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Nominiert 2009

Email-Botschaft vom Herzen

Botschaften von Herzen – Schrittmacher sendet E-Mail an Arzt

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
BIOTRONIK SE & Co. KG, Berlin

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau

Implantate ermöglichen vielen, häufig älteren Menschen mit Herzproblemen wieder ein normales Leben. Dennoch kann es zu kurzfristigen Veränderungen des Gesundheitszustands oder Folgeerkrankungen kommen. Wie kann der Arzt diese rechtzeitig erkennen?

Unter der Leitung von Dr. Hans-Jürgen Wildau hat BIOTRONIK dafür eine weltweit einzigartige Technologie entwickelt, die auf eine automatische Kommunikation zwischen einem Herzschrittmacher oder implantierten Defibrillator (ICD) und einer Datenzentrale setzt. Als Vice President Health Services ist Wildau für Forschung, Entwicklung, Operations und neue Geschäftsentwicklung im Bereich Telemonitoring und Sensorik bei dem Berliner Medizintechnikunternehmen BIOTRONIK verantwortlich.

Ein zentrales Element des kommunikativen Home-Monitoring-Systems ist eine Antenne, die im Kopf des Herzschrittmachers oder ICD angebracht ist. Sie ist so klein, dass sie sich mühelos in das Implantat integrieren lässt. Auch ihr Energiebedarf ist sehr gering – das Sendemodul verbraucht nur etwa ein Hundertstel der Batteriekapazität.

Der Herzschrittmacher erfasst und speichert regelmäßig technische Daten und gesundheitliche Werte des Patienten. Bislang konnte der Arzt diese Daten nur sehen und interpretieren, wenn der Patient seine Praxis besuchte. Die Antenne dagegen funkt die Messwerte täglich an ein Empfangsgerät, das sich etwa am Gürtel tragen oder daheim abstellen lässt. Es überträgt die Informationen des Schrittmachers per Mobilfunk an eine Rechenzentrale, wo eine Software sie auswertet.

Der Clou an der Technologie: Auf einer geschützten Webseite kann der behandelnde Arzt jederzeit und überall die Patientendaten einsehen. Sie sind kompakt und übersichtlich dargestellt. Sowohl langfristige Trends als auch kurzfristige Ereignisse lassen sich daran erkennen. So kann der Arzt den Verlauf der Therapie stets im Auge behalten. Registriert das System ungewöhnliche Veränderungen, die auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustands hindeuten, informiert es umgehend den Arzt per SMS, E-Mail oder Fax. Das gibt dem Herzpatienten Sicherheit – und trägt überdies dazu bei, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken: Etliche Routinebesuche beim Arzt werden überflüssig, während bei Bedarf sofort eine effiziente und zielgerichtete Behandlung möglich ist.

Die BIOTRONIK SE & Co. KG wurde vor über 40 Jahren von Prof. Dr. Max Schaldach gegründet, dem Erfinder des ersten deutschen Herzschrittmachers. Das innovative Home-Monitoring-System des Unternehmens ist bereits in 55 Ländern im Einsatz. Über 3.500 Kliniken weltweit nutzen es zur medizinischen Fernüberwachung von rund 200.000 Patienten mit Herzimplantat. Künftig soll das System beispielsweise auch zur ständigen Kontrolle des Blutdrucks eingesetzt werden. Das bietet die Chance auf weitere Arbeitsplätze – zusätzlich zu den rund 100 Stellen, die BIOTRONIK allein durch Home Monitoring in Deutschland bereits neu geschaffen hat.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt "Botschaften von Herzen– Schrittmacher sendet E-Mail an Arzt" wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgeschlagen.

"Wir haben uns am Anfang viele Gedanken darüber gemacht, ob wir das „Überwachung“ nennen wollen."

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau

Fragen an den Nominierten

Die Menschen werden immer älter. Fortschritte in Medizin und Medizintechnik helfen, altersbedingte Einschränkungen zu minimieren und Krankheiten erträglich zu machen. Bei Ihrem Projekt geht es um Medizintechnik, Geräte, die bestimmte Erkrankungen des Herzens ausgleichen können, es geht um Herzschrittmacher, die implantiert werden. Erklären Sie bitte zunächst kurz die Funktion dieser Geräte, den technischen Entwicklungsstand und die Historie.

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Es gibt drei Herzprobleme, bei denen elektronische Implantate helfen können: das zu langsam schlagende Herz, das zu schnell schlagende Herz und das zu schwach schlagende Herz. Für das zu langsam schlagende Herz ist es der Herzschrittmacher, für das zu schnell schlagende Herz der implantierbare Defibrillator und für das zu schwach schlagende Herz ein Gerät, das die kardiale Resynchronisationstherapie unterstützt. Diese Implantate helfen dabei, dass das Herzproblem nicht mehr so schwer wiegt und das Leben wieder normal geführt werden kann, und der Defibrillator kann sogar Leben retten.
Die Historie des Unternehmens BIOTRONIK begann mit den Herzschrittmachern; das war 1963. Bei uns wurde der erste deutsche Herzschrittmacher entwickelt, und darauf gründet sich auch die Technologiebasis des Unternehmens im Bereich „Cardiac Rhythm Management“. Wir haben viele Jahre die Entwicklung der Herzschrittmacher – das waren am Anfang Materialfragen, Fragen der Batterie, der allgemeinen elektronischen Integration – mitgestaltet, mitgeprägt, und in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen die implantierbaren Defibrillatoren dazu. In diesem Jahrzehnt folgten die Geräte zur Resynchronisationstherapie für die zu schwach schlagenden Herzen. Alle diese Implantate haben die neue Technologie, das Home-Monitoring, von uns bekommen, um die Patienten aus der Ferne überwachen zu können.

Wie viele Menschen benötigen solche Geräte?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Man kann von rund einer Million Implantationen pro Jahr weltweit ausgehen, davon werden 80 bis 90 Prozent in Europa und USA ausgeführt. Allein in Deutschland waren es 2007 rund 120.000 Implantationen.

Die Patienten sind auch schon relativ betagt, wenn sie ein Implantat bekommen ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Wenn man einen Herzschrittmacher bekommt, ist man in der Tat durchschnittlich 75 Jahre alt. Bei den implantierbaren Defibrillatoren ist man jünger, das beginnt mit 60, 65 Jahren. Aber es gibt auch Herzschrittmacher für pädiatrische Anwendungen, das heißt, auch Kinder können Herzschrittmacher benötigen, das sind Geräte mit besonderen Einstellungen. In jedem Lebensalter kann man in die Situation kommen,, dass man so ein Implantat benötigt.

Herzschrittmacher gibt es schon länger. Was ist die Innovation, das Neue, das Sie entwickelt haben?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Das wesentlich Neue war die Ausstattung des Herzschrittmachers mit einem Minisender. Dieser Minisender, im Herzschrittmacher unter der Haut gelegen, überträgt Daten an eine Art Mobiltelefon, und dieses Mobiltelefon benutzt das GSM-Telefonnetz, um wiederum die Informationen über das weltweite Netz bis zu einem Internetportal weiterzutragen. Dort bereiten wir dem behandelnden Arzt die Daten des Patienten auf und zeigen ihm an, wie es dem Patienten geht. Das funktioniert weltweit, das funktioniert jeden Tag, und damit erhält man Trendverläufe über den Gesundheitszustand des Patienten. Daraus lassen sich wiederum zahlreiche Schlüsse darauf ziehen, wie sich der Patient in Zukunft fühlen wird. Damit gewinnt man Zeit, Reaktionszeit, um dem Patienten zu helfen, bevor sich ein Problem manifestiert.
Es ist eine mehrdimensionale Aufgabe, die diese Technik übernimmt. Wir haben die Frühwarnung bei sich verschlechterndem Krankheitsbild, gleichzeitig erspart die Technik den Arztbesuch, wenn man ihn nicht benötigt. Normalerweise kommen Patienten mit solchen Implantaten zwei bis vier Mal pro Jahr zum Arzt, um das Implantat und den Krankheitszustand überprüfen zu lassen. Dadurch, dass wir dem Arzt jetzt täglich aktuell und über spontan auftretende Ereignisse auch sofort Informationen zur Verfügung stellen, weiß der Arzt immer, wie die Interaktion zwischen Implantat und Patient ist und war. Damit kann er entscheiden, ob er den Patienten früher einbestellt oder die Routinenachsorge des Patienten auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt. Somit wendet der Arzt die Zeit, die er zur Verfügung hat, sinnvoller für die Patienten auf, die seine Behandlung benötigen, und nicht für die Patienten, die ohne weiteren Befund durch die Praxis durchgeschleust werden müssen. Davon profitiert der Patient: Er kommt früher zum Arzt dann, wenn es sein muss, und er muss nicht zum Arzt, wenn es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Und das sind die beiden Facetten der Technologie, die man immer zusammen bewerten muss, damit man den Gesamtnutzen nachvollziehen kann.

Haben wir jetzt den „Dr. Computer“, oder wie empfinden die Patienten diese permanente Überwachung?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Wir haben uns am Anfang viele Gedanken darüber gemacht, ob wir das „Überwachung“ nennen wollen. Anfang des Jahrzehnts war die Telemedizin noch nicht so weit fortgeschritten, und gerade im deutschsprachigen Raum ist „Überwachung“ negativ besetzt. Wir verwenden den Begriff trotzdem, weil wir festgestellt haben, dass Patienten, die Herzprobleme haben, das ganz anders beurteilen.
Man muss sich einfach mal bewusst machen, wie sehr man von seinem Herzen abhängig ist: Ma hat nur eines, und wenn das ausfällt, ist das Leben vorbei. Wenn man dann ein Implantat bekommt und realisiert hat, dass man dieses Implantat braucht, ist einem viel wohler dabei zu wissen, dass der Arzt sehen kann, wie dieses Implantat funktioniert und wie man als Patient damit zurechtkommt.
Die Engländer haben dafür das schöne Wort „peace of mind“. Wir haben den Ausspruch geprägt: „Ihr Herz in sicheren Händen“. Und das ist das Gefühl, das die Patienten haben.
Die ersten Studien waren so angelegt, dass man die Geräte einige Monate ausprobiert hat, und als wir den Patienten sagten: „Jetzt gebt uns mal das Telefon zurück!“, da haben sie das nicht mehr rausgerückt. Wer es mal hatte, wollte es behalten, das ist ganz klar. Es gibt ganz wenige, ein bis zwei Prozent der Patienten, die es nicht wollen, aber die überwiegende Mehrheit, weit über 90, 95 Prozent, geben das System nicht mehr her.

Lassen Sie uns bitte nochmals konkret zum eigentlichen Prozess kommen: Die Antenne im Schrittmacher sendet die Daten, die gehen über ein Empfangsgerät, wie geht das dann weiter?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Das Empfangsgerät ist ein spezielles Mobilfunktelefon. Es wurde von BIOTRONIK entwickelt und wird bei uns produziert. Man kann es nicht einfach im Laden kaufen, es ist ein Medizinprodukt.
Dieses Telefon „unterhält“ sich mit dem Herzschrittmacher, tauscht Informationen aus. Wenn dieses Mobiltelefon – es heißt CardioMessenger – Daten bekommen hat, dann wählt es sich ins Mobilfunknetz ein und liefert die Daten an einen zentralen Server. Von diesem Server aus starten wir unsere Datenaufbereitungsprozeduren und stellen dem Arzt in einem geschützten Internetzugriff individuell die Patienteninformation zur Verfügung. Das ist also der Fluss der Daten. Wenn der Arzt diese Informationen gesehen hat, entscheidet er, was er macht: Soll er den Patienten nur anrufen, will er ihn einbestellen, will er vielleicht auch gar nichts machen, will er ihn zu einem anderen Arzt schicken? Er kann dem Patienten eine neue Medikamentierung verordnen, eine weitere Diagnostik einleiten – es gibt eine Menge unterschiedlicher Möglichkeiten der Reaktion oder Behandlung.

Und das Gerät sendet permanent?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Es sendet nicht permanent. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es sendet zu einem voreingestellten Zeitpunkt, der programmiert wird, in der Regel nachts um zwei Uhr, wenn der Patient schläft. Dann steht das Gerät auf dem Nachttisch und sendet. Es sendet auch, wenn untertags wichtige, berichtenswerte Ereignisse auftreten. Beispiel Defibrillator: Wenn der Patient gerade einen lebensrettenden Schock bekommen hat, meldet der Defibrillator, dass er das Herz wieder in einen normalen Rhythmus versetzt hat, also alles in Ordnung ist. Man überträgt alle wichtigen Informationen, und dann kann der Arzt gleich sehen, wie das EKG vor dem Rhythmusproblem und danach ausschaut; außerdem hat er zugleich eine Dokumentation des Vorfalls. Wenn der Patient sich nach diesem Ereignis beim Arzt meldet, hat dieser gleich die Dokumentation zur Hand und kann feststellen, wie die Lage ist.

Was ist, wenn der Patient verreist?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Dann nimmt er das Gerät mit, stellt es bei sich im Hotel auf oder bei den Enkeln auf, weiter nichts.

Das ist alles automatisiert? Ältere Menschen tun sich doch oft mit Technik schwer ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Die Mobilgeräte haben einen Schalter, das ist der „Ein“-Schalter, an den muss man denken, mehr nicht. Und die Tischgerätevariante muss man lediglich in die Stromversorgung stecken, die hat noch nicht mal einen Schalter.

Das setzt aber vollständiges Vertrauen in die Technik voraus! Funktioniert diese Technik immer? Und beim Telefon auf den Nachttisch hört man doch gleich das Stichwort „Elektrosmog“ ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Elektrosmog – das ist sicherlich ein wichtiger, aber letztendlich unkritischer Punkt. Das Implantat hat eine kleine Batterie, und diese Batterie muss geschont werden. Man braucht nur etwa ein Prozent der Batteriekapazität für die tägliche Übertragung; es ist enorm wichtig, dass das Implantat lange läuft und nicht wegen der Funktechnik schnell leer ist. Das Implantat sendet nur für wenige Sekunden am Tag, da ist Elektrosmog nicht zu befürchten.
Bleibt noch das Telefon, der CardioMessenger. Er enthält normale, handelsübliche Handytechnologie. Der CardioMessenger hört zwar ständig, ob das Implantat etwas zu melden hat, ist aber nur gelegentlich im Mobilfunksendebetrieb, und das Gerät steht zwei Meter vom Körper weg. Elektrosmog stellt demnach kein Problem dar.

Die Daten gehen an eine Servicezentrale, die sie in bereits selektierter Form weitergibt ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Die Informationen, die Daten, gehen alle ein. Sie werden dargestellt und automatisiert bewertet. Der Arzt stellt für jeden Patienten bestimmte Schwellenwerte dafür ein, was er für benachrichtigungswert hält, und die Software signalisiert ihm zum Beispiel in Gelb: Jetzt ist eine Schwelle überschritten, hier wolltest du dich darum kümmern. Dann gibt es die Schwelle Rot, die signalisiert dringende Fälle. Wenn man Hunderte von Patienten in einem solchen Monitoringprogramm hat, sieht man sofort, bei wem man sofort eingreifen sollte und wer normal durchläuft und keine besondere Beachtung braucht.

Das heißt, das Programm systematisiert nach für jeden Patienten individualisierten Vorgaben?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Es wird für den einzelnen Patienten individualisiert, Dabei gibt es typische Patientenprofile, die hinterlegt sind, und dann kann der Arzt sagen: Das ist ein Patient vom Typ A – ein Typ für ein bestimmtes Benachrichtigungsschema – oder ein Patient vom Typ B, C und so weiter.

Ihr Projekt ist in einem Stadium, das für die Nominierung wesentlich ist: Es ist in ein marktfähiges Produkt umgesetzt. Steht dieses Produkt allen Patienten zur Verfügung?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Wenn man in die großen medizinischen Zentren in Deutschland geht, wo Schrittmacher und Defibrillatoren implantiert werden, hat man Zugang zu dieser Technologie. Ein Problem ist noch die Abrechnung. Es gibt Einzelverträge mit Krankenkassen, in denen diese Abrechenbarkeit zwischen Klinik oder Arzt bereits gegeben ist, aber es gibt keine grundsätzliche Abrechenbarkeit, weder für die bereitgestellte Hardware noch für die Dienstleistung – das ist alles noch Gegenstand von Verhandlungen. Wir sind also im Prozess der Zugänglichmachung für alle Patienten. Übrigens befinden wir uns fast im Jahre 10 nach der Erstimplantation. Die erste Implantation eines solchen Gerätes fand im Dezember 2000 statt, und bis jetzt, also bis Mitte 2009, ist noch keine generelle Abrechnung dieser medizinischen Leistung im Gesundheitssystem verankert. Man braucht einen sehr, sehr langen Atem – finanziell und auch technologisch –, um das durchzuhalten.

Man weiß, dass die Einführung neuer Medikamente langwierig ist; doch sollte das Procedere bei der Medizintechnik nicht doch schneller gehen?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Die Einführung der Technik geht auch relativ zügig vonstatten. Das Thema ist die Abrechenbarkeit, und die ist bei der Medizintechnik entkoppelt. Bis eine neue Medizintechnologie abgerechnet wird, dauert es viel länger als bei einem neuen Medikament.

Das ist ja nicht erfreulich ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Aus Sicht der Krankenkassen vielleicht schon. Aus Sicht der Industrie ist es eine große Unsicherheit für die gesamte Geschäftsplanung. Das ist leider so. Sicherlich ist die Telemedizin oder das Telemonitoring auch etwas, was wir hier aufgebaut haben, etwas, das sehr neu ist, das viele neue Prozeduren auch aufseiten der Kostenträger ausgelöst hat. Wenn man ein solches „Erstlingswerk“ betreibt, hat man besondere Mühen zu überstehen; Deutschland ist bestimmt eines der schwierigsten Länder, wenn es darum geht, Innovationen in den Gesundheitsmarkt zu bringen.

Wie ist denn das in anderen Ländern? Ist das ein spezifisch deutsches Problem?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Es ist auch in anderen Ländern schwierig, aber in Deutschland sind die sich ständig verändernden Gesundheitsgesetze eine besondere Herausforderung. Da muss man schon Berater engagieren, um die aktuelle Gesetzeslage zu verstehen, geschweige denn, eine Prognose für die Zukunft wagen zu können. Deutschland ist ein besonders schwieriges Pflaster.

Wie viele Mitarbeiter waren denn an dem ganzen Entwicklungsprozess beteiligt und, in die Zukunft geschaut, wie viele Arbeitsplätze können sich daraus entwickeln?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Es haben sich schon sehr viele Arbeitsplätze daraus entwickelt, mindestens 100 an unserem Unternehmensstandort Berlin und in unserer Forschungseinrichtung in Erlangen. Es sind mehrere hundert Arbeitsplätze weltweit dazugekommen, weil für den Vertrieb dieser Technologie auch unterstützende Einheiten in allen Ländern aufgebaut wurden.

Das System wird in Berlin produziert. Werden die dazugehörigen Teile ebenfalls bei Ihnen gefertigt?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Die Produktion findet vollständig hier in Berlin statt, wir beziehen nur Komponenten wie z. B. das Mobilfunkmodul und handelsübliche Halbleiterbauteile von dritter Seite. Insofern kann man sagen, dass wir eine maximale Fertigungstiefe haben. Und wir haben, weil es ein Medizinprodukt ist, natürlich auch unsere Hand darauf, weil das weitaus höheren Qualitätsanforderungen genügen muss als ein normales Elektronikgerät.

Das Ganze ist nicht nur ein Hightech-Produkt, es bedarf einer extrem exakten Fertigung von sehr kleinen Teilen bei höchster Sorgfalt ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ich glaube, dass alle Mitarbeiter – und die in der Produktion ganz besonders – sehr wohl wissen, dass sie hier lebensrettende Implantate fertigen und dass der kleinste Fehler in einem solchen Gerät dazu führen kann, dass ein Mensch Schaden erleidet. Das hat jeder hier verinnerlicht, und hier gibt es auch keine „Montags-Herzschrittmacher“. Das gibt es einfach nicht. Das ist die grundsätzliche Einstellung, die man haben muss, sonst bekommt man bei BIOTRONIK keine Anstellung. Und das wird durch vielfältigste Prozesse und Maßnahmen immer wieder kontrolliert und revitalisiert.

Dann ist das ja auch eine handwerklich sehr diffizile Arbeit, die hier geleistet werden muss.

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
In der Produktion arbeiten viele Frauen, Männer kriegen das oft gar nicht so gut hin. Man braucht viel handwerkliches Geschick und Feingefühl, um das zuverlässig auszuführen.

Wer war denn der entscheidende Impulsgeber für diese Innovation? Und fand in diesem Prozess irgendetwas Kreatives, etwas Unerwartetes statt?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Getrieben wurde die Idee – damals hieß es noch „Telekardiologie“ – vom Unternehmensgründer Prof. Dr. Max Schaldach, der erkannt hatte, dass man Ferndatenübertragung auch für medizinische Zwecke nutzen konnte. Es ist aber nicht nur „der“ eine Moment, in dem das erfunden wurde, sondern es war ein Reifungsprozess. Dieser Reifungsprozess ist, nachdem man sich entschieden hat, das Thema überhaupt anzugehen, abermals in neue Dimensionen vorgestoßen, denn die medizinische Anwendung liegt nicht sofort auf der Hand: Wozu soll man einen Herzschrittmacher fernüberwachen? Der Herzschrittmacher ist ein zuverlässiges Gerät. Braucht man das? Nein, braucht man nicht. Man muss auf die Idee kommen, den Herzschrittmacher als ein Sensorik-Implantat zu nutzen, das verdeutlicht, wie es dem Patienten geht. Das verändert den Ausgangspunkt dahingehend, die Krankheit des Patienten insgesamt in den Mittelpunkt zu stellen, und dann ist es sinnvoll, dass man täglich Daten überträgt. Das war ein Prozess, den wir durchlaufen haben. Es fing an mit der Datenübertragung auf das Faxgerät des Arztes. Dabei sind wir alle nervös geworden, denn jeden Tag ein Fax von diesem Patienten ... das will keiner, das war klar. Daraus entwickelte sich die nächste Stufe: Wir wollten die Daten in eine zentrale Datenbank mit Internetzugriff bringen. Also bestand die Herausforderung darin, eine Internetsoftware zu finden, die als Medizinprodukt mit einem Herzschrittmacher zusammen zugelassen zu werden. So etwas gab es nicht, weltweit nicht. Unser Unternehmen fing an, einige Mitarbeiter einzustellen, die damals aus der New Economy freigesetzt waren und in der Lage waren, Internetplattformen zu programmieren. Dann sind wir zu den Zulassungsbehörden gegangen und haben vorgetragen, dass wir Herzschrittmacherdaten im Internet anzeigen wollen. Worauf man uns freundlich fragte, ob wir denn glaubten, hier alles wirklich sicher genug machen zu können.
Wir mussten uns damit befassen, wie Daten überhaupt international übertragen werden können. Unsere Patienten könnten nach Australien reisen. Darf man aus Australien Patientendaten nach Deutschland transportieren und wieder über das Internet woanders hin? Wie macht man ein sicheres Medizinprodukt, das Mobilfunk- und Internettechnologien enthält? Das waren ganz fundamentale Fragen, die im Laufe der Zeit zu bearbeiten waren. Außerdem mussten wir mit dem Plan auch zur amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA, die ganz besonders kritisch ist. Und dann musste man den Ärzten beibringen, dass sie relevante Informationen zu ihren Patienten im Internet vorfinden – normalerweise kommt ein Patient durch die Tür rein und dann beginnt der Behandlungsprozess. Es waren viele unterschiedliche Schritte, die wir in zehn Jahren durchlaufen haben, jedes Thema mit einer ordentlichen Portion Pioniergeist versehen. Auch Thema Funkfrequenz war wichtig. Die Funkfrequenz, die wir benutzen, ist inzwischen – nach zehn Jahren – weltweit für diese Implantate reserviert. Das war nicht immer so. Beispielsweise sendeten Wetterballone und der Taxi-Funk auf dieser Funkfrequenz. Wir hatten sicherzustellen, dass ein Herzschrittmacher nicht durch das Funken eines Wetterballons gestört wird. Die amerikanischen Funkbehörden, die europäischen und Ende vorigen Jahres auch die japanischen „Funkfrequenzwächter“ mussten zustimmen, dass diese eine Frequenz ausschließlich für aktive medizinische Implantate zur Verfügung steht. Dadurch, dass wir uns früh auf dieses Frequenzband gestürzt haben und es mitentwickelten, können wir heute ganz klar sagen, dass wir eine sichere Technologie anbieten. Es funktionierte in einem Zusammenspiel von Standardisierungsthemen, von Datenschutzthemen, von mobiler Datenübertragung über Ländergrenzen hinweg – hier hat uns übrigens die strategische Partnerschaft mit T-Mobile sehr geholfen –, vom Betrieb einer Internetplattform und von der Überzeugung der Ärzte – das sind alles Stufen, die man innerhalb einer solchen Entwicklung durchlaufen muss. Und zum Glück sagt einem das vorher niemand ...

Wie haben denn die Ärzte reagiert? Das war doch ein gewaltiger Schritt: Arbeitserleichterung einerseits, grundlegendes Technologieverständnis und -vertrauen andererseits ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ja, es war ein großer Schritt. In der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts hatten wir noch darüber diskutiert, ob das alles sicher ist, ob das funktionieren kann. Dann erbrachten wir den Beweis, dass es sicher ist und funktioniert; es gab keine Ausrede mehr. Erst danach fingen die Ärzte an, die Prozesse in den Kliniken umzustellen und sich auch darauf einzulassen, das Ganze zu nutzen. Was den besonderen Charme dabei ausmacht,: Es gibt keine Nachteile! Wenn Sie sonst in der Medizintechnik irgendetwas einführen, passiert etwas mit dem Patienten, es gibt ein Risiko. Sie können niemanden operieren, ohne dass es ein Infektionsrisiko gibt. Immer ist irgendetwas von Nachteil, und der Arzt wägt gemeinsam mit dem Patienten ab, was die beste Lösung ist. Einem Patienten ein Telefon von BIOTRONIK mitzugeben und die Daten anzuzeigen hat keinen Nachteil. Und das macht es der Technologie auch leichter, Fuß zu fassen: Es gibt kein Abwägen, man muss sich nur darauf einstellen. Dann können der Patient und der Arzt die Vorteile genießen.

Ist das System an die Nutzung in der Klinik gebunden?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Dazu muss man wissen, wie ein Schrittmacher implantiert und wie nachgesorgt wird. Die Implantation macht die Klinik. Nach drei Monaten schaut die Klinik in der Regel nach, ob das alles gut verheilt ist. Und danach werden viele Patienten in Deutschland ambulant nachgesorgt. Es gibt andere Länder, da wird das nie ambulant gemacht, die gesamte Behandlung verbleibt im Krankenhaus, so dass es unterschiedliche Anwendungsformen gibt. Bei der ambulanten Versorgung muss der Arzt die Schrittmacher-Defibrillator-Therapie verstehen, Spezialist sein, der normale Hausarzt kann damit nicht umgehen.

Gibt es Wettbewerb für die Anwendung und wie sieht es mit der patentrechtlichen Absicherung aus?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Die patentrechtliche Absicherung ist am einfachsten: Sie wurde von Anfang an durch zahlreiche Patente vorgenommen und über die zurückliegenden zehn Jahre weiter vertieft. BIOTRONIK ist der einzige Anbieter, der eine automatische mobilfunkbasierte Übertragung ins Internet überhaupt auf den Markt gebracht hat. Diese Kombination aus Implantat, Mobilfunk und Internet war das Entscheidende, mit dem wir uns von den Wettbewerbern differenziert haben. Wir waren die Ersten. Unsere Wettbewerber haben vier bis fünf Jahre gebraucht, um nachzubauen. Wir haben also jahrelang sehr viel Marktentwicklung betrieben und auch die Technologie vorangetrieben. Inzwischen sind einige Wettbewerber mit vergleichbaren Systemen am Markt, allerdings ohne Mobilfunktechnologie; sie benutzen die normale Telefonsteckdose, die der Patient zu Hause hat. Damit ist er aber nicht mobil, wie das beim BIOTRONIK System der Fall ist. Wir haben zwei oder drei Jahre nach der Erstimplantation von unseren Wettbewerbern die Bestätigung bekommen, dass wir auf dem richtigen Weg sind – man ging nämlich massiv daran, unsere Technologie aus dem amerikanischen Markt herauszuhalten, indem man bei der dort zuständigen Behörde die Nutzung des Funkfrequenzbandes durch BIOTRONIK zu verhindern suchte. Da sitzt man dann zehn oder mehr Rechtsanwälten gegenüber und weiß, dass man absolut auf dem richtigen Weg ist, wenn die Wettbewerber alles daran setzen, einen zu blockieren. Dann ist klar: Das Thema ist heiß und man muss weitermachen. Und glücklicherweise hat die amerikanische Telekommunikationsbehörde sehr fair entschieden: Wir durften das System betreiben, und durch die Art und Weise, wie BIOTRONIK es etabliert hat, ist es zum Standard geworden.

Welche Weiterentwicklung kann man auf Basis des schon Bestehenden erwarten?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ein großes Forschungs- und Entwicklungsgebiet ist das Bearbeiten der eingehenden Informationen. Das Implantat sendet Informationen zur Aktivität des Patienten: Es sagt uns, ob er sich viel bewegt hat oder wenig, wie der Herzrhythmus unter Belastung oder in Ruhe ist, und es sagt uns inzwischen auch, ob die Lunge erhöhte Flüssigkeitsansammlung aufweist. Aus all diesen Informationen möchte man eine medizinische Gesamtaussage machen, die weiter geht als das Ampelprinzip. Unser Forschungsthema aktuell und auch der nächsten Jahre wird sein, eine immer bessere medizinische Vorhersage für eine sich verschlechternde Situation des Patienten zu ermöglichen, und das mithilfe großer Datenmengen und auch der Erfahrung, die das Unternehmen jetzt gesammelt hat – wer hat schon zigtausend Patientendaten im Zugriff? Diese Forschungsarbeit kann kein einzelner Arzt leisten, aber BIOTRONIK kann es; darauf werden wir uns konzentrieren.
Es gibt weitere Themen im Zusammenhang mit der Volkskrankheit „Vorhofflimmern“, deren Häufigkeit mit dem Alter erheblich ansteigt. Der Patient muss einerseits Medikamente nehmen in der Hoffnung, das Vorhofflimmern damit möglicherweise zu terminieren. Andererseits muss er, um damit zu leben, Blutverdünnungsmedikamente nehmen. Wir wollen den Patienten und den Arzt darüber informieren wie der Stand des Vorhofflimmerns ist und damit auch weitere Therapiesequenzen anstoßen, die am Ende dazu führen sollen, dass der Schlaganfall verhindert wird. Unser ganz großes Forschungsthema für die kommenden Jahre ist, über diese Technologieplattform, die wir jetzt nutzen und weiter ausbauen, Erkenntnisse spezifischer für einzelne Patienten zu machen. Das geht auch in andere Richtungen weiter, zum Beispiel über die Druckmessung im Herzen vielleicht ganz neue medizinische Erkenntnisse über die Pumpleistung des Herzens zu bekommen.

Sie haben enorm viel Material für eine wissenschaftliche Auswertung. Können daraus Diplomarbeiten, Dissertationen und vieles mehr entstehen?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Sie können Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mediziner zu uns schicken, sie alle werden spannende Aufgaben finden.

Lassen Sie uns noch einmal zusammenfassen: Worin unterscheidet sich Ihr Verfahren vom herkömmlichen? Und was ist das Innovative daran, das jetzt mit der Nominierung gewürdigt wird?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Innovativ daran ist, dass Daten drahtlos und komplett automatisch aus dem Körper des Patienten über Mobilfunknetz und Internet bis zum Arzt übertragen werden. Die große Errungenschaft besteht darin, dass dies funktioniert, ohne die Batterie des Implantats zu belasten: Nur ein Prozent der Batterieleistung werden verbraucht.
Das Verfahren wird eine Revolution in der Medizin auslösen: Dieses Automatisch-zugänglich-Machen von Patienteninformationen ist eine tief greifende Veränderung in der Art und Weise, wie Patienten betreut werden. Und damit werden wir über die nächsten Jahre weitere Medizintechniken entstehen sehen, möglicherweise in einer ganz anderen Form von Implantaten, die Arzt und Patienten online miteinander verbinden. Dabei wird man sehr viel stärker auf Prävention setzen als nur auf das rückwärtsorientierte Abfragen von Informationen. Vom Status quo unterscheidet uns Folgendes: Heute kommt der Patient zum Arzt, es werden also historische Daten ausgelesen. Wir hingegen liefern dem Arzt tagesaktuelle Informationen, der Patient kann tagesaktuell zur Nachbetreuung einbestellt werde,n und damit wird die Betreuung des Patienten revolutioniert.

Ihr Verfahren ist durch die Nominierung als innovatives Projekt gewürdigt worden. Was ist für Sie persönlich eine Innovation?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ich tue mich mit dem Begriff „Innovation“ schwer. Er wird gerne in der Öffentlichkeit für Situationen benutzt, in denen etwas völlig neu gemacht wurde. Für mich ist Innovation auch im Kleinen sehr wesentlich, weil sich „der“ eine, große Schritt aus vielen, vielen kleinen Schritten vieler Menschen zusammensetzt. Darum ist Innovation für mich so etwas wie „Heute etwas besser machen als gestern“.

Und was ist Erfolg?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Grundsätzlich ist Erfolg etwas, was Zufriedenheit hervorruft. Das heißt, die Zufriedenheit spiegelt sich im eigenen Wertesystem wider. Wenn ich also Dinge mache, die meinem eigenen Wertesystem entsprechen, dann ist das für mich Erfolg. Und wodurch ist das Wertesystem geprägt? Für mich ist es durch die Frage geprägt: Was mache ich mit meiner Lebenszeit? Nicht mit meiner Arbeitszeit, sondern mit meiner Lebenszeit.
Ich hatte das Glück, nach dem Studium in die Medizintechnikbranche zu kommen, und habe sehr bald erkannt, dass es für mich ein sinnvoller Lebensinhalt in diesem beruflichen Bereich ist, Dinge zu entwickeln, die Patienten brauchen können. Ich kann mein Ingenieurwissen einsetzen, und ich kann etwas Gutes für andere Menschen tun. Insofern ist Erfolg für mich, wenn ich durch mein berufliches Tun etwas Gutes für andere Menschen bewirken kann.

Und ist etwas kreativ an Ihrem Beruf?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Kreativität findet jeden Tag statt. Wenn man bei dem Leitsatz bleibt, heute etwas besser zu machen als gestern, muss man sich stets fragen: Was muss ich verändern? Und Veränderungsprozesse sind kreativ.
Die Kreativität unterteilt sich für mich in das lineare Fortschreiben von dem, was ich gestern getan habe, und die „Sprung-Funktion“. Häufig wird man nur dafür gelobt, wenn man etwas völlig anders, neu gemacht hat. Das ist aber der kleinere Teil der Kreativität. Sicherlich hat man irgendwann eine Vision und möchte etwas ganz Neues angehen, aber das ist der kleinste Teil dessen, was an Arbeit auf einen wartet. Es sind viele kleine Schritte, die zum Gelingen führen. Deshalb zähle ich auch das lineare Fortschreiben zur Kreativität.

Wie wichtig sind dazu Ausbildung und Bildung?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Darf ich eine Stufe früher anfangen? Charakter. Die ganze Ausbildung und Bildung nützt nichts, wenn der Charakter nicht geformt ist. Die Ausbildung, die man heute durchläuft, endet irgendwo mit Mitte 20, und Männer gehen mit Ende 60 in den Ruhestand. Das heißt, es ist nur ein Impuls, der über das Berufsleben wirken soll, was das fachliche Wissen angeht. Man wird vom heutigen fachlichen Wissen schon nach wenigen Jahren nur noch wenig gebrauchen können. Worauf man sich eigentlich stützen muss, ist eine charakterliche Ausbildung und ähnliche Werte – sie sind es, die am Ende auch zum Projekterfolg beitragen. Es sind Werte wie Zuverlässigkeit, Ausdauer, Verbindlichkeit, Nachhaltigkeit im eigenen Tun; Dingen auf den Grund gehen, vor größeren Schwierigkeiten nicht zurückschrecken – all das sind Fähigleiten, die mit der Frage der Ausbildung – ob akademische oder berufliche Ausbildung – nicht sehr viel zu tun haben. Aber sie bilden das Fundament, auf dem man stehen muss, damit man diese 40 Berufsjahre erfolgreich bestreiten kann.

Was macht denn eine gute Idee aus? Kann man sich gute Ideen erarbeiten?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Man kann sich gute Ideen erarbeiten. Gute Ideen entstehen, wenn man vieles verstanden hat. Und von dem aus, was man verstanden hat, fängt man an zu kombinieren, vielleicht erkennt man Defizite, und daraus entsteht dann eine neue Idee. Man muss viel wissen, man muss beobachten können, kritisch beobachten können, aus Beobachtung und Wissen entsteht dann das Verständnis eines neuen Bedarfs: Was könnte man brauchen, wie könnte es gehen? Insofern kann man sich Ideen und Innovationen auch erarbeiten.

Und wie wichtig ist Disziplin?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Enorm. Ohne Disziplin würde man aus diesem Unternehmen kein einziges, erfolgreiches Projekt hervorbringen. Sie werden immer wieder an den Punkt in der Arbeit kommen, wo man große Schwierigkeiten zu überwinden hat oder wo einfach Durchhaltevermögen gefragt ist, und da ist die Disziplin ein wichtiger Baustein, um Erfolg zu haben.

Wie sieht die Arbeitswelt von morgen in Ihrem Bereich aus?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Sie wird gekennzeichnet sein durch eine nahezu explosionsartig steigende Komplexität. Die Technologien, die wir haben, gründen sich auf langjährige Reifungsprozesse. Mikrosystemtechnik seit vielen Jahren, Nanosystemtechnik kommt gerade – insgesamt gesehen haben die Dinge, die wir als Ingenieure entwickeln und in die Hand bekommen, einen hohen Reifegrad. Das bedeutet, dass Verbesserungen besonderer Anstrengungen bedürfen und auch wir vielfältige Fachgebiete miteinander kombinieren müssen. Es ist die Kombinationstherapie, die hier vielleicht aus dem Medizinischen zu übertragen wäre. Da liegt die Innovationskraft der Zukunft. Das bedeutet: Man muss sich in mehreren Gebieten sicher bewegen können, man muss sich mit Kollegen aus anderen Fachbereichen so über gemeinsame Themen verständigen können, dass alle an einem Ziel arbeiten können, und das wird neue Herausforderungen mit sich bringen.

Ihr Projekt bewegt sich zwischen Medizin und Ingenieurwissen. Überall wird derzeit der Mangel an Nachwuchs in den technischen Fächern beschrieben. Was macht Ihren Beruf und Ihre Arbeit spannend, und warum sollte man sich für so etwas entscheiden?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Als Erstes würde ich anführen: Wenn Sie morgens zur Arbeit gehen, wissen Sie, wofür Sie das tun – nicht nur für den Unternehmenserfolg, sondern eben auch für einen Wert, der sich am Wohlbefinden von Patienten orientiert. Das Arbeiten als Ingenieur in der Medizintechnik kann sehr viel persönliche Befriedigung geben, man kann erleben, wie das, was man erarbeitet hat, auch tatsächlich einem Menschen hilft, und damit ist ein Großteil der Sinnfrage geklärt. Man arbeitet interdisziplinär, und man arbeitet in einer Branche, die nicht so stark von dem Auf und Ab des täglichen Wandels im Geschäftsklima geschüttelt wird wie zum Beispiel die Bankenindustrie. Dadurch, dass Medizintechnik gebraucht wird, aufgrund der Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung eher mehr als weniger gebraucht wird, sieht man einem Berufsumfeld entgegen, das stabile Bedingungen hat. Das sind Gründe, warum es sich lohnt, in die Medizintechnikindustrie zu gehen.

In der Produktion hier sind viele Menschen beschäftigt, die mit sehr viel Feingefühl handwerklich arbeiten. Es geht nicht nur um den Ingenieur, sondern auch um Qualifikationen, die in der Fertigung und in der Produktion gebraucht werden. Was ist das Reizvolle an der Medizintechnik für den, der in diesem Umfeld arbeitet?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ich denke, dass die grundsätzliche Motivation genau die gleiche ist wie für die akademische Seite. Sicherlich sind die Aufgabenstellungen etwas andere, aber im Grundsatz ist es die Zuverlässigkeit, das Wissen, was man mit seiner Arbeitszeit tut. Man weiß auch, dass man immer in einem Hochtechnologieumfeld arbeitet. Wir müssen neueste Technologien einsetzen, sonst werden die Geräte nicht kleiner. Man ist eingebunden in die Technologieentwicklung; wenn man vom Herzen her Techniker ist, kann man sicher sein, ein Arbeitsumfeld vorzufinden, das aktuell ist. Das ist doch eine wunderbare Absicherung des eigenen Berufswerdeganges: zu wissen, ich bin in einer Firma, die steht technologisch an vorderster Front. Und sollte ein Mitarbeiter sich mal verändern müssen, wird er mit der Ausbildung und den beruflichen Erfahrungen immer auf Wohlwollen treffen; in der Medizintechnikindustrie arbeitet man mit besonders hohem Qualitätsanspruch, und das interessiert jeden Arbeitgeber. Bis in alle kaufmännischen und technischen Ausbildungsberufe hinein ist Qualität ein Beweis, den wir hier jeden Tag erbringen, und das strahlt natürlich auch auf den einzelnen Mitarbeiter zurück.

Was tut Ihr Unternehmen, um junge Menschen an diese Aufgabenfelder heranzuführen?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Wir haben die gesamte Palette an Schülerpraktika, Ausbildungsplätzen, Studentenpraktika und Werkstudenten. Wir haben Kursprogramme, wir haben individuell zugeschnittene Ausbildungsprogramme für die Jungakademiker; wir haben Schulungskurse, in denen die Therapien von der medizinischen Seite her erklärt werden – jeder, der zu uns kommt, bekommt ein auf seine Bedürfnisse maßgeschneidertes Einarbeitungsprogramm.
Damit wir die Firma bekannt machen, sind wir auf den Hochschulmessen und auf den Kontaktbörsen vertreten. Wir bieten aber auch Gespräche an, damit man ohne konkrete Stellenvorstellung einfach mal hineinschnuppern kann, was wir hier so machen. Wir haben einen breiten Katalog an Möglichkeiten, mit uns Kontakt aufzunehmen, und wir gehen auch sehr aktiv auf Mitarbeitersuche.

Sie sind ja für Ihre Ausbildungsleistung auch schon prämiert worden ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Das war ein sehr schönes Ereignis: Auszubildende der BIOTRONIK hier in Berlin haben sich in eigener Regie voriges Jahr um den Preis beworben, und BIOTRONIK ist als bester Ausbildungsbetrieb Berlins ausgezeichnet geworden. Das hat bis in die Nachbarschaft Wellen geschlagen.

Jetzt wird es persönlich: Was wollten Sie sehr früh, als Kind oder Heranwachsender, werden?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Meine Eltern berichten, dass ich gerne Lehrer werden wollte; daran erinnere ich mich aber kaum. Ich wusste, dass ich nach dem Abitur studieren wollte, habe dann den Katalog der Studienmöglichkeiten genommen und so lange ausgestrichen bis mein Studienfach übrig geblieben ist, die Elektrotechnik. Ich habe mir die nächstgelegene Elektrotechnik-Universität gesucht und dort studiert.

Gab es jemanden, der Sie während Ihres Studiums besonders beeinflusst oder Sie in Richtung Medizintechnik bewegt hat?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Geprägt haben mich eigentlich die Professoren im Studium. Sie haben bestimmte Leidenschaften für technische Themen vorgelebt und bei mir entfacht. Vorher wusste man, dass das Ingenieurstudium eine zukunftsträchtige Sache ist und Spaß macht. Ich hatte zwar bereits Zugang zu dieser Materie, aber erst meinen Hochschulprofessoren ist es gelungen, so richtig Feuer zu entfachen, weil sie es sehr gut verstanden haben, die Natur griffig zu machen. Ich habe sehr physikalisch orientiert studiert, und die Physik wurde mir auf eine wunderbar lebendige Art und Weise vermittelt. Das hat dann mein Doktorvater fortgeführt, und das waren die Impulse, die die Leidenschaft hervorgebracht haben.

Zufall oder Glück – spielte das bei Ihrer Karriere oder dem Berufsweg, den Sie jetzt schon hinter sich haben, eine Rolle?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ohne Glück kommt man sowieso nicht voran. Man kann strampeln, wie man will, Fortune gehört einfach dazu. Man kann dem Glück – diesem schwer zu greifenden Glück – aber eine gewisse Richtung geben, indem man mit hohem Einsatz und mit Ausdauer an einer Fragestellung arbeitet.
Dann kann man zwar immer noch Pech haben und das falsche Thema erwischen, aber man erhöht zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass man Glück hat. Ohne Glück geht es nicht weiter.

Ausdauer ist bei Ihnen ein Stichwort, das sich durchzieht ...

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ausdauer ist in vielen Bereichen so etwas wie eine Überschrift, die ich von mir und auch von meinem Umfeld erwarte, sonst kann man nicht innovativ tätig sein. Sonst könnte man auch nicht über zehn Jahre die Arbeit an dem, was jetzt hier mit der Nominierung vorgeschlagen ist, durchhalten.
Für die Innovation braucht man auch den Rückhalt eines Unternehmers, in unserem Fall von Max Schaldach, der bereit war, über zehn Jahre lang zu investieren, am Thema festzuhalten. Wenn diese – neudeutsch – „Commitment“, also dieser Rückhalt, nicht da wäre – keine Chance. Da hilft dann auch alles Glück der Welt nicht.

Gibt es in Ihrem beruflichen Leben irgendetwas, worauf Sie besonders stolz sind? Und etwas, von dem Sie heute sagen, „Das würde ich anders machen“?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
„Stolz“ ist kein Wort, das mir besonders nahe ist. Worauf ich sicherlich „stolz“ bin, ist, dass eine große Anzahl von Menschen an diesem Erfolg mitgewirkt hat. Und da gibt es über viele Jahre eine Menge vertraute Weggefährten, die mit geholfen haben – und das erfüllt mich mit Freude, aber nicht mit Stolz. Dinge, die ich anders machen würde ... Sicherlich würde ich manche Erfahrung heute versuchen zu vermeiden. Einen Punkt, den ich komplett anders machen würde, sehe ich nicht.
Ins Ausland zu gehen und zu studieren, das habe ich zu meinen Studienzeiten versäumt, das ist vielleicht so ein Punkt, den ich hier anführen kann.

Wie beschreiben Sie Ihren Arbeitsstil, und wie charakterisieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ich würde mich als verbindlich, offen und fair bezeichnen. Sicherlich auch als fordernd, aber fair fordernd. Ich habe gern mit Menschen zu tun und sehe es als meine Aufgabe, aus den Menschen, die mir für unsere Projekte zur Verfügung stehen, die Dinge herauszuholen, die sie aufgrund ihrer natürlichen Talente in der Lage sind, gut zu leisten. Also jeden so zu entwickeln, dass er seine Stärken in den Vordergrund stellt und seine Schwächen so weit ausgleicht, dass sie ihm nicht in seinem beruflichen Tun im Wege stehen. Deswegen vielleicht, unterm Strich, würde ich mich mehr als Coach denn als Chef bezeichnen.

Sie stehen als Einzelner für dieses Projekt, was, wie Sie es eben charakterisiert haben, eine starke Teamleistung oder das Ineinandergreifen von unterschiedlichen Professionen und Fähigkeiten ist. Wie kann man Ihre Funktion darin beschreiben? Sind Sie der Bannerträger gewesen, der Coach, der Leitwolf?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Bannerträger trifft es ganz gut. Vielleicht der Innovationsmanager, der über verschiedene Technologiestufen hinweg das Thema nach vorne treibt, nicht nur technologisch, sondern auch in ganz anderen Aspekten: Wie führt man das Neue in den Markt ein, was ist wirtschaftlich, wie gehen die Kunden damit um? Es war keine reine Technologieentwicklungsrolle, sondern auch eine Marktentwicklungsrolle, und vielleicht kann man das unter dem Begriff „Innovationsmanagement“ zusammenfassen.

Wie groß war das Team, das über die Zeit das Projekt entwickelt hat?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ungefähr 100 Leute, die sich damit hauptamtlich befassten.

Wer gibt Ihnen einen Rat, wenn Sie Probleme haben, wenn Sie mal zweifeln?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Ich kann mich auf eine sehr kooperative und faire Geschäftsführung stützen. Das gilt für den Marketing-Sales-Bereich und Technologiebereich, wo ich angesiedelt bin, gleichermaßen wie für den kaufmännischen Sektor. Auch der Vorsitzende des Verwaltungsrates, Herr Dr. Schaldach, ist ein sehr guter Ratgeber und jemand, der mit einem Ideen hervorragend diskutieren kann. Da gilt auch sehr viel Fairness und auch sehr viel Ausdauer, die dort aufgebracht wurde, das möchte ich ausdrücklich würdigen.
Und wer ist mein Ratgeber? Meine Frau. Und sicherlich ein Kreis von sehr guten und langjährigen Freunden, die für alles ein Ohr haben, die auch alle tief im Berufsleben stecken in unterschiedlichen Bereichen, wo man seine Erfahrungen miteinander spiegeln kann.

Wie motivieren Sie sich denn selber, und was macht Sie so richtig sauer?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Was mich sauer macht, ist Unzuverlässigkeit. Wenn man sich nicht an Vereinbarungen hält, ohne etwas zu sagen. Wenn man sagt, etwas geht nicht, ist das in Ordnung. Möglichst mit Begründung. Aber wenn man Dinge einfach bespricht, die dann nicht passieren, das macht mich sauer.
Motivieren? Ich stecke mir von Zeit zu Zeit neue Ziele, und das motiviert mich dann genügend, sie auch zu erreichen zu wollen.

Wobei können Sie denn Raum und Zeit vergessen, und was tun Sie gegen Stress?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Am besten kann ich Raum und Zeit beim Tanzen vergessen. Meine Frau und ich sind beide leidenschaftliche Tänzer, und wir gehen auch mehrmals pro Woche tanzen. Da hat man dann auch keine Zeit, über sein berufliches Tun nachzudenken. Das nimmt einen in Anspruch – und auch die andere Gehirnhälfte! Insofern ist Tanzen als Ausgleichssport. Ansonsten betreibe ich Radfahren und Schwimmen.

Welchen Traum möchten Sie sich noch erfüllen?

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Mit großen Träumen kann ich nicht dienen. Mit dem Fahrrad über die Alpen reizt mich sehr und ist zugleich albtraumhaft weit weg ...

Weitere Details

Lebensläufe

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau

07.10.1964
geboren in Berlin
1982
Abitur
1983 – 1989
Studium der Elektrotechnik, Technischen Universität Berlin, Berlin
1987
Dreimonatiges Forschungspraktikum, IBM, Böblingen
1989
Diplom an der Technischen Universität Berlin
1989 – 1993
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachbereich Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin
1992 – 1995
Berufsbegleitendes Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fernuniversität Hagen
1993
Promotion, Institut für Werkstoffe der Elektrotechnik, Technische Universität Berlin, Thema aus dem Gebiet Mikroelektronik und Halbleitertechnologie
1993 – 1997
Produkt Manager, Marketing und Produktmanagement in der Medizintechnikindustrie, BIOTRONIK GmbH & Co. KG, Berlin
1997 – 1999
Strategieberatung bei Roland Berger & Partner, München. Schwerpunkte: Medizintechnik- und Mikroelektronikindustrie
1999
Wiederaufnahme der Tätigkeit, Geschäftsbereichsleiter, BIOTRONIK GmbH & Co. KG, Berlin
seit 2000
Vice President Health Services, BIOTRONIK SE & Co. KG, Berlin verantwortlich für Forschung, Entwicklung, Operations und neue Geschäftsentwicklung für Telemonitoring und Sensorik

Weitere Tätigkeiten:

seit 2005
Vorsitz des Beirates der BMBF-Initiative „Präventive Mikromedizin mit 24/7-Monitoring“
seit 2009
Aufnahme in das Kuratorium des Fraunhofer Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS)
2009
World Congress 2009 Medical Physics and Biomedical Engineering, Track Chair „Active Implants“

Mitgliedschaften:

 
Verein Deutscher Ingenieure (VDI)
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)
Arbeitsgruppe Telemonitoring der DGK

Kontakt

Projektsprecher

Dr.-Ing. Hans-Jürgen Wildau
Vice President Health Services
BIOTRONIK SE Co. KG
Woermannkehre 1
12359 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 / 68 90 52 000
Fax: +49 (0) 30 / 68 90 52 940
E-Mail: hans-juergen.wildau@biotronik.com
Web: www.biotronik.de

Pressekontakt

Amela Malja
Director Marketing Communications
BIOTRONIK SE Co. KG
Woermannkehre 1
12359 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 / 68 90 51 400
Fax: +49 (0) 30 / 68 90 51 940
E-Mail: amela.malja@biotronik.com
Web: www.biotronik.de

Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten

Automatische Fernüberwachung von Patienten mit Rhythmusstörung
Mobilfunk und Internet haben unser aller Leben verändert - für chronisch Kranke aber besitzen sie ein ganz spezielles Potenzial. Home Monitoring stellt diese Technologien in den Dienst der Kardiologie: Durch automatische, drahtlose Fernüberwachung behält der Arzt seine Patienten jederzeit im Blick, auch nachdem sie die Klinik längst verlassen haben. Patienten mit Herzrhythmusstörungen, die einen Schrittmacher oder Implantierbaren Defibrillator (ICD) tragen, erhalten so eine erheblich bessere medizinische Betreuung, mehr Sicherheit und Lebensqualität.

Ein Herzschrittmacher mit Home Monitoring sendet täglich gesundheitliche und technische Daten. Durch diese lückenlose Information kann der behandelnde Arzt den Verlauf der Therapie überwachen. Er sieht, ob das Implantat auch über längere Zeit optimal auf die Herzsignale reagiert und ob die Medikation effektiv ist. Entstehende gesundheitliche Risiken kann er früher als in konventioneller Betreuung entdecken – und bei Bedarf den Patienten zu sich bestellen, um die Therapie zu korrigieren.

Weltweit funktioniert das System ohne Mithilfe des Patienten
Als Pionier der Telekardiologie hat BIOTRONIK diese zukunftsweisende Diagnoseform frühzeitig entwickelt und wirtschaftlich erfolgreich umgesetzt. Dabei konnte das Unternehmen auf jahrzehntelange Erfahrungen mit der Erforschung und Produktion von Herzschrittmachern und ICDs zurückgreifen. Das internetbasierte Home Monitoring wurde so gestaltet, dass der Patient die Übertragung nicht selbst initiieren muss. Automatische Datenübermittlung ist somit ein signifikantes technologisches Merkmal – und eine wichtige Voraussetzung für die sichere Anwendung in der medizinischen Betreuung. Die Technologie ist bereits in 55 Ländern im Einsatz, rund 200.000 Geräte mit BIOTRONIK Home Monitoring® sind bisher implantiert worden, mehr als 3.500 Kliniken nutzen aktiv die Fernüberwachung.

Antenne, mobiles Patientengerät und Internet: die Informationskette
Per Mobilfunk übertragen die aktiven Implantate (Schrittmacher, ICDs und Herzinsuffizienz-Therapiesysteme) kardiale sowie technische Daten. Eine Antenne im Implantat und ein mobiles Patientengerät machen dies möglich.

Die Antenne wurde in den so genannten Header des Implantats integriert, den physiologisch geformten „Kopf“, der auch die Elektrodenanschlüsse aufnimmt. Sie überträgt alle wichtigen Informationen in der Regel einmal täglich an den CardioMessenger®, ein schnurloses externes Patientengerät.

Der CardioMessenger® kann z.B. auf dem Nachttisch platziert werden, in seiner kleineren, handyähnlichen Ausführung kann man ihn auch bequem am Gürtel oder in der Handtasche mitführen. In jedem Fall überträgt der CardoMesserger® die relevanten Daten über das weltweit verfügbare Mobilfunknetz von T-Mobile an ein Service Center. Hier decodiert, analysiert und speichert das mit IBM-Technologie ausgestattete Rechenzentrum mit BIOTRONIK Software die gesendeten Daten vollständig automatisch.

Über einen geschützten Internetzugang kann der behandelnde Arzt an jedem Ort der Welt den Therapieverlauf seiner Patienten kontrollieren. Selbstverständlich bleibt die Interpretation aller Daten dem Arzt vorbehalten. Die gesicherte Website verdeutlicht jedoch in komprimierter, übersichtlicher Form sowohl die langfristigen Trends als auch besondere kardiale Ereignisse oder Veränderungen, wie z. B. eine Verschlechterung der Herzleistung. Patienten, bei denen zeitnah eine Aktion bzw. Programmanpassung notwendig ist, werden auf der Website markiert, ein Ampelsystem macht die Dringlichkeit der Fälle deutlich. Bei besonderen Auffälligkeiten erhält er zusätzlich E-Mails, SMS-Nachrichten oder Faxe.

Home Monitoring ist nicht mit einem Notfall- oder Rettungssystem zu verwechseln. Zwar werden gesundheits- und therapierelevante Veränderungen überwacht, ein unterbrechungsfreier Datentransfer über das Mobilfunknetz kann jedoch nicht gewährleistet werden. Bei Beschwerden und im Notfall muss der Patient also über die bekannten Notfallnummern einen Arzt herbeirufen.

Volle Sprechstunden, schlummernde Risiken: Ausgangsüberlegung und Ziel der Innovation
In älter werdenden Gesellschaften mit hohem medizintechnischem Versorgungsgrad wird das Leben mit einem Schrittmacher oder ICD für immer mehr Menschen Realität. Derzeit erhalten mehr als eine Million Patienten in aller Welt jährlich einen Herzschrittmacher, einen ICD oder ein System zur Herzinsuffizienztherapie. Aktive Implantate regulieren den Herzrhythmus durch die Abgabe elektrischer Signale. Auf diese Weise gleichen sie langwierige, nicht selten bedrohliche Rhythmusstörungen aus. Die Lebensqualität der Patienten wird erheblich verbessert, auch wenn die Ursache der Rhythmusstörung bestehen bleibt.

Über den Zustand der betroffenen Patienten erhält der Arzt normalerweise nur dann Informationen, wenn sie zu ihm in die Praxis oder die Klinik kommen - z. B., wenn sich ihr Befinden merklich verschlechtert hat oder eine der festgelegten Routine-Untersuchungen (2 – 4 x jährlich) ansteht. Erst dann werden die gespeicherten Daten aus dem Implantat ausgelesen, erst dann erkennt der Kardiologe etwaige Veränderungen im EKG, Verschlechterungen des kardiologischen Status, Krankheitsrisiken oder technische Defekte.

In der konventionellen Betreuung kann es also geschehen, dass sich in der Zeit zwischen zwei Arztbesuchen eine Folgeerkrankung wie das Vorhofflimmern ohne deutliche Symptome, also unbemerkt, entwickelt – und der Kardiologe erst Wochen oder Monate später darauf aufmerksam wird. Bei einer automatischen, kontinuierlichen Fernüberwachung hingegen würde der Arzt eine entsprechende Nachricht erhalten, um in einem angemessenen Zeitraum auf das Risiko reagieren zu können. Hingegen können Routineuntersuchungen, bei denen nichts festgestellt und nichts für den Patienten unternommen wird, künftig reduziert werden.

Studien untersuchen die Vorteile für Patienten, Ärzte und Gesundheitswesen
Vor dem Hintergrund dieser oben genannten Überlegung verfolgte die Innovation mehrere Ziele: Die Fernüberwachung sollte die Qualität der Therapie verbessern, dem Patienten mehr Sicherheit und Mobilität verleihen und zusätzlich eine kosteneffiziente Betreuung gewährleisten.

Mehrere klinische Studien belegen die bisher erreichten Vorteile für Ärzte und Patienten. Zum Beispiel wurde nachgewiesen, dass mit Home Monitoring wesentliche kardiale Ereignisse 2 bis 5 Monate früher entdeckt wurden als bei konventionellen Nachsorgeuntersuchungen. Unerwünschte Komplikationen und Nebenwirkungen konnten aufgedeckt und die Sicherheit der Patienten verbessert werden.(A. Lazarus, AWARE study, PACE 2007, 30: S2–S12.)

Eine weitere Studie zeigte, dass eine Fernüberwachung mit Home Monitoring den Arztbesuch ersetzen kann – und das bei gleicher Sicherheit und Betreuungsqualität für den Patienten. Laut TRUST-Studie können bei Patienten mit Defibrillator (ICD) die Arztkonsultationen um mehr als 43 % reduziert werden. Symptomatische und asymptomatische Rhythmusstörungen wurden mit Home Monitoring schneller erkannt und behandelt.(N. Varma et al., TRUST trial, Circulation 2008, 118, 2309-2317, Abstract 4078)

Die Fernüberwachung mit Home Monitoring kann also nicht nur vielen älteren Patienten unnötige Anfahrten und das Warten in der Sprechstunde ersparen – sie reduziert auch den Aufwand im Gesundheitswesen. Während bei vielen Routinefällen Zeit und Kosten gespart werden, kommen die Ressourcen verstärkt denjenigen Patienten zugute, die dringend eine ärztliche Diagnostik, Beratung und Behandlung benötigen.

Fernabfrage im Schlaf: Was BIOTRONIK Home Monitoring® einzigartig macht
Seit neun Jahren liegen klinische Erfahrungen mit der Technologie vor, die durch Studien gestützt werden. Im Marktvergleich ist BIOTRONIK Home Monitoring® das einzige System mit vollautomatischer, mobiler Datenübertragung. Der Patient selbst muss nicht aktiv werden: Die Daten können zum Beispiel übertragen werden, während er schläft. Durch die automatische Funktionsweise werden potenzielle Fehlbedienungen und Informationslücken ausgeschlossen.

Als technische Innovationen sind u. a. folgende Fakten interessant: Die Integration der Funktechnologie gelang bei gleicher Baugröße des Implantats und mit hoher Energieeffizienz. So verbraucht die Funktion Home Monitoring nur ca. 1 % der Kapazität einer Herzschrittmacherbatterie – und das trotz täglicher Anwendung über Jahre hinweg. Zudem entwickelte das Unternehmen den CardioMessenger®, ein mobiles Patientengerät für die weltweite Mobilfunkübertragung auf GSM-Basis. Die einfache Gestaltung des Gerätes ist auf höchste Zuverlässigkeit gerichtet. Außer der Einschaltfunktion gibt es für den Patienten nichts zu bedienen, Fehler in der Handhabung sind also so gut wie unmöglich.

Die BIOTRONIK Software für die Datenanalyse ist in der Lage, Abweichungen von den Normwerten zuverlässig festzustellen. Nur dadurch wird die digitale Medizin überhaupt handhabbar, denn die persönliche Sichtung aller übertragenen Daten im Detail würde den Arzt und seine Ressourcen hoffnungslos überfordern. Korrespondierend dazu wurde eine Internetplattform bereitgestellt. Hier kann der Arzt die softwareseitig analysierten Daten ansehen. Ein Ampelprinzip kennzeichnet die Patientenberichte nach ihrer Dringlichkeit und unterstützt so den Arzt bei der effizienten Bearbeitung. Sämtliche erforderlichen Technologien - Implantat, Mobilfunk, Internet - sind zu einem weltweit zugelassenen Medizintechnik-System integriert worden, das nun rund um die Uhr verfügbar ist.

Über BIOTRONIK GmbH & Co. KG
Als einer der weltweit führenden Hersteller kardiovaskulärer Medizintechnik mit Millionen implantierter Produkte ist BIOTRONIK mit 4.500 Mitarbeitern in über 100 Ländern präsent. Das Unternehmen wurde vor mehr als 40 Jahren von Prof. Dr. Max Schaldach, dem Erfinder des ersten deutschen Herzschrittmachers, in Berlin gegründet. In der deutschen Hauptstadt befindet sich auch heute die Unternehmenszentrale, mehr als 1.600 Mitarbeiter sind hier in den Bereichen Entwicklung, Fertigung, Marketing, Vertrieb und Verwaltung beschäftigt.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt „Botschaften von Herzen - Schrittmacher sendet E-Mail an Arzt“ wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgeschlagen.

Nominiert 2009 · TEAM 3