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Nominiert zum Deutschen Zukunftspreis 2021

Nachhaltige Reifen durch Löwenzahn – Innovationen aus Biologie, Technik und Landwirtschaft

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Hier die Statements zum Projekt „Nachhaltige Reifen durch Löwenzahn – Innovationen aus Biologie, Technik und Landwirtschaft“.

Text zum Podcast

Anmoderation:
Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von #DZP und einer faszinierenden Erfindung, die mal wieder zeigt, wie spannend Wissenschaft ist. Mein Name ist Michael Bachmann.

In wenigen Wochen wird in Berlin der Deutsche Zukunftspreis 2021 verliehen. Und heute dürfen wir Ihnen das zweite von den drei nominierten Teams vorstellen: eine Kombination aus Innovatoren aus Wissenschaft und Industrie, die mit dem Russischen Löwenzahn eine Alternative zum Kautschukbaum gefunden haben. Und das ist ein Ansatz, mit dem man mittelfristig auch eine Entlastung für die für unser Klima so wichtigen Tropenregionen, wo der Kautschukbaum größtenteils angebaut wird, schaffen könnte, wie Teammitglied und Fraunhofer-Biologe Prof. Dirk Prüfer bei der Nominierten-Vorstellung betonte.

Prof. Dirk Prüfer: Im Interesse unserer und vor allem aber auch der kommenden Generationen müssen wir jetzt und nicht erst morgen die Ursachen angehen. Denn wir können uns sicher sein, dass die reine Folgenbekämpfung in der Zukunft schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein wird.

Aus unserer Sicht kann uns das aber nur gelingen, wenn wir gleichzeitig praktikable Alternativen anbieten, die sich entwickeln und dann im Markt zur Verfügung stellen. Und exakt hierzu möchten wir mit unserem Projekt - der Entwicklung einer neuen und nachhaltigen Quelle für Naturkautschuk - beitragen.

Sprecher: Nach jahrelanger Grundlagenforschung hat es Team 2 nun geschafft, dank neuer Techniken für Ernte und Weiterverarbeitung, Naturkautschuk aus Russischem Löwenzahn für die Produktion von Reifen herzustellen. Mehr dazu jetzt von Sprecherin von Team 2.

Soundelement

#DZP - Zur Person

Für Dr. Carla Recker war es eine Menge Überzeugungsarbeit, um ihren Kollegen bei Continental klarzumachen, dass ihr Team mit dem Russischen Löwenzahn eine ernstzunehmende Kautschuk-Variante für die Reifenherstellung gefunden hat. Doch auf Basis der Arbeiten der Fraunhofer-Biologen Prof. Dirk Prüfer und Dr. Christian Schulze Gronover waren die ersten technischen Umsetzungsversuche vielversprechend. Und so konnte Continental inzwischen erste Fahrradreifen aus Löwenzahn-Kautschuk herstellen. Das zunehmende Klimabewusstsein gibt dem Projekt nun zusätzliche Schubkraft.

Frage: Frau Dr. Recker, Sie sind mit einem sehr spannenden Projekt für den Deutschen Zukunftspreis 2021 nominiert worden. Was waren denn seinerzeit für Sie die Motivationen, eine alternative Rohstoffquelle für Kautschuk zu finden und diese auch noch in Deutschland zu etablieren?

Dr. Carla Recker: Natur-Kautschuk ist für Reifen und für viele andere Produkte des täglichen Lebens ein essenzieller Rohstoff. Schon damals zeichnete sich ab, dass wir etwa in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts auf ein Nachfrage-Defizit hinauslaufen, einfach, weil die Anbausituation die Entwicklung des Naturkautschuk-Anbaus in den klassischen Anbauländern in Südostasien einen Wandel erfährt. Wenn wir diesen zusätzlichen Bedarf decken wollen würden mit neuen Plantagen, die ja notwendig sind, um den Naturkautschuk dann zu erzeugen, kann man das einerseits machen, indem man das auf Kosten des Regenwaldes in Südostasien tut. Oder man macht sich auf den Weg und etabliert eine alternative Naturkautschuk-Quelle, die nicht in Anbaugebieten Südostasiens, die auf Kosten des Regenwaldes gehen würden, etabliert wird. Der Russische Löwenzahn ist eine Pflanze, die genau dieses Potenzial bietet. Wir haben das wiederentdeckt, nachdem es schon auch im letzten Jahrhundert mal versucht worden ist. Damals sind die Geschichten gescheitert. Man hat es also nicht geschafft, dieser Pflanze zum Durchbruch zu verhelfen. Heute sieht die Situation anders aus und wir haben die Möglichkeit ergriffen, genau diese Pflanze mit einer Anbauregion in allen moderaten Klimazonen und damit auch in Deutschland zu entwickeln, um genau diese Nachfrage-Defizite zu bedienen, ohne dass auf Kosten des tropischen Regenwald das tun zu können.

Frage: Der Russische Löwenzahn gilt nicht als besonders anspruchsvoll, er wächst auch auf ertragsarmen Böden. Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus?

Dr. Carla Recker: Als anspruchslose Pflanze haben wir die Möglichkeit, auch in ertragsschwachen Anbauregionen Deutschlands oder Europas oder in den gesamten moderaten Klimazonen einen erfolgreichen Anbau zu etablieren. Das ist insofern gut, als dass die Landwirte in diesen Regionen händeringend danach suchen, Kulturpflanzen zu bekommen, die überhaupt erfolgreich angebaut werden können. Die Fruchtfolgen sind dadurch relativ eng und begrenzt und wir erweitern die Möglichkeiten, ihre Fruchtfolge zu erweitern, was zusätzliche Beiträge auch zur Agro-Biodiversität in diesen Regionen beitragen kann.

Frage: Lassen Sie uns ein bisschen über das Potenzial sprechen. Rund 14 Millionen Tonnen Naturkautschuk werden weltweit produziert, zwei Drittel davon gehen in die Reifen-Produktion. Welchen Anteil kann perspektivisch der Löwenzahn-Kautschuk hier liefern?

Dr. Carla Recker: Das ist sicherlich schwer zu beantworten und ein langwieriger oder langfristiger Prozess. Ich denke, zu Beginn wäre es erst mal wichtig, die zusätzlichen Bedarfe zu decken mit der alternativen Quelle, um nicht noch mehr Regenwald zu gefährden. Das ist sicherlich der erste Schritt. Wir wollen ja auch nicht die südostasiatischen Kleinbauern arbeitslos machen, ihnen ihre Arbeitsplätze wegnehmen. Das ist nicht unsere Motivation. Ich denke, das wird dann irgendwann ein gesundes Nebeneinander beider Naturkautschuk-Quellen geben. Jeder wird seine Berechtigung haben in ihrer Welt, in ihren Anbauregionen und auch in ihren Verarbeitungsregionen.

Frage: Den Verbraucher interessiert natürlich, wann kann er mit Reifen - aus Russischem Löwenzahn hergestellt - fahren. Im Augenblick gibt es Fahrradreifen seit 2019. Wie ist hier der Business-Plan? Wie geht es weiter bei Ihnen? Dr. Carla Recker: Ja, im Moment haben wir uns auf den Fahrradreifen konzentriert. Das liegt einfach daran, dass wir für die PKW-Reifenproduktion und LKW-Reifenproduktion in sehr viel größerem Maße stabile Versorgungssicherheit haben müssten. Die haben wir im Moment noch nicht so erreicht. Wir erwarten, dass das Ende dieses Jahrzehnts wahrscheinlich eintreten kann.

Frage: Wie können wir uns den Anbau vorstellen? Welche Größenordnungen sind erforderlich, um hier auch zum Ziel zu kommen?

Dr. Carla Recker: Wenn man sich überlegt, was zum Beispiel in Deutschland als Naturkautschuk verbraucht werden würde, wenn man das mit den Zielerträgen multipliziert, die wir anstreben für den ökonomischen Zustand, den wir erreichen wollen - mit einer Tonne Ertrag Naturkautschuk pro Jahr und Hektar - dann würden wir in Deutschland etwa fünf bis sechs Prozent der heutigen Maisanbaufläche für den gesamten deutschen Bedarf an Naturkautschuk benötigen. Das ist immer noch eine Nischenkultur. Das ist jetzt nicht so, dass von Nord bis Süd ganz Deutschland nur mit Löwenzahn bewirtschaftet wird. Das wird man eher gar nicht bemerken in der Landwirtschaft.

Frage: Was können Sie uns über die Qualität des gewonnenen Kautschuks erzählen? Es ist ja nicht der gleiche Kautschuk, den man aus dem Baumkautschuk gewinnen kann. Er hat andere Eigenschaften. Und letztlich geht es ja dann auch um die Reifenqualität. Abrieb ist hier ein großes Thema. Wie ist hier der Unterschied und welche Potenziale ergeben sich möglicherweise auch aus dem Löwenzahn-Kautschuk?

Dr. Carla Recker: Zunächst haben wir in den ersten Reifen-Versuchen gezeigt, dass wir äquivalente Eigenschaften haben zwischen dem Naturkautschuk aus dem Baum und dem Naturkautschuk aus dem Löwenzahn. Das haben wir schon mal sehr froh, dass wir das zu einem relativ frühen Zeitpunkt auch wirklich nachweisen konnten. Und das hat uns auch einen sehr hohen Meilenstein bedeutet in dem gesamten Projekt, weil wir dadurch jeden Zweifler überzeugen konnten. Es ist ja jetzt nicht unbedingt so ganz normal zu sagen: Ich mache jetzt mal aus Löwenzahn schnell Reifen. Das hat schon am Anfang für sehr viel Lächeln gesorgt. Im Laufe der Zeit - und das haben wir beim Fahrradreifen umgesetzt - haben wir gelernt, mit dem Naturkautschuk aus dem Löwenzahn umzugehen und haben es geschafft, auch dort den Performance-Konflikt zwischen Abrieb, Nass-Bremsen und Rollwiderstand in der Laufstreifen-Mischung zu verbessern. Das hängt damit zusammen, dass der Naturkautschuk aus dem Löwenzahn durch die andere Pflanze eine leicht andere Begleitstoff-Zusammensetzung hat. Und das konnten wir in dem Fall positiv umsetzen.

Frage: Jetzt sprechen wir sehr viel über Reifen. Das ist auch bei Ihnen keine große Überraschung. Aber gibt es da noch andere Einsatzmöglichkeiten? Gibt es noch andere Visionen, um den Löwenzahn-Kautschuk einzusetzen?

Dr. Carla Recker: Im Grunde genommen kann der Löwenzahn-Kautschuk in allen Produkten eingesetzt werden, in denen der normale Naturkautschuk heute auch zu Hause ist. Das können Förderbänder sein, das können Mutterlager sein, im Grunde genommen alles, was man heutzutage aus Naturkautschuk macht. Was nicht funktioniert - zumindest kurzfristig nicht - werden Latex- Anwendungen sein, also Handschuhe, oder solche Produkte wird man vermutlich eine gewisse Weile lang noch nicht aus Naturkautschuk aus Löwenzahn machen können.

Das war Carla Recker, die Sprecherin des Nominierten-Teams 2, das in Zukunft Gummi aus Russischem Löwenzahn anstelle des Kautschuk-Baums gewinnen möchte. Im nächsten #DZP-Podcast kommen wir dann zu Team 3 und der Pandemie, die uns nun schon fast zwei Jahre weltweit vor große Herausforderungen stellt. Eines der Gegenmittel kommt aus Deutschland. Bereits vorgestellt haben wir Ihnen Team 1, das mit einem neuen CT-Verfahren viel bessere Einblicke in den menschlichen Körper verspricht.

Und dann darf ich Sie noch auf den 17. November verweisen. An diesem Tag fällt dann in Berlin die Entscheidung, wer der drei Teams in diesem Jahr den Deutschen Zukunftspreis bekommt.

All das finden Sie auch auf der DZP-Webseite, und zwar unter www.deutscher-zukunftspreis.de.