Print-Logo Deutscher Zukunftspreis

Preisträger 1999

Molekularbiologische Verfahren

Molekularbiologische Verfahren für innovative Therapien: Entwicklungsbiologie als Basis innovativer Therapien zur Behandlung von Krankheiten

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss (Sprecher)
Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen

(v.l.n.r.) Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss, Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle

Viele Krankheiten lassen sich durch Medikamente allenfalls lindern, aber nicht heilen. Kann man den menschlichen Körper dazu bringen, krankhafte Fehlfunktionen selbst zu reparieren?

Peter Gruss und Herbert Jäckle legten mit einem neuartigen therapeutischen Konzept die Basis dafür, dass das bald bei etlichen Krankheiten gelingen könnte. Peter Gruss ist Direktor der Abteilung Molekulare Zellbiologie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, Herbert Jäckle steht der Abteilung Molekulare Entwicklungsbiologie als Direktor vor.

Ein Ziel ist die Regeneration der Inselzellen

Seit der Entdeckung des Insulins kann Diabetikern durch tägliche Insulin-Injektionen geholfen werden. Allerdings bewirkt diese Art der Behandlung keine Heilung der Diabetes. Außerdem können dadurch Folgeerkrankungen auftreten, etwa Erblinden, Nierenversagen und Herz-Kreislauf-Probleme. Durch die Regeneration von Insulin produzierenden Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse würde vielen Diabetikern hingegen dauerhaft und ohne Nebenwirkungen geholfen.

Der erwachsene Körper setzt sich aus Hunderten von spezifischen Zelltypen zusammen. Sie bilden sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Stellen während der Embryonalentwicklung und finden sich später zu funktionsfähigen Organen zusammen. Grundlegende Studien auf dem Gebiet der Molekulargenetik und der Entwicklungsbiologie, etwa am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, bildeten die Voraussetzung für ein Verständnis der molekularen Schaltprozesse, die bei der Embryonalentwicklung ablaufen. Dieses Verständnis ermöglichte die Entwicklung völlig neuer Therapiekonzepte.

Der Knackpunkt sind die Schalter-Gene

Den nominierten Forschern ist es gelungen, ausgehend von Experimenten an der Fruchtfliege Drosophila, eine Reihe von Schalter-Genen zu beschreiben, die – auch beim Menschen – für die Bildung von Organen grundlegend sind. Fällt ein Schalter-Gen aus, wird zum Beispiel das Auge, das Ohr, die Niere, ein bestimmter Bereich des Gehirns oder die Bauchspeicheldrüse nicht oder nur unvollständig gebildet. Gruss und Jäckle konnten die Insulin produzierenden Inselzellen jedoch dazu bringen, sich zu regenerieren. Dazu reaktivierten sie bei Diabetes-Patienten die Schalter-Gene, die bei gesunden Menschen während der Entwicklung der Inselzellen aktiv sind. Die Folge: Der Körper stellt selbst Inselzellen her.

Das innovative therapeutische Konzept verspricht Heilungschance für eine Vielzahl von Krankheiten: neben Diabetes beispielsweise auch bei Leberdefekten und Fettleibigkeit (Obesitas). Zur Entwicklung marktfähiger Produkte gründeten die Forscher die DeveloGen AG. Ein Medikament dieses Unternehmens zur Behandlung von Diabetes Typ 1 hat 2005 die zweite Phase der klinischen Tests abgeschlossen.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt „Molekularbiologische Verfahren für innovative Therapien - Entwicklungsbiologie als Basis innovativer Therapien zur Behandlung von Krankheiten“ wurde von der Max-Planck-Gesellschaft e.V. vorgeschlagen.

"Das Ziel unseres Projektes ist die Wiederherstellung defekter Strukturen oder Funktionen des menschlichen Körpers durch die moderne Entwicklungsbiologie."

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss

Fragen an die Nominierten

Bitte schildern Sie uns Ihr Projekt im einzelnen und stellen es dann im Gesamtzusammenhang des Bereichs Entwicklungsbiologie dar.

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Das Ziel unseres Projektes ist die Wiederherstellung defekter Strukturen oder Funktionen des menschlichen Körpers durch die moderne Entwicklungsbiologie. Als Hauptindikationsgebiet haben wir uns den Schwerpunkt Pankreas, also Bauchspeicheldrüse, gewählt. Ziel: Die Wiederherstellung oder Produktion von insulin-produzierenden Betazellen. Neuerdings erforschen wir auch die Möglichkeit, Leberzellen außerhalb des Körpers zu produzieren. Damit kann, zumindest für die Zeit bis zur Transplantation, eine Art „künstliche Leber“ zur Verfügung stehen und dem Patienten somit über Krisensituationen hinweggeholfen werden!

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Ich möchte es etwas allgemeiner ausdrücken: Die Grundlagenforschung hat uns gelehrt, dass es möglich ist, Zellen zu verstehen. Wir wissen aus der Humanmedizin, dass Zellen krank werden können. Dieses Wissen möchten wir so anwenden, da wir letztlich mithelfen, eine neue Art der Behandlung einzuleiten. Und diese neue Medizin heißt dann eben nicht Pharmakologie mit unbekannten Substanzen, sondern mit definierten, körpereigenen Substanzen.

Ihr Projekt ist Bestandteil einer relativ neuen Forschungsrichtung, wie sieht dieses Gesamtprojekt aus und wo ist das Spezifische Ihrer eigenen Arbeit?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Eine wesentliche Komponente der Biomedizin kann aus folgenden Zahlen abgeleitet werden: Allein in den USA gibt es 60.000 Patienten, die entweder auf eine Nieren-, eine Leber-, eine Herz- oder eine Pankreastransplantation warten. Bei weitem nicht alle werden tatsächlich ein Spenderorgan bekommen! Daraus ergibt sich die absolute Notwendigkeit, neu zu denken, wie komplexe biologische Strukturen wiederhergestellt oder zur Verfügung gestellt werden können, die genau diese Funktion übernehmen. Hier setzt unser Konzept an, denn mit Hilfe der Entwicklungsbiologie ist zunächst einmal das erste Etappenziel zu erreichen, nämlich das Verständnis, wie sich aus einer Einzelzelle ein komplexer Organismus entwickelt. Wenn man dieses körpereigene Programm versteht, kann man sich dieses Wissen zunutze machen. Es ist denkbar, dem Körper zu signalisieren, doch vielleicht das eine oder andere Programm noch einmal anzuschalten und damit Fehlfunktionen oder defekte Strukturen zu ersetzen. Gewürdigt wird hier u. a. die Wiederherstellung von Zellen, die bei der Insulinproduktion beteiligt sind. Es gibt weltweit mehrere Millionen Diabetiker, und diese Patienten sind von täglichen Insulingaben abhängig. Das trifft für alle Patienten mit Diabetes-Typ 1 und auch für etwa ein Drittel oder 30% aller Patienten mit Diabetes-Typ 2 zu. Wenn diese Wiederherstellung gelingen würde, dann würde man den Körper wieder in die Lage versetzen, körpereigenes Insulin zu produzieren. Für den Patienten würde dies ein Leben ohne Medikamente bedeuten.

Ihr Projekt ist in einem Wissenschaftsbereich angesiedelt, der polarisiert, der mit Angst besetzt ist oder euphorisch stimmt. Wir sprechen von Entwickungsbiologie, wir sprechen von Gentechnologie: Wo sind Überschneidungen, wo sind Differenzierungen?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Im Grundsatz sind diese Bereiche miteinander verwoben und damit nicht trennbar. Gentechnologie ist nichts anderes als ein Werkzeug. Wir beide verwenden dieses Werkzeug und setzen die dadurch gewonnene Erkenntnis nutzbringend ein. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, diese Steuermechanismen zu verstehen und gezielt zu beeinflussen: Wir teilen den Zellen des erwachsenen Körpers mit, z.B. wieder Betazellen zu entwickeln, die Insulin produzieren. Man braucht dazu u. a. die Werkzeuge der Gentechnologie, nämlich dass man mit Erbmaterialien umgehen kann, dass man dieses Material in Zellen einführen kann - wenigstens für eine Übergangsphase - um den Zellen vorzuspiegeln, dass sie eigentlich etwas ganz anderes wären, sie in ihren Frühzustand zurückzuführen und diesen Zustand zu nutzen, um die Zellen neu auszurichten.

Wenn wir das verstehen, können wir Einfluss nehmen auf die Entstehung komplexer Strukturen und Organe. Das bezieht sich nicht nur auf das Pankreas und die Inselzellen, das gilt auch für andere Krankheiten, wie z.B. Parkinson. Hier brauchen die Patienten einen bestimmten fehlenden Zelltyp (dopaminerge Neuronen). Es ist für mich schon heute absehbar, dass die Herstellung dieses Zelltyps in Gewebekultur durchführbar sein wird. Noch komplexer wird es natürlich werden, wenn wir über die Wiederherstellung vollständiger Organe wie Herz, Leber, Niere nachdenken. Man arbeitet dabei auch in Verbindung mit Chemikern, die Biopolymere herstellen, um eine Art Rahmen zu schaffen, auf dem die Zellen dann wachsen können. Ich kann nachvollziehen, dass es große Bedenken hervorruft, wenn irgend jemand Ihnen sagt: Ich „baue“ einmal deine Nase in Gewebekultur und die kann man dann bei Bedarf zum Einsatz bringen. Aber: Wenn wir nicht aufklären, wird die Gentechnologie immer mit Angst besetzt bleiben. Die hier angesprochenen Bereiche Gentechnologie, Embryonenschutz, Stammzelltherapie - etwas ganz Neues eigentlich - werden die Zukunft der experimentellen Medizin maßgeblich mitbestimmen und bedürfen daher eines öffentlichen Diskurses.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Wenn wir die Gentechnik ganz neutral sehen, hilft sie uns, letztlich die Sprache zu verstehen, mit der Zellen sich unterhalten. Unsere Chance ist, die Gentechnik zu nutzen, damit wir mitreden können! Gentechnik wird synonym mit Genmanipulation gesetzt und Manipulation ist ein negativer Term. Man kann es auch positiv sehen. Wir haben die Möglichkeit, mit dieser Technik zum Beispiel menschliche Proteine in Bakterien herzustellen. Was heißt das konkret? Dadurch können wir menschliches Insulin in großen Mengen produzieren und es in den Körper des kranken Menschen zurückbringen. Gleichzeitig können wir versuchen, Substanzen zu finden, die mit diesem Molekül spezifisch wechselwirken und es z.B. deutlich aktiver oder weniger aktiv werden lassen.

Ihre Arbeiten basieren auf unterschiedlichen Arbeitsgrundlagen, hier Fruchtfliege, da Maus. Wie waren die Entwicklungsschritte und in welcher Abfolge haben sich diese ergeben?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Die Entwicklungsgeschichte leitet sich u. a. aus unser beider Forschung ab, Herr Jäckle wird den Teil über die Fruchtfliege ausführen. Mit Hilfe der Fruchtfliege war es möglich zu verstehen, wie bei diesem Organismus, ausgehend von einem Ei, die Prozesse ablaufen, die zu einem Fliegenkörper führen. Die größte Überraschung war für mich und ich glaube auch für die Mehrzahl der Wissenschaftler, dass zwischen Fruchtfliege, Wurm, Giraffe, Elefant diese Programme im wesentlichen bewahrt sind. Das heißt, ausgehend von der Fruchtfliege, kann man jetzt die Gene, die bei der Maus oder dem Menschen bei bestimmten Abläufen eine Rolle spielen, isolieren und deren Funktion prüfen. Wir haben uns dabei auf eine Reihe von Genen konzentriert, die an der Entwicklung von Organen beteiligt sind, z.B. dem Auge. Hier wiederum war es eine große Überraschung, dass ein einzelnes Gen ausreicht, um im Körper eine komplexe Struktur wie die Augenlinse oder das Auge per se herzustellen! Das heißt, mit einem Schalter-Gen können Sie ein komplexes Programm aktivieren, das zur Produktion und zur Herstellung einer Struktur, wie der des Auges führt. Das ist der theoretische Hintergrund. Was aber beim Auge geht, geht vielleicht auch bei Organen, die medizinisch noch relevanter sind, zum Beispiel der Bauchspeicheldrüse.

Sie sprechen von Überraschungen. Ist der Mensch denn nicht erforscht? Von welchen Zeiträumen sprechen wir?

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Der Mensch ist bei weitem noch nicht erforscht. Wir sprechen hier über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren. Der entscheidende Durchbruch gelang, als man bei Drosophila, der Fruchtfliege, einem ganz einfachen Organismus mit kurzer Generationszeit, feststellte, dass bestimmte Gene für die Ausbildung bestimmter Körperstrukturen notwendig sind. Molekularbiologie und Gentechnik, die sich vor 25 Jahren zu entwickeln begannen, kamen hinzu. Mit ihrer Hilfe konnte festgestellt werden, welche Genprodukte an Entwicklungsprozessen beteiligt sind. Man konnte sogar einen Schritt weitergehen, nämlich defekte Gene über Gentherapie austauschen, um Fliegen mit eigentlich tödlichem Gendefekt zum Überleben zu verhelfen. Außerdem konnte bei der Fliege zum ersten Mal bewiesen werden, dass ein bestimmtes Gen für einen bestimmten Entwicklungsprozess verantwortlich ist. Damit hatten wir die Möglichkeit, die Funktion dieser Gene kennenzulernen und herauszufinden, welche Moleküle die Entwicklungsprozesse kontrollieren. Diese Moleküle wurden dann isoliert und charakterisiert. Jetzt kommt das Überraschende: Obwohl eine Fliege ganz anders aussieht als ein Mensch und obwohl die Embryonalentwicklung ganz anders verläuft, hat sich gezeigt, dass hinter den Genprodukten System steckt, dass bestimmte Genabschnitte ähnlich sind. Das geht so weit, dass man direkte Korrelationen herstellen und unabhängig vom Organismus sagen kann, welches Gen notwendig ist, um z.B. unter vielen Zellen eine einzelne Zelle herauszusortieren oder um dieser zu sagen: du wirst eine Muskelzelle. Dieses Programm, bei Fliege und Maus gelernt, ist letztlich auch im Menschen konserviert. Beim Mensch allerdings kann man Gene eigentlich nur dann identifizieren, wenn eine Erbkrankheit auftritt. Nur der Ausfall eines Gens lässt die Gesetze der Ordnung erkennen. Die Maus, aber noch einfacher die Drosophila, sind also Modellsysteme, um die Ordnungsprinzipien - die Gene und die Moleküle - kennenzulernen.

Diese agieren bei Fliege, Maus und Mensch in einem sehr ähnlichen Kontext: Gene, die notwendig sind um ein biologisches Muster z.B. die Flügel der Drosophila, zu machen, finden wir bei der Gliedmaßenbildung der Maus und des Menschen wieder. Und wenn eines dieser Gene defekt ist, entstehen abnorme Flügel bei Drosophila und abnorme Gliedmaßen bei Maus und Mensch. Dieses überraschende Prinzip der Übertragbarkeit, in der Grundlagenforschung erkannt, wollten wir ausnützen, um Prozesse auch gezielt steuern zu können.

Sie hätten mit dem ersten Schritt, das Prinzip erkannt zu haben, zufrieden sein können. Sie sind weitergegangen in Ihren Forschungen. Was war da der wesentliche Impuls?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Wir betreiben heute Forschung nicht nur, wie uns ja häufig genug vorgeworfen wird, im Elfenbeinturm, isoliert von der Öffentlichkeit. Vielmehr reizen uns die Möglichkeiten, unsere Erkenntnisse in die medizinische Anwendung zu überführen. Wir haben natürlich durch die Förderung der Max-Planck-Gesellschaft ein hervorragendes Instrument, Grundlagenforschung zu betreiben. Unsere Aufgabe ist es, denke ich, den Anwendungsbezug aufzuzeigen und innovative Konzepte zur Behandlung von Krankheiten zu entwickeln. Die Weiterentwicklung solcher Konzepte geschieht dann nicht hier im Institut, sondern in einer Biotechnologiefirma, deren Aufgabe es ist, für das Konzept ein Produkt zu entwickeln.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Es gibt noch einen anderen Aspekt. Wir sind uns darüber im klaren, dass wir von der Gesellschaft für unser „Hobby“ bezahlt werden. Für die Gesellschaft aber zählt dieses Wissen nur wenig. Wenn wir jedoch die Möglichkeit haben, aus den Erkenntnissen der Grundlagenforschung eine nützliche Anwendung für den Menschen, sprich für die Gesellschaft, zu entwickeln, dann geben wir ein Stück von dem, was wir bekommen haben, zurück.

Außerdem bilden wir heute zunehmend junge Leute im Biotechnologiebereich aus. Für Akademiker in der Grundlagenforschung hat man nur einen begrenzten Bedarf. Hervorragende Akademiker gehen häufig in die USA, leisten dort hervorragende - auch angewandte - Forschung, schließen diese mit Patenten ab und bleiben auch dort. Wir haben sie aber ausgebildet, und sie fehlen uns als Kollegen - das ist eigentlich unverantwortlich. Deshalb war es für uns sehr wichtig, am Standort Göttingen etwas zu gründen, eine Perspektive aufzuzeigen und Zeichen zu setzen: Es geht in Deutschland, kommt zurück! Es ist uns bereits jetzt schon gelungen, Mitarbeiter aus den USA zurückzuholen.

Wie sahen denn diese Teams aus, mit denen Sie gearbeitet haben, was sind das für Leute?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Wir haben in Deutschland traditionell starke universitäre und institutionelle Forschung, und man muss dazu sagen, dass der eigentliche Aufbau der Biotechnologie im Ausland stattgefunden hat. In diesem Sinne sehe ich das als Vorteil, denn es war sehr leicht für uns, Leute zu rekrutieren, die nicht nur wissenschaftlich exzellent sind, sondern auch vom Persönlichkeitsprofil her den Schritt von der Forschung in die Anwendung hervorragend umsetzen konnten.

Wieviele Leute sind das jetzt?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
35 im Augenblick.

Sie gehören zu einem neuen Typus „Wissenschaftler“. Wir haben in Deutschland immer noch diese Zweiteilung: der klassische Wissenschaftler, der am Institut arbeitet und sich nicht herausbewegt und der „Industrie-Wissenschaftler“, der anders und aktiv agiert. Wie stellt sich das bei Ihnen dar?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Ich bin 68er-Generation. Als wir mit dem Studium angefangen haben, war das schlimmste, was einem Wissenschaftler passieren konnte, mit einer Firma assoziiert zu werden. Das hat sich glücklicherweise geändert.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Es hat sich viel geändert. Früher war die Forschung, die aus der Industrie in die Universität hineingetragen wurde, Auftragsforschung. Für die Industrie war völlig klar, dass sie dort billigst Arbeiten gemacht bekommt. Heute sind wir selbstbewusst genug, um das, woran wir glauben, auch umzusetzen.

Bei Ihrem Projekt geht es um Krankheiten und Chancen der Heilung.
Es ist wichtig, dass wir das einmal abgreifen, die Hoffnung genau definieren. Welche Zeitabläufe stehen dahinter?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Ich denke, man sollte hier fairerweise in einem Zeitabschnitt von mindestens zehn Jahren denken. Das Ziel unserer Bemühungen ist es, die Mechanismen aufzuzeigen, die es ermöglichen, z.B. Inselzellen zu regenerieren. Für Diabetes konnten wir tatsächlich einige Schaltprozesse aufzeigen, durch die Inselzellen produziert werden können. Die Umsetzung kann auf mehreren Wegen geschehen. Wir reden nicht über eine Pille, die der Diabetiker morgen nimmt und dann übermorgen neue Inselzellen hat. Wir hoffen aber, dass wir in einigen Jahren tatsächlich etwas haben, das bis zu einem Produkt entwickelt wird, mit dem dann Diabetiker auf neue Weise therapiert werden können.

Lassen Sie uns noch einmal auf das Thema Wissenschaft/Wirtschaft, also Technologietransfer kommen. Das ist für die deutsche Szene eher ungewöhnlich. Wie verlief der Prozess der wirtschaftlichen Umsetzung bei Ihrem Projekt?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Unser Gründervater, Max Planck, hat gesagt: Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen. Das ist die Basis. Ohne eine Forschung, die zuerst Daten generiert und uns in die Lage versetzt, über die Nutzung solcher Daten im Sinne eines Technologietransfers nachzudenken, geht gar nichts.

Die erste Plattform ist die Möglichkeit, eine möglichst freizügige Forschung betreiben zu können, die kreativ und innovativ ist und die durch möglichst wenig Außendruck beschränkt wird. Diese Voraussetzungen sind natürlich hervorragend, insofern sind wir beide in einer wunderbaren Position. Durch solide wissenschaftliche Ergebnisse gelangt man zu einem Konzept, wie man die Dinge, die man erforscht hat, umsetzen kann. Dann kommt hinzu, und auch das will ich hier wirklich würdigen, dass wir den Vorteil der Max-Planck-Gesellschaft nutzen konnten. Das Umsetzen eines solchen Konzeptes bedarf einer Expertenmeinung. Diese Expertenmeinung wird in der Max-Planck-Gesellschaft durch eine eigene Technologietransferfirma, Garching Innovation, geliefert. Das heißt, schon in der Frühphase wurden Kontakte geknüpft mit dem Ziel, darüber zu diskutieren, ob das überhaupt einen Sinn hat, das Projekt realisierbar ist oder nicht? Der nächste Punkt ist das Personal. Wir waren in Göttingen in einer ausgesprochen glücklichen Situation: Wir hatten vor Ort einen ehemaligen Wissenschaftler, Herbert Stadler, der sechs Firmen erfolgreich gegründet hat. Er versteht die Mechanismen die es braucht, um eine Idee zu realisieren. Von Herbert Stadler kam dann auch der Vorschlag zur Finanzierung dieses Konzeptes: Zum einen Venture Capital, wie in vielen anderen Ländern auch, hinzu kommt aber ein gerütteltes Maß an Projektförderung durch das BMBF und zusätzlich die Möglichkeit, ein weiteres Drittel der Finanzen über die TBG-Bank in Bonn aufzubringen. Damit kann eine Struktur aufgebaut werden, die lebensfähig und hoffentlich langfristig überlebensfähig sein wird: Man braucht die Idee, man braucht eine frühzeitige Bewertung, Personen die mitmachen und die Finanzierung. Alle diese Punkte waren und sind in Göttingen, bzw. in der Bundesrepublik, gut realisierbar gewesen. Retrospektiv scheint alles leicht gewesen zu sein.

Sie sind für Ihre Arbeiten schon ausgezeichnet worden. Wie wirkt sich so etwas aus? Der Bundespräsident fordert den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Allgemeinheit weiß wenig von dem, was Sie tun. Haben die Auszeichnungen das geändert und Akzeptanz gefördert?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Durch eine Auszeichnung erfährt man eine Belohnung, eine Anerkennung unabhängiger Gremien, meistens sind es Wissenschaftler, die diese Arbeit würdigen, ein sehr schönes Gefühl. Andererseits ist es ein Ansporn weiterzumachen und zuweilen, nicht häufig, hat es den Aspekt „Öffentlichkeit“. Wir beide haben ja fast im Gleichschritt vergleichbare Preise bekommen. Für Deutschland ist es der Leibniz-Preis, der ein gewisses Maß an Öffentlichkeitswirkung hat. International war das eher der Jeantet-Preis. Es ist auf jeden Fall ein schönes Erlebnis, auch für die Mitarbeiter. Dass ich denen erzähle, dass sie das Spannendste der Welt machen, das ist klar. Aber wenn das von außen kommt, heißt das natürlich für jeden einzelnen Mitarbeiter: Ich habe dazu beigetragen und offensichtlich ist es relevant.

Dazu kommt das Momentum, dass man angewandte Forschung, Grundlagenforschung und anwendbare Forschung unterscheiden kann. Was man noch deutlicher unterscheiden kann, ist gute und weniger gute Forschung. Und wenn Sie gute Forschung machen, sind diese Preise letztendlich ein Dokument dafür.

Was tun Sie selbst für den Dialog mit der Öffentlichkeit, und die Forderungen an den Wissenschaftler sich darzustellen?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Der direkteste Bezug wären natürlich wissenschaftlich Vorgebildete, wie Studenten. Darum geht es hier nicht, es geht um eine breite Öffentlichkeit. Es gibt eine Reihe von Vorträgen, die ich auch selbst gehalten habe, z.B. in der Siemens-Stiftung. Solche Vorträge werden aufgezeichnet und übertragen. Wir haben mehrfach versucht, für Fernsehstationen die Materie so darzustellen, dass sie leicht verdaulich ist. Darüber hinaus werden wir gemeinsam eine Tagung hier organisieren, die genau das zum Ziel hat, nämlich internationale Top-Forscher hierher zu bringen, damit sie für die Öffentlichkeit an drei Abenden ihre Forschung darstellen und das ganze Spektrum - vom Ergebnis über die Anwendung bis hin zur Problematik - aufzeigen. Wir haben das große Glück, dafür Gelder von einer Schweizer Stiftung zur Verfügung gestellt zu bekommen und damit diese Komponente der Öffentlichkeitsarbeit, zumindest für Göttingen, zu verstärken. Man muss realistisch sein: Unser Fach und die Art und Weise der Darstellung ist häufig nicht geeignet, die breite Masse zu begeistern. Dafür braucht man andere Wege, Medien, Wissenschaftssendungen, die mit sehr guter Grafik diese Dinge rüber bringen, was wir in dieser Form sonst nicht können.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Wir sind in Schulen präsent. Das Institut bietet Aktivitäten über Internet und über E-Mail an. Darüber hinaus hat ein Kollege von uns ein Trainingsprogramm für Journalisten auf europäischer Ebene initiiert. Diese Journalisten kommen ins Labor, arbeiten mit der Fliege, arbeiten mit der Maus. Wir versuchen einfach transparent zu machen, was wir tun.

Das vielgenutzte Wort „Innovation“, was verstehen Sie unter Innovation, bezogen auch auf Ihr Projekt?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Für mich setzt Innovation zunächst Kreativität voraus; auch neue Befunde, die man in einer neuen Richtung interpretiert. Voraussetzung ist, solche Dinge, vor allem wenn man über Technologietransfer nachdenkt, schützen zu können. Das Bewusstsein der Forscher muss geschärft werden, diesen Schutz zu suchen, bevor ihre Daten öffentlich sind. Fasst man den Begriff „Innovation“ etwas weiter - im Hinblick auf Technologietransfer - müssen eine Reihe von Punkten berücksichtigt werden, um innovativ sein zu können. Für uns war es die Basis der Forschung, die Kontakte zu Experten - sei es in Technologietransferfirmen, sei es in der Industrie - die diesen Weg geebnet haben.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Letztlich Visionen zum praktischen Erfolg führen.

Der Bundespräsident verweist in seinen Reden auf den notwendigen gesellschaftlichen Grundkonsens, auf ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein, wenn es um Innovationen und technische Entwicklungen geht. Wie sehen Sie Ihre Projekte unter diesem Aspekt? Sehen Sie sich in einem gesellschaftlichen Grundkonsens oder sind Sie ein bißchen die „Outlaws“ mit diesem Bereich?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Was das Ziel unserer Forschung angeht, sehen wir uns vollständig in dem gesellschaftlichen Grundkonsens. Die Gesellschaft möchte die Hilfsmittel der modernen Biologie nutzen, um Krankheiten auf neue Art und Weise therapieren zu können. Worüber man diskutieren muss ist, wo die Gefahren liegen, die bei Verwendung bestimmter „Werkzeuge“ entstehen könnten.

Wie schätzen Sie das Klima für die Entwicklung von Innovationen für Projekte, wie Ihres hier in Deutschland, ein, wie sehen Sie das im internationalen Vergleich?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Die erste Komponente ist das Klima für die Forschung. Hier ist Europa und Deutschland insbesondere führend. Es gibt bisher nur zwei Nobelpreise für die Entwicklungsbiologie, und beide Preisträger kommen aus Deutschland. Was das wissenschaftliche Klima und auch die Konkurrenzfähigkeit angeht, sehe ich keine Probleme. Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Auch im internationalen Vergleich stehen wir durch die neuen Fördermechanismen im Vergleich zu den USA hervorragend da.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Aber wir haben trotzdem noch ein Problem: die Akzeptanz. Das äußert sich nach wie vor auch in der Gesetzgebung.

Die Akzeptanz wird von einer breiten öffentlichen Meinung abhängig gemacht, die über Details nicht gründlich informiert ist und die über die Presse vor allem emotionalisierende Negativberichte bekommt. Dadurch entsteht das, was ein bisschen die Situation in Deutschland kennzeichnet, nämlich Angst. Angst vor dem, was Wissenschaftler letztlich tun. Man will ihnen nicht unbedingt trauen, obwohl die Warnung, dass zum Beispiel bei der Gentechnik ein Gefahrenpotential vorhanden ist, das damals nicht abschätzbar war, von Biologen kam.

Wenn man jetzt in die Novellierung des Tierschutzgesetzes schaut, dann ist das elektrodenbeladene Äffchen, das seit 20 Jahren überall gezeigt wird, viel entscheidender für die heutige Meinungsfindung als der Positivbericht, dass wir menschliches Insulin herstellen können und viele medizinische Probleme durch sinnvolle Tierversuche in den Griff bekommen.

Haben Sie Wünsche oder Forderungen an die Politik, die Gesellschaft oder an den Gesetzgeber, bezogen auf Ihre Arbeit?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Eine wesentliche Forderung wäre, zumindest in der westlichen Welt die Gesetze anzupassen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten für uns nicht schärfer sein, als für den französischen, den britischen oder den amerikanischen Kollegen. Es werden sonst künstliche Hürden gebaut, die uns Konkurrenzfähigkeit wegnehmen. Ich wehre mich nicht gegen grundsätzliche gesetzliche Regelungen. Ich wehre mich dagegen, dass man hier eine Ungleichbehandlung vollzieht, die uns das Leben erschwert. Die Bitte an die Politik ist, diese gesetzlichen Rahmenbedingungen, am besten weltweit, zu legalisieren. Der zweite Punkt: Hier auch darauf hinzuwirken - das trifft vor allen Dingen beim Embryonenschutzgesetz zu - das Nützliche noch zu erlauben, das Schädliche zu verbieten. Es muss klar sein, was wir im Sinne der Zelltherapie dürfen und was nicht. Das sollte in Zukunft überarbeitet und geklärt werden, so dass der Forscher auf sicherer rechtlicher Basis arbeiten kann.

Gesetze ändern sich in Deutschland auch durch aktives Lobbying, tut Ihre „Zunft“ etwas dafür im politischen Raum?

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Offensichtlich zuwenig. Man hat als Wissenschaftler eigentlich das Gefühl, im Vergleich zu anderen Disziplinen, im Vertrauensmalus zu stehen. Es werden Gesetze gemacht, um Missbrauch einzudämmen. Gut so! In der Gentechnik, bei Tierversuchen sieht man potentielle Gefahren voraus und sagt: Weil es Missbrauch geben könnte, machen wir ein Gesetz - und verbieten deutlich mehr als notwendig, regeln auch noch das letzte Detail. Hier fühlen wir uns benachteiligt. Bisher gibt es weltweit kein Beispiel, dass die Gentechnologie missbraucht wurde, obwohl andere Länder keine vergleichbaren Gesetze haben. Die gegenseitige Kontrolle in der „scientific community“ ist so hoch, dass wir vielleicht auch einmal einen Vertrauensbonus verdient haben. Es wird weder tabu- noch vorurteilsfrei diskutiert und Vorurteil heisst, es gibt noch keine echte Grundlage für ein Urteil. Da würde ich mir eine offenere Diskussion wünschen, wohl wissend, dass das nicht sehr publikumswirksam ist.

Wenn Sie die Wahl hätten, heute einen Berufsweg einzuschlagen, würden Sie wieder in die Richtung gehen? Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten, um sich zu entspannen?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Dieser Beruf ist ein Traum, weil Sie den absoluten Freiraum haben. Ähnlich wie bei einem kleinen Kind, das in einem Riesensandkasten sitzt und jeden Tag eine neue Burg bauen kann. Wir haben hier die Möglichkeit, einen Gedanken zu formulieren, ein Konzept, eine Hypothese, eine Theorie aufzubauen und diese dann experimentell umzusetzen, testen zu können. Dieses Berufsbild ist für mich das absolute Optimum. Die Antwort ist ganz klar: Ich würde diesen Berufsweg wieder einschlagen wollen. Er hat einen Nachteil: Weil es nämlich ein großer Sandkasten ist, will man immer darin spielen, das heißt, wir haben relativ wenig Freizeit. Die Arbeitszeiten beschränken sich nicht nur auf das Büro oder die Labors, sie betreffen auch Reisen zu Kongressen, zu Kollegen, Begutachtungen, Diskussionen auf den verschiedensten Ebenen, so dass nicht viel Zeit übrigbleibt. Ich bin sportlich aktiv, wenn ich Zeit habe. Ich fahre gerne Ski, ich laufe, schwimme und wenn dann noch Zeit bleibt, lese ich oft unterwegs, das ist es dann auch. Dann ist der Tag mit 25 Stunden voll.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Bei mir sieht´s ähnlich aus. Der einzige Unterschied ist, dass ich mich sportlich weniger betätige. Ich bin gerne mit Menschen zusammen, brauche meine Familie. Und mein Beruf ist mein Hobby. Entspannen heißt für mich, das zu tun, was ich tue.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Das ist jetzt eine schwere Frage. Wenn man eigentlich das hat, was man sich gewünscht hat, bleibt wenig übrig, was man sich noch wünschen kann. Mit zunehmendem Alter werden sich auch die Wünsche an dem orientieren, was realisierbar ist. Ich wünsche mir, dass ich gesund bleibe, dass meine Familie weiter Nachsicht übt und ich möglichst produktiv weiterarbeiten kann; das sind aber schon grosse Ziele.

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle
Den Spaß nicht zu verlieren, den ich habe, und - Gesundheit.

Weitere Details

Lebensläufe

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss

28.06.1949
geboren in Alsfeld, Hessen
1968
Abitur
1968 – 1974
Studium der Biologie an der Technischen Universität Darmstadt
1973
Diplom
1974 – 1977
Promotion am Institut für Virusforschung, DKFZ, Heidelberg
1977 – 1978
Assistent am Institut für Virusforschung, DKFZ, Heidelberg
1978 – 1982
Post-Doctoral Fellow, dann Expert Consultant und schließlich Visiting Scientist im Laboratory of Molecular Virology, National Cancer Institute, NIH, Bethesda, Maryland
1982 – 1986
Professor am Institut für Mikrobiologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
seit 1986
Direktor der Abteilung Molekulare Zellbiologie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
seit 1990
Honorarprofessor der Georg-August-Universität Göttingen
1997 – 1998
Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie, Göttingen
seit 2002
Präsident der Max-Planck-Gesellschaft

Ehrungen:

1983
Robert-Koch-Förderpreis der Stadt Clausthal-Zellerfeld
1992
Feldberg-Preis
1992
Jean-Brachet-Lecture-Preis
1992
NIH-„Scholar-in-Residence“-Preis
1994
Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft
1995
Louis-Jeantet-Preis für Medizin, Genf
1995
Carus-Medaille der Deutschen Akademie der Naturwissenschaften Leopoldina, Halle
1995
Carus-Preis der Stadt Schweinfurt für Mitglieder der Leopoldina
1996
Wahl zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
1999
Wissenschaftspreis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft
2003
Wissenschaftspreis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft
2004
Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
2004
Niedersächsischer Staatspreis

Prof. Dr. rer. nat. Herbert Jäckle

06.07.1949
geboren in Konstanz
1969
Abitur in Rottweil
1969 – 1975
Studium der Chemie und Biologie an der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg im Breisgau
1974
Staatsexamen
1978 – 1980
Forschungsaufenthalt an der University of Texas, Austin, USA
1980 – 1982
„Scientist“ am EMBL, Heidelberg
1982 – 1984
Leiter einer Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
1984
Habilitation an der Eberhard-Karls-Universität, Tübingen
1985 – 1988
Leiter einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
1988 – 1991
Ordinarius für Genetik an der Ludwig-Maximilians-Universität München
seit 1991
Direktor der Abteilung Molekulare Entwicklungsbiologie am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
seit 2002
Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft

Ehrungen:

1986
Jahrespreis der Deutschen Gesellschaft für Zellbiologie
1986
Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis
1990
Feldberg-Preis
1992
Karl-Ritter-von-Frisch-Medaille und Wissenschaftspreis der Deutschen Zoologischen Gesellschaft
1992
Otto-Bayer-Preis
1999
Mendel-Medaille der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina
1999
Louis-Jeantet-Preis der Liuos-Jeantet-Stifting für Medizin, Genf, Schweiz
1999
Wissenschaftspreis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft
1999
Deutscher Zukunftspreis
2002
Kooperationspreis des Landes Niedersachsen
2006
Ehrendoktor Dr. phil. h. c. des Weizmann-Instituts in Rehovot, Israel

Kontakt

Projektsprecher:

Prof. Dr. rer. nat. Peter Gruss
Direktor
Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie
Am Fassberg 11
37077 Göttingen
Tel.: +49 (0) 551 / 20 11 361
Fax: +49 (0) 551 / 20 11 504
E-Mail: pgruss@gwdg.de

Mike Rothe, Ph.D.
DeveloGen AG
Rudolf-Wissel-Straße 28
37079 Göttingen
Tel.: +49 (0) 551 / 50 55 860
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Pressekontakt:

Dr. Christoph Nothdurft
Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie
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Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten

Seit der Entdeckung des Insulins kann Diabetikern durch tägliche Insulin-Injektionen geholfen werden. Allerdings ist diese Art der Behandlung keine echte Heilung der Diabetes. Außerdem können Sekundärerkrankungen wie Erblindung, Nierenversagen, Herz-/Kreislaufproblemen, etc., auftreten. Durch die Regeneration von Insulin-produzierenden Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse des Diabetikers würde vielen Diabetikern dauerhaft geholfen. Dies zu erreichen, war Zielsetzung des Max-Planck-Instituts. Die daraus resultierende Umsetzung obliegt einer dafür gegründeten Firma.

Der erwachsene Körper setzt sich aus Hunderten von spezifischen Zelltypen zusammen. Diese spezifischen Zelltypen werden zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Positionen während der Embryonalentwicklung gebildet und finden sich später zu funktionsfähigen Organen zusammen, die gemeinsam, gleichsam wie ein Orchester, die Symphonie des Lebens spielen.

Grundlegende Studien auf dem Gebiet der Molekulargenetik und der Entwicklungsbiologie, die u. a. im Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie durchgeführt wurden, bildeten die Voraussetzung für ein Verständnis der molekularen Schaltprozesse, die bei der Embryonal-Entwicklung ablaufen. Dieses Verständnis ermöglicht den Einsatz der gewonnenen Erkenntnisse und damit auch die Entwicklung vollständig neuer und innovativer Therapiekonzepte.

Bahnbrechende Erkenntnisse über die Entwicklung, ausgehend von dem befruchteten Ei am Beispiel der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, bildeten die Grundlage für weitere Forschungsarbeiten an anderen Organismen. Für diese fundamentalen Einsichten erhielt u. a. Prof. Dr. Christiane Nüsslein-Volhard, Tübingen, den Nobelpreis. Der Befund, dass während der Evolution maßgebliche Schaltprozesse bewahrt worden sind, hat das Studium der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren vorangetrieben. Die Bewahrung dieser Schaltprozesse wird durch ein Höchstmaß an Ähnlichkeit der entsprechenden Schaltergene bei so unterschiedlichen Organismen wie der Fruchtfliege, Zebrafisch, Maus und Mensch dokumentiert. Über diesen Verwandtschaftsbezug war es möglich, bedeutende Schaltergene auch bei Säugern zu finden und in ihrer Funktion im Detail zu untersuchen. Als Modellsystem für Säugetiere kann die Maus dienen, denn ihr Körperaufbau gleicht in Grundzügen dem des Menschen. Deshalb können auch die Prozesse, die die Entwicklung der Maus steuern, auf den Menschen übertragen werden.

Es ist uns gelungen, ausgehend von der Fruchtfliege Drosophila, eine Reihe von Schaltergenen zu beschreiben, die für die Bildung von Organen im Säuger essentiell sind. Bei Ausfall dieser Schaltergene werden wichtige Organstrukturen, wie z. B. das Auge, das Ohr, die Niere, Bereiche des Gehirns oder die Bauchspeicheldrüse nicht oder nur unvollständig gebildet. Dieses Wissen stand am Ausgangspunkt und hat in der Konsequenz dann zur Gründung der Firma DeveloGen geführt. Defekte Körperstrukturen oder -funktionen auf natürlichem Wege über die Verwendung der körpereigenen genetischen Programme im Indikationsgebiet der Diabetes wiederherzustellen ist ein wesentliches Aufgabengebiet des Unternehmens. Die von uns erzielten und patentierten Erkenntnisse können eingesetzt werden, um gerichtet Insulin-produzierende Zellen zu regenerieren. Ziel ist es, die Schaltergene, die während der Entwicklung der Inselzellen aktiv sind, bei Patienten wieder zu reaktivieren. Durch diese Reaktivierung würde die gesamte Genkaskade angeschaltet, die zur Herstellung von Insulin-produzierenden Zellen führen kann. Auch Patienten mit Leberdefekten könnte auf ähnliche Weise geholfen werden - ein Indikationsgebiet, das erst vor kurzem in das Portfolio der Forschungsbemühungen von DeveloGen aufgenommen wurde.

Obesitas (Fettleibigkeit) repräsentiert ein maßgebliches Problem der Gesundheitsfürsorge. Sie geht oft mit chronischen oder akuten Erkrankungen wie Diabetes und Herz-/Kreislaufproblemen einher. Bis heute gibt es keine effektive pharmakologische Behandlung, um die Ursache der Fettleibigkeit zu bekämpfen.

Die Gesetze der Ordnung werden durch Mutanten, die einen spezifischen Gendefekt tragen, bloßgelegt. Durch eine Vielzahl von Mutanten, die erzeugt werden konnten, wird es nun möglich sein, die dabei beteiligten Gene zu identifizieren. Sollten vergleichbare Gene beim Säuger vorhanden sein, so wird dadurch - ausgehend von Drosophila - die Möglichkeit geschaffen, systematisch die molekularen Schalter zu ermitteln, die bei der Fehlsteuerung des Fettstoffwechsels beteiligt sind und zur klinischen Fettleibigkeit beitragen. Ziel ist es, die Natur dieser beteiligten Gene und damit auch mögliche therapeutische Konzepte zu entwickeln, um diese Defekte behandeln zu können.

Ausgehend von dieser Forschungsplattform, die im wesentlichen am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie erstellt worden ist, konnte ein innovatives therapeutisches Konzept entwickelt werden. Dieses Konzept verspricht in Zukunft über körpereigenen Prozesse Heilungschancen für eine Vielzahl von Krankheiten, u. a. Diabetes und klinische Fettleibigkeit. Dabei hat sich das Prinzip des Technologietransfers seit Max Planck nicht verändert. Er sagte einmal: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen“.

Informationen und Kontakt zum Deutschen Zukunftspreis unter:

E-Mail: info@deutscher-zukunftspreis.de
Internet: www.deutscher-zukunftspreis.de

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.

Das Projekt „Molekularbiologische Verfahren für innovative Therapien – Entwicklungsbiologie als Basis innovativer Therapien zur Behandlung von Krankheiten“ wurde von der Max-Planck-Gesellschaft vorgeschlagen.

Nominiert 1999 · TEAM 3