Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Das ist nur auf den ersten Blick ein Gegensatz, denn die ganze Natur arbeitet mit Chemie. In unserem Fall haben wir uns die Natur zum Vorbild genommen. Wir haben den Inhaltsstoff, mit dem sich ein Waldpilz, der Kiefernzapfenrübling, gegen seine Nahrungskonkurrenten, also gegen andere Pilze verteidigt, als Basis genommen, um daraus ein Fungizid zu entwickeln, mit dem wir Kulturpflanzen gegen Pilzbefall schützen, der ganze Ernten vernichten kann.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Im Übrigen gilt heute schon längst nicht mehr „Viel hilft viel“. Pflanzenschutz wird heute im Vergleich zu früher mit äußerst niedrigen Aufwandmengen betrieben, und die Mittel werden erst dann eingesetzt, wenn der Krankheitsdruck eine bestimmte Schwelle zu überschreiten droht.
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Und jedes unserer Mittel, das wir zur Marktreife entwickeln, unterliegt nicht nur allerstrengsten Zulassungskriterien. Es muss auch deutlich besser sein als das, was es bereits gibt: Das gilt für die biologische Wirkung, das Umweltverhalten und die Wirtschaftlichkeit gleichermaßen. Sonst haben wir damit keine Chance – weder bei den Zulassungsbehörden noch bei unseren Kunden, den Landwirten.
Wir sollten auch auf keinen Fall übersehen, wozu Pflanzenschutz betrieben wird und wem er dient. Da ist zum einen unser Kunde, der Landwirt. Unsere Produkte helfen ihm, eine hohe Qualität seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu sichern, die Kulturen vor Krankheiten, Schädlingen und Unkrautkonkurrenz zu schützen, und sie erleichtern ihm die Arbeit.
Den Nutzen haben aber wir alle, die Konsumenten. Auf dem Wochenmarkt oder in den Regalen der Supermärkte finden wir heute eine nie da gewesene Vielfalt von Lebensmitteln: frisch, gesund und – nicht zu vergessen – auch erschwinglich.
Was ist denn an F 500 das Natürliche? Oder was ist das Innovative an diesem Pflanzenschutzmittel, das jetzt mit der Nominierung zum Deutschen Zukunftspreis gewürdigt wurde?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Ausgangspunkt war, wie schon gesagt, ein pilztötender Naturstoff, das Strobilurin A, das Ende der 70er Jahre von Timm Anke an der Universität Kaiserslautern und Wolfgang Steglich, damals an der Universität Bonn, entdeckt, hinsichtlich seiner fungiziden Wirkung untersucht und in seiner chemischen Struktur aufgeklärt worden war. Diese Substanz haben wir in die industrielle Forschung übernommen und haben synthetische Varianten entwickelt, die gute Chancen versprachen, als Fungizide wirklich brauchbar zu sein. Insofern betrachte ich Strobilurin A als ein Geschenk der Natur.
Im Labor konnten wir Chemiker die Struktur des natürlichen Strobilurin A, das für den Einsatz in der Landwirtschaft zu empfindlich gegenüber Licht und Sauerstoff ist, ohne Verlust der biologischen Wirkung in vielfältiger Weise verändern.
Ein systematisch veranlagter Chemiker, wie ich es bin, versucht immer, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und die Trends aufzuspüren, die zu wirksameren Varianten eines Leitmoleküls führen. Das ist ein Teil des Themas „Beziehungen zwischen Struktur und Wirkung“ und ein weites Feld für Kreativität. Von der Synthese her ist das recht schnell gelungen, da der Ausgangspunkt ein relativ einfach gebautes Naturstoffmolekül war.
Der zweite wichtige Punkt für schnelle Fortschritte war, dass aus der Literatur der Wirkmechanismus bekannt war. Auf dieser Basis konnten wir in der BASF einen biochemischen Schnelltest aufbauen. Mit ihm ließ sich innerhalb kürzester Zeit feststellen, wie stark oder schwach eine neue Strukturvariante am Zielort im Schadpilz wirkt. Auf diese Weise konnte die neue Stoffklasse der Strobilurine sehr zügig entwickelt werden.
Im Laufe von mehr als 15 Jahren haben allein wir in der BASF über 18.000 solcher Strukturvarianten dieses Naturstoffs synthetisiert – jede Variante etwas ganz Neues. Im Jahr 1996 sind wir dann mit einem ersten Produkt auf den Markt gekommen. Unser Kresoxim-methyl war das erste synthetische Strobilurin. Ganz kurz übrigens vor einem Wettbewerbsprodukt – dem Azoxystrobin der damaligen Zeneca.
Kresoxim-methyl war aber erst der Anfang. Sie sagten, es wurden viele Strobilurine synthetisiert. Wie sind Sie denn dabei vorgegangen?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Unsere Forschungsziele waren zuallererst höhere Wirksamkeit und breitere Einsatzmöglichkeiten. Wie stets im Pflanzenschutz standen weiterhin Themen wie Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit, Marktpotenzial und Patentschutz in der langen Liste, die wir abzuarbeiten hatten. In der BASF hatten wir uns die Patentrechte für eine spezielle Untergruppe der Strobilurine gesichert, die Methoxycarbamate. Bei ihnen wird ein Kohlenstoffatom im Zentrum des Moleküls durch ein Stickstoffatom ersetzt. Das war ein wichtiger innovativer Ansatz, denn einige dieser Methoxycarbamat-Varianten zeigten besonders attraktive physikalische und biologische Eigenschaften. Diese Eigenschaften nahmen wir dann sehr genau in unser Visier. Und so kamen wir zu F 500.
Worauf beruht denn die besondere Wirkung dieses Stoffes?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Strobilurine hemmen sehr gezielt eine bestimmte Stufe der Zellatmung in den Mitochondrien. Ohne diese Atmung geht den angreifenden Schadpilzen die Energie aus und sie sterben ab.
Dieser Wirkmechanismus richtet sich ganz gezielt gegen die pilzliche Sporenkeimung, ohne die die Pilze sich nicht ausbreiten können. Damit ist von vornherein ein breites Wirkungsspektrum gegen Pilzkrankheiten gegeben. Diese Selektivität bedeutet gleichzeitig eine hervorragende Umweltverträglichkeit. Für einen Pflanzenschutzwirkstoff ist das geradezu eine ideale Kombination.
Hinzu kommt: Strobilurine wirken in aller Regel systemisch. Die Wirtspflanze nimmt den Wirkstoff auf. Dabei wird der Wirkstoff auf der Oberfläche oder im Gewebe so gleichmäßig verteilt, dass Angreifer sofort mit dem Abwehrmechanismus konfrontiert werden.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Es ist richtig, dass viele aktive Substanzen gefunden wurden. Für uns ging es darum, ein Produkt zu entwickeln, das besser war als das, was der Wettbewerb zu bieten hatte. Das galt für die Wirkungsbreite – es gibt kein Strobilurin, das eine breitere Wirkung hat. Dann die Stärke der biologischen Aktivität. Und schließlich auch die erstaunlichen kurativen Leistungen des Produkts: Auch bei fortgeschrittener Infektion war das F 500 noch aktiv. Es war die heilende Wirkung, die von ihrer Stärke her sicher etwas Neues darstellte.
Das Finden des Wirkstoffes gegen den Pilzbefall ist eine Sache. Sie sprechen aber auch von „Pflanzengesundheit“. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Ich erinnere mich genau an die ersten Feldtests: Es war auf einer Reise nach Südafrika, als ich das erste Mal mit F 500 behandelte Erdnussfelder gesehen habe. Ich weiß noch sehr gut, wie die bearbeiteten Flächen schon aus der Entfernung hervorstachen, und zwar grün, wunderschön grün. F 500 unterschied sich in diesem Punkt deutlich von allen anderen getesteten Produkten.
Und woran liegt diese Wirkung?
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
F 500 stärkt die pflanzliche Vitalität über mehrere verschiedene Mechanismen. Einmal hilft es der Pflanze, sich besser an die verschiedenen Stressfaktoren anzupassen. Darüber hinaus steigert es die pflanzliche Leistungsfähigkeit, indem es zwei wichtige ertragsbildende metabolische Prozesse fördert.
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Einerseits stimulieren Strobilurine die pflanzliche CO2-Assimilation, erhöhen somit die pflanzliche Photosyntheseleistung und letztendlich die ertragswichtige Stärkeproduktion. Für diesen positiven Effekt ist eine vorübergehende Reduktion der pflanzlichen Atmung verantwortlich, die der Photosyntheseleistung der Pflanze entgegenwirkt. Andererseits wirkt F 500 zusätzlich auf die Stickstoffassimilation, die wichtige Bausteine für die pflanzliche Proteinproduktion liefert. So fördert der Wirkstoff die Aktivität der Nitratreduktase, die das Schlüsselenzym der pflanzlichen Stickstoffassimilation ist. Hierdurch wird der Bodenstickstoff von der Pflanze besser ausgenutzt. Das wirkt sich positiv auf das Wachstum und die Pflanzenproduktivität aus.
Neben der Verbesserung der ertragsbildenden Assimilationsprozesse hilft F 500 der Pflanze mit verschiedenen Mechanismen, sich besser an die verschiedenen Stressfaktoren anzupassen. Erstens führt eine Stimulierung der pflanzeneigenen antioxidativen Prozesse zu einer deutlichen Reduktion von schädlichen reaktiven Sauerstoffradikalen. Zweitens verlängert die Hemmung der Ethylenproduktion das Leben der Pflanze und damit die Zeit, die für die Assimilation der Ertragskomponenten zur Verfügung steht. Und drittens fördert F 500 über die erhöhte Nitratreduktaseaktivität die Produktion eines Signalmoleküls der pflanzlichen Pathogenabwehr. Damit wird die Anfälligkeit insbesondere für Bakterien- und Virenbefall reduziert.
Diese Mechanismen klingen recht kompliziert. Wie gehen Sie grundsätzlich vor, wenn Sie ein neues Mittel entwickeln?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen für Pflanzenschutzmittel prüfen die Forscher im Agrarzentrum jedes Jahr mehr als 100.000 Substanzen daraufhin, ob sie überhaupt gegen Schadpilze, Schadinsekten oder Unkräuter wirken. Diese Ersttests führen sie zum Beispiel an Enzymen, an Pflanzenblattscheibchen oder ganzen Pflanzen, an Pilzen oder Insekten im Labor oder in Gewächshäusern durch. Die Wissenschaftler behandeln beispielsweise Schadpilze mit der zu prüfenden Substanz. Zeigt sich eine erfolgversprechende Wirkung, beginnen sofort und unmittelbar Versuche zur chemischen Strukturvariation. Ziel ist die Wirkungsoptimierung unter biologischen Aspekten im Labor, im Gewächshaus und schließlich auch im Freiland.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
In diesen Freilandversuchen stellen wir dann den Praxisfall nach: Hier bauen wir Kulturen wie Weizen, Mais oder Raps an und behandeln sie mit dem zu prüfenden Pflanzenschutzmittel. Um herauszufinden, ob die Wirkung des Mittels vom Boden, von der Witterung oder der Sorte einer Kulturpflanze abhängig ist, führen wir diese Freilandversuche weltweit an unseren verschiedenen Feldversuchsstationen durch. Steht ein Mittel für Reis, Baumwolle oder Kaffee zur Prüfung an – ich hatte ja bereits vorhin auch die Erdnüsse erwähnt –, werden die Versuche dort angestellt, wo die jeweilige Kultur unter natürlichen Bedingungen angebaut wird. Das ist der Grund, weshalb wir ein weltweites Netz landwirtschaftlicher Versuchsstationen unterhalten.
In dieser Entwicklungsphase ganz wichtig sind auch die Untersuchungen, in welcher Zubereitungsform oder „Formulierung“ ein Pflanzenschutzmittelwirkstoff in der Praxis eingesetzt werden kann. Durch Hilfsstoffe, wie z. B. Emulgatoren oder Suspensionshilfsmittel, wird eine gleichmäßige Verteilung gewährleistet und somit auf der Pflanze eine optimale Wirkung gegen Schadinsekten, Schadpilze und Unkräuter erreicht.
Und wie steht es dabei mit dem Thema Sicherheit für Menschen und Tiere?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
In einem frühen Stadium dieser Weiterentwicklung beginnen auch schon die Versuche zum Umweltverhalten. Wir untersuchen, wie tief ein Wirkstoff in den Boden eindringt und wie schnell er sich dort biologisch abbaut. Parallel dazu prüfen wir in der Ökotoxikologie, ob ein Wirkstoff Tiere wie Fische, Vögel, Bodenlebewesen und Insekten beeinflusst. Besonders wichtig ist, dass nützliche Organismen, zum Beispiel Honigbienen oder Marienkäfer, nicht gefährdet werden.
Besonders umfangreich und gründlich sind die toxikologischen Untersuchungen, mit denen die Sicherheit der Anwender in der Landwirtschaft und der Endverbraucher gewährleistet wird. Die Ergebnisse all dieser Studien, die insgesamt mehrere Jahre dauern und zig Millionen Euro kosten, müssen den Zulassungsbehörden vorgelegt werden. Sie entscheiden anhand strenger Kriterien, ob sie einem Produkt für einen vorgesehenen Einsatz die Zulassung erteilen.
An einem solchen Entwicklungsprozess sind unterschiedliche Bereiche und Professionen beteiligt. Das hört sich alles nach einer Menge Teamarbeit an.
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Ja, und das ist es auch. Der Erfolg in der Arbeit, in diesem ganzen Prozess hat auch mit Kollegialität und persönlichem Vertrauen, mit Teamarbeit, mit Führungsverhalten zu tun. Denn wenn eine Gruppe von hochkarätigen Wissenschaftlern vor der Aufgabe steht, ein neues Fungizid in einer bestimmten Stoffklasse zu finden und zu entwickeln, gibt es so viele unterschiedliche Ansichten über das Vorgehen, wie Leute in der Gruppe vertreten sind. Für die Mitglieder des Teams gilt es hier, fair und offen miteinander umzugehen. Und für den jeweiligen Teamleiter stellt sich die Aufgabe, die verschiedenen Meinungen auszubalancieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dass uns dies im Fall von F 500 gelungen ist, ist das Verdienst aller Beteiligten.
Gute Teamarbeit ist eine wichtige Basis – trotzdem gab es sicher auch einmal schwierige Phasen in der Entwicklung. Welche Rolle spielte bei Ihrer Arbeit eigentlich der Zufall?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Forschung lässt sich effizient und erfolgversprechend organisieren; das ist Aufgabe des Forschungsmanagements. Die Forschungsergebnisse jedoch lassen sich nicht sicher voraussagen, jedenfalls nicht zu Anfang. Da spielt der Zufall mit. Allerdings lässt sich die Erfolgswahrscheinlichkeit beeinflussen. Da helfen eine klare Strategie, gut durchdachte Prozesse und vor allem die richtigen, kompetenten Personen, die als Team zusammenarbeiten.
Als Forscher braucht man Visionen, einen festen Glauben an die Erfolgsträchtigkeit des gerade bearbeiteten Themas, Geduld, Ausdauer und Hartnäckigkeit. Außerdem muss ein Forscher in hohem Maße frustrationstolerant sein.
Natürlich spielen auch Zufälligkeiten eine Rolle: unerwartete Ergebnisse, positive wie negative Überraschungen. Entscheidend ist, dass man als Forscher offen und aufnahmebereit für Unvorhergesehenes ist und gegebenenfalls aus solchen Ereignissen oder Ergebnissen die richtigen Konsequenzen zieht.
Wirkstoffsuchforschung ist ein evolutionärer Prozess. Es geht um Variation und Selektion: Variation der chemischen Leitstruktur und Selektion nach biologischen Kriterien.
Haben Sie sich im Verlauf der Entwicklung Ihres Projektes mehr Unterstützung gewünscht, intern oder extern, oder fanden Sie sie ausreichend?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Die externe Unterstützung war anfänglich der Schlüssel zum Erfolg. Schließlich basiert die Identifizierung der Strobilurine als Stoffklasse auf der Zusammenarbeit mit den Hochschullehrern Anke und Steglich. Beide Arbeitsgruppen haben uns über Jahre in einer intensiven Zusammenarbeit engagiert Hilfestellung gegeben.
Die interne Unterstützung ist mit der Zeit deutlich gewachsen. Zu Beginn waren die Möglichkeiten, die uns die Strobilurine geben werden, nur schemenhaft zu erkennen. Da standen andere Themen im Vordergrund. In dieser Phase gehörte es zur wichtigen Forscheraufgabe, diese neue Stoffklasse intern zu propagieren. Bei Rückschlägen im Laufe des Projekts, von denen auch wir nicht verschont geblieben sind, haben wir uns im Kreis der Kolleginnen und Kollegen gegenseitig Mut gemacht. Hinzu kamen Ermutigungen von Vorgesetzten.
Als der internationale Wettlauf auf dem Arbeitsgebiet Strobilurine spürbar an Tempo zulegte, erhielten wir fast jede nur denkbare Unterstützung. Die neue Stoffklasse wurde mit massiven Ressourcen verfolgt, und dies führte dann zu F 500.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Als wir dann mit der biologischen Entwicklung von F 500 begannen, stand bereits unser erstes Strobilurin, nämlich Kresoxim-methyl, kurz vor der Zulassung. Damit war die Bedeutung der neuen Wirkstoffklasse allen Beteiligten klar geworden. Das neue, wesentlich größere Projekt erhielt deshalb von Anfang an kräftige Unterstützung.
Und wie geht es jetzt weiter?
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Nach den Feldversuchen wird ein Produkt normalerweise in den wesentlichen landwirtschaftlichen Kulturen und den wichtigsten Märkten registriert. Damit ist die Arbeit aber noch nicht zu Ende. Es kommen Nachregistrierungen – in verschiedenen Ländern und Kulturen. Man entdeckt neue Einsatzgebiete und entwickelt neue Kombinationen.
Ein Beispiel ist der Einsatz von F 500 in der Sojabohne in Brasilien. In Südamerika hatten wir gleich zu Beginn der Entwicklung dieses Wirkstoffes Versuche in über 30 verschiedenen landwirtschaftlichen Kulturen gemacht, vom Weizen bis zur Sojabohne. Wir hatten ein Fungizid-Kompetenzteam aufgestellt, das sich sehr schnell in neue Fragestellungen einarbeitete und bereits zwei Jahre vor der Einführung der F 500-Produktfamilie in Lateinamerika unseren Kunden in einem großangelegten Programm die Stärken und den möglichen Einsatz dieses Strobilurins der neuesten Generation demonstrierte.
Zur gleichen Zeit rückte eine neue Krankheit im Sojaanbau in den Mittelpunkt. Regelmäßig wurden kurz vor der Ernte die Blätter der Sojapflanze braun und schwarz. Die Pflanzenkrankheit, inzwischen als Sojarost bekannt und gefürchtet, hatte sich von Asien über Afrika und Paraguay bis nach Brasilien ausgebreitet. Große wirtschaftliche Schäden bis hin zum kompletten Ausfall der Ernte drohten. Diese Krankheit muss sehr ernst genommen und bereits beim ersten Auftreten von Symptomen bekämpft werden. Eine zweite Chance gibt es nicht.
Unser Fungizid-Team erkannte die Gefahr schon frühzeitig, sah aber auch die in F 500 steckenden Möglichkeiten. Mit Hochdruck wurden Versuche angestellt. Das erfreuliche Ergebnis: Opera®, ein Produkt auf Basis von F 500, machte seinem Ruf als Breitbandfungizid alle Ehre. Es verhinderte zum einen die Pilzkrankheiten, zum anderen hatte es einen deutlichen ertragsteigernden Effekt. Dieses Produkt wurde nur zwei Jahre nach Markteinführung in Südamerika das Fungizid Nummer 1. Unsere Kunden wissen die Leistungen des Produkts zu schätzen. Für sie lohnt es sich, für unser Premium-Fungizid einen höheren Preis zu bezahlen.
Der Begriff „Innovation“ ist viel benutzt oder auch abgenutzt. Wie definieren Sie Innovation, besonders im Zusammenhang mit Ihrem Projekt?
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Für mich ist Innovation erst dann vollständig, wenn der jeweilige Markt positiv auf die Neuheit reagiert, wenn Kundenbedürfnisse also offensichtlich besser befriedigt werden als durch schon vorhandene Lösungen. Die Erfindung, die Invention, allein reicht also nicht aus. Erst wenn die Umsetzung in etwas Marktfähiges gelungen ist, lässt sich von Innovation sprechen. F 500, seine herausragende fungizide Wirkung, seine positiven Effekte auf die Pflanzengesundheit und der daraus resultierende wirtschaftliche Erfolg sind ein eindrucksvolles Beispiel hierfür.
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Das sehe ich ähnlich, aber noch eine kleine Anmerkung zum Thema Invention aus Sicht des Chemikers: Im Falle von F 500 waren wir im Wettlauf mit Konkurrenten gezwungen, ungewöhnliche, nicht naheliegende Strukturvarianten ins Auge zu fassen, auf die man als Chemiker nicht sofort kommt. Die Methoxycarbamate, zu denen auch F 500 gehört, stellen solche Varianten dar. Bei ihnen wurde an einer für die biologische Wirkung kritischen Molekülstelle im essentiellen, bindenden Molekülteil, dem sogenannten Pharmakophor, eine C=C-Doppelbindung durch eine N-O-Einfachbindung ersetzt. In aller Regel würde man bei einer so tiefgreifenden Strukturänderung erwarten, dass die Wirkung verloren geht. Hier erlebten wir als äußerst positive Überraschung jedoch das Gegenteil. Die Wirkung dieser von der chemischen Struktur her etwas exotisch anmutenden Varianten war teilweise deutlich besser.
Wie schätzen Sie das Klima für Innovationen bei uns in Deutschland ein, und wie stehen wir im internationalen Vergleich da?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Die Situation in Deutschland sehe ich mit Sorge. In unserer Gesellschaft hat nach meinem Eindruck die Wertschätzung für naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und den dadurch erzielbaren technischen Fortschritt über Jahrzehnte sukzessive und deutlich abgenommen. Parallel dazu wurden zunehmend Risiken überbewertet und die zugehörigen Chancen unterbewertet oder sogar ignoriert. Wenn wir wirklich zukunftsträchtige, riesige Potenziale, wie beispielsweise die grüne Gentechnik, anderen überlassen, können wir eine nachhaltig erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung für unser Land nicht gewährleisten. Ich halte solche ideologisch bedingten Fehlentwicklungen für äußerst kontraproduktiv, auf längere Sicht sogar für gefährlich. Langfristig mag das sogar auch Rückwirkungen auf die Produktivität kreativer Köpfe in Forschung, Entwicklung und Marketing haben. Ich fürchte, da könnte sich – bildlich gesprochen – allmählich eine besondere Art Mehltauinfektion ausbreiten, gegen die auch ein exzellentes Mehltaufungizid wie F 500 keine Chancen hat.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Ich möchte dieser Frage noch einen anderen Twist geben. Es gibt sehr wohl Bereiche, in denen Innovationen gesellschaftlich begrüßt werden, z. B. in der Elektro- und Computertechnik, im Maschinen- und Autobau, auch in der Unterhaltungsindustrie, also überall dort, wo der Endverbraucher sofort seinen persönlichen Nutzen erkennt. Dann glaubt auch der Laie, dass die Chancen des Fortschritts ergriffen werden sollten, und meint, die Risiken nach eigenen Erfahrungen selbst als gering einschätzen zu können. Anders stellt sich die Situation in Bereichen wie Energiegewinnung, Landwirtschaft, Chemie oder Gentechnik dar. Da sind einerseits die Chancen für den Endverbraucher in der Regel nicht so klar zu erkennen. Andererseits findet er die Risiken womöglich beängstigend, weil er sie allein aufgrund seiner Lebenserfahrung nicht beurteilen kann, sondern dieses Urteil Fachleuten und Zulassungsbehörden überlassen muss, denen er vielleicht nicht voll vertraut.
Womit wir bei der wirtschaftlichen Bedeutung wären. Wie reüssiert Ihre Innovation am Markt, wo wird produziert, und wie viele Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt mit F 500 zusammen?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Wir haben uns vorgenommen, mit diesem Wirkstoff, einschließlich der Produkte, in denen F 500 als Mischungspartner vorkommt, im Jahr 2005 einen Umsatz von über 400 Millionen Euro zu erzielen. Damit schiebt sich F 500 in die Spitzengruppe der am besten verkauften Pflanzenschutzwirkstoffe in der Welt vor.
Produziert wird der Wirkstoff am BASF-Standort Schwarzheide in Brandenburg. Dort haben wir mit Investitionen von über 100 Millionen Euro eine Syntheseanlage aufgestellt, die dort rund 200 Arbeitsplätze sichert. Wie viele Arbeitsplätze darüber hinaus von diesem Wirkstoff anhängig sind, lässt sich nur erahnen. Es sind sicherlich nicht wenige, betrachtet man die Bedeutung von F 500 im Pflanzenschutz-Portfolio der BASF.
Wir würden gerne auch noch etwas Persönliches über Sie erfahren: Was wollten Sie eigentlich als Kind werden, oder wie sind Sie zu Ihrer Berufsentscheidung gekommen?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, mich für Chemie zu interessieren, und zu Hause mit einem Kosmos-Chemiebaukasten experimentiert, teilweise zum Entsetzen meiner Mutter, wenn Dämpfe unter der Türschwelle durchkrochen. Und dann fing ich mit 14, 15 Jahren an, ernsthaft zu forschen. Ich habe Eiweißhydrolysate hergestellt und geschaut, welche Aminosäuren drin sind. Ich habe mir Bücher besorgt, die es in der Schule nicht gab. Da wusste ich, dass ich Chemiker werden wollte. Meine Wehrdienstzeit beim Bundesgrenzschutz nutzte ich zur Weiterbildung, denn damals ging es für Studienanfänger in der Chemie um begehrte Laborplätze. Die entsprechende Aufnahmeklausur habe ich als Bester absolviert.
Nach meiner Promotion in Freiburg wollte ich ursprünglich an der Universität bleiben und eine akademische Laufbahn einschlagen. Als ich aber aus Harvard zurückkam, habe ich mich anders entschieden und bin in die Industrie gegangen. Ich habe diese Entscheidung nie bereut.
Gab es jemanden, der Sie besonders gefördert hat?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Zuallererst meine Mutter, der ich sehr viel zu verdanken habe. Vielleicht hat sie geahnt, was sie tat, als sie mir als Schüler von ihrem spärlich bemessenen Taschengeld ein chemisches Labor spendierte. Dann mein Doktorvater, Professor Prinzbach, der mir viel freie Hand gelassen und damit meine Kreativität gefördert hat. Und dann natürlich mein Lehrer in Harvard, der berühmte Woodward.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Nach dem Gymnasium in Melk in Österreich wollte ich zunächst Lehrer werden. Das hat mir auch viel Spaß gemacht. Dann entdeckte ich mein Interesse für die Naturwissenschaften und habe allerdings Landwirtschaft statt Chemie studiert. Nach Abschluss des Studiums habe ich mich in der Industrie beworben. Hier fand ich eine vielfältige, faszinierende Arbeit, so dass ich diese Entscheidung bis heute nicht bereut habe.
Welche Charaktereigenschaften haben Ihnen beruflich geholfen?
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Ich glaube, dass ich mit Menschen gut umgehen kann und es mir gelungen ist, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen und dadurch die Kollegen zu motivieren. Außerdem meine ich, dass die Konzentration auf das Wesentliche eine meiner Stärken ist. Beruflich weitergeholfen haben mir sicherlich auch die Jahre als Leiter der landwirtschaftlichen Versuchsstation der BASF in Spanien, wo ich selbständig arbeiten und meine Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte.
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Es ist, glaube ich, meine Begeisterungsfähigkeit, und zwar aktiv wie passiv. Sicher auch mein Durchhaltevermögen. Für andere wirke ich damit allerdings wohl manchmal zu missionarisch.
Sie sind inzwischen nicht mehr in der BASF aktiv. Womit beschäftigen Sie sich heute?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Die beruflich-fachliche Seite, Chemie, Biologie, Landwirtschaft, gibt es immer noch – im meinem Kopf und in meinem Herzen. Mein Hauptinteresse gilt aber der Philosophie und der Psychologie. Ich lese sehr viel in dieser Richtung. Hirnforschung ist ein Thema. Daneben möchte ich mich körperlich fit halten. Dann habe ich als Hobby die Musik: Ich singe im Chor und spiele Geige in einem Streichquartett mit Freunden. Und weil ich häufig in Baiersbronn weile, ist mir als Hobby die Kulinarik in ihren verschiedenen Facetten wichtig.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Ich beschäftige mich sehr viel mit Musik. Dabei sind mir regelmäßige Opern- und Konzertbesuche wichtig. Weiterhin zählen zu meinen Interessensgebieten Geologie und Astronomie sowie Geschichte und Kunstgeschichte.
Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Ich möchte auf einer Weltreise alle großen Opernhäuser der Welt besuchen und Aufführungen mit den besten Besetzungen erleben.
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Ich kann mir vorstellen, mich mehr mit der schon erwähnten Hirnforschung zu beschäftigen. Ich finde komplexe Dinge, wo es um dynamische Strukturen, um Systemtheorie und Synergetik geht, äußerst spannend.
Was ist Glück für Sie? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dr. rer. nat. Hubert Sauter
Ich kann das schlecht in einem Wort sagen: Zufriedenheit einerseits, Ausgeglichenheit, im Reinen sein mit sich und der Welt, und ab und zu ein Flow-Erlebnis. Die Zukunft? Dass es meinen Enkelkindern gut geht. Da denke ich schon daran und hoffe, dass sie in ein ökologisches und soziales Umfeld hineinwachsen, in dem sie auch zufrieden und glücklich sein können und in dem sie ihre Talente und Möglichkeiten und ihre Lebensenergie entfalten können.
Dipl.-Ing. (agr.) Klaus Schelberger
Sicherlich gehören dazu Zufriedenheit, innere Ruhe und natürlich Gesundheit, um das Leben weiterhin aktiv und interessant zu gestalten.