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#DZP – Wissenschaftspodcast

Eine Erfolgsgeschichte, die die Musikindustrie revolutionierte – Interview mit Prof. Karlheinz Brandenburg

Hallo und herzlich Willkommen zum Podcast des Deutschen Zukunftspreises. Mein Name ist Michael Bachmann

... und wir schauen heute auf ein ganz spezielles Jubiläum, das uns in diesem Sommer nochmal vor Augen geführt hat, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit digitale Innovationen in den letzten Jahrzehnten unser aller Leben verändert, Business Modelle über Bord geworfen und ganze Branchen in Frage gestellt haben. Vor 25 Jahren war die Geburtsstunde der MP3. Und einen der Miterfinder habe ich in diesen Tagen getroffen. 

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Prof. Karlheinz Brandenburg sorgte zum ersten Mal öffentlich für Aufsehen, als er in den 1960er Jahren den bayerischen Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ gewann. Was damals niemand ahnte: Der junge Mann aus dem Blockflöten-Quartett würde Musikgeschichte schreiben. Denn 30 Jahre später – Brandenburg hatte inzwischen Elektrotechnik und Mathematik in seiner Heimatstadt Erlangen studiert, promovierte er zum Thema Musikkodierung. Das Ergebnis war die Grundlage des MP3-Formats, das in den Folgejahren die Musikindustrie revolutionieren sollte. Brandenburg wurde über Nacht zum Aushängeschild deutscher Digital-Innovation, erhielt nationale und internationale Auszeichnungen, darunter im Jahr 2000 den Deutschen Zukunftspreis gemeinsam mit seinen Mitstreitern Harald Popp und Bernhard Grill. Nach einem Intermezzo in den renommierten Bell Laboratories von AT&T in den USA baute Brandenburg das Fraunhofer-Institut für Digitale  Medientechnologie IDMT in Ilmenau auf. 

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Michael Bachmann: Ja – und hier in Ihrem Institut für Digitale Medientechnologie in Ilmenau, da sitzen wir jetzt, Prof. Brandenburg. 25 Jahre MP3 – wie haben Sie das Jubiläum gefeiert?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Eigentlich gab es keine besondere Feier. Wir hatten auch mit einem Kollegen in Erlangen Absprache, dass wir von uns aus nichts groß unternehmen. Allerdings haben sich viele Leute das aufgeschrieben, das heißt: Es war mal wieder eine Dichte an Interviews und Zeitungsartikeln, wie es das zwischendurch lange nicht mehr gab. 

Frage: Wie ist der Kontakt zu den ehemaligen Kollegen in Erlangen noch?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Nach wie vor sehr gut. Von den Leuten die damals so aktiv waren, ist nur noch ein kleinerer Teil aktiv und andere auch in verschiedenen Formen des Ruhestands oder Unruhestands. Das Verhältnis ist auch die ganze Zeit über gut geblieben, auch sachlich.

Frage: Sie waren ja damals ein ganzes Team, was diese Entwicklung gemeinsam vorangetrieben hat. Berühmt ist ein Bild, das Sie alle sieben mit dem Projektleiter Heinz Gerhäuser in der Mitte mit Kopfhörern zeigt. Trotzdem ist es ja so, dass Sie als der "Vater von MP3" gelten und jetzt auch zum 25-jährigen Jubiläum immer wieder gefragt wurden: Warum ist das so?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Zum einen, dass von mir wesentliche Grundlagen bearbeitet wurden. Meine Dissertation, wo Prof. Seitzer gesagt hat, das müsste doch gehen, er sucht mal jemanden, der sich das anschaut, ob das funktionieren kann oder nicht - und das war dann ich. Später war es dann auch nochmal ein Zufall, dass bei einer Konferenz in den USA die Leute mich als "Father of MP3" bezeichnet haben und das über die Presse in den USA nach Deutschland so durchgeschlagen ist und dann Deutsche Medien gesagt haben. "Oh, das könnten wir doch personalisieren, das ist doch viel schöner als zu sagen, das ist ein Team". Wobei ich auch nach wie vor nein dazu sagen muss. Wie immer in solchen Arbeiten gibt es zwar Leute, die als Gesicht für die Entwicklung stehen, aber es gibt sehr viele Leute, ohne die das nicht gegangen wäre. Insbesondere in Erlangen, aber auch in anderen Stellen - wie man so schön sagt: "Standing on the shoulders of giants".

Frage: Und so nahm das Ganze dann seinen Lauf und es ist ein neues Standard entstanden, den heute alle kennen. Unsere Kinder kennen gar nichts anderes, denen muss man erzählen, was eine Musikcassette oder eine Schallplatte ist. Wann war für Sie klar, was sie eigentlich hier erschaffen hatten?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Ich habe da zwei Dinge in Erinnerung. Das eine war, wie an amerikanischen Unis das zum Sport geworden ist, MP3s auf ihren Servern zu halten und allen Leuten zu Verfügung zu stellen. Ich war 1997 in den USA zu einer Konferenz und gerade da hat "USA Today“ darüber berichtet. Und da habe ich mir gedacht: "Aha, ok. Jetzt sind wir wirklich weithin bekannt." Das Nächste war - Anfang der 2000er Jahre - als ich in Honkong an einem Schaufenster eines Elektroniklandes vorbeigelaufen bin und 30 verschiedene Typen an MP3-Playern ausgestellt waren. Da habe ich gedacht: jetzt haben wir es geschafft. 

Frage: Die Technologie kam aus Deutschland, das Geschäft haben aber dann andere gemacht. Sie haben es gerade gesagt, in Asien und Nordamerika. Wieso konnte die Wertschöpfung nicht hier in Europa und Deutschland gehalten werden?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Das ist, wie oft in solchen Fällen, eine Mischung aus Schlafmützigkeit der einen Leute - gerade die wenigen Unterhaltungselektronikfirmen, die es in Deutschland noch gab - und Zufällen. Es gab natürlich Start-Ups; es gab Firmen, die solche Ideen hatten, es gab und gibt heute noch ein bisschen Halbleitertechnologie. Das heißt: Die Chips für die ersten Generationen an MP3-Playern sind in Deutschland gefertigt worden - in Freiburg bei der damaligen Firma ITT-Intermetall, später hieß es dann Micronas - und dann nach Korea verschifft wurden, um dort dann in die MP3-Player eingebaut zu werden. Die hatten also mal eine Zeit lang 85-90% Weltmarktanteil an diesen Decoder-Chips. Ich würde trotzdem nicht sagen, dass die Wertschöpfung nur anderswo war. Es ist klar, es hat die Genialität von Steve Jobs gebraucht, nicht nur bei der Entwicklung ihrer eigenen MP3-Player, darauf zu achten, dass die einfache Benutzbarkeit doch viel wichtiger ist als alles andere, aber es waren dann eben Firmen - sowohl Software wie Hardware - in aller Welt. Die großen Software-Firmen waren schon damals in den USA, mit denen haben wir zusammengearbeitet. Was man sagen muss: Dass es hier keine Wertschöpfung gäbe, da würden einige widersprechen. Zum einen hat die Fraunhofer-Gesellschaft über Jahre hin, bis die Patente dann ausgelaufen sind, sehr gut von MP3-Lizenzen gelebt. Das waren erhebliche Summen, die da reingekommen sind. Das war über viele Jahre ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. Und zum anderen gab es auch in anderen Bereichen sehr wohl noch Firmen, also zum Beispiel die Leute bei Sennheiser haben mir erzählt und erzählen das auch heute noch, dass dieser Trend der portablen Abspielgeräte ihnen geholfen hat, dass der Markt für hochwertige Kopfhörer deutlich größer geworden ist. Das heißt, die haben auch daran profitiert. 

Frage: Sie haben schon die Player angesprochen - Apple, Amazon, Spotify. Und Sie sind ja auch selber immer noch Musiker, spielen Keyboard und Gitarre. Tut Ihnen das nicht trotzdem auch ein bisschen in der Seele weh, wenn Sie sich überlegen, was diese Entwicklung dann eigentlich auch beim Künstler selbst bewirkt hat, der ja heute deutlich weniger verdient als das früher in der klassischen Zeit der Musikindustrie der Fall war.

Prof. Karlheinz Brandenburg: So kann man das gar nicht sagen. Wenn man sich die globalen Zahlen zusammenrechnet - Konservenmusik, Live-Bereich, Musikinstrumente, all diese Dinge - dann ist der Umsatz nicht gesunken, eher ein bisschen gestiegen. Es hat nur Verschiebungen gegeben. Und ich habe im Laufe der Jahre auch viele Musiker gesprochen und es war keiner, der das irgendwie sehr kritisiert hat, dass es das überhaupt gab, sondern es haben sich auch Profimusiker eher bei mir bedankt für die Technologie. Die fanden auch, dass es eine tolle Technologie ist, sowohl für sie selber, als auch für den einfachen Zugriff auf Musik. Und was das Ganze ja ausgelöst hat, war gerade, dass die Musik jetzt viel einfacher zugänglich ist. Ich kann mir einen viel größeren Bereich an Musik holen und hören. Also: insofern waren das eher die klassischen Plattenfirmen, die erst einmal schwer zu knabbern hatten, bis sie auf die Idee gekommen sind, dass sie das ja doch positiv sehen und die Technik ausnutzen sollte, anstatt sie zu bekämpfen. 

Frage: Die Demokratisierung hat ja auch funktioniert. Es können heute Leute Musik machen und verbreiten, wo früher die Plattenindustrie vielleicht keinen Plattenvertrag angeboten hätten und das haben wir ja auch in den letzten Jahrzehnten durchaus auch Sterne und Sternchen erlebt, die auf die Art und Weise zur Berühmtheit gelangen konnten. Und man darf ja auch nicht verschweigen: Das, was wir hier machen, wird am Ende auch ein MP3-Format sein – ein Podcast. 
Wenn wir über das Geld sprechen, Herr Prof. Brandenburg, dann wird auch immer wieder die Geschichte erzählt, dass die eigentlichen Erfinder nicht besonders viel davon gehabt hätten. Aber ich glaube, das stimmt nicht ganz.

Prof. Karlheinz Brandenburg: Nein, das stimmt überhaupt nicht. In Deutschland spricht man über so etwas nicht so sehr. Meine Erlanger Kollegen haben mich da schon mal zurückgepfiffen nach dem Motto "Sag doch nicht so viel davon". Aber es gibt ja in Deutschland ein Gesetz, dass die Erfinder beteiligt werden müssen an den Lizenzeinnahmen. Und ich habe schon vorhin gesagt, dass da viele hundert Millionen Euro zusammen gekommen sind für die Fraunhofer Gesellschaft. Ein entsprechender und gar nicht so kleiner Prozentsatz ist an die Erfinder dann weitergegeben worden. Für mich selber hatte das zur Folge, dass ich ein Traumhaus gebaut habe, ohne einen Kredit aufzunehmen und dass ich eine kleine Venture-Kapitalfirma habe und dass ich auch jetzt mein "neuestes Kind", nämlich „Brandenburg Labs GmbH" gegründet habe, ohne - bis jetzt - irgendwelche anderen Leute nach Finanzierung zu fragen.

Frage: Das ist der Podcast des deutschen Zukunftspreises - Sie waren 2000 gemeinsam mit ihren beiden Mitstreitern einer der ersten Preisträger, haben in der Vergangenheit auch dann immer wieder die Veranstaltungen besucht, man sieht sie da jedes Jahr, das heißt Sie sind auch wirklich der Community treu geblieben. Wie hat sich dieser Preis aus Ihrer Sicht entwickelt und welchen Stellenwert hat er bei Ihnen, der Sie ja sehr viel ausgezeichnet wurden?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Um mit der letzten Frage zu beginnen: Es ist natürlich von dem, wie das Ganze damals zelebriert wurde und was die kurzfristige Wirkung danach war mit Aufmerksamkeit in allen Zeitungen, wirklich eine tolle Erinnerung nach wie vor. Ich finde, es ist auch wichtig, dass es solche Preise gibt. Für uns war es damals ein bisschen traurig, dass nur drei Personen dabei sein durften, weil wir eigentlich mit sehr viel mehr Leuten zusammengearbeitet haben. Es waren 40 Leute, die irgendwie damit zu tun hatten und dazu noch die Leute, mit denen wir in der Standardisierung zusammen gearbeitet haben - nicht nur das Erlanger Team, sondern es gibt zum Beispiel in den USA meinen Freund und Kollegen James D. Johnston, genannt "JJ", der zur selben Zeit auf ganz ähnliche Ideen gekommen war, wie ich für meine Dissertation. Das heißt wir haben uns dann, wie ich dort als Post-Doc gearbeitet habe, die Dinge angeschaut und gesagt, wir haben so viele gleiche Ideen, dass wir gerne zusammen weitermachen können. Manchmal stehen wir auch nebeneinander und zeigen auf den anderen: Das ist der andere Erfinder von MP3.

Frage: Ihre Geschichte ging dann so weiter, dass Sie zwar in den USA eine Zeit lang tätig waren, aber sich dann ganz bewusst für Deutschland entschieden haben und dann hierher nach Thüringen, nach Ilmenau, gegangen sind. Warum?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Also erstmal aus den USA direkt bin ich wieder nach Erlangen gegangen und war dort Abteilungsleiter, d.h. ich war plötzlich auch verantwortlich für die Dinge, an denen ich vorher mitgearbeitet habe. Dann hatte ich gesagt, dass ich das auch nicht ewig mache und mir wieder Anderes suche. Zur Zeit des sogenannten "Internet-Bubbles" habe ich mir überlegt, was ich als Nächstes mache. Es waren verrückte Zeiten. Ich weiß, dass ich bei Leuten, die auch über die entsprechenden Ressourcen verfügt haben, gesagt habe, dass ich überlege, in den USA eine Firma zu gründen, so um 1998/99 rum. Und dann kam als Antwort: "wie hoch dürfen wir einsteigen?" Kann man sich heute leider nicht mehr vorstellen... Und dann kam eben die Idee, dass hier in Thüringen, in Ilmenau, ein neues Fraunhofer Institut aufgebaut werden soll. Dann war eben die Chance, nicht in den USA, sondern hier ganz in der Nähe an einer Uni, die schon damals einen sehr guten Ruf hatte; mit einem speziellen Studiengang, der gerade im Aufbau war und genau zu den Dingen gepasst hat, die wir auch erforschen wollten und mit einer Anschubfinanzierung vom Freistaat Thüringen, die in der Höhe war, wie das, was ich in den USA auch unter guten Vorzeichen für eine Firmengründung hätte einsammeln können - das alles ist zusammengekommen und dann habe ich gedacht, dass das mir die Chance gibt, nach wie vor mit den alten Freunden zusammenzuarbeiten und trotzdem etwas Neues aufzubauen. Diese Chance habe ich dann ergriffen. 

Frage: Letzte Frage: Sie sind 66 Jahre alt geworden, frei nach Udo Jürgens haben Sie noch eine ganze Menge vor. Was sind Ihre Pläne für die nächsten Jahre?

Prof. Karlheinz Brandenburg: Also zum einen bin ich ja jetzt sogenannter Seniorprofessor an der TU Ilmenau, d.h. ich mache da noch ein bisschen weiter in der Lehre, ich habe noch eine ganze Menge Doktoranten und Doktorandinnen, betreue noch weitere studentische Arbeiten, das alleine wäre schon genug zu tun - auch wissenschaftlich weiter zu arbeiten. Da gehört auch rein, dass es an der Uni in den letzten Jahren gelungen ist, ein Team aufzubauen, das in Sachen räumlichem Hören auch wirklich Weltspitze sind. Und wo wir das jetzt viel besser verstehen als unsere Vorgänger, was funktionieren kann und was nicht, wie das Hören über Kopfhörer irgendwann so funktionieren kann, dass man tatsächlich das Gefühl hat, woanders zu sein. Und als wir vor zwei Jahren da das Problem hatten, entsprechend größere Förderung an Land zu ziehen, habe ich gesagt "die Ressourcen hab ich noch, dann baue ich noch eine neue Firma auf und mache das selber". Das heißt, diesmal gilt es nicht mehr auf irgendjemand anderen zu zeigen, der was falsch macht. Das ist eine neue Firma in Ilmenau, die „Brandenburg Labs GmbH“, die eng mit der Uni und Fraunhofer zusammenarbeitet und die dann helfen soll, die Dinge in den Markt zu überführen. 

Michael Bachmann: Dafür viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch.

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Von einem ehemaligen Gewinner zu den neuen Nominierten. Denn die Kandidaten für den Deutschen Zukunftspreis 2020 sind jetzt bekannt. Sie finden diese und alle Informationen über ihre Projekte auf unserer Webseite www.deutscher-zukunftspreis.de.
Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal!

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