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Nominiert 2019

CO2

CO2 – ein Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler (Sprecher)
Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner**/***
Dr. rer. nat. Berit Stange
Covestro Deutschland AG, Leverkusen
**RWTH Aachen University
***Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC), Mülheim an der Ruhr

(v.l.n.r.) Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner, Dr. rer. nat. Christoph Gürtler, Dr. rer. nat. Berit Stange

Kraftwerke, Verkehrsmittel und Industriebetriebe, die fossile Stoffe verbrennen oder verarbeiten, stoßen große Mengen an Kohlendioxid (CO2) aus. Die chemische Industrie benötigt ihrerseits Kohlenstoff, einen Bestandteil des Treibhausgases, als Rohmaterial zur Herstellung von Kunststoffen. Ist es möglich, einen Kreislauf zu schließen, indem ein Teil des emittierten Kohlendioxids für die Industrieproduktion genutzt wird?

CO2-Polyol

Dr. rer. nat.  Christoph Gürtler, Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner und Dr. rer. nat. Berit Stange haben den Beleg erbracht, dass sich der Einstieg in einen solchen Kreislauf realisieren lässt – und dass die Verwendung des Treibhausgases CO2 marktfähige Lösungen bietet. Dazu entwickelten die Nominierten ein chemisches Verfahren auf Basis maßgeschneiderter Katalysatoren, das das reaktionsträge Kohlendioxid für die Herstellung von Polyolen nutzbar macht – eine Ausgangssubstanz für vielseitig einsetzbare Kunststoffe.

Christoph Gürtler leitet den Bereich Neue Verfahren und Produkte bei der Covestro Deutschland AG in Leverkusen, Walter Leitner ist Lehrstuhlinhaber für Technische Chemie und Petrolchemie an der RWTH Aachen University und ist zugleich Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr und Berit Stange ist Leiterin Kreislaufwirtschaft Polyurethane der Covestro Deutschland AG.

Kohlenstoff ist unverzichtbarer Bestandteil von Produkten der chemischen Industrie. In komplexen chemischen Verbindungen stellt das Element einen zentralen Baustein für zahlreiche Kunststoffe dar. Gewonnen wird es bislang meist aus Erdöl, Erdgas oder Kohle. Würde stattdessen der Kohlenstoff aus Kohlendioxid-Molekülen genutzt werden, ließen sich die natürlichen fossilen Ressourcen schonen und somit auch der CO2-Fußabdruck der chemischen Industrie reduzieren. Es wäre ein doppelter Schritt hin zu einer „nachhaltigen Chemie“.

Dem standen bisher zwei Hindernisse im Weg: Zum einen sind die Moleküle des Kohlendioxids chemisch träge: Sie lassen sich nur unter großem Aufwand dazu bringen, sich aufzuspalten oder mit anderen Stoffen Verbindungen einzugehen. Zum anderen würde die dafür nötige Energie sowohl den ökonomischen als auch den ökologischen Nutzen untergraben.

Das nominierte Team konnte beide Hürden überwinden. Dazu nutzten die Forscher Katalysatoren, die auch in der konventionellen Kunststoff-Herstellung zum Einsatz kommen, die sie aber für die Reaktion mit CO2 weiterentwickelten. Die Katalysatoren verringern die Aktivierungsenergie der CO2-Reaktion und bringen die Moleküle so dazu, sich unter vergleichsweise geringem Energieaufwand mit Epoxiden als Reaktionspartnern zu stabilen Polyolen zu vereinen. Diese chemischen Verbindungen wiederum lassen sich beispielsweise zu Polyurethan weiterverarbeiten – einer Klasse von Kunststoffen, die in zahlreichen Produkten Verwendung findet. Die Forschergruppe aus Wissenschaft und Industrie stellte dabei sicher, dass sich die Moleküle in einem wohldefinierten Anteil in das Polyol einbauen. Sie passten dabei das Verfahren so an, dass es sich in bestehende industrielle Prozesse einbinden lässt. Die einzelnen Schritte sind durch zahlreiche Patente abgesichert.

Wegen der vielseitigen Anwendbarkeit von Polyurethan macht die Innovation den „Abfallstoff“ Kohlendioxid zum kostbaren Gut für die Herstellung einer breiten Palette von Produkten. Dazu gehören zum Beispiel Weichschäume für Matratzen oder Polster, sowie Bindemittel und Klebstoffe. Der Einsatz in Hartschäumen, wie sie in Dämmungen zum Einsatz kommen, wird erforscht. Die Anwendung in Textilien befindet sich in der Umsetzung. Der Clou dabei: Der Bedarf an fossilen Rohstoffen für die Herstellung der Polyole sinkt ebenso wie der Energiebedarf über die Wertschöpfungskette. Entsprechend verringert sich der Ausstoß an klimaschädlichem Gas an dieser Stelle. Dabei sind die auf Basis von CO2 hergestellten Produkte qualitativ mindestens so gut und zum Teil hochwertiger als vergleichbare Produkte aus rein fossilen Rohmaterialien. Zudem lassen sie sich zu marktfähigen Kosten produzieren – das macht die Nutzung von Kohlendioxid nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch attraktiv.

Um die Vorzüge des geschaffenen Kohlenstoff-Kreislaufs auch bei der Fertigung im industriellen Maßstab aufzuzeigen, betreibt Covestro in Dormagen seit 2016 eine Pilotanlage für die Herstellung von Polyolen mit einem Kohlendioxid-Anteil von bis zu 20 Prozent. Die Anlage, in deren Aufbau das Unternehmen 15 Millionen Euro investiert hat, kann bis zu 5.000 Tonnen CO2-basierter Polyole jährlich erzeugen, die unter dem Markennamen cardyon® vertrieben werden. Abnehmer sind unter anderem das belgische Unternehmen Recticel, das daraus Polyurethan-Schaumstoffe für Matratzen herstellt, sowie die Firma Polytan aus Berlin, die das Material für Bindemittel in Bodenbelägen für Sportplätze einsetzt. Darüber hinaus wurde kürzlich zusammen mit einem Textilunternehmen eine erste Anwendung für Textilien realisiert: Hier werden Vorprodukte für elastische Textilfasern mit CO2 hergestellt. Und auch die Herstellung von oberflächenaktiven Substanzen, wie sie in Waschmitteln zum Einsatz kommen, werden mit dem Verfahren getestet.

Das Marktpotenzial für die Innovation und entsprechende Produkte ist immens – und die Reduktion des CO2-Ausstoßes über die Wertschöpfungskette der Polyole in der chemischen Industrie beachtlich: Der weltweite Bedarf an diesen Polyol-Bausteinen für Produkte aus Polyurethan beträgt rund 4 Millionen Tonnen pro Jahr. Wenn davon nur rund 20 Prozent mithilfe von Kohlendioxid aus Abgasen hergestellt würden, ließen sich jährlich bis zu 150.000 Tonnen fossiler Rohstoffe einsparen – und gleichzeitig eine entsprechende Menge an CO2-Emissionen. Darüber hinaus ist die Verwendung von Kohlendioxid nach einem ähnlichen Prinzip auch zur Herstellung anderer chemischer Materialien denkbar, was den ökologischen Effekt vervielfachen könnte. An den verfahrenstechnischen Grundlagen dafür arbeiten die Nominierten bereits. Ihr Ziel ist es, eine Plattform-Technologie für zahlreiche Anwendungen zu schaffen – und damit die Vorreiterrolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen, ressourcen-, umwelt- und klimaschonenden Chemie noch auszubauen.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.


Das Projekt „CO2 – ein Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe“ wurde von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V., der HRK Hochschulrektorenkonferenz und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V eingereicht.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht am 27. November 2019 den Deutschen Zukunftspreis an eines der drei nominierten Teams.

"Man muss ein gutes, ein richtiges Ziel haben."

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner

Fragen an die Nominierten

Alle reden von CO2, über die problematischen Konstellationen, die sich für die Umwelt daraus ergeben. An Sie vorab die ganz einfache Frage: Was ist denn CO2 eigentlich?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Das kommt darauf an: Es gibt ganz unterschiedliche Weisen, wie CO2 wahrgenommen wird. Der eine oder andere kennt CO2 vielleicht aus dem Feuerlöscher, den er zu Hause stehen hat. Die Leute, die gern auf Konzerte gehen, kennen CO2 als Nebel, der aus der Nebelmaschine kommt, und – das kennen fast alle – im Mineralwasser die Kohlensäure; das ist dann CO2, wenn es sich mit Wasser zur Kohlensäure verbunden hat. Und natürlich ist CO2 überall präsent als Treibhausgas – als das große Problem im Klimawandel.

Für den Chemiker ist CO2 zunächst einmal ein dreiatomiges Molekül, mit dem Kohlenstoffatom in der Mitte und zwei Sauerstoffatomen, die dort mit diesem Kohlenstoff gebunden sind.

Auch der Mensch atmet unentwegt CO2 aus: Damit wir Energie erzeugen, nehmen wir Sauerstoff auf, verbrennen damit kohlenstoffhaltige Nahrungsmittel, die wir zu uns genommen haben, machen daraus CO2. und geben es dann über die Atmung wieder ab.

Und die Natur nutzt es – sie macht es uns vor: Sie nutzt CO2 als zentrales Ausgangsmaterial, um die ganze organische Chemie der natürlichen Welt, sprich die Biomasse, aufzubauen. Dabei ist CO2 in der Fotosynthese der entscheidende Lieferant für Kohlenstoff.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Damit können wir jetzt gleich den Schwenk auf unser Projekt machen: Früher haben wir CO2 als unschönen Abfallstoff abgetan, jetzt wir sehen wir es zunehmend als Ressource, ein wenig inspiriert von der Natur. Es geht um ein chemisches Verfahren, für das wir das vorhandene CO2 sehr gut nutzen können. Es enthält das wichtige Element Kohlenstoff, das wir brauchen, um Polymere und Materialien für unser tägliches Leben aufzubauen.

Es ist ja wohl ein alter Chemiker-Traum, diesen natürlichen CO2-Kreislauf zu adaptieren …

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Ja – CO2 zu nutzen war für den Chemiker immer schon eine Herausforderung, und die Frage ist, warum die Natur das kann und wir nicht.

Der Grund mag sein, dass wir es einfach hatten: Der Kohlenstoff, den die Natur erst einmal aufgebaut und dann in den Sedimenten als fossile Rohstoffe deponiert hat, stand und steht uns noch zur Verfügung. Die Natur hat uns die Arbeit abgenommen und das Kohlendioxid auf ein höheres Energielevel gebracht, sodass wir den Kohlenstoff in Form der fossilen Rohstoffe nutzen können.

Gleichzeitig hat es immer Chemiker gegeben, die von diesem CO2-Molekül fasziniert waren und sich gefragt haben, was daran so schwierig ist. Wie kriegen wir das mit chemischen Technologien hin? Und das ist, unabhängig von allen Diskussionen über Klimaschutz, die wissenschaftliche Neugier, da ist etwas Schwieriges, und wie können wir das anpacken?

Sie hatten schon kurz den Zusammenhang zu Ihrem Projekt hergestellt. Bitte erläutern Sie die Entwicklung Ihrer Innovation.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Wir haben ein Verfahren zur Herstellung eines wichtigen chemischen Bausteins für Kunststoffe, Polyurethanschaumstoffe, entwickelt, mit dem wir im Vergleich zu anderen Verfahren fossile Rohstoffe einsparen können. Und die Menge, die wir einsparen, „füllen“ wir mit der gleichen Menge CO2 auf. Das ist in etwa so, als wenn man zur Tankstelle fährt: Früher hat man, je nach Auto, für 100 Kilometer zehn Liter benötigt, jetzt sind es nur noch acht Liter. Damit sinkt auch der sogenannte Kohlenstofffußabdruck des neuen Bausteins im Vergleich zum herkömmlichen.

Das ist im Bereich Chemie, Chemietechnik und Produktion ein echter Quantensprung, denn erstmalig gelingt es, eine größere Menge des Bausteins herzustellen, ohne dass wir mehr fossilen Inhaltsstoff hineingeben müssen. Das ist das, was man gemeinhin als „disruptiv“ bezeichnet.

In der Reaktion reagiert das CO2 mit einer energiereichen Komponente, die man ohnehin verwenden muss, einem sogenannten Alkylenoxid, in unserem Fall Propylenoxid. Es entsteht ein sogenanntes Polyol, eine farblose Flüssigkeit. Und es gelingt jetzt, nur noch 80 Prozent Propylenoxid zu verwenden – und 20 Prozent CO2, das das Propylenoxid ersetzt. Das Polyol wiederum braucht man, um daraus die Schaumstoffe herzustellen.

Das klingt sehr, sehr einfach und verlockend, war aber Gegenstand längerer wissenschaftlicher Untersuchungen, und das Ergebnis basiert auf einer intensiven Zusammenarbeit.

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Da kommen wir an der RWTH (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen) ins Spiel. Wenn wir uns vorstellen, wie Polymere aufgebaut sind, dann gibt es in diesem Material lange Ketten. Bisher stand in diesen Ketten eines von diesen Propylenoxidmolekülen neben dem anderen. Jetzt schieben wir immer mal wieder CO2-Moleküle in diese Kette ein. Das heißt, das CO2 in diesem Material wird chemisch in diesen Ketten permanent gebunden, und die Herausforderung war, es so hinzubekommen, dass die beiden molekularen Partner sich „mögen“. Dafür braucht man einen Katalysator, denn der ursprüngliche war darauf ausgelegt, nur das Propylenoxid aufzureihen.

Hier greift jetzt die Grundlagenforschung am CAT (CatalyticCenter), um herauszufinden, wie das geht. Welche Eigenschaften hat der Polymerbaustein, wenn man plötzlich so viel Propylenoxid durch CO2 ersetzt? Wie lang werden die Ketten? Genau so lang wie vorher, oder werden sie kürzer? Kann man vielleicht noch weitere Partner in die Kette einbauen, um neue Anwendungen zu erschließen?

All diese Fragen mussten erst einmal verstanden werden, damit es dann mit den Partnern zusammen zu dem neuen Verfahren kommen konnte, also in einer Dreiecksbeziehung – Verfahrensentwicklung und Upscaling bis hin zum Produktverständnis. Jeder hat seine Rolle, damit es dann in einer erstaunlich kurzen Entwicklungszeit tatsächlich funktionierte. Das mag jetzt überraschend klingen, dass sieben oder acht Jahre eine kurze Entwicklungszeit sind. Relativ zum Berliner Flughafen ist alles kurz. 15 bis 20 Jahre ist eigentlich die ganz normale Entwicklungszeit.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Man muss erst einmal eine solche Katalysatorgrundstruktur finden, die prinzipiell die Reaktion ermöglicht – sozusagen das Grundgerüst. Normalerweise ist das eine ziemlich aufwendige Suche. Im konkreten Fall wussten wir, mit welcher Katalysatorstruktur wir die Untersuchungen starten können, weil sie Propylenoxid bereits gut polymerisiert. Und jetzt wollten wir ihr beibringen, auch mit CO2 umzugehen.

Und jetzt kommt das Spannende: Der tatsächliche Katalysator, der in der Reaktion aktiv ist, entsteht erst während der Reaktion – aus dem vermeintlichen Katalysator, der ursprünglich eingesetzt wird. Und auf dem Weg dorthin kann man eine Menge falsch machen. Das muss man eben nur wissen – und dazu muss man sehr sorgfältig auf solche Effekte achten. Das ist beim Propylenoxid ganz anders als bei Propylenoxid und CO2.

Wir hatten am CAT in Aachen versucht herauszufinden, wie das wissenschaftlich vor sich geht. Die Kollegen in Leverkusen haben das mit in den technischen Zusammenhang gebracht, also verheiratet. Das ist wirklich wichtig, denn der Erfolg entstand aus der Zusammenarbeit. Der Begriff „Katalysator“ steht ja auch synonym für „Zusammenarbeit“. Das Wissen nutzen, selber Wissen schaffen und dann schauen, wie man daraus größere Mengen Chemie und Produkte machen kann – dazu haben wir alle Gewerke zusammengebracht. Das ist uns in diesem Fall auch geglückt, da kann ich alle Beteiligen nur ausdrücklich würdigen!

Dieses Wissen haben wir dann in ein kontinuierliches Verfahren übertragen – nur ein solches ist wirtschaftlich sinnvoll. Die Parameter ändern sich noch einmal, neue Fragen kommen dazu. Wir haben auf dem erarbeiteten Kenntnisstand dann – unterstützt vom BMBF – eine Miniplant-Anlage in Leverkusen gebaut, noch im Format einer Waschmaschine, aber schon so, dass wir den eben genannten „Polyol-Baukasten“ für verschiede Anwendungen zu Testzwecken herstellen können. Diese Anlage ist so gestaltet, dass damit prinzipiell die Funktionen einer späteren Großanlage abgebildet werden können.

Und dann sind Sie, Frau Dr. Stange, hinzugekommen und haben daraus etwas gemacht, was jetzt im Markt ist …

Dr. rer. nat. Berit Stange
Das beginnt natürlich schon viel, viel früher, denn wenn man eine solche Innovation entwickelt, baut man nicht zuerst die Anlage und sagt dann:„Oops, was machen wir damit?“

Wir haben definiert, was diese Polyole leisten müssen, wie die Struktur-Eigenschafts-Beziehung ist, wie wir diese einsetzen können; dabei haben wir eng mit Kunden zusammengearbeitet.

Die Polyole sind ja einer von zwei Bestandteilen des Polyurethans, einem Material aus unserem Leben. Eine der bekanntesten Anwendungen ist Weichschaum, zum Beispiel in der Matratze. Man hat auch frühzeitig erkannt, wie man die Polyole designen muss, um sie wirklich als Komponente für Polyurethanmatratzen zu nutzen, dann kam gemeinsam mit dem Kunden das Weitere.

Das ist auch der Gedanke für die weitere Forschung und Entwicklung, das CO2-basierte Verfahren als Plattformtechnologie zu etablieren. Wir haben mit Weichschaumanwendungen im Matratzenmarkt angefangen, aber auch schon weitere Anwendungen mit den neuartigen Polyolen demonstriert, zum Beispiel einen Sportplatzbelag, wo es als Bindemittel für die Unterkonstruktion zum Tragen kommt. Und parallel dazu sind noch ganz andere Innovationen in der Pipeline, wie man das CO2 als Substitution für die fossilbasierten Rohstoffe verwenden kann.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Hier kommt jetzt wieder die Kreativität der Chemiker zum Tragen. Wir haben überlegt, wie wir die Anforderungen verschiedenster Anwendungen in unsere CO2-Technologie übersetzen können – und in das Verfahren, das wir entwickelt haben. Damit ist dieses jetzt ausgesprochen vielseitig – und wir können Polyolbausteine herstellen, die für viele weitere Dinge des täglichen Lebens verwendet werden können. Das sind Fasern, Elastomere, Fensterdichtungen, Teile für Stoßdämpfer, diese haben wir hier zusammen mit anderen Instituten der RWTH Aachen zum ersten Mal hergestellt – geleitet von der Frage, wer was nach welchem Verständnis wie am besten zusammenbauen kann, sodass im Endeffekt der größtmögliche Nutzen daraus entsteht.

Dahinter steht die Frage, wie letztlich Innovation zustande kommt: Es ist die richtige Konstellation, damit man schnell und zügig so eine Entwicklung vorantreiben kann. Erst dann kommt die technische Ebene.

Wir saßen hier vor zehn Jahren und haben uns überlegt, wie wir das Ganze in ein großes öffentliches Projekt einbringen können. Du, Walter, warst maßgebend an der Gesamtgestaltung beteiligt, und so fügte sich das eine gut zum anderen. Es ging darum, welche Konstellation möglich ist, welche Partner wir mit hineinnehmen, wie wir über das reden, was wir da machen. Und es ist auch sehr wichtig, dass Hochschule und Industrie für ein gemeinsames Ziel an einem Strang ziehen.

Hier sind die Neugier und der Wunsch, Neues zu kreieren. Ist das Bewusstsein der sich abzeichnenden Begrenzung fossiler Ressourcen ein zusätzlicher Antrieb?

Dr. rer. nat. Berit Stange
Auf jeden Fall! Für uns war es auch die Frage, wie wir unabhängig von Erdöl werden könnten, wie wir andere Kohlenstoffquellen finden. Mit dem CO2 haben wir im Prinzip so einen Rohstoff. Und wir bringen CO2 als Abfallprodukt wieder zurück in die Wertschöpfungskette und schließen damit Kreisläufe. Das ist ein großes Thema.

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
In der Wissenschaft ist der Begriff der „Green Chemistry“ international eingeführt worden. Wir brauchen Chemieprodukte, sie sind essenziell für unser Leben, für die Möglichkeit, neun Milliarden Menschen auf diesem Planeten eine Heimat zu geben. Aber wir müssen die Chemie auch so gestalten, dass sie dem Prinzip der Nachhaltigkeit gerecht wird. Das ist auch der Treiber für das, was wir in der Forschung, in der Grundlagenforschung konkret machen. Dabei ist die Nutzung von CO2 ein ganz wesentlicher Aspekt.

Mein Kollege Prof. André Bardow hier an der RWTH hat in einer umfangreichen Studie nachgewiesen, dass dieses spezielle Verfahren nicht nur die CO2-Bilanz verbessert, sondern dass es sich auch in einer Reihe anderer Umweltkriterien besser darstellt. Wir versuchen, das nun auch in vielen anderen Reaktionen zu berücksichtigen, bei anderen Synthesen, die vielleicht gar nichts mehr mit der Kunststoffproduktion zu tun haben. Das ist, was uns auf der wissenschaftlichen Seite über das konkrete Projekt hinaus noch antreibt und was wir jetzt auch in unserer Forschung am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion mit Nachdruck verfolgen.

Lassen Sie uns nun auf die Produkte kommen. Welche Entwicklungen zeichnen sich ab?

Dr. rer. nat. Berit Stange
Solche Produkte – oder Polymere – beruhen immer auf einer Struktur-Eigenschafts-Beziehung. Welche Eigenschaften brauche ich, um dann diese Anwendung zu bekommen? Wie verschieden können diese Eigenschaften sein?

Was wir jetzt gelernt haben, sind diese weichen Eigenschaften, weiche Polyole und damit Matratzen. Man kann aber auch die Ketten so designen, dass man einen sehr kompakten Schaum erhält. Der dient dann als Isolationsmaterial, das kann man im Baubereich einsetzen oder auch im Kühlschrank als Dämmschicht. Hier haben wir bereits Projekte gestartet. Im Automobilbereich wird für die Automobilsitze ebenfalls sehr viel Schaum verwendet. Wir können das Anwendungsspektrum wirklich verbreitern. Es gibt einen Ansatz mit Textilien, der sehr vielversprechend ist: Hier stellen wir aus unseren Polyolen elastische Fasern her.

Dann sind Sie noch ganz am Anfang mit Ihren Ideen?

Dr. rer. nat. Berit Stange
Ja. Und die gehen uns auch noch lange nicht aus. Wir haben gezeigt, dass wir es prinzipiell können: Wir haben ein erstes Produkt mit CO2 auf dem Markt. Das ist erst der Anfang, die Basis für weitere Schritte und ein breiteres Produktportfolio.

In diesem ersten Schritt beträgt der Anteil des Ersatzes fossiler Rohstoffe durch CO2 rund 20 Prozent. Ist es vorstellbar, dass dieser Anteil noch größer wird?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Theoretisch schon. Es gibt im Prinzip zwei Ansatzmöglichkeiten: Wir können, wie hier, das CO2 möglichst nahe am Endprodukt einbauen. Dann ist der Hebel relativ sehr hoch, aber in einem definierten Rahmen. Wir können uns natürlich auch vorstellen, dass wir aus CO2 Grundprodukte, also Basischemikalien, herstellen, die früh in die Wertschöpfungskette eingehen und über viele Stufen weiterverarbeitet werden. Dann ist zwar der relative Hebel vielleicht nicht ganz so groß, dafür ist die Anwendungsbreite sehr viel höher.

Das ist dann die nächste Stufe der Rakete: Es entwickeln sich weltweit viele Aktivitäten auf diesem Gebiet. Aber es gibt einen wichtigen Punkt zu beachten: Bei anderen Reaktionen zur Umsetzung von CO2 brauchen wir in der Regel zusätzlich Energie. Das ist die Schnittstelle zum Energiesystem, denn dann benötigen wir erneuerbare Energien, um das Ganze zu treiben. Unter dem Stichwort „Power-to-X“ versteht man Technologien, die sich dafür eignen, erneuerbare Energien mithilfe von CO2 als Kraftstoffe oder Chemikalien zu „ernten“. Hier muss die Sektorenkopplung zwischen Energie- und Chemiewirtschaft neu gedacht werden, und das ist ein ganz großes Feld.

Mit der erfolgreichen Umsetzung hier haben wir einen „Showcase“: Es funktioniert bis hin zum Produkt. Und das ist dann wieder Motivation, ins Labor zurückzugehen und zu sagen: Es lohnt sich, was wir tun!

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler

Man muss unbedingt beides tun, um die Nutzung von CO2 voranzubringen! Wir sind ja auch gemeinsam als Covestro, RWTH und MPI in großen Konsortien und Projekten (zum Beispiel Kopernikus Power-to-X, Carbon2Chem und Carbon4PUR) engagiert, um in die nächste Größenordnung der CO2-Nutzung zu kommen.

Für den konkreten Polyurethanfall: Wir müssen sehen, welche Produkte wir mit der Plattformtechnologie herstellen wollen. CO2 wird in die Polymerkette fest eingebaut wird – das lässt dabei gleichzeitig auch neue Eigenschaften in Polymeren entstehen. Bei Fasern und Elastomeren führt der Einbau von CO2 dazu, zu wirklich guten Fasern und Elastomeren zu kommen. Wir dürfen es aber nicht übertreiben, weil die Eigenschaften auch wieder schlechter werden können. Bei der Matratze zum Beispiel führt zu viel eingebautes CO2 dazu, dass diese dann härter oder zu hart wird. Und es gibt heutzutage sehr hohe Anforderungen der Kunden an diese Produkte. Das bedeutet: Man muss mit Realismus herangehen, so viel CO2 wie möglich sinnvoll ersetzen und dabei unbedingt die Anwendung im Hinterkopf haben, also dass das Produkt auch gekauft und gerne genutzt wird. Wir müssen von der Wissenschaft über die Produktion bis hin zum Produkt und zur Anwendung denken – und dabei alles klar im Blick haben.

Dr. rer. nat. Berit Stange
Würde man zum Beispiel den CO2-Gehalt in dem Polyol für Matratzen erhöhen, wird die Matratze härter. Zudem ändert das Polyol die Eigenschaften: Es wird zähflüssig und lässt sich nicht mehr so gut industriell verarbeiten. Unsere Kunden haben ein gewisses Verarbeitungsfenster, und wenn man ein neues Produkt in den Markt einführen möchte, muss man sich in diesem Verarbeitungsfenster bewegen. Sonst könnte e für den Kunden bedeuten, dass er in eine neue Anlage oder Technologien investieren muss. Damit wäre die Markteintrittshürde deutlich höher: Wir hätten ein schönes Produkt, fänden aber keine Anwendung. Es ist von vornherein wichtig, den Markt und die Kundenanforderung zu kennen, um Produkte auch in die industrielle Anwendung zu bekommen.

Das klingt jetzt alles schlüssig und einfach. Hat es auf diesem Weg irgendwo einmal gehakt insofern, dass man sich nicht sicher war, wie es weitergeht?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Am Anfang war es die große Diskussion: Was wollt ihr denn mit CO2, das ist das Endprodukt der Verbrennung, also chemisch stabil, damit kann man nie etwas anfangen. Das führt zu nichts. Es ist schon richtig, dass nicht jeder Pfad sinnvoll ist. Aber wenn man die richtigen Pfade auswertet, dann geht es. Allerdings nur mit viel Forschung und dem richtigen Katalysator. Und es gibt natürlich auch im Labor die Tage, an denen man frustriert nach Hause geht und sagt: Es hat nicht funktioniert.

Aber das gibt es immer. Wichtig war, dass wir diejenigen, die das Projekt in seinen unterschiedlichen Phasen finanziert haben, immer so weit mit schrittweisen Erfolgen überzeugen konnten, dass es weiterging. Und das ist übrigens auch das Kennzeichen dieser Partnerschaft.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Wir können offen darüber sprechen: Unsere Produktionsanlage in Dormagen kostet 15 Millionen Euro. Das ist viel Geld und geht in die Bilanzen. Das beeinflusst finanzielle Kennzahlen, und man muss eben sehr, sehr gute Argumente haben, um das zu realisieren. Das haben wir auch nicht von jetzt auf gleich hinbekommen. Aber ich glaube, wir hatten das richtige Konzept, sodass es nun Realität ist.

Sie bieten jetzt Produkte auf einer anderen Rohstoffbasis an. Wie haben die Kunden reagiert? Ist der Ersatz fossiler Rohstoffe ein Argument? Oder gab es Skepsis?

Dr. rer. nat. Berit Stange
Für die Kunden bedeutet es, ihre Produkte weiterhin auf konventionelle Weise herstellen zu können, allerdings jetzt mit alternativen Rohstoffen – einem CO2-Anteil – und damit eine gewisse Nachhaltigkeit zu erreichen.

Als Feedback gab es beides: Viele Kunden fanden es super, dass diese Lösung angeboten wird, und wollten gleich als Erste mit dabei sein. Andere waren zurückhaltender, auch aufgrund der Verfügbarkeit. Unsere Demo-Anlage hat eine Kapazität von 5.000 Tonnen – der weltweite Verbrauch von Polyolen für Polyurethan Rohstoffe beträgt rund 7,7 Metertonnen. Inzwischen wird gefragt, warum wir die Anlage so klein gebaut haben. Das schauen wir uns natürlich auch an: Wie können wir die Technologie in einen größeren Maßstab bringen? Produkte auf der Basis von CO2 faszinieren die Menschen! Wir werden sehr häufig positiv darauf angesprochen.

Gibt es Wettbewerb?

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Es gibt weltweit Anstrengungen in dieser Art, sie konzentrieren sich aber häufig auf den Ansatz, möglichst viel CO2 in die Kette einzubauen. Wir wollten nicht die maximale Menge einfügen, sondern die für die Produkte optimale. Diese anderen Entwicklungen sind bisher im Pilotmaßstab, und wir sind mit unserm Ansatz „first in market“. Zudem haben wir unsere Technologie umfassend durch Patente geschützt.

Welche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze hat Ihre Innovation bereits jetzt, und was kann sich daraus entwickeln?

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Was passiert, wenn wir nicht umdenken? Was passiert, wenn wir keinen Ersatz für fossile Rohstoffe finden? Auf den ersten Blick haben wir vielleicht einige Hundert hoch qualifizierte Stellen in Deutschland geschaffen oder gesichert. Langfristig trägt unsere Arbeit vielleicht dazu bei, dass viele Tausend Stellen in den Wertschöpfungsketten erhalten bleiben. Vielleicht exportieren wir schon bald nachhaltige Technologien aus Deutschland ins Ausland. Wir werden das erst in einigen Jahren wirklich beurteilen können.

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Der Weg zur Nachhaltigkeit ist für den Produktionsstandort Deutschland als Hochlohnland essenziell. Das ist es, wo wir eine Vorreiterrolle übernehmen können – in der Entwicklung von der Petrochemie hin zur Nutzung alternativer Rohstoffe. Und darauf vorbereitet zu sein ist essenziell. Hier zieht jetzt unser „Showcase“! Es ist nicht die Matratze, die Tausende von Arbeitsplätzen erzeugt. Es ist ein Schritt für die chemische Industrie als zentralen Sektor unserer deutschen Wirtschaftslandschaft. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Das ist jetzt ein Meilenstein, viele müssen folgen, aber es ist ein wesentlicher Schritt, der da greift.

Was man auch nicht unterschätzen sollte, ist die Einstellung der jungen Menschen, die von ihrem Arbeitsplatz mehr erwarten als nur materielle Sicherheit. Hier ist eine Chance, zu sagen: Hey, Green-Chemistry-Industrie, das könnte etwas werden, hier können wir was verändern.

Das gilt gerade auch für die Ausbildung der Chemiestudenten. Mit solchen Beispielen können wir auch in der Lehre verdeutlichen, dass wir nicht alles so machen müssen, wie es gewesen ist, sondern dass es auch andere Ansätze gibt. Und das dann am realen Beispiel verdeutlichen zu können ist ein unschätzbarer Wert – zeigen zu können, dass es wirklich geht. Wir merken es auch, wenn wir Angebote machen, Workshops, Summerschools zum Thema Green Chemistry: Wie kann man Nachhaltigkeit, wie kann man diese Produktionswege verändern? Ich glaube, das ist ein tolles Signal, das wir mit der Geschichte hier setzen.

Veränderungen forcieren, Klima für Innovationen schaffen – in Ihrem Fall ist das sicher auf die Zusammenarbeit universitärer und industrieller Forschung zurückzuführen. Woraus entstehen Innovationen, welche Ansätze gibt es in Ihrem Haus, die dieses innovationsoffene Klima befördern?

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Ich glaube, das kann ich für uns, für unseren Konzern in Anspruch nehmen: Wir hatten stets das Vertrauen unseres Managements, dass wir das Richtige tun. Und es hat auch etwas mit Mut zu tun, Geld in die Hand zu nehmen – Unternehmensgeld und Fördermittel –, um voranzugehen. Dieses Vertrauen haben wir bekommen! Ich kann sagen, dass Innovation bei Covestro einen sehr hohen Stellenwert hat: bunt, neugierig und mutig!

Der Faktor Neugierde ist natürlich wichtig: Wie funktioniert das, was müssen wir tun? Diese Faktoren sind zusammengekommen, sie waren ein positiver Stimulus für uns. Wesentlich ist auch, dass man nicht zu große Organisationen aufsetzt, sondern kleinteiliger, im überschaubaren Rahmen etwas bewegen kann: Eine kleine schlagkräftige Organisation, die mit dem vollen Vertrauen vonseiten des Managements auf die Reise geschickt wird, das ist etwas, was uns sehr hilft.

Dr. rer. nat. Berit Stange
Es ist dieses starke Interesse von uns allen – der Kolleginnen und Kollegen – an bedeutungsvollen Aufgaben. Wir wollen wirklich etwas bewegen. Ich habe im Studium gelernt: CO2 ist träge, und es lässt sich nicht zum Reagieren bewegen. Und wenn, dann nicht ökonomisch und ökologisch!

Wir haben das Gegenteil bewiesen, haben Grenzen verschoben. Das treibt enorm an und ist wieder der „Katalysator“. Wir merken das zum Beispiel, wenn die Absolventen von der Uni zu einem Bewerbungsgespräch bei Covestro kommen. Sie haben über das CO2-Projekt gelesen und finden toll, was hier gemacht wird. Covestro ist ein relativ neues Unternehmen, der Name ist noch nicht so bekannt und durchgedrungen. Man merkt wirklich, dass die Studierenden zu uns wollen, weil sie hier eine bedeutungsvolle Aufgabe sehen und etwas für die Gesellschaft bewegen können.

Dr. rer .nat. Christoph Gürtler
Ja – ich glaube auch, dass wir durch unser Projekt, wie wir es gelebt haben, wie wir es gemacht haben, auch in der Unternehmenskultur etwas verändert haben.

Frauen in technischen Berufen im weitesten Sinn sind immer noch ein unterbesetztes Thema. Tut Ihr Haus etwas dafür?

Dr. rer. nat. Berit Stange
Auch hier spielt meines Erachtens Partnering eine große Rolle, und es hat sich sehr viel getan. Am Anfang meiner Karriere war es unüblich, als Mann in Elternzeit zu gehen, mittlerweile werden die frischgebackenen Väter gefragt, warum sie keine Elternzeit nehmen. Unser Unternehmen bietet den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Chance, ihre beruflichen Interessen mit den unterschiedlichen Lebensstilen zu vereinbaren.

Covestro fördert ein Arbeitsumfeld, in dem Vielfalt eine sehr große Rolle spielt, in dem jeder mit Respekt behandelt wird und jeder andere respektvoll behandelt. Genau diese Vielfalt ist es, die eine frische Denkweise ermöglicht und bei der Entwicklung innovativer Anwendungen einen Vorteil bietet.

Ich persönlich freue mich, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem Diversität nicht nur ein Programm ist, sondern auch gelebt wird – in dem Frauen gerne arbeiten und neben klaren Chancen für einen beruflichen Aufstieg auch gerecht bezahlt werden.

Das Unternehmen bekennt sich zu „People, Planet, Profit“ – in dieser spannende Reihenfolge. Allerdings ist dieses Unternehmen auch an der Börse und wirtschaftlichen Schwankungen ausgesetzt. Färbt das auf die Innovationen oder auf die Innovationsbereitschaft ab?

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Für Covestro, die es jetzt seit dreieinhalb Jahren gibt, lässt sich eine solche Frage noch nicht beantworten. Wir haben natürlich die schwierigen Jahre 2008 und 2009 erlebt. Und trotzdem haben wir die Mittel bekommen, um Drittmittel-Projekte zu beantragen, und wir haben uns dann auf die Reise begeben.

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Es müssen die richtigen Themen adressiert werden: Was sind die Themen, die den Fördergeber interessiert und der Gesellschaft unter den Nägeln brennen? Das Ziel der Nachhaltigkeit, die Rohstoffe zu ersetzen, steht in diesem Kontext ganz oben.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Das würde ich auch für uns in Anspruch nehmen: Nachhaltige Chemie steht ganz klar oben auf unserer Agenda. Das ist keine Saison-Geschichte, das würde nicht funktionieren, denn die Entwicklungszeiten sind lang.

Die Produkte, die wir herstellen, müssen sinnvoll sein. Ich komme auf People, Planet, Profit: Sie müssen ökologisch sinnvoll sein – sonst kauft uns das keiner ab. Sie müssen ökonomisch sinnvoll sein, denn wir müssen auch zur Bilanz unseres Unternehmens beitragen. Und sie müssen akzeptiert und für die Gesellschaft nützlich sein. Im konkreten Beispiel ist beides miteinander verknüpft – ökologisch und ökonomisch –; das korreliert und geht Hand in Hand.

Dieses Denken müssen wir – ob in der Wissenschaft, in der Entwicklung oder in der Technik – im Kopf haben, damit wir uns mit den richtigen Fragestellungen beschäftigen, die mutmaßlich später zu einem ökologisch-ökonomisch sinnvollen Ergebnis führen. Das sollte unser Anspruch sein.

Und wir müssen die Menschen mitnehmen. Es nutzt nichts, etwas zu entwickeln und dann ein Jahr vor dem Erscheinen des Materials zu sagen: Ach, übrigens, hier ist es, das ist ganz toll … Das ist in der heutigen Kommunikationswelt nicht möglich. Deswegen ist diese Konstellation, im Sinne eines Katalysators, einmal mehr wichtig: Wir erzählen regelmäßig über das, was wir machen, und hören uns auch an, wenn es Kritik gibt, wir können daraus lernen. Wir sind da völlig entspannt; wenn wir es besser machen können, dann machen wir es besser. Wir wollen sicherstellen, dass wir mit der Auslobung eines Produkts etwas wirklich Sinnvolles geschaffen haben, das allen Bedürfnissen entspricht. Und wenn eine dieser Kategorien fehlt, dann werden wir nicht erfolgreich sein.

Der chemischen Industrie wird in Bezug auf Vermeidung oder Reduzierung von CO2 ein hoher Stellenwert zugeordnet, in der Rangfolge nach Heizen und Mobilität. Teilen Sie diese Ansicht?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Das sind ja auch heute schon, wenn man den Begriff der Sektorkopplung nimmt, eng verwobene Bereiche. Im Zeitalter der Petrochemie werden sowohl Treibstoffe als auch die Chemieprodukte aus fossilen Rohstoffen erzeugt. Und in dem Wandel, den wir jetzt sehen, in der Möglichkeit, erneuerbare Kohlenstoffquellen, insbesondere CO2, aber auch Biomasse als Eingangsstoffe zu nutzen und erneuerbare Energie einzukoppeln, wird sich dieses Bild sehr deutlich verändern.

Im Mobilitätssektor gibt es die Möglichkeit, das auf unterschiedliche Weise zu tun: Wir können direkt elektrifizieren, wir können aber auch Kraftstoffe aus CO2 und Wasserstoff erzeugen und auch da dieses Konzept verwenden. Wo wir mit Sicherheit immer Kohlenstoff brauchen werden, ist im Chemiesektor. Und deshalb ist dort dieses Ressourcenthema – Welche Quellen kann ich denn einsetzen? – für das Konzept der Nachhaltigkeit ganz essenziell. Daraus ergibt sich, dass man mit größtem Nachdruck daran arbeiten muss.

Jetzt kommen die Schmuddelkinder und werden zu den Vorreitern, wird gespottet …

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Das würde ich nicht als Spott empfinden. Die chemische Industrie hat ja auch negative Erfahrungen gemacht. Aber nicht nur die chemische Industrie, sondern auch die Chemie als Wissenschaft hat sehr deutlich gelernt und verstanden, und das Konzept der Green Chemistry – ich nehme den englischen Begriff, weil die Übersetzung als „grüne Chemie“ nicht funktioniert – ist etwas, was mittlerweile wirklich akzeptiert ist, ob in wissenschaftlichen Journalen oder auf entsprechenden internationalen Tagungen. Wir hatten hier in Aachen im Juni zum Beispiel die International Conference on CO2 Utilization. Das ist die 17. Ausgabe dieser Tagung, sie hat eine Geschichte von ungefähr 25 Jahren. Schon damals sagte man: „Das ist ein Thema, damit müssen wir uns beschäftigen!“

Und jetzt können wir auch Erfolge zeigen: Wir stellen die Tagung dieses Jahr unter das Motto „From Science to Application“ – nicht nur dieses eine, unser Beispiel. Es gibt auch andere. Man sieht, da bewegt sich etwas, da tut sich was!

Wir möchten jetzt gerne noch etwas über Sie als Personen wissen, über Ihre Ausbildung. Warum sind Sie in die Chemie eingestiegen? Gab es einen besonderen Auslöser dafür?

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Ich stand vor der Frage, ob ich in die Architektur oder in die Chemie gehen sollte. Das hat eine ganze Menge miteinander zu tun, denn letztlich machen wir ja „molekulare Architektur“. Ich begeistere mich für Architektur. Das hat Walter auch gemerkt, als wir hier das Umfeld gestaltet haben. Wir sitzen hier zum Beispiel auf Polyurethanstühlen, damit das ganze Umfeld ansprechend ist und eine gewisse Optik hat. Und diese Begeisterung, wenn man so mag, die bezieht sich auch auf Moleküle.

Wir machen schöne und sinnvolle Moleküle. Ich bin, kann ich guten Gewissens sagen, begeisterter Chemiker, das kriegen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch mit. Ich interessiere mich dafür, wann was, wo, wie und wofür etwas hergestellt oder getan wird. Das macht einfach Spaß.

Und Sie sind schnurstracks in die Chemie eingestiegen?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Für mich gilt nicht die klassische Sichtweise „Der hat als Zwölfjähriger schon zu Hause im Keller Schwarzpulver gebastelt“. Ich bin zur Chemie eher durch Zufall gekommen. Ich war auf einem sprachlichen Schulzweig, Latein-Leistungskurs und so weiter. Aber irgendwann brauchte man noch einen, weil sonst ein Kurs in Biochemie nicht zusammengekommen wäre. Da hat mich der Lehrer angesprochen und gesagt: Leitner, komm zu uns, das macht Spaß, komm hier mit rein, wir brauchen unbedingt noch einen. Und es hat mir tatsächlich großen Spaß gemacht.

Dann wollte ich Biochemie studieren, habe keinen Studienplatz bekommen und Chemie studiert. So banal war das, aber ich bin durch und durch Naturwissenschaftler, und die Chemie fasziniert mich seither immer weiter, auch die Möglichkeit – das darf man ja nicht unterschätzen –, etwas komplett Neues zu machen. Es ist diese Begeisterung zu sagen: Okay, hier habe ich jetzt was in dieser Flasche, und das hat es auf diesem Planeten vorher in dieser Form noch nicht gegeben und es hat eine positive Wirkung, das ist toll. Es ist auch der Charme in der Technischen Chemie zu sehen, dass dies auch irgendwo hinführt – das ist klasse!

Zur CO2-Chemie bin ich ebenfalls durch Zufall gekommen. Ich hatte in meiner Doktorarbeit das Molekül Ameisensäure, das die Formel HCO2H besitzt, genutzt, um daraus Wasserstoff, also H2, zu übertragen, und dabei entsteht dann CO2. Am Ende der Arbeit war die Neugier da, ob man das nicht auch umdrehen kann: Es entsteht Wasserstoff und geht irgendwo hin, und dabei entsteht CO2 – und so rein aus Neugier die Frage: Das müsste doch auch in die andere Richtung funktionieren. Und es hat tatsächlich geklappt, der richtige Katalysator war es, der die beiden Dinge wieder zusammengebracht hat und aus CO2 und H2 dann wieder Ameisensäure gemacht hat. Seitdem hat mich diese Idee, CO2 zu nutzen, einfach fasziniert.

Dr. rer. nat. Berit Stange
Ich hatte auch nie einen Chemiebaukasten, war aber immer schon eher naturwissenschaftlich-technisch interessiert. In der Schule hatte ich dann den Leistungskurs Chemie gewählt, Chemie mit Ernährungslehre, und es ging Richtung Biochemie – das fand ich superspannend.

Dann fing ich an, Chemie zu studieren, und habe letztendlich meine Leidenschaft in der Polymerchemie gefunden, in der makromolekularen Chemie, da sind Struktur-Eigenschafts-Beziehungen wichtig. Wie muss ich die Struktur des Polymers designen, um spezielle Eigenschaften zu erhalten, damit ich damit eine bestimmte Anwendung bedienen kann? Was kann ich dann noch optimieren, damit man das in die eine oder andere Richtung bekommt? Das macht richtig Spaß– nach wie vor.

Wie kam Ihre Zusammenarbeit zustande? Sie haben das eben in Teilen schon erzählt. Was ist das Besondere? Wie haben Sie sich gefunden?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Wenn ich ganz in die Historie zurückgehe, gab es damals ein Kooperationsprojekt zwischen unserem Lehrstuhl und Bayer MaterialSciences. Das war ein bilaterales Projekt, und es wurden sowohl auf der Hochschulseite als auch beim Unternehmen Ideen einer strategischen Partnerschaft in den Raum gestellt. Dann gab es verschiedene Gespräche, Diskussionen, und irgendwann saßen wir beide, Christoph und ich, am Tisch und haben gesagt, das könnte schon funktionieren, wenn man es richtig macht.

Aus dieser Konstellation haben sich dann die richtigen beiden Personen gefunden, die gesagt haben – ohne großes Tamtam –: Schauen wir einfach, ob es so funktionieren könnte. Das galt auch für die Architektur des Ganzen. Meine Strategie ist immer, möglichst alles auch vertraglich ganz einfach aufzusetzen. Wir haben das CAT-Center so konstruiert, dass es extrem gut funktioniert – auch sehr stark auf einer Vertrauensbasis. Wir schaffen einen Rahmen, in dem wir arbeiten, und wenn es Probleme gibt, dann lösen wir die, wenn sie auftreten, und versuchen nicht alles schon vorher durchzuexerzieren. Wir haben klare Leitplanken, aber in denen bewegen wir uns dann. Da sind wir uns ein bisschen ähnlich.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Pragmatismus und Inspiration. Es muss funktionieren, und es muss Spaß machen, sonst wird das nichts.

Was treibt Sie an, wie funktioniert das Miteinander? Nur Pragmatismus?

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Man muss ein gutes, ein richtiges Ziel haben. Es aushalten, wenn man mal nicht einer Meinung ist, das kommt auch vor, dann muss man einen Weg finden. Und was Christoph sagte: bei dem Ganzen Spaß haben. Es ist die persönliche Motivation: Das ist etwas, da stehe ich dahinter, das will ich machen. Ich will mich nicht verbiegen, irgendwelche Argumente finden, warum ich das mache, sondern ich denke, das ist das Richtige. Ich kann mit meinem begrenzten Wissen, mit meinen Möglichkeiten dazu etwas beitragen und ziehe dann – ganz ehrlich – eine persönliche Befriedigung und Freude aus dem, was ich tue. Das ist ganz entscheidend. Und so finde ich dann auch Menschen, mit denen ich das gerne tue – die persönliche Ebene ist extrem wichtig.

Was gibt es denn noch außerhalb der Chemie bei Ihnen?

Dr. rer. nat. Berit Stange
Meine Freunde und Familie und vor allem Aktivitäten die mit Wasser zu tun haben. Ich gehe gerne schwimmen, oft auch schon vor der Arbeit! Und zum Geburtstag habe ich kürzlich ein Stand-up Paddle Board geschenkt bekommen und freue mich wirklich, das demnächst an einem schönen heißen Sommertag auszuprobieren.

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner
Das ist die Familie, die steht an erster Stelle. Aktuell ist an zweiter Stelle, dass ich wieder, seit ich am Max-Planck-Institut bin, Musik mache. Wir haben eine Band dort, zwei Kollegen und ein paar Mitarbeiter, das macht großen Spaß. Am Sommerfest werden wir versuchen, ein Pink Floyd Revival abzuliefern. Dafür muss ich zurzeit auch ziemlich viel üben.

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler
Der Kreis schließt sich, Familie ist wesentlich und – das teile ich mit Berit – alles, was mit Wasser zu tun hat. Schwimmen, baden, segeln, Wasser, also auf der Oberfläche, aber auch gerne unter der Oberfläche. Das entspannt sehr.

Weitere Details

Lebensläufe

Dr. rer. nat. Christoph Gürtler

1987 - 1992
Studium der Chemie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und TU Berlin, Deutschland
1993
Diplom im Fach Chemie, Universität Bonn
1993 - 1996
Promotion in Organischer Chemie, TU Berlin
1996 - 1997
Postdoktorand am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Institut für Chemie, Cambridge, USA
1997 - 1999
Laborleitung und Projektmanagement in der Zentralen Forschung, Bayer AG, Leverkusen
1999 - 2005
Labor- und Projektleiter im Geschäftsbereich Lackrohstoffe, Bayer MaterialScience AG, Leverkusen: 
Herstellung neuer, umweltgerechter Polyurethansysteme für Lacke und Elastomere sowie von Katalysatoren für Polyurethansysteme
2006 - 2007
Strategie- und Stabstätigkeit für den Vorstand für Innovation und Marketing, Bayer MaterialScience AG
2007 - 2015
Abteilungsleiter für die Themen Katalyse und Nachhaltige Chemie in der Verfahrensforschung Polyurethane; Entwicklung von Polymeren, u.a. auf der Basis von CO2 als Rohstoff, Bayer MaterialScience AG
2015
Neuausrichtung des Bereichs „Chemische Katalyse und neue Verfahren“ im Bereich Polyurethan-Innovation, Covestro Deutschland AG, Leverkusen
Seit 2018
Leiter „Catalysis and Technology Incubation“: Produkt- und Prozessentwicklung bis zu Scale-up und Markteinführung, Covestro Deutschland AG

Weitere Tätigkeiten und Ehrenämter

1999 - 2005
Zusammenarbeit mit russischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (Russian Academy of Science)
2007
Aufbau des Forschungszentrums CAT Catalytic Center für neue katalytische Prozesse und Chemische Verfahren, gemeinsam mit der RWTH University Aachen
2007 - 2015
Kooperation mit Förderorganisationen (BMBF, EU) und Gremienarbeit (Dechema, Cefic)
Seit 2012
"Gastdozent, Vorlesungsreihe „Nachhaltige industrielle Chemie“, RWTH University Aachen
"
Seit 2017
Initiator und Projektleiter von Carbon4PUR (Projekt zur Nutzung von CO2/CO, gefördert im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020)
Seit 2017
Mitglied im Vorstand des Verbandes angestellter Akademiker und leitender Angestellter der Chemischen Industrie e.V. (VAA)
Seit 2018
Mitglied im Advisory Board des nova-Instituts für politische und ökologische Innovation Fragen der CO2-Nutzung
Seit 2018
Mitglied im Advisory Boards der Global CO2 Initiative
2019
Co-Chairman der International Conference for CO2 Utilization, Aachen

Patente, Publikationen und Vorträge

 
Autor / Mitautor von mehr als 140 Patenten und Patentanmeldungen, davon 48 zur CO2-Nutzung
2007
Invited Lecture bei der Gordon Research Conference for Coatings in New London, USA
2014
Invited Lecture beim GdCH Interdisziplinären Symposium in Darmstadt
2015
Invited Lecture beim ACS Industrial Chemistry Symposium in Denver, USA
2015
Invited Lecture beim Makromolekularen Kolloquium in Freiburg
2016
Invited Lecture bei der ICCDU in Sheffield, Großbritannien
2016
Invited Lecture bei der Gordon Research Conference for Green Chemistry in Snowflake, USA
2018
Invited Lecture bei der ProcessNET in Aachen
2018
Invited Lecture bei der ICCDU in Rio de Janeiro, Brasilien
2018
Invited Lecture bei der National Science Foundation in Washington, D.C., USA
2018
Invited Lecture bei der European Petrochemical Association in Wien, Österreich
 
Beteiligt an zahlreichen Studien und Papieren der EU, 
u.a. CO2-Nutzungsstudie der acatech

Ehrungen und Auszeichnungen

2014
Preisträger der Otto-Bayer-Medaille der Bayer AG

Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner

1.2.1963
Geboren in Pfarrkirchen, Deutschland
1982 - 1987
Studium der Chemie, Universität Regensburg 
(Dipl.-Chem. Univ.)
1987 - 1989
Promotion (Dr. rer. nat.) an der Universität Regensburg (Prof. Dr. H. Brunner)
1990
Postdoktorand am Dyson Perrins Laboratory for Organic Chemistry, University of Oxford, UK (Prof. Dr. J. M. Brown)
1991 - 1992
Liebig-Stipendiat des Fonds der Chemischen Industrie 
am Institut für Anorganische Chemie der 
Universität Regensburg
1992 - 1995
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Max-Planck-Arbeitsgruppe „CO2-Chemie“ (Direktor: Prof. Dr. E. Dinjus) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
1995
Habilitation (Dr. rer. nat. habil.) im Fach Anorganische Chemie und Ernennung zum Privatdozenten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
1995 - 1998
Gruppenleiter in der Abteilung “Organische Synthese” (Direktor: Prof. Dr. M. T. Reetz) am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr
1998 - 2002
Leiter des Technikums am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr
Seit 2002
Lehrstuhlinhaber für Technische Chemie und Petrolchemie, Institut für Technische und Makromolekulare Chemie, RWTH Aachen University
2002 - 2017
Externes Wissenschaftliches Mitglied, Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr
Seit 2007
Akademischer Direktor des CAT Catalytic Centers in Aachen, einem gemeinsamen Forschungszentrum von RWTH Aachen und Covestro Deutschland AG
Seit 2017
Direktor “Molekulare Katalyse” am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC), Mülheim an der Ruhr

Weitere Tätigkeiten und Ehrenämter

Seit 2014
Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Programms „Erneuerbare Energien“ des Karlsruhe Institute of Technology, KIT
Seit 2015
Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle, DGMK
Seit 2016
Sprecher der Koordinationsgruppe des Kopernikus-Projekts “P2X: Erforschung, Validierung und Implementierung von ‚Power-to-X‘-Konzepten”
Seit 2018
Mitglied im Kuratorium der Zeitschrift “Angewandte Chemie”
Seit 2018
Mitglied des Vorstands der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V.
Seit 2019
Co-Sprecher des Exzellenzclusters “The Fuel Science Center”, RWTH University Aachen/MPI CEC
2019
Chairman der 14. Internationalen Konferenz “EuropaCat”, Aachen
2019
Chairman der “International Conference on Carbon Dioxide Utilization, ICCDU XVII”, Aachen
2019/2020
Chairman der Gordon Research Conference “Green Chemistry”, Castelldefels, Spanien

Publikationen und Patente

 
Mehr als 300 Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern mit über 13.000 Zitationen und einem h-index von 61 (web of science; Juni 2019)
Mitherausgeber der Bücher Chemical Synthesis Using Supercritical Fluids (Wiley/VCH1999), Multiphase Homogeneous Catalysis (Wiley/VCH 2005) und Handbook of Green Chemistry, Vol 4-6: Green Solvents (Wiley/VCH, 2010)
Mehr als 60 Patente und Patentanmeldungen
Mehr als 100 Gastvorträge auf internationalen Tagungen und an Forschungseinrichtungen

Ehrungen und Auszeichnungen

1997
Gerhard-Hess-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
1998
Bennigsen-Foerder-Preis des Landes Nordrhein-Westfalen
1998
Carl-Zerbe-Award der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle (DMGK)
2000
2nd International Messer Innovation-Award
2001
Otto-Roelen-Medaille der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V.
2003
Griess Lectureship der Royal Society of Chemistry (RSC)
2005
Gastprofessur an der Universitè de Bourgogne, Dijon, Frankreich
2008
CATSA Eminent Visitor Award der South African Catalysis Society
2009
Wöhler-Preis für Nachhaltige Chemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh)
2010
Fellow of the Royal Society of Chemistry (FRSC)
2011
Honorary Member der Chemical Society of Ethiopia
2013
Visiting Lecturer for Promotion of Chemistry, National Science Foundation, Taiwan
2014
European Sustainable Chemistry Award der European Science Association of Chemical and Molecular Sciences (EuCheMS), gemeinsam mit Prof. Jürgen Klankermayer (RWTH University Aachen)
2015
Nankai University Lectureship in Organic Chemistry, Nankai University, China
2015
Molecular Science Forum Lecture of Chinese Academy of Sciences and Chinese Chemical Society
2018
Casey Lecture of the University of Wisconsin, Madison, USA
2018
Evonik Lecture, Biennial Meeting of the Chinese Chemical Society, Hangzhou, China

Dr. rer. nat. Berit Stange

19.05.1976
Geboren in Schwäbisch-Hall, Deutschland
1996 - 2002
Studium und Diplom im Fach Chemie, Institut für Physikalische, Nukleare und Makromolekulare Chemie, Philipps-Universität Marburg
2002 - 2005
Promotion, Institut für Physikalische, Nukleare und Makromolekulare Chemie, Philipps-Universität Marburg
2005 - 2009
Laborleiterin, Geschäftseinheit Polycarbonates, 
Bayer MaterialScience AG, Leverkusen
2009 - 2012
Technische Marktsegmententwicklung „Elektrizitäts-management und Illumination“, Geschäftseinheit Polycarbonates, Bayer MaterialScience AG
2012 - 2014
Großkundenbetreuerin, Geschäftseinheit Polycarbonates, Bayer MaterialScience AG
2014 - 2015
Assistentin des Leiters der Geschäftseinheit Polyurethanes, Bayer MaterialScience AG
2015 - 2016
Assistentin des Vorstands-Mitglieds für Innovation sowie Leiters der Geschäftseinheit Polyurethanes, Covestro AG, Leverkusen
2016 - 2018
Projektmanagerin cardyon®, Geschäftseinheit Polyurethanes, Covestro Deutschland AG
Seit 2018
Leiterin Kreislaufwirtschaft, Geschäftseinheit Polyurethanes, Covestro Deutschland AG

Weitere Tätigkeiten

2002 - 2005
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Physikalische, Nukleare und Makromolekulare Chemie, Philipps-Universität Marburg
2005 - 2009
Erforschung und Entwicklung neuer Flammschutzsysteme für Polycarbonat in verschiedenen Anwendungen, 
Bayer MaterialScience AG
2009 - 2012
Entwicklung und Implementierung einer Marktsegment-Strategie für Europa, Bayer MaterialScience AG
2012 - 2014
Entwicklung und Implementierung der Kundenstrategie für Medizinkunden, Bayer MaterialScience AG
2017 - 2018
Global verantwortlich für die Markteinführung einer neuen CO2-Technologie und dem Produkt cardyon®, 
Covestro Deutschland AG

Publikationen und Patente

 
Mehr als 20 Patente und Patentanmeldungen

Kontakt

Koordination und Pressekontakt

Dr. Grzegorz Darlinski
Alliance Management
Covestro Deutschland AG
51365 Leverkusen
Tel.: +49 (0) 214 / 60 09 75 68
Mobil: +49 (0) 174 / 16 25 184
E-Mail: grzegorz.darlinski@covestro.com

Sprecher

Dr. Christoph Gürtler
Covestro Deutschland AG
51365 Leverkusen
Tel.: +49 (0) 214 / 60 09 21 77
E-Mail: christoph.guertler@covestro.com

Beschreibung der Institute und Unternehmen zu ihren nominierten Projekten

Die moderne Gesellschaft setzt riesige Mengen an Kohlendioxid (CO2) frei, das sich in der Atmosphäre ansammelt. Dabei trägt das Treibhausgas etwas Nützliches in sich: Kohlenstoff, einen zentralen Baustein für Produkte der chemischen Industrie. Dank eines neuen Verfahrens lässt sich CO2 jetzt als Rohstoff für hochwertige Kunststoffe einsetzen und kann Erdöl teilweise ersetzen. Ein Beitrag zur Ressourcenschonung und Förderung der Kreislaufwirtschaft, zu verdanken dem Know-how, der Beharrlichkeit und dem Einfallsreichtum von Experten der RWTH Aachen University, des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion und des Werkstoffherstellers Covestro.

Zusammenfassung
Industriell nutzbare CO2-basierte Polyole sind das Resultat der anwendungsorientierten Grundlagenforschung im Rahmen des CAT Catalytic Centers, einer von Covestro und der RWTH Aachen University gemeinsam betriebenen wissenschaftlichen Einrichtung, und der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bei Covestro. Aus Polyolen werden beispielsweise Matratzen und Dämmmaterialien oder andere Produkte des täglichen Lebens gefertigt. Die Verwendung von CO2 als Rohstoff verbessert dabei die Umwelt- und Klimabilanz des Produktionsverfahrens für Polyole.

Das Team
Nominiert für den Deutschen Zukunftspreis sind Prof. Dr. Walter Leitner, Lehrstuhlinhaber für Technische Chemie und Petrolchemie an der RWTH Aachen University sowie Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr, Dr. Christoph Gürtler, Leiter des Bereichs Neue Verfahren und Produkte bei Covestro, sowie Dr. Berit Stange, Leiterin Kreislaufwirtschaft Polyurethane, ebenfalls Covestro.

Die Idee
Es ist ein naheliegender Gedanke: Die Menschheit produziert Unmengen an Kohlendioxid, das als klimaschädliches Treibhausgas wirkt. Warum sollte man nicht versuchen, es zumindest teilweise zu nutzen – beispielsweise als Rohstoff für die chemische Industrie? So ließe sich deren Abhängigkeit von fossilen Ressourcen wie Erdöl verringern. Gleichzeitig könnte man so einen Schritt auf dem Weg hin zu geschlossenen Kohlenstoffkreisläufen in der Chemieproduktion machen.

Die Herausforderung
Die Idee wurde schon in den späten 60er Jahren formuliert, doch der Verwirklichung stand eine erhebliche Hürde entgegen: der hohe Energieaufwand, der nötig ist, um das reaktionsträge CO2 zu aktivieren – und den ökonomischen und ökologischen Nutzen untergräbt.

Die Lösung
Die Nominierten haben sich der Aufgabe dennoch angenommen. Mit Erfolg: Sie haben entscheidenden Anteil an der Entwicklung und industriellen Umsetzung eines neuen katalytischen Verfahrens, mit dem Kohlendioxid kontrolliert und wohldosiert in Kunststoffe mit vielfältigen Anwendungen eingebaut wird.

Das neue Produkt lässt sich in bestehende Produktionsverfahren der industriellen Wertschöpfungskette integrieren. Bereits nach kurzer Zeit nahm es daher den Schritt vom Labor in die industrielle Nutzung, womit es sich als echte Innovation erwiesen hat. Seit 2016 stellt Covestro in einer neuen Anlage in Dormagen im industriellen Maßstab eine zentrale Komponente von Polyurethanen her. Gleichzeitig wird das Verfahren für die großindustrielle Fertigung evaluiert.

Das Produkt
Mit CO2 werden sogenannte Polyole hergestellt, die unter dem Markennamen cardyon® vertrieben werden. Bis zu 20 Prozent des herkömmlichen Rohstoffs Propylenoxid, das aus Erdöl gewonnen wird, können dabei ersetzt werden. Erste Endprodukte sind ebenfalls schon erhältlich. Die Firma Recticel bietet als Vorreiter Schaumstoffe für Matratzen an, die cardyon® enthalten. Und das Unternehmen Polytan verwendet Bindemittel mit CO2-basierten Polyolen in der elastischen Schicht von Sportbodensystemen.

Der Nutzen
Durch die Verwendung des Abfallprodukts CO2 als Wertstoff werden fossile Kohlenstoffquellen geschont. Gleichzeitig verringert die Technik den Gesamtenergiebedarf über die Wertschöpfungskette der Polyole, was nicht nur die CO2-Emissionen der chemischen Industrie an dieser Stelle reduziert, sondern auch marktfähige Lösungen ermöglicht. Das fest eingebaute CO2 kann zudem die Materialeigenschaften in vielen Anwendungen unterstützen. So macht das neue Verfahren die Produktion nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch betriebswirtschaftlich attraktiv.

Die Perspektive
Die aktuellen Anwendungsbeispiele verdeutlichen das Potenzial der Innovation in einem Markt mit einem jährlichen Produktvolumen von mehreren Millionen Tonnen. So ist das neue Verfahren als Plattformtechnologie auch in der Lage, Vorprodukte für elastische Textilfasern mit CO2 bereitzustellen, die sich derzeit noch im Teststadium befinden. Aber auch grenzflächenaktive Substanzen, wie sie zum Beispiel in Waschmittel eingesetzt werden, können mit CO2 als Rohstoff produziert werden.

Das Projekt hat ferner eine Signalwirkung über die konkrete Anwendung hinaus. Wie sich CO2 nach dem Vorbild der CO2-basierten Polyole künftig in weitere Produktionsprozesse, die bislang ausschließlich fossile Rohstoffe verwenden, einspeisen lässt, ist Forschungsgegenstand an der RWTH Aachen, am Max-Planck-Institut für chemische Energiekonversion und bei der Covestro AG. Auf diese Weise werden selbst komplexe Herausforderungen der Gegenwart wie der Klimawandel, der die zunehmende Abkehr von fossilen Rohstoffen erfordert, in enger Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie erfolgreich angegangen. Projekte wie diese helfen nicht zuletzt bei der Sicherung des Standorts Deutschland und tragen gleichzeitig der ökologischen und sozialen Verantwortung der Industrie Rechnung.

Covestro Deutschland AG
Covestro zählt zu den weltweit führenden Herstellern von hochwertigen chemiebasierten Werkstoffen. Die Produkte und Anwendungslösungen des Unternehmens sind Grundlage für wichtige Industriezweige und finden sich in vielen Bereichen des modernen Lebens. Im Fokus stehen innovative, nachhaltige Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit – etwa den Klimawandel, die Verknappung von Ressourcen, zunehmende Mobilität und Urbanisierung. Covestro beschäftigt global rund 16.800 Mitarbeiter und erzielte 2018 einen Umsatz von 14,6 Milliarden Euro.

RWTH Aachen University
Mit ihren 260 Instituten in neun Fakultäten gehört die RWTH Aachen University als Exzellenzuniversität zu den führenden europäischen Wissenschaftseinrichtungen. Im Wintersemester 2018/2019 waren mehr als 45.000 Studierende eingeschrieben, davon knapp ein Viertel internationale Studierende aus mehr als 125 Ländern. Forschende mit Expertisen in der Grundlagenforschung und in hochspezialisierten Anwendungen arbeiten in interdisziplinären Profilbereichen zusammen, um zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln und Ideen in Innovationen umzusetzen. Das Finanzvolumen der RWTH beträgt fast eine Milliarde Euro, davon sind über 385 Millionen Euro Drittmittel.

MPI für chemische Energiekonversion
Die Forschung am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) in Mülheim an der Ruhr zielt darauf ab, die grundlegenden chemischen Prozesse zu verstehen, die bei der Umwandlung (Konversion) von elektrischer in chemische Energie, bei der Speicherung von Energie und bei der chemischen Wertschöpfung auf Basis von CO2 eine Schlüsselrolle spielen. Für die globale Energiewende und die Substitution von endlichen, fossilen Rohstoffen durch erneuerbare Ressourcen ist es wesentlich, Energiegewinnung und Chemieproduktion nachhaltig, umweltfreundlich und kostengünstig zu verzahnen. Dafür schaffen die rund 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am MPI CEC, darunter Nachwuchswissenschaftler aus über 30 Nationen, technische Optionen, die den politischen und gesellschaftlichen Handlungsspielraum erweitern.

Das Vorschlagsrecht zum Deutschen Zukunftspreis obliegt den führenden deutschen Einrichtungen aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Stiftungen.


Das Projekt „CO2 – ein Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe“ wurde von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V., der HRK Hochschulrektorenkonferenz und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V eingereicht.

Präsentation des Projektes Abendveranstaltung, 12. September 2019

Nominiert 2019 · TEAM 2