt: Wenn man einmal ein Wirkprinzip an einer Modellerkrankung wie der PAH oder der CTEPH entdeckt hat, ist es ein relativ kleiner Schritt, diese Wirksamkeit – oder zumindest bei Kenntnis der Wirksamkeit – und dann auch die Anwendungssicherheit sowie die langfristige Anwendbarkeit bei Patienten mit anderen Grunderkrankungen zu untersuchen. Das sind die Studien, die bereits entweder mit Riociguat oder mit Nachfolgemedikamenten, Schwestermedikamenten, die ebenfalls in Planung sind, initiiert wurden. Dabei geht es dann teilweise um weitere Spezialindikationen, teilweise sehr breite Indikationen. Man kann die Forschungslorbeeren nicht einfach weiterreichen, man muss für jede Indikation neue, spezifische Studien durchführen und dann den Wirksamkeitsnachweis bringen.
Dr. med. Reiner Frey
Für das Schwestermedikament Vericiguat werden derzeit zwei Phase-II-Studien zur Herzinsuffizienz durchgeführt. Bei der Herzinsuffizienz unterscheidet man zwei Arten: eine Form mit reduzierter Auswurfsfraktion und Auswurfkraft des Herzens und eine Form mit erhaltener Auswurfskraft, aber trotzdem reduziertem Schlag- und Herzminutenvolumen.
Viele Patienten können einerseits die Symptome ihrer Krankheit am Anfang nicht wirklich zuordnen, andererseits sagen Sie, dass die Organisation der Lungenhochdruckpatienten durch Selbsthilfeorganisationen sehr hilfreich für Ihre Arbeit war. An wen kann ich mich als Patient – außer an den Arzt – wenden? Die Information ist ja vielleicht der erste Schritt zur Erkenntnis.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Man muss der Realität ins Auge sehen und sagen: Dr. Google hilft. Das ist das, was Patienten heutzutage sehr, sehr schnell nutzen. Es ist eine sehr informative Plattform, die ihre Vorzüge hat, aber auch große Gefahren birgt. Die große Gefahr speziell bei dieser Erkrankung ist, dass die Symptome, die ein Patient beim Lungenhochdruck empfindet, sehr unspezifisch sind, die Erkrankung sich diese Symptome also mit vielen anderen Erkrankungen teilt. Fast jeder Patient mit Lungenhochdruck hat Luftnot, aber nicht jeder Patient mit Luftnot hat Lungenhochdruck. Da gibt es viel häufigere Auslöser, die sowohl im Bereich der Lungenerkrankungen als auch im Bereich der Herzerkrankungen liegen. Bei den Lungenerkrankungen sind die häufigsten Auslöser letztendlich die chronische Raucherbronchitis, also die COPD, das Asthma und die Lungenfibrosen, die zu dieser Luftnot führen können. Bei den Herzerkrankungen – von den häufigsten beginnend – ist es die Herzinsuffizienz.
Wenn also ein Patient eine Luftnot empfindet – am Anfang der Erkrankung häufig erst unter körperlicher Belastung, deswegen fällt das häufig nicht so auf, und dann später auch in Ruhe –, dann müssen die häufigen Ursachen abgeklärt werden, bevor man sich anschließend der Diagnose Lungenhochdruck nähert. Man sollte hierbei, wenn die gängigen Untersuchungen, auch durch Fachärzte, nicht zum gewünschten Resultat führen – Konkret: Ein Patient hat Lungenhochdruck, die Lungenfunktion erscheint weitgehend normal und in der Ultraschalluntersuchung des linken Herzens findet der Kardiologe nichts –, dann darf man nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: Das ist Trainingsmangel oder: Das ist psychosomatisch bedingt. Oder man sagt: Es ist ein unerkanntes Asthma, das wir jetzt mal mit Sprays behandeln. Bis zum Beweis des Gegenteils – und das ist die Forderung, die wir heutzutage als Lungenhochdruckexperten stellen – und wenn es keine andere gute Erklärung für Luftnot gibt, muss der Lungenhochdruck mit auf der Agenda sein und sicher ausgeschlossen werden. Häufig ist es dann so, dass man den nicht ausschließt, sondern findet.
Für Patienten sind Anlaufstellen natürlich Lungenfachkliniken oder auch Herzfachkliniken mit Expertise im Bereich Lungenhochdruck, genauso niedergelassene Lungenfachärzte und Herzfachärzte. Auf der Ebene der Informationen durch quasi Mitleidende oder Schicksalsgenossen ist es der Selbsthilfeverein Lungenhochdruck e.V., PH e.V., der in Deutschland sehr aktiv ist, auf europäischer Ebene ist es die European Pulmonary Hypertension Association, die PHA Europe, und auf weltweitem Terrain ist es die PHA International. Das sind allesamt sehr gute Anlaufstellen für die Patienten.
Fassen Sie bitte zusammen: Was ist das Innovative an Ihrem Projekt, das jetzt mit der Nominierung zum Deutschen Zukunftspreis bereits gewürdigt wird?
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Das Innovative ist die Entdeckung und Etablierung eines neuen pharmakologischen Prinzips, das Auffinden von Riociguat und dessen Entwicklung als ersten Vertreter einer komplett neuen Strukturklasse zur Behandlung des lebensbedrohlichen Lungenhochdrucks. Darüber hinaus hat dieses innovative Prinzip das Potenzial, künftig für eine Vielzahl weiterer Indikationen eingesetzt werden zu können.
Dr. med. Reiner Frey
Für mich kommt hinzu, dass wir hier einen natürlichen Signalweg nutzen, der durch die Krankheit eingeschränkt und geschädigt ist, und dieser natürliche Signalweg wird durch die Gabe von Riociguat wieder verbessert und optimiert.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Zur Innovation haben die Kollegen das Richtige gesagt. Ich stelle mir die Frage, warum wir für den Preis des Bundespräsidenten, den Deutschen Zukunftspreis, nominiert wurden. Es ist für mich deswegen plausibel, weil das Molekül, um das es geht, hier entdeckt und beforscht wurde und die Erstanwendung am Menschen hier in Deutschland erfolgt ist. Die Patienten aus Deutschland haben sich für die Entwicklung dieses Medikamentes als Studienteilnehmer zur Verfügung gestellt, und es konnte erst dadurch seine Reise um die Welt starten, um dann auch weltweit seine Wirksamkeit und Sicherheit nachzuweisen und im Endeffekt wieder für deutsche Patienten zur Verfügung zu stehen. Das alles kommt aus einem Land mit der Beteiligung sowohl der forschenden Pharmaindustrie als auch der akademischen Forschung, wie wir sie hier am Lungenforschungszentrum in Gießen betreiben.
Jetzt wollen wir auch noch ein wenig von Ihnen ganz persönlich erfahren. Es geht um Ihre Ausbildungs- und Berufswege. Was hat Sie denn seinerzeit gereizt, diese Richtung einzuschlagen? Gab es besondere Ereignisse oder Menschen, die Sie beeinflusst haben?
Dr. med. Reiner Frey
Der Weg zum Studium der Medizin war sicherlich von meinem Onkel mitgeprägt. Meine Facharztausbildung habe ich in der Kinderheilkunde und Kinderkardiologie absolviert. In der Kinderkardiologie gibt es eine Reihe von Patienten mit angeborenen Herzfehlern, die dadurch ebenfalls an Lungenhochdruck leiden. Während der Zeit der Entwicklung von Riociguat war auch der Wunsch und die Hoffnung da, für Kinder ein Medikament für den Lungenhochdruck zu entwickeln, das oral gegeben werden und nicht unter die Haut gespritzt werden muss und das gut verträglich ist. Das war für mich eine ganz große Motivation, auch wenn es zeitweise Durststrecken in der klinischen Entwicklung gab.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Zehn Dollar von einem Onkel aus Amerika, das war der Beginn, davon habe ich mir einen Kosmos-Chemiebaukasten gekauft. Das war der Startpunkt für meine Leidenschaft für Chemie, die sich daraus entwickelt hat. Ich war nicht so sehr an der Synthese von Molekülen interessiert, sondern eher an der Interaktion von chemischen Molekülen in biologischen Systemen. Ich habe dann Chemie und Pharmazie studiert. Es war mir ein Anliegen, mit meiner Arbeit letzten Endes dazu beizutragen, dass etwas zum Nutzen der Menschheit herauskommt. Nebenbei habe ich auch noch Philosophie studiert. Das ist vielleicht auch der Grund, dass ich jetzt aus der aktiven Tagesarbeit ausgestiegen und mit meiner Frau nach Rom gezogen bin; dort engagieren wir uns für Familien und Kinder in Not weltweit.
Wir sprachen über die Innovation und das große Potenzial, das mit den sGC-Stimulatoren verbunden ist. Neben der erfolgreichen Einführung von Adempas haben wir noch an neuen Molekülen mit weiter optimierten Eigenschaften gearbeitet, zum Beispiel am Vericiguat. Es ist ein neuer sGC-Stimulator, der sich in der weltweiten klinischen Entwicklung für die Herzinsuffizienz befindet. Bei Bayer sind noch viele weitere Entwicklungen auf diesem Gebiet mit einem großem Potenzial im Gang, die ich selbst bem besten Willen nicht mehr alle in den nächsten Jahren betreuen könnte – also eine hervorragende Situation für einen Forscher.
Meine bisherige Tätigkeit bei Bayer war eher eine Passion als ein Beruf. Denn auch in der Wissenschaft ist es so, dass man nicht nur in die Firma geht, um zu arbeiten, sondern man möchte etwas Neues sehen und etwas Neues entdecken. Und die eigentliche Faszination in der Wissenschaft ist die Schönheit, die man dahinter entdeckt. Das ist eine Triebfeder in der Seele eines Forschers, wenn man ein wenig den Vorhang lüften kann, hinter dem sich ein Stück Schöpfung verbirgt.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Mein Bruder und ich haben uns für Naturwissenschaften interessiert, auch dafür, wie der Mensch funktioniert. Wir sind von unseren Eltern, als es darum ging, sich für ein Studium zu entscheiden, sehr unterstützt worden. Beide wollten wir sehr gerne Medizin studieren, einfach, um Erkrankungen zu verstehen, und zu sehen, wie man Menschen, die leiden, möglicherweise helfen kann. Dabei hatte ich, als ich begonnen habe zu studieren, ganz sicher nicht die Entwicklungen neuer Medikamente im Hinterkopf. Heute kann ich sagen, dass es kein faszinierenderes Fach für mich gibt, und ich kann mir nicht vorstellen, in einem anderen Beruf zu arbeiten.
Die Rahmenbedingungen waren in Gießen ideal – man kann auch studienbegleitend forschen, sich nicht nur vorhandenes Wissen aneignen, um Prüfungen zu bestehen, sondern auch mithelfen, das Wissensspektrum zu erweitern. Das war für mich quasi eine die Weichen stellende Entscheidung, mich studienbegleitend im Bereich der Grundlagenforschung ebenfalls zu engagieren. Das galt dann für meine Doktorarbeit und die spätere wissenschaftliche Arbeit mit zwei Mentoren, die mir sehr plastisch vorgelebt haben, was man damit erreichen kann. Es waren Prof. Grimminger und Prof. Seeger, die auch die Leiter unseres Lungenforschungszentrums sind. Bester Beleg dafür, dass ich die für mich richtige Entscheidung getroffen habe, ist, dass es seit dem ersten Tag des Studiums in Gießen bis zum heutigen Tag keinen einzigen gegeben hat, an dem ich ungern zur Uni oder zur Arbeit gegangen bin. Nicht einen einzigen Tag!
Es gibt ganz viele Dinge, die man zurückbekommt, in allererster Linie das Feedback, das man von seinen Patienten bekommt, und die Dankbarkeit, auch das Erleben, Leid lindern zu können. Aber es sind natürlich auch Dinge wie, an der Entwicklung neuer Therapien oder an der Erweiterung des Verständnisses für eine Erkrankung beteiligt zu sein, die man bisher nicht verstanden hat, und hier mitarbeiten zu können. Und dafür braucht man eine Forschungsfamilie, in die man eingebettet ist, die dieses gesamte Spektrum, von der Patientenversorgung bis hin zur klinischen Entwicklung, mit all den dazwischenliegenden Schritten, abdeckt. Da sind wir – und das kann ich schon auch mit Stolz sagen – hier in Gießen mittlerweile zur Größe eines mittelständischen Betriebes angewachsen. Ich glaube, es gibt keine größere und produktivere Lungenforschungsgruppe weltweit, zumindest an einem Campus, mit solch einem Standort-Setting, das wir hier haben. Das erfordert auch die entsprechende Unterstützung der Universität – wir haben einfach ideale Rahmenbedingungen hier, die volle Unterstützung der Fakultät Medizin mit unserem Dekan und unserem Präsidenten der Universität! Ich erhoffe mir und bin mir eigentlich sicher, dass wir noch einige Innovationen hier aus Gießen in diesem Bereich entwickeln und vorstellen können.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Noch ein Nachtrag im Kontext zu Ardeschir: Warum geht man als Wissenschaftler in die Industrie? Das ist eine Frage, die sich mir durchaus gestellt hat. Weil ich etwas machen, ein neues Medikament auf den Markt bringen wollte! Ich wollte mich nicht damit zufrieden geben, am Ende einer wissenschaftlichen Veröffentlichung nur zu schreiben, dass diese Ergebnisse einmal für die Industrie oder für den Menschen nützlich sein könnten. Da wollte ich doch lieber in die Industrie gehen, wo ich die Möglichkeit sah, das auch selbst machen zu können.
Leider bekommen wir als Forscher in der pharmazeutischen Industrie die Anerkennung von den Patienten, für die wir arbeiten, manchmal erst ganz am Ende: Da gab es ein junges Mädchen mit Lungenhochdruck, eine Schülerin, die mich besucht hat, um mehr über die Wissenschaft zu erfahren. Sie war fasziniert, dass so viele Wissenschaftler an der Erforschung dieser lebensbedrohlichen Erkrankung forschten! Nach diesem Tag schrieb ihre Mutter eine herzzerreißende E-Mail an mich, dass sie wieder Hoffnung im Leben ihrer Tochter sehe, die mit dieser Erkrankung nicht mehr leben wollte. Das sind Dinge, die dem Sinn geben, an dem wir gearbeitet haben. In der Forschung gibt es nur ganz wenige, die die Situation erleben, wie wir jetzt – dass sie vom Anfang bis zum Ende ein Projekt begleiten und seine erfolgreiche Umsetzung erleben können.
Dr. med. Reiner Frey
Das kann man ja auch daran sehen: Von zehn Medikamenten, die in der klinischen Pharmakologie zur Erstanwendung am Menschen kommen, gelingt es ungefähr, eine Substanz letztendlich zur Zulassung und auf den Markt zu bringen. Neun bleiben auf der Strecke.
Wenn Lungenhochdruck diagnostiziert wird, bleiben den Patienten manchmal nur noch zwei, drei Jahre, eine kurze Zeitspanne. Kann man in Ihrer Arbeit diesen Druck, das Wissen um die Kürze der Zeit, ausschalten?
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Es ist eine Erkrankung, mit der man sich als Behandler beschäftigt, die einem einen permanenten Zeitdruck auferlegt, das stimmt schon. Glücklicherweise entsprechen diese zwei bis drei Jahre, die im Internet, wie zum Beispiel bei Dr. Google, zu finden sind und auch bei unseren Patienten zu extremer Verunsicherung führen – in vielen Fällen nicht mehr dem aktuellen Stand des Wissens und der Therapie. Das heißt aber nicht, dass, wenn man die Erkrankung zu spät diagnostiziert oder nicht entsprechend therapiert, die zwei bis drei Jahre nach wie vor traurige Wahrheit sind. Unter Ausnutzung eben der Informationsquellen, die es gibt, unter durch Verbreitung des Wissens über die Erkrankung in der Fachwelt bei den Ärzten und Ärztinnen, kann die Zeitspanne vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Vorstellung des Patienten beim ersten Spezialisten erheblich verkürzt werden. Der hat dann – und das ist substantiell anders als vor 15 Jahren – eine ganze Reihe von therapeutischen Pfeilen im Köcher, die man anwenden kann, teilweise alleine, teilweise in Kombinationen. Lungenhochdruck ist eine der sich am schnellsten entwickelnden medizinischen Indikationen, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat. Es hat kaum eine medikamentös zu therapierenden Krankheit gegeben, die innerhalb einer Dekade so viel Fortschritte gemacht hat.
Nun kommt wieder die Komponente Zeit hinzu: Alle, die hier an der Entwicklung arbeiten, ziehen am gleichen Strang, weil sie wissen, über welch enge Zeiträume wir reden und dass die Patienten keine Zeit zu verlieren haben. Ein Tag im Leben eines Lungenhochdruckpatienten bedeutet etwas anderes als ein Tag im Leben eines Patienten, der keinen Lungenhochdruck hat.
Der Entdeckungs- und Entwicklungsprozess folgt ja konsequent einer gewissen Systematik. Ist daran noch irgendwas kreativ?
Dr. med. Reiner Frey
Oh, ja. Zur Kreativität in der Forschung und zur Findung neuer Moleküle kann Johannes-Peter Stasch sicherlich viel besser Auskunft geben. Aber in der klinischen Entwicklung, wie man die Abfolge der Schritte kombiniert, verschachtelt, verkürzt und optimiert, ist Kreativität gefordert. Mit Riociguat haben wir ein komplett neues Wirkprinzip, das in zwei seltenen Erkrankungen entwickelt werden soll. Hierzu gibt es keine festen Vorgaben. Diese Innovation ist ein gutes Beispiel für Kreativität! Sonst hätten wir nicht, wie vorher ausgeführt, schon ein Jahr nach der Erstanwendung am Menschen mit der Erstanwendung am Patienten beginnen können.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Die Kreativität stand mit der Identifizierung eines neuen Prinzips, das in keinem Lehrbuch zu finden war, am Anfang. Darüber hinaus gibt es alle möglichen Schritte, wo Kreativität gefragt ist, denn man weiß zunächst nicht, für welche Indikationen solch ein neuer Mechanismus optimal geeignet ist. Es gibt ja auch verschiedenste Möglichkeiten, das zu testen, und dabei ist auch die eigene Urteilskraft wichtig: zu bewerten, was dieser Einblick, diese Erkenntnisse gezeigt haben. Manchmal gibt es Überraschungen, und man steht vor neuen Ergebnissen. Oft sind wir als Wissenschaftler vielleicht ein wenig arrogant – sicherlich nicht, das wär das falsche Wort. Aber man hat neue Ergebnisse und muss sie ernst nehmen, um daraus zu lernen: Was sagt mir dieses Ergebnis? Insbesondere negative Ergebnisse sind diejenigen, die einen weiterführen. Und das lässt einen ein neues Molekül designen, einem Chemiker eine Handlungsanweisung geben, in welche Richtung die Moleküle zu optimieren sind. Das sind Prozesse, die nicht vorhersehbar sind. Insofern ist dieser primäre Forschungsbereich ein hoch innovativer und kreativer Prozess, bei dem man jeden Tag vor Überraschungen steht. Und deshalb ist es wichtig, so breit wie möglich aufgestellt zu sein, um die Ergebnisse, die man erhält, einordnen zu können und um den nächsten Schritt gemeinsam im Team zu planen und das weitere Vorgehen zu gestalten.
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Kreativität – Sie legen da den Ball auf den Elfmeterpunkt, und im Prinzip brauche ich nur das Tor zu treffen. Das ist selbstredend! Gerade im Bereich der medizinischen Forschung ist sowohl das, was das Grundverständnis der Erkrankung betrifft, als auch die Möglichkeit, auf Basis dieser neuen Erkenntnisse Medikamente zu entwickeln, gerade das, was das Ganze so spannend macht – vor allem dann, wenn etwas dieses unglaubliche Potenzial hat, teilweise mit Quantensprüngen in den Entwicklungen. Lungenhochdruck ist eine Erkrankung, die in der modernen medizinischen Literatur erstmalig in den 1970er-Jahren beschrieben wurde, da hat es die ersten Weltkonferenzen zu dieser Krankheit gegeben, und wir hatten kein Medikament. Die Diagnose führte dazu, dass der Patient transplantiert werden musste, mit allen Limitationen der Transplantation, der geringen Organverfügbarkeit und auch der Tatsache, dass letztlich die Erkrankung nicht geheilt wird, sondern durch eine andere Erkrankung – was ja eine Transplantation letztendlich ist – ersetzt wird.. Dann gab es in kurzer Folge einen periodischen Innovationsschub, und wir haben parallel immer mehr über die Erkrankung gelernt. Daraus entwickelt sich auch die Innovation.
Man geht als Forscher, Wissenschaftler und Arzt auf die Suche. Man schaut sich seine Patienten an, man lernt aus anderen Erkrankungen, man vollführt Analogieschlüsse. Und dabei gibt es Auffälligkeiten, die auf diese eine Erkrankung zutreffen, auf andere nicht. Man deutet Ergebnisse von Untersuchungen und kann daraus ableiten, welche Mechanismen hier eine Rolle spielen können, und geht dann ins Labor. Im Labor werden Materialien des Patienten untersucht, aber eben auch in Zellkulturexperimenten. Oder man untersucht runter bis auf die Ebene einzelner Enzyme, schaut, ob Regulationsmechanismen für die Erkrankung eine Rolle spielen könnten. Man sucht: Wo gibt es einen Schlüssel, der zu dem Schloss passt? In Deutschland gibt es eine ganze Reihe von exzellenten Autobauern. Aber diese Autos müssen auch auf die richtige Straße gesetzt werden. Es gibt hier ganz fundamentale, mittlerweile auch internationale, extrem kompetitiv klinische Forschung und Grundlagenforschung. Aber man muss die Erkenntnisse, die man daraus gewinnt, mit Partnern aus der Industrie zusammenbringen. Man muss das richtige Auto auf die richtige Straße setzen.
Und das ist das, wo ebenfalls Kreativität eine Rolle spielt. Wie schafft man es, dass sich diese Wege, die sich teilweise nur zufällig treffen, systematisch kreuzen? Und es gibt in Deutschland auch zum Beispiel durch deutsche Forschungseinrichtungen und deutsche Forschungsförderer neue Instrumente: Kooperationen zwischen der forschenden Pharmaindustrie und der akademischen Forschung werden – nicht mehr wie noch vor 20 Jahren, wo das Ganze etwas anrüchig war und eher ungern gesehen wurde – heute per Instrument der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, von anderen Landes- und Bundesexzellenz-Initiativen geradezu gefördert. Damit bringt man diese Parallelwelten, die es teilweise gab, zusammen. Und ich glaube, wenn es irgendeinen besonderen Charme, einen besonderen Pfiff, an diesem Projekt gibt, dann ist es der Umstand, dass sich unsere Wege sehr früh gekreuzt haben und nicht erst, wie dies klassisch so ist, an der Endstrecke, am Elfmeterpunkt – sprich, wenn eine Pharmafirma mit einer Substanz oder einem fertigen Studienkonzept, zu den Klinikvertretern geht und fragt: Könnt ihr Patienten dazu beitragen? Hier haben sich die Wege viel früher gekreuzt, in einem Stadium, als das Molekül noch in den „Jugendjahren“ war, und dann hat man gemeinsam und parallel entwickelt. Wie stark das die Zeitachse verkürzen kann, wie sehr das Ressourcen spart, das ist in kaum einem anderen Bereich so gut darstellbar wie bei diesem Projekt.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Wir sind ja das lebendige Beispiel dafür. Das war nicht geplant. Die Forschung hatte Ergebnisse veröffentlicht, ihr in Gießen seid darauf gekommen, und insofern haben wir in der Präklinik schon zusammengearbeitet und konnten diese Ideen, diese Konzepte, dann auch ins Unternehmen tragen. Das ist ein Muster, ein Paradebeispiel für das, was aus meiner Sicht dringend notwendig ist: eine verstärkte Kooperation zwischen der pharmazeutischen Industrie und der Akademie.
In Bereichen, in denen es um neue Targets, um neue Indikationen, um neue Modelle geht, hat man in der Akademie ein bisschen mehr Freiraum und Möglichkeiten, solche Dinge zu finden. Doch wenn es um die Entwicklung von Substanzen geht, haben wir – die Industrie – Kompetenzen, da sind die Universitäten und Akademien oft sehr erstaunt, was bei uns alles passiert, wie die Prozesse laufen und welche hervorragenden Möglichkeiten wir in diesen Bereichen haben. Es wäre schön, wenn sich diese Bereiche noch mehr befruchten würden und wenn man aus unserem konkreten Beispiel Lehren ziehen würde.
Was Sie noch außerhalb Ihrer Arbeitswelt beschäftigt, das ist fast müßig zu fragen. Trotzdem – was interessiert Sie noch, womit entspannen Sie?
Prof. Dr. med. Ardeschir Ghofrani
Ich höre sehr gern Musik treibe gerne Sport. Meine Lieblingsbeschäftigung ist, meine Zeit mit meinen Kindern und meiner Familie zu verbringen, aber ich reise auch gerne, und da ist es ebenfalls ein schöner Nebeneffekt des Berufes, dass man sehr viel von der Welt sieht und sich nicht nur mit Ärzten und Wissenschaftlern austauscht, sondern andereLänder kennenlernt.
Prof. Dr. rer. nat. habil. Johannes-Peter Stasch
Da sind noch viele Aspekte, die bei mir eine Rolle gespielt haben, nicht nur Chemie oder Pharmakologie: Familie, Kinder, Sport. Meine Frau und ich haben uns über viele Jahre in der Familienpolitik und Familienarbeit engagiert. Wenn ich spätabends nach Hause kam oder am Wochenende, haben wir diese Aufgaben gemeinsam vorangetrieben. Das war auch der Grund, warum wir diese Aufgabe jetzt auch international von Rom aus wahrnehmen.
Dr. med. Reiner Frey
Mit der Familie und den Kindern waren im Sommer immer der Wassersport und das Segeln die bevorzugte Leidenschaft. Im Winter gehen wir gerne Skifahren. Dann war früher noch das Bergwandern und Bergsteigen ein großes Hobby. Ich habe auch zwei Expeditionen von Bergkameraden in Südamerika und Indien begleitet.